Cover
Titel
Recovering Power. The Conservatives in Opposition Since 1867


Herausgeber
Ball, Stuart; Seldon, Antony
Erschienen
Basingstoke 2005: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
IX, 288 S.
Preis
£18.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Altmann, Langenargen

“Must Labour lose?” So der Titel eines 1960 publizierten Pamphlets, dessen Autoren sich Gedanken darüber machten, ob es im zehnten Jahr konservativer Regierung noch Sinn habe, auf einen Wechsel hin zur oppositionellen Labour-Partei zu hoffen. Zu drückend erschien die Dominanz der sprichwörtlich „natürlichen Regierungspartei“ und zu schlaff die vielfach fraktionierte britische Linke, als dass den Tories der ungewohnte Gang zu den harten Bänken von „Her Majesty’s Loyal Opposition“ gedroht hätte. Doch 1964 war es dann so weit. Labour-Führer Harold Wilson, von seinen Anhängern und selbst Teilen der konservativen Presse als britische Antwort auf John F. Kennedy gepriesen, besiegte die Tories unter Premierminister Alec Douglas-Home, der mit dem Hautgout hatte leben müssen, nur dank obskur-spätviktorianischer Machenschaften 1963 ins Amt gelangt zu sein. An der langfristigen Tendenz britischer Regierungsarithmetik änderte der 1966 bestätigte Triumph Wilsons freilich wenig: Seit der zweiten Wahlrechtsreform von 1867 durfte das konservative Führungspersonal 86 Jahre auf der „Treasury Bench“ Platz nehmen, 52 Jahre hingegen musste es sich mit der im Westminster-System vergleichsweise unbedeutenden Zuschauerrolle begnügen. Blickt man auf die Situation im Jahr 2005, so scheinen die Verhältnisse auf den Kopf gestellt: Nach einem präzedenzlosen dritten Wahlsieg in Folge darf Labour möglicherweise mit einem demoskopischen Realignment rechnen, das ihr auf absehbare Zeit eine Hegemonie gegenüber den marginalisierten Tories einräumt. – Die Autoren des von Stuart Ball und Anthony Seldon edierten Sammelbandes analysieren in ihren Beiträgen die Oppositionsphasen der Konservativen Partei seit 1867. Zur Sprache kommen dabei persönliche Rivalitäten und Bündnisse ebenso wie die programmatischen Strategien und organisatorischen Vorkehrungen, die eine rasche Rückkehr an die Schalthebel der Macht ermöglichen sollten. Als Fluchtpunkt der Darstellung dient der Niedergang der Tories nach der konservativen Blüte unter Margaret Thatcher.

Folgt man den Ausführungen Stuart Halls in seinem einführenden Problemaufriss, so wäre allenfalls Labour selbst in der Lage, sich um die Macht zu bringen. Denn wie in anderen westlichen Demokratien gilt auch in Großbritannien: „Oppositions do not win elections, governments lose them.“ (S. 8) Gleichwohl stehen einer Oppositionspartei mehrere Wege offen, auf denen sie der Regierung in die Parade fahren kann. Zum einen hat sie die Wahl zwischen oppose und propose. Bei knappen Mehrheitsverhältnissen oder im Fall einer demoskopisch angeschlagenen Regierung empfiehlt sich erstere Strategie, während etwa gegenwärtig die britische Opposition programmatisch dicke Bretter bohren müsste, um die Regierung Blair aus der Reserve zu locken. Zum anderen hat eine gerade von den Regierungsgeschäften entpflichtete Partei Sorge dafür zu tragen, dass sich ihr offensichtlich ramponiertes Erscheinungsbild wandelt. Im Übrigen können – in der Regierungsverantwortung meist vernachlässigte – organisatorische Reformen die Schlagkraft einer von den Wählern abgestraften Partei erhöhen. Seit das neue Wahlrecht von 1867 in Großbritannien den „politischen Massenmarkt“ (Hans Rosenberg) eröffnete, hat die Konservative Partei diese Strategien beherzigt und damit die Zeit auf den Oppositionsbänken zu minimieren verstanden. Allein: seit 1997 hintertreiben verschiedene Faktoren die Effizienz der alten Strategien.

Der konservative Führer Lord Salisbury nutzte die Oppositionsphase in den 1880er-Jahre, um seine Partei behutsam auf die politische Moderne einzustellen. In Newport hielt er eine Rede, die drei programmatische Stränge bündelte, welche den Tories fortan als Richtschnur politischen Handelns dienten. Salisbury machte zum einen Anleihen beim Populismus Gladstone’scher Provenienz. Der liberale Staatsmann hatte mit seiner Kampagne gegen die Verfolgung von Christen im Osmanischen Reich 1876 die Moralisierung außenpolitischer Diskurse auf eine neue Ebene gehoben und ein politisches Comeback lanciert. Zum anderen bediente sich Salisbury des Arsenals imperialistischer Rhetorik. Nicht allen konservativen Granden war der Gedanke an eine Verquickung der imperialen und der heimischen Sphäre geheuer, doch Benjamin Disraeli hatte den propagandistischen Mehrwert des Empire erkannt und Königin Viktoria zur Kaiserin von Indien befördert. Schließlich nahm sich Salisbury auch der „Sozialen Frage“ an. Mit Joseph Chamberlain erwuchs dem etablierten Parteiensystem ein Herausforderer, der seine sozial-radikalen Anschauungen mit patriotischem Zungenschlag kundzutun wusste.

