: Unterwegs zur Familie Speer. Begegnungen, Gespräche, Interviews. Berlin 2005 : Propyläen Verlag, ISBN 3-549-07249-X 608 S. € 24,95

: Speer und Er. Hitlers Architekt und Rüstungsminister. Berlin 2005 : Propyläen Verlag, ISBN 3-549-07193-0 415 S. € 24,95

: Die unbeantwortbaren Fragen. Notizen über Gespräche mit Albert Speer zwischen Ende 1966 und 1981. Reinbeck 2005 : Rowohlt Verlag, ISBN 3-498-02114-1 270 S. € 19,90

: Knapp, Margit; Seifert, Sabine (Hrsg.): Sind Sie die Tochter Speer?. . München 2005 : Deutsche Verlags-Anstalt, ISBN 3-421-05844-X 228 S., 89 s/w Abb. € 19,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tilmann Lahme, Göttingen

Albert Speer war ein Kriegsverbrecher – und dies in erheblich größerer Dimension, als man jahrzehntelang angenommen hatte. Diese Erkenntnis ist inzwischen weithin bekannt, nachdem Heinrich Breloer in seinem TV-Doku-Drama „Speer und Er“ sowie nachfolgender Dokumentation (allesamt gesendet in der ARD im Mai 2005) die Legende vom verstrickten, verführten, eigentlich „guten Nazi“ zerstörte. Über 7 Millionen Zuschauer sahen mindestens einen der drei Teile, die Dokumentation verfolgten spätabends 1,23 Million Interessierte. Für die historische Fachwissenschaft hingegen war das Ende des „Speer-Mythos“ nichts Neues. Schon 1982 hatte Matthias Schmidt in seiner Dissertation über Speer mit einer Reihe von Lügen und Schutzbehauptungen des Hitler-Architekten und Rüstungsministers aufgeräumt.1 In den vergangenen zwanzig Jahren erschienen weitere Arbeiten: Während einige davon, einseitig anklagend und psychologisierend, mehr von einem journalistischen als von einem fachhistorischen Interesse getragen wurden 2, boten andere auch sachlich neue Einsichten. Um einen kleinen Ausschnitt zu geben: Heute weiß man, dass Speer maßgeblichen Anteil an der menschenverachtenden und -vernichtenden Behandlung der Zwangsarbeiter hatte, bei der es ihm als Rüstungsminister im Verein mit der Industrie nicht um „rassische Fragen“, sondern hauptsächlich um Effektivität ging, wobei man jedoch ebenso „den Tod von Hunderttausenden von Menschen in Kauf nahm und in der letzten Kriegsphase geradezu zwingend voraussetzte“.3

Heute wissen wir auch, dass es sich bei Speers späterer Behauptung, er habe, durch persönlichen Anblick erschüttert, versucht, die schlimmsten Missstände in den Zwangsarbeiterlagern abzuschaffen, um eine Lüge handelt, dass er vielmehr die Lage aus Kosten- und Zeitgründen noch verschärfte und z.B. mit seinem Untergebenen Edmund Geilenberg jemanden als Koordinator für den Wiederaufbau beschädigter Treibstoffwerke einsetzte, der für seine Brutalität und die hohen Todesraten in „seinen“ Lagern bekannt war.4 Auch die Fälschungen der Rüstungsbilanzen Speers sind inzwischen belegt und damit der Mythos von Speers „Rüstungswunder“ im Krieg relativiert.5 Nicht zuletzt ist die Skrupellosigkeit der Pläne und Handlungen Speers im Zusammenhang mit dem Bau „Germanias“, der die gewachsene Struktur des Berliner Zentrums zerstören musste, herausgestellt worden.6 Ob man dabei so weit gehen kann wie Susanne Willems 7, Speer persönlich die Deportationsverantwortung der „entsiedelten Juden“ zuzuschreiben, ist allerdings umstritten.8

