Cover
Titel
Am Vorabend des Grauens. Studien zum Spannungsfeld Politik – Literatur – Film in Deutschland und Polen in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts


Autor(en)
Dziergwa, Roman
Reihe
Posener Beiträge zur Germanistik 4
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
174 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lars Jockheck, Seminar für Geschichtswissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr, Hamburg

Hitler war erst wenige Monate an der Macht, als er im Frühjahr 1933 eine spektakuläre Wende hin zur Entspannung im deutsch-polnischen Verhältnis einleitete. Dieser außenpolitische Wandel kam für die breite Öffentlichkeit umso überraschender, als ihm ein jahrelanger Wirtschafts- und Propagandakrieg zwischen Berlin und Warschau vorausgegangen war. Das Bild vom Nachbarn war auf beiden Seiten denkbar schlecht; die Beziehungen schienen sich wesentlich auf den Austausch bösartiger Polemiken zu beschränken. In dieser Atmosphäre begann Hitler seinen Versuch, Polen als „Juniorpartner“ an das „Dritte Reich“ zu binden. Es ging ihm darum, zunächst die außenpolitische Isolation seines Regimes zu durchbrechen, dann die Versailler Nachkriegsordnung und insbesondere das französische Bündnissystem außer Kraft zu setzen und schließlich möglichst mit polnischer Unterstützung seinen Raub- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion beginnen zu können. Nach langem Hinhalten und Schwanken entschied sich das autoritäre polnische Regime erst Anfang 1939, dem zuletzt ultimativ vorgetragenen Begehren Hitlers eine eindeutige Absage zu erteilen.1

Neben der Außen- und Wirtschaftspolitik hatte auch die Kulturpolitik ihren Beitrag zur Annäherung zwischen Berlin und Warschau leisten sollen. Die 1930er-Jahre mit ihren beiden radikalen Wendepunkten gehören daher nicht zuletzt unter kulturhistorischen Gesichtspunkten zu den spannendsten Untersuchungsgegenständen in der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte. In diesem Zeitraum bewegen sich denn auch die meisten der elf Studien, die der habilitierte Posener Germanist Roman Dziergwa im „Spannungsfeld Politik – Literatur – Film“ angesiedelt hat. Die Schwerpunkte liegen dabei eindeutig auf Publizistik, Literatur und Film, während der politische Faktor eher beiläufig in die Analysen einbezogen wird. In drei Abteilungen von je 40 bis 50 Seiten bzw. drei bis vier Beiträgen untersucht Dziergwa vor allem deutsche publizistische, literarische und filmische Werke sowie deren Rezeption in Polen. Die recht disparaten Themen reichen vom „Pilsudski-Mythos in der deutschen Polenliteratur“ (S. 11-23) über „Polnische Intellektuelle und die Gide-Feuchtwanger-Debatte“ zum totalitären Charakter des Stalin-Regimes (S. 91-104) bis hin zu einem Ausblick auf die „antipolnischen Produktionen der deutschen Filmindustrie in der Zeit des Zweiten Weltkriegs“ (S. 143-158).