Nach der Niederlage von 1910, die eine Ära der „Progressiven Allianz“ aus Liberalen, der neuen Labour-Partei und Nationalisten des „Celtic Fringe“ einzuläuten schien, schufen die Tories David Dutton zufolge das organisatorische Fundament für ihre starke Stellung in den nächsten Jahrzehnten. Insbesondere das Amt des Chairman verlieh dem konservativen Apparat eine neue Dynamik. In den 1920er-Jahren, die von hoher Arbeitslosigkeit und strenger fiskalischer Disziplin gekennzeichnet waren, schlug der konservative Führer Stanley Baldwin mit seiner einvernehmenden Rhetorik eine die sozialen Klassen versöhnende Rhetorik an und nutzte die Zeit der ersten Labour-Regierungen 1924 und 1929-1931 zu einer abermaligen organisatorischen Straffung der Parteiarbeit. Verschiedene Ausschüsse beackerten einzelne Politikfelder und versuchten so, der Regierung auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Die Mitgliedszahlen, vor allem in den Frauen vorbehaltenen Zweigen der Konservativen, wuchsen. Allerdings hatten sich die Tories Ende der 1920er-Jahre missliebiger Konkurrenz von rechts zu erwehren, da die Pressezaren Beaverbrook und Rothermere mit ihrem „Empire Crusade“ die Konservativen im Schatten der Weltwirtschaftskrise auf protektionistischen Kurs zwingen wollten. Diese Problematik hatte die Tories seit Beginn des Jahrhunderts geplagt und immer wieder zu dilatorischen Formelkompromissen geführt. Mit scharfen Attacken gegen die „Macht ohne Verantwortung“ (S. 152) der Zeitungsmagnaten vermochte Baldwin jedoch die eigenen Reihen zu schließen. In einer großen Koalition mit einem Teil der Labour-Partei ab 1931 verwirklichten die Konservativen zudem eine milde Variante der „imperial preference“.

Nach dem Zweiten Weltkrieg musste der „Retter“ Winston Churchill überraschend für Clement Attlee 10 Downing Street räumen. Dies stürzte die Tories in eine so tiefe Identitätskrise, dass sogar der Parteiname zur Disposition stand. Die Verstrickung Konservativer in die Appeasement-Strategie Neville Chamberlains und die durch den Beveridge-Report von 1942 initiierte Entwicklung hin zum Wohlfahrtsstaat verlangten den Tories erhebliche Anstrengungen ab, wollten sie mit ihrem alternden Führer Churchill nicht zu einer Partei mit großer Vergangenheit, aber ohne Zukunft herabsinken. Wie David Willetts luzide darlegt, gelang den Konservativen jedoch eine durchgreifende Neuausrichtung. Richard Butler trieb die Programmarbeit voran, in deren Verlauf protektionistische Regungen endgültig stillgelegt und stattdessen eine wohlfahrtsstaatlich abgefederte Markwirtschaft ohne Handelsbarrieren propagiert wurde. Die rationierungsmüden Briten nahmen die neue Botschaft wohlwollend zur Kenntnis, und die Konservativen wurden nicht zuletzt eine „Partei der Konsumentinnen“ (S. 183). Ohnehin verdankten sie ihre Wahlsiege bis 1970 der konservativen Dominanz bei den Wählerinnen. Im Jahr 1949 beendeten die Tories außerdem den bis dato üblichen „Verkauf“ sicherer Wahlkreise an den finanziell potentesten Bewerber.

Ein weiterer innerparteilicher Demokratisierungsschub folgte Mitte der 1960er-Jahre, als die konservative Unterhausfraktion das Recht zugestanden bekam, ihren Führer selbst zu wählen, anstatt ihn in verrauchten Hinterzimmern von den Parteioberen bestimmen zu lassen. Der so 1965 ins Amt gelangte, im Juli 2005 verstorbene Edward Heath wollte mit Hilfe eines ambitionierten Modernisierungsprogramms Großbritannien für die Herausforderungen des postindustriellen Zeitalters wappnen, nachdem das Kennedy-Image Wilsons rasch verblasst war. Der Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft gehörte zu dieser Programmatik. Wie Mark Garnett jedoch verdeutlicht, überschätzte der bisweilen schroff agierende Heath die „Rationalität des Durchschnittswählers“ (S. 215) und geriet daher nach dem Wahlsieg 1970 schnell in Schwierigkeiten. Nach den beiden Niederlagen 1974 wurde erstmals in der Geschichte der Konservativen ein Parteiführer von der eigenen Fraktion abgewählt. Mit Margaret Thatcher begann bei den Tories auch in anderer Hinsicht eine neue Zeitrechnung. Der von ihrem engen Weggefährten Keith Joseph diagnostizierte „ratchet effect“ sollte unwiderruflich gestoppt werden: die Konservativen dürften nicht länger die von Labour-Regierungen vorangetriebene Verschiebung der politischen Mitte nach links ratifizieren, sobald sie selbst an die Macht kommen. Vielmehr müsse die Konservative Partei von nun an wahrhaft konservative Politik machen. Neu war auch der aggressive Ton des „negative campaigning“ (S. 228), der einen Vorgeschmack auf die konservative Regierung ab 1979 bot.