Es ist entschieden zu begrüßen, dass sich ein Filmemacher vom Rang Breloers mit diesem Thema befasst und damit auf gewohnt fesselnde Art dafür gesorgt hat, dass über den kleinen Kreis der Fachwissenschaft hinaus deren Ergebnisse ins Allgemeinbewusstsein gelangt sind. Solches ist heute, ob es einem zusagt oder nicht, nur über das Medium Fernsehen möglich, so dass die Kritik von Wolfgang Benz in der Süddeutschen Zeitung, die sich in der Hauptsache gegen die Darstellungsart, die nachgespielten Szenen, die Mischung aus Fakten und Emotionen, die Stichwortgeberrolle der Historiker und die zentrale Beschäftigung Breloers mit der Beziehung Speers zu Hitler richtet, ein wenig geschmäcklerisch erscheint.9 Ein Film ist kein Buch, und ein „Doku-Drama“ mit zeitweiligem Spielfilmcharakter spricht nun einmal andere Zuschauer und ein anderes Erkenntnisinteresse an als ein klassischer Dokumentarfilm. Wer es tiefer gehend wünscht, kann immer noch zu einem Fachbuch greifen. Dass diese weitergehende Wissbegierde nur eine kleine Minderheit aufbringen wird, ist nicht zu ändern, so sehr man es bedauern mag. Den Vorwurf zumindest, nicht sauber recherchiert zu haben oder gar Guido Knoppsche Simplifizierungen zu bieten, haben auch die Kritiker Breloer gegenüber nicht erhoben.

Mangelnden Tiefgang könnte man auch den beiden den Film begleitenden Büchern vorhalten – vielleicht sogar berechtigter als dem Film. Andererseits sollte, wer „das Buch zum Film“ kauft, wissen können, dass dieses sich von jenem meist nicht sehr zu unterscheiden pflegt. Auch in den beiden Speer-Bänden vom Breloer-Team (dass dies kein Ein-Mann-Unternehmen ist, dass viele Helfer gerade bei der wissenschaftlichen Recherche den Löwenanteil übernommen haben, hätte man bei den Publikationen anständigerweise etwas deutlicher herausstreichen können) stehen die Emotionen im Vordergrund: Der Gegensatz zwischen dem kultivierten Speer und der Spießgesellen-Umgebung des Diktators, die mit einem homoerotischen Beiklang versehene Beziehung des Diktators zu seinem Lieblingsarchitekten, die hybriden Baupläne der beiden und anderes mehr. Doch auch die Lügen Speers werden klar widerlegt, seine Versuche, sich als unwissenden Künstlertypus darzustellen, der sich mit dem „Pack“ einließ und angesichts der Verbrechen wegschaute.

Der Interview-Band bietet aber darüber Hinausgehendes. Zeitzeugen präsentieren ihre Erinnerungen, neben der unvermeidlichen Leni Riefenstahl sind auch Gespräche interessanten Inhalts zu entdecken (besonders aufschlussreich – auch in persönlicher Hinsicht: das Interview mit dem Sohn des ehemaligen Speer-Intimus’ Rudolf Wolters, der Matthias Schmidt schließlich auf die Spur der Speerschen Lebenslügen setzte, S. 390-409). Historiker wie Susanne Willems und Matthias Schmidt sprechen über ihre Forschungsergebnisse zu Speer. Das ein oder andere Detail wird sicher der weiteren Forschung dienlich sein, wie überhaupt der TV-Rummel um Speer der Wissenschaft neue Impulse zu geben scheint. Z.B. ist Willems im Zuge der Recherchen für den Breloer-Film auf Archivdokumente gestoßen, die belegen, dass Speer persönlich den Ausbau der Mordanlagen im KZ Auschwitz prüfen ließ und genehmigte. Ihre weiteren Folgerungen, Speer sei als eine der treibenden Kräfte des Judenmordes anzusehen (S. 507f.), werden von der Forschung noch eingehend diskutiert und bewertet werden müssen. Schließlich: Familieangehörige, v.a. die Kinder Speers, präsentieren die privaten Seiten und vor allem ihren eigenen Umgang mit dem Lebensthema, Kind einer Nazi-Größe zu sein.

Dem gleichen Motiv liegt das Buch von Margret Nissen zugrunde. Die Speer-Tochter, die Breloer als Gesprächspartnerin nicht zur Verfügung stand, verdeutlicht, welch ein „normaler“ Privatmensch und Vater Albert Speer war, distanziert, aber umgänglich, nichts weniger als ein Tyrann. Wenig zu überzeugen vermag jedoch ihr Versuch der Trennung zwischen dem „privaten“ Vater, zu dem die Tochter loyal steht, und dem Politiker, der „seine Fähigkeiten einem verbrecherischen System zur Verfügung gestellt hat“ (S. 212), zumal unbestreitbar ist, dass es sich eben nicht „nur“ um ein Sich-Einlassen handelte.