Dziergwa konzentriert sich auf die skizzenhafte Wiedergabe und Kommentierung wesentlicher Inhalte der von ihm ausgewählten Werke. Eine Einordnung in den Gesamtzusammenhang der deutsch-polnischen Beziehungen und die politischen Hintergründe findet allenfalls ansatzweise statt. So berücksichtigt Dziergwa nicht ausreichend, dass seit dem Februar 1934 ein bilaterales staatliches Abkommen zur „deutsch-polnischen Zusammenarbeit in der öffentlichen Meinungsbildung“ (so die offizielle Bezeichnung) bestand, in dessen Sinne besonders das deutsche Regime spürbar in die Medienöffentlichkeit eingriff. Das Auswärtige Amt und das Propagandaministerium forderten und förderten nun in Zusammenarbeit mit polnischen Stellen Meinungen, die den zuvor schon teilweise mit deutscher Staatshilfe verbreiteten Ansichten über Polen in der öffentlichen Wahrnehmung zuwiderliefen. Pauschalurteile, wie etwa die im Wesentlichen auf Büchern aus den 1930er-Jahren beruhende Behauptung, dass „die deutschen polenbezogenen Reiseberichte der Zwischenkriegszeit ein auf ehrlicher Sachkenntnis basierendes, eher wohlwollendes und glaubwürdiges Bild der polnischen politischen und ökonomischen Umwandlungen der Zweiten Polnischen Republik“ vermittelt hätten (S. 40), sind von zweifelhaftem Wert, da sie die Vorgeschichte und den Wandel deutscher Polenbilder sowie deren Steuerung ausblenden. Lediglich punktuell werden auch Beispiele für die Beschränkung der Meinungsfreiheit in Polen erwähnt, die jedoch längst nicht so weit ging wie im „Dritten Reich“. Ein solcher Mangel an gründlicher Differenzierung und Kontextualisierung ist durchgängig zu beobachten. Der fehlende analytische Tiefgang in den Darstellungen Dziergwas ist im Wesentlichen wohl darauf zurückzuführen, dass er eine ganze Reihe wichtiger historischer Arbeiten zu seinem Themenkomplex außer Acht gelassen hat.2

Nur so lässt sich auch das ambivalente Urteil des Verfassers über die kulturellen Zeugnisse jener kurzen Phase deutsch-polnischer Annäherung von 1933 bis 1939 erklären. Während er einerseits höchst fragwürdige Parallelen in den damaligen und heutigen Zuschreibungen einer „abendländischen“ Aufgabe des polnischen Volkes zu erkennen meint (S. 41, 160), betont er andererseits zu Recht, dass besonders auf deutscher Seite die Kultur „im Zeichen einer weitgehenden politischen Funktionalisierung“ stand (S. 159). Unter Einbeziehung der eingangs dargelegten politischen Absichten Hitlers müsste jedoch eigentlich klar sein, dass die Betonung der Zugehörigkeit Polens zum „Abendland“ nicht etwa dem Ideal einer „Versöhnung“ Deutschlands mit Polen dienen sollte, sondern dass es vielmehr um eine Motivation für die erhoffte gemeinsame Aggression gegen die Sowjetunion ging.

Anmerkungen:
1 Siehe hierzu die konzise Zusammenfassung von: Wollstein, Günter, Hitlers gescheitertes Projekt einer Juniorpartnerschaft Polens, in: Universitas 38 (1983), S. 525-532. Zu den schwankenden Reaktionen der polnischen Außenpolitik siehe zuletzt: Zerko, Stanislaw, Stosunki polsko-niemieckie 1938-1939 [Polnisch-deutsche Beziehungen 1938-1939], Poznan 1998.
2 An erster Stelle sind zu nennen: Fischer, Peter, Die deutsche Publizistik als Faktor der deutsch-polnischen Beziehungen 1919-1939, Wiesbaden 1991; Cezary Król, Eugeniusz, Propaganda i indoktrynacja narodowego socjalizmu w Niemczech 1919-1945. Studium organizacji, tresci, metod i technik masowego oddzialywania [Propaganda und Indoktrination des Nationalsozialismus in Deutschland 1919-1945. Eine Untersuchung von Organisationen, Inhalten, Methoden und Techniken der Massenbeeinflussung], Warszawa 1999, hier 511-643 zur „Polnischen Problematik in Propaganda und Indoktrination des Nationalsozialismus“; Roschke, Carsten, Der umworbene „Urfeind“. Polen in der nationalsozialistischen Propaganda 1934-1939, Marburg 2000. Speziellere Aspekte beleuchten: Hein, Heidi, Der Pilsudski-Kult und seine Bedeutung für den polnischen Staat 1926-1939, Marburg 2002; Jockheck, Lars, Der „Völkische Beobachter“ über Polen 1932-1934. Eine Fallstudie zum Übergang vom „Kampfblatt“ zur „Regierungszeitung“, Hamburg 1999; Pietsch, Martina, Zwischen Verehrung und Verachtung. Marschall Józef Pilsudski im Spiegel der deutschen Presse 1926-1935, Weimar 1995.

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