In ihrer abschließenden Betrachtung zu den „fruchtlosen Jahren“ konservativer Opposition seit 1997 gehen Anthony Seldon und Peter Snowdon der Frage nach, weshalb die bewährten Strategien der schonungslosen Nachlese im Gefolge verlorener Wahlen nicht mehr verfangen. Ein Teil der konservativen Malaise ist hausgemacht. Die Triumphe des Thatcherismus in den 1980er-Jahren enthielten bereits den Keim des Niedergangs, da sich die Tories immer weiter davon entfernten, eine „One Nation“-Party zu sein. Vielmehr degenerierte sie, so Seldon und Snowdon, zu einer ideologisierten englischen Rumpfpartei, die ihre lokale Basis sträflich vernachlässigte und nach 1990 nichts unversucht ließ, ihren eigenen Führer, Premierminister John Major, zu demontieren. Die Regierung Majors, der 1992 unerwartet – und mit dem nach absoluten Stimmen historisch besten konservativen Ergebnis – die Unterhauswahl gewonnen hatte, versank in einem Strudel von Europhobie, Rezession und Korruption. Major trat sogar mitten in der Legislaturperiode zurück, um die Fraktion zu disziplinieren, vermochte mit derlei Theaterdonner den Heckenschützen in seiner Partei freilich nur kurzfristig Einhalt zu gebieten. Nach dem Desaster von 1997 wälzten viele Konservative wohlfeil die Schuld auf Major ab, was eine tiefer reichende Bestandsaufnahme überflüssig zu machen schien. Hinzu kam, dass ein neuer Modus zur Wahl des Führers das letzte Wort den konservativen Parteimitgliedern und mittelbar der konservativen Presse überließ. Beide aber stehen weit rechts von der politischen Mitte – selbst rechts der Mitte innerhalb der konservativen Unterhausfraktion. So konnte es passieren, dass dem glücklosen William Hague 2001 mit Iain Duncan Smith ein Politiker nachfolgte, der bei der Vorauswahl durch die Fraktion nicht mehr als ein Drittel der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Der Nachfolger von Duncan Smith, Michael Howard, ein Fahrensmann aus der Zeit des Thatcherismus, hat die Niederlage bei den Wahlen 2005 umgehend mit seiner Demission quittiert. Neben diesen internen Verwerfungen leiden die Tories jedoch auch an einem politischen Umfeld, das ihnen einen relaunch erschwert. Seldon und Snowdon weisen darauf hin, dass es „New Labour“ unter Tony Blair gelungen sei, die Konservativen mit deren eigenen „geheimen Waffen“ (S. 244) zu schlagen: Hunger nach Ämtern und Anpassungsfähigkeit. Nach dem Ende des Kommunismus und der gewerkschaftlichen Militanz tauge auch eine rundum erneuerte Labour-Partei nicht mehr als ideologischer Sparringspartner, zumal Labour den in der Bevölkerung konsensfähigen wirtschaftspolitischen Kurs Thatchers und Majors fortführe und sich nun, wie die Tories ihrerseits in den Achtzigern, als Partei der politischen Vernunft und Mitte gerieren könne. Selbst am Tiefpunkt der Regierung Blair, dem Selbstmord David Kellys im Umfeld des Irakkriegs, vermochten die den Krieg befürwortenden Tories kein Kapital aus der Schwäche der Labour-Partei zu schlagen. Stattdessen schlitterten sie sehenden Auges in das nächste Wahldebakel.

Der Sammelband enthält durchweg aufschlussreiche und prägnante Beiträge, die anhand einer klar abgezirkelten Problematik und auf dem neuesten Stand der Forschung einen weiteren Horizont eröffnen. Sie lassen dabei nicht nur das aus dem jeweiligen historischen Kontext heraus erklärbare Gebaren der oppositionellen Konservativen deutlich hervortreten, sondern profilieren auch eine Art Typologie der Oppositionsarbeit in Großbritannien seit 1867. Schließlich verdeutlichen die Aufsätze zurzeit nach 1974, weshalb eine Partei, die lange als Machtmaschine par excellence galt, seit 1997 nur mehr ein Schatten ihrer selbst zu sein scheint.

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