Nun könnte man sich als Historiker über das weite Interesse an einem historischen Stoff freuen, sich gegebenenfalls mit der einen oder anderen Publikation zum Thema Speer auseinandersetzen und mit diesem weitgehend positiven Fazit das Fernsehereignis des Frühjahres 2005 in die Annalen der Mediengeschichte entlassen. Doch am speziellen „Fall Speer“ zeigt sich Weiteres: Er hat sich auch zu einem „Fall Fest“ entwickelt. Joachim Fest war als „vernehmender Lektor“ (Fest, S. 7) und Fachberater daran beteiligt, Speers Memoiren zu verfassen, die zu einem der größten Bucherfolge dieses Genres in der Geschichte der Bundesrepublik avancierten und den Mythos des vom Teufel verführten Künstlers überhaupt erst schufen. Darüber hinaus fungierte Speer als wichtiger Zeitzeuge für Fests berühmte Hitler-Biografie 10, Fest legte vor einigen Jahren eine Speer-Biografie vor 11 und hat, geschickt auf der Breloerschen Speer-Welle mitsurfend, nun auch noch seine Notizen der Gespräche mit Speer auf den Markt gebracht. Einhergehend mit dem öffentlichen Interesse am Breloer-Film kam es auch zu scharfen Attacken auf Fest. Die ZEIT, der SPIEGEL, die Süddeutsche Zeitung und nicht zuletzt Marcel Reich-Ranicki warfen dem ehemaligen FAZ-Herausgeber vor, an der Legende vom „anständigen Nazi“ gewoben und damit den Mitläufern in Deutschland eine Identifikationsfigur beschert zu haben.

Selbst heute noch distanziere er sich nicht von dieser Sichtweise, so Franziska Augstein, und stelle Speer als jemanden dar, der sich „versehentlich mit dem Pack einließ“.12 Medien-Konkurrenz und persönliche Animositäten, die sich als Begleitmotive hinter der sachlichen Kritik verbergen mögen, seien hier vernachlässigt. Offensichtlich geht es aber auch darum, den Historiker Fest zu treffen, den Konservativen, den Ernst-Nolte-Verteidiger im Historikerstreit von 1986, den Autor, der mit seinen glänzend geschriebenen Büchern ein breites Publikum erreicht und der immer wieder die Fachhistorie dafür kritisiert hat, dass sie vor den „großen Fragen“ an die Geschichte ausweiche und sich in sozioökonomische, den Menschen vernachlässigende Untersuchungen verliere.13

Die Vorwürfe gegen Fest, er sei „Ghostwriter“ Speers gewesen, habe dessen Exkulpation betrieben und seine Legende erst geschaffen, sind recht pauschal. Fest selbst misstraute seinem Gesprächspartner Speer durchaus, wie nicht nur seine Biografie, sondern auch die nun vorgelegten Notizen zeigen. Immer wieder hakte er nach, versuchte, die dunklen Seiten zu ergründen, ohne jedoch bei dem freundlichen, aber wenig zugänglichen Speer durchzudringen. Wie ein Zollinspektor, der, vollkommen fasziniert von einem unschuldigen Koffer, die an anderem Ort versteckte Schmuggelware nicht findet, kreisten die Nachfragen von Fest immer wieder um das Wissen Speers an den Verbrechen des Regimes. Der Verdacht, dass Speer, der sich Hoffnungen auf die Nachfolge Hitlers machte und sich den „zweiten Mann im Staat“ nannte, selbst Teil der Mordmaschinerie, nicht Mitwisser, sondern Täter sein könnte – oder wie Breloer es im Gespräch mit Fest nennt: nicht „Rädchen“, sondern „Dynamo“ (Breloer, Unterwegs, S. 467) –, kam Fest nicht in den Sinn, überstieg wohl seine Vorstellungskraft angesichts des kultivierten Gesprächspartners. Welche Version Speer der Öffentlichkeit präsentierte, stand letztlich aber in seiner eigenen Verantwortung, nicht in der des Fachberaters Fest oder des Verlegers Siedler.

