Titel
Welf IV. - Schlüsselfigur einer Wendezeit. Regionale und europäische Perspektiven


Herausgeber
Bauer, Dieter; Becher, Matthias; Alheydis, Plassmann
Reihe
Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte. Reihe B, Beiheft 24
Erschienen
München 2004: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
472 S.
Preis
€ 29,91
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tillmann Lohse, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Welf IV. war ein Mann der Tat: Aus Norditalien zog er 1055 über die Alpen nach Altdorf in den Schwarzwald und erklärte sich zum unbestreitbaren Erben seines Onkels, Welfs III., der das in seinem Testament noch ganz anders gesehen hatte. Seine erste Gemahlin, Ethelinde, verstieß er, um anstelle seines Schwiegervaters, der beim König in Ungnade gefallen war, Herzog von Bayern zu werden. Und kaum war sein einstiger Förderer, Heinrich IV., in Canossa vom päpstlichen Bann gelöst worden, wählte er zusammen mit anderen Großen den Schwabenherzog Rudolf zum Gegenkönig. Von diesem an dramatischen Wendepunkten so reichen Fürstenleben müssten die Historiografen eigentlich angezogen werden wie Wespen von einem Erdbeerkuchen. Doch im Gegensatz etwa zu seinem berühmten Urenkel, Heinrich dem Löwen 1, hat das Leben (und Nachleben) Welfs IV. bis heute keine monografische Untersuchung provoziert. Eine Gegenwart, in der nicht zuletzt Jubiläen als Motor historischer Forschung fungieren 2, widmet ihm nun immerhin einen umfangreichen Tagungsband.

Der unmittelbar bevorstehende – neunhundertste 3 – Todestag Welfs IV. bot vor knapp vier Jahren zahlreichen Mediävisten „hinreichend Anlaß, seiner in Form einer wissenschaftlichen Tagung [...] zu gedenken“ (S. V). Auf der Grundlage von vierzehn Vorträgen ausgewiesener Experten sollten „offene Fragen der Reichs- und Adelsgeschichte nördlich und südlich der Alpen, der Geschichte der Welfenfamilie und insbesondere auch des Wirkens Welfs IV. selbst sowie der welfischen Hausüberlieferung“ (ebd.) erörtert werden.4 Als programmatischer Tagungsort diente die Benediktiner-Abtei Altdorf/Weingarten, in deren Südflügel die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart heute eine Tagungsstätte betreibt. Hier, am Grab seines Onkels in Altdorf, hatte Welf IV. seine Herrschaft durchsetzen müssen und bald darauf den jahrzehntelangen Stiftungsprozess des welfischen Hausklosters (ab den 1120ern „Weingarten“ genannt)5 zu einem dauerhaften Abschluss gebracht. Bei den Mönchen von St. Martin sollten – acht Jahre nach seinem Tod in Paphos auf Zypern – auch seine eigenen Gebeine zur letzten Ruhe gebettet werden. Eine Führung durch die Klosteranlage einschließlich der Welfengruft war fester Bestandteil des Tagungsprogramms.6

Die Initiatoren der Tagung und Herausgeber des Sammelbandes, Dieter R. Bauer (Stuttgart) und Matthias Becher (Bonn), haben darauf verzichtet, eine eigene Einleitung zu verfassen. Das ist kein Manko, denn der Beitrag von Bernd Schneidmüller (mittlerweile Heidelberg) erfüllt diese Funktion ganz hervorragend. Es handelt sich um einen öffentlichen Abendvortrag über „Kreationen fürstlicher Zukunft“, zu dessen Zuhörern – was keinen Welfen-Kenner überraschen dürfte – Heinrich Prinz von Hannover gehörte, der jüngere Bruder von Ernst-August, Förderer der Tagung und Betreiber der Welfen-Homepage.7 „Wenn wir“, resümiert Schneidmüller, „im Abstand von neun Jahrhunderten an Welf IV. denken, so wandert nicht nur unser Interesse in die Geschichte zurück. Auch der Kampf der Alten gegen das Vergessen erringt wieder einen kleinen Sieg“ (S. 29). Das ist die Botschaft, die von dieser Tagung ausgeht: „Im Benediktinerkloster Weingarten, der von Welf neu geschaffenen Familiengrablege, ruht der Herzog. Hier bewahrt sich die Erinnerung. Es ist gut, wenn die historische Wissenschaft auf ihre nüchterne Weise eine solche Stiftermemoria aufnimmt.“ (S. 5)

In der Tat behandeln die Autoren des Sammelbandes ihren jeweiligen Teilaspekt oftmals in einem denkbar nüchternen Duktus. Behutsame – aber wichtige! – Neubewertungen (Matthias Becher, Der Name ‚Welf’ zwischen Akzeptanz und Apologie, S. 156-198) treffen auf Vergleiche, die ausschließlich nach Gemeinsamkeiten suchen (Alheydis Plassmann, Die Welfen-Origo, ein Einzelfall?, S. 56-83). Ausführliche Quellenreferate (passim) stehen neben Fragestellungen, die nur im Potentialis beantwortet werden können (Katrin Baaken, Welf IV., der ‚geborene Italiener’ als Erbe des Welfenhauses, S. 199-225). Momentaufnahmen aktueller Diskussionen (Thomas Zotz, Der südwestdeutsche Adel und seine Opposition gegen Heinrich IV., S. 339-359) werden durch forschungsgeschichtliche Rückblicke ergänzt (Werner Hechberger, Die Erbfolge von 1055 und das welfische Selbstverständnis, S. 129-155). Mit einem vorzüglichen Register versehen, ergibt das auf Jahre ein Standardwerk.