Fest hat in einem Porträt des englischen Historikers Hugh Trever-Roper berichtet, dieser habe den Vorsatz gefasst, eine Speer-Biografie zu schreiben, davon schließlich jedoch Abstand genommen. „Speer sei zu schlau für einen Biografen wie ihn. Alles, was er vermittle, sei ein Gefühl des Unheimlichen“, zitiert Fest die Einsicht des englischen Historikers.14 Nun, es war wohl nicht so, dass Speer „zu schlau“ auch für seinen „vernehmenden Lektor“ und späteren Biografen Fest gewesen ist. Eher war er weit verbrecherischer, als man es ihm angesichts seines Wesens zutrauen mochte. Wolfgang Benz schreibt, es sei Breloer nicht gelungen, „den Mythos Speer zu entzaubern“.15 Und Fest habe ihn, so der Tenor der Fest-Kritik (auch bei Benz), sogar mit aufgebaut. Vielleicht ist das nicht einmal ganz falsch. Aber Fest unternahm wenigstens den Versuch, dem „Mythos Speer“ auf die Spur zu kommen – man lese seine bedenkenswerten Überlegungen im Schlusskapitel der Speer-Biografie. Er stellte sich der ungemein wichtigen und schwierigen, vom Großteil der historischen Forschung zweifelsohne gemiedenen Frage: Wie konnten solche „normalen“, kultivierten, im Privaten die bürgerlichen Werte hochhaltenden Menschen wie Speer im „Dritten Reich“ in ihrem politischen Handeln zu Managern der Amoral avancieren? Durch die neueren Forschungsergebnisse zu Albert Speer hat diese Frage an Brisanz eher zu- als abgenommen.

Anmerkungen:
1 Schmidt, Matthias, Das Ende eines Mythos. Speers wahre Rolle im dritten Reich, Bern 1982.
2 Sereny, Gitta, Das Ringen mit der Wahrheit. Albert Speer und das deutsche Trauma, München 1995; van der Vat, Dan, Der gute Nazi. Albert Speers Leben und Lügen, Berlin 1997.
3 Herbert, Ulrich, Arbeit und Vernichtung. Ökonomisches Interesse und Primat der „Weltanschauung“ im Nationalsozialismus, in: Ders. (Hg.), Europa und der „Reichseinsatz“. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938-1945, Essen 1991, S. 384-426, hier S. 418
4 Bindernagel, Franka; Bütow, Tobias, Ingenieure als Täter. Die „Geilenberg-Lager“ und die Delegation der Macht, in: Gabriel, Ralph u.a. (Hgg.), Lagersystem und Repräsentation. Interdisziplinäre Studien zur Geschichte der Konzentrationslager, Tübingen 2004, S. 46-70.
5 Müller, Rolf-Dieter, Albert Speer und die Rüstungspolitik im Totalen Krieg, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, hg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Band 5, Zweiter Halbband: Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs. Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen 1942-1944/45, hg.v. Kroener, Bernhard R.; Müller, Rolf Dieter; Umbreit, Hans, Stuttgart 1999, S. 275-776.
6 Reichhardt, Hans J.; Schächte, Wolfgang, Von Berlin nach Germania. Über die Zerstörung der „Reichshauptstadt“ durch Albert Speers Neugestaltungsplanungen, Berlin 1998.
7 Willems, Susanne, Der entsiedelte Jude. Albert Speers Wohnungsmarktpolitik für den Berliner Hauptstadtbau, Berlin 2000.
8 Vgl. die Rezension von Marcus Gryglewski zur Arbeit von Willems in: Kooperation und Verbrechen. Formen der „Kolloboration“ im östlichen Europa 1939-1945 (Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus 19), Göttingen 2003, S. 271-273.
9 Benz, Wolfgang, Zu viel versprochen. Breloer hat Speers Mythos nicht entzaubert, in: Süddeutsche Zeitung vom 17.5.2005.
10 Fest, Joachim, Hitler. Eine Biographie, Berlin 1973.
11 Fest, Joachim, Speer. Eine Biographie, Berlin 1999.
12 Augstein, Franziska, Wer war schon ein Nazi?, in: Süddeutsche Zeitung vom 12.5.2005.
13 Vgl. z.B. das Interview mit Fest im SPIEGEL vom 20.6.2005, S. 142-147.
14 Fest, Joachim, Das Grauen und die Komik der Geschichte. Die Doppelwelt des Hugh Trevor-Roper, in: Ders., Begegnungen. Über nahe und ferne Freunde, Reinbek 2004, S. 313-346, hier S. 341
15 Wie Anm. 9.

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