Über die Geschichte der ‚aufzunehmenden Stiftermemoria‘ erfährt man dabei überraschend wenig. Verstreute Hinweise (vgl. S. 141, 216f., 255f., 291f., 307f., 366, 390) vermitteln zwar einen groben Überblick über die von Welf IV. vereinbarten Stiftungsgeschäfte. Eine systematische Historisierung des Stiftergedenkens, die Schneidmüller zurecht einfordert (vgl. S. 9, Anm. 25), bleibt jedoch zukünftigen Forschungen vorbehalten. Sönke Lorenz (Tübingen), der das Thema „Weingarten und die Welfen“ erörtert, konzentriert sich auf die Anfänge der Stiftung und streift die Zeit nach Welf IV. nur flüchtig (vgl. S. 54f.); die Tübinger Dissertation von Rainer Jensch über die Weingartener Stifterbilder bleibt dabei unerwähnt.8 Als aufschlussreicher für die Geschichte des Stiftergedenkens erweist sich deshalb der Beitrag von Franz Fuchs (mittlerweile Würzburg), der keineswegs nur – wie der Titel suggeriert – die Anfänge des von Welf IV. gegründeten Regularkanonikerstiftes in Rottenbuch behandelt. Ausgehend von einer zwischenzeitlich verloren geglaubten Totenbuch-Abschrift, die Herculan Schweiger, der letzte Propst, kurz vor der Säkularisierung des Stifts anlegte, beleuchtet Fuchs den bislang unbekannten Gedenkhorizont der Chorherren im 13./14. Jahrhundert (S. 265ff., 277). Darüber hinaus verweist er auf ein Diarium des Rottenbucher Dekans Joachim Hoffmayr (gest. 1755), das tiefe Einblicke in den Stiftungsvollzug des 18. Jahrhunderts gewährt: In allen Pfarreien lasse man das bevorstehende Stiftergedenken verkünden. Die Konvente und Kapitel von Ettal, Polling, Steingaden und Wessobrunn – aber nicht Weingarten?! – würden ebenfalls zur Teilnahme an der Memorialfeier eingeladen. Diese finde allerdings nicht (mehr) am Todestag des Stifters, sondern am Wahltag des Propstes statt, der auch das Requiem für Welf IV. und seine zweite Gemahlin Judith zu singen habe. Anschließend gebe man den Armen, im Jahre 1741 insgesamt 3.900 Brote (vgl. S. 278).

Anmerkungen:
1 Zuletzt: Ehlers, Joachim, Heinrich der Löwe. Europäisches Fürstentum im Hochmittelalter, Göttingen 1997.
2 Vgl. Müller, Winfried; Flügel, Wolfgang; Loosen, Iris; Rosseaux, Ulrich (Hgg.), Das historische Jubiläum. Genese, Ordnungsleistung und Inszenierungsgeschichte eines institutionellen Mechanismus, Münster 2004; dazu die Rezension von Michael Mitterauer, in: H-Soz-u-Kult, 21.06.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-2-206>.
3 Unter Berufung auf die Historia Hierosolymitana Alberts von Aachen vertritt Marie-Luise Favreau-Lilie die Ansicht, Welf IV. sei erst im Jahre 1102 – und nicht bereits 1101 – verstorben (S. 444f.); kritisch dazu: Johannes Laudage (S. 312, Anm. 122); vgl. auch die Bemerkungen von Bernd Schneidmüller (S. 4f.) und Elke Goez (S. 375, Anm. 95).
4 Vgl. den Tagungsbericht von Kai-Michael Sprenger unter http://www.akademie-rs.de/publikationen/chronik01/23_welf.htm (13. Juni 2005).
5 Vgl. Kruse, Norbert; Rudolf, Hans-Ulrich; Schillig, Dietmar; Walter, Edgar (Hgg.), Weingarten. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Biberach an der Riss 1992, S. 108-111.
6 Vgl. das Tagungsprogramm unter http://www.akademie-rs.de/dates/011010_welf.htm (13. Juni 2005).
7 Vgl. http://www.welfen.de (13. Juni 2005).
8 Vgl. Jensch, Rainer, Die Weingartener Heilig-Blut- und Stiftertradition. Ein Bilderkreis klösterlicher Selbstdarstellung, Diss. phil. Tübingen 1995 [als Fotokopie: o. O. 1996]. Die historische Einordnung der Stifterbilder durch Jensch kann nicht immer überzeugen.

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