H. Rumschöttler u.a. (Hgg): Staat und Gaue in der NS-Zeit

Cover
Titel
Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933-1945


Herausgeber
Rumschöttel, Hermann; Ziegler, Walter
Reihe
Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte Beihefte B 21
Erschienen
München 2004: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
X, 797 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rolf Rieß, Pentling

Der Band enthält die Beiträge eines Symposiums des Instituts für Bayerische Geschichte an der Ludwig-Maximilian-Universität München und der Generaldirektion der Staatlichen Archive aus dem Jahr 2000. Das Ziel ist es, die „Geschichte Bayerns im Dritten Reich speziell in Bezug auf die Aktionen des Regimes zu untersuchen, da nur von hier aus das Verhalten des Menschen in dieser Zeit, besonders auch des Widerstandes, angemessen beurteilt werden kann“ (S. V). Dies geschieht in fünf Abteilungen: I. Grundlagen, II. Regierungstätigkeit, III. Verwaltung, IV. Parteiaktivitäten und V. Vergleich. Hinzu kommen zwei Artikel ohne Einordnung als Einführung, ein „Historiographischer Überblick und Bibliographie“ (W. Ziegler) und ein Anhang, der 25 Biogramme des NS-Größen enthält (M. Unger), sowie ein geografisches und ein Personenregister. Hermann Rumschöttel, Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns, gibt die Linie des Forschungsvorhabens vor: „Kann man von einem bayerischen Regierungshandeln und von selbständigen kommunalen Verwaltungsaktivitäten [...] sprechen, mit denen bayerische Tradition fortgesetzt und Freiräume im zentralistischen deutschen Staat genützt werden?“ (S. 2) Walter Ziegler, Emeritus für Bayerische Geschichte, fordert gar, „zu einem annehmbaren Bild der regionalen NS-Herrschaft zu gelangen“ (S. 5).

Da sich eine detaillierte Einzelkritik aus Platzgründen verbietet, werden die Aufsätze kurz vorgestellt und auf die programmatischen Ausführungen des Initiators Ziegler eingegangen. An die Spitze der Einzelbeiträge wurde der Öffentliche Abendvortrag gestellt, in dem Ulrich von Hehl die in der Verwaltung und als Verwaltung handelnden Personen in einen gesamtdeutschen Blick nimmt und damit indirekt Forschungslücken in Bayern anspricht. Er analysiert die institutionellen, mentalen und ideologischen Entwicklungen der deutschen Beamtenschaft von der Ära der Präsidialkabinette und dem mit ihr verbundenen autoritären Umbau des Staates über die Machtübergabe und das Deutsche Beamtengesetz von 1937 bis in die Kriegszeit, in der sich die politische und exekutive Macht immer noch weiter von den staatlichen Instanzen zu den Dienststellen der Partei hinverlagert.

Hermann Rumschöttel fragt nach der Rolle von Ministerrat, Ministerpräsident und Staatskanzlei und untersucht ihre politische und exekutive Funktion vor dem Hintergrund ihrer im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert deutlich herausgehobenen und einflussreichen Stellung. Trotz Kompetenzverlusten bleiben sie nach 1933 zumindest Identifikationsangebote für die bayerische Bevölkerung und die bayerische Verwaltung im zentralisierten Reich. Die größte Kontinuität ist bei den einzelnen Ministerien zu beobachten.

Im Abschnitt „Regierungstätigkeit“ werden der Reichsstatthalter und die vier nach der Auflösung des Justizressorts verbliebenen Ministerien untersucht. Als Schnittstelle zwischen Reich und Land, die sich nur schwer in die überkommene Verwaltungsgliederung einordnen ließ, sieht Bernhard Grau den Reichsstatthalter in Bayern Franz Xaver Ritter von Epp. Ausführungen über einen von Epps erfolgreichsten Kontrahenten Adolf Wagner „als bayerischer Politiker“ stellt Gerhard Hetzer an den Anfang seiner Studie über Personal und Verwaltungsbereiche des Innenministeriums. Im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus ist die „Nazifizierung“ 1941 endgültig abgeschlossen. Winfried Müller stellt die Minister und die Personalstruktur der Behörde vor, analysiert das Geflecht der Gegenspieler des Kultusministeriums in Bayern und im Reich und befasst sich mit den an der NS-Ideologie ausgerichteten Arbeitsschwerpunkten. Beim Bayerischen Finanzministerium 1933-1945 untersucht Mathias Rösch die Aufbauorganisation, die Personalentwicklung, zwei Kerngebiete der ministeriellen Arbeit (Haushalt und Staatsschulden) und die finanzpolitischen Rahmenbedingungen Bayerns im NS-Staat. Außerdem spricht er die „Einbindung des Finanzministeriums in die kriminelle Dynamik“ des nationalsozialistischen Staates deutlich an („Säuberungen“, „Arisierungen“ u.a.). Paul Erker befasst sich – unter der speziellen Fragestellung „Das Siebert-Programm und die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik 1933-1939“ – mit dem Wirtschaftsministerium, das schnell zu einem Instrument der NS-Wirtschaftspolitik geworden war. Es stützte einen Strukturwandel, der darauf hin zielte, Rationalisierungs- und Anpassungsprozesse der Weimarer Zeit in großem Umfang rückgängig zu machen.

Karl-Ulrich Gelbergs Untersuchung der Obersten Baubehörde im Zeitraum zwischen 1932 und 1949 fragt nach der Kontinuität einer traditionsreichen bayerischen Zentralbehörde. Im Mittelpunkt der Arbeit von Michael Unger steht die Zentralisierung der bayerischen Staatsforstverwaltung unter dem Ministerpräsidenten im Jahr 1935. Die bayerischen Regierungspräsidenten 1933-1945 thematisiert Stephan Deutinger. Probleme der Kommunalverwaltung im NS-Regime diskutiert Andreas Wirsching am Beispiel Schwabens. Eine letztlich nicht verwirklichte Gebietsreform ist das Thema von Thomas Forstner. Der Politischen Organisation der NSDAP und ihrer angeschlossenen Verbände gelten die Untersuchungen des vierten Kapitels (Parteiaktivitäten). In den Kreistagen der NSDAP im Gau München Oberbayern sieht Bernhard Schäfer Reichsparteitage en miniature und Werkzeuge der Machtentfaltung, Mobilisierung und völkischen Integration. Katja Klees Thema ist die nationalsozialistische Wohlfahrtspolitik am Beispiel der NSV in Bayern. Der Herrschafts- und Verwaltungsgeschichte des Reichsnährstandes in Bayern als eine bäuerliche Selbstverwaltungskörperschaft mit besonderer ideologischer Aufgabenstellung („Blut und Boden“) geht Christoph Bachmann nach.

Am Ende des das Symposium dokumentierenden Teils des Sammelbandes steht als Blick über Bayerns Grenzen die Studie von Michael Kißener über das Verhältnis von Staat und Partei in Baden am Beispiel der badischen Justizverwaltung. Abgeschlossen wird der Band durch ein umfangreiches und systematisch geordnetes Quellen- und Literaturverzeichnis, das durch einen ausführlichen historiografischen Überblick zur Geschichte Bayerns im Dritten Reich eingeleitet und erschlossen wird (Ziegler), dann durch 25 Biogramme wichtiger Akteure aus dem Bereich von Staat und Partei (Michael Unger), schließlich durch eine Personen- und ein Geografisches Register (Sabine Rehm-Deutinger).

Problematisch erscheint der Ansatz von Ziegler, der danach fragt, wie dieses „Selbstverständnis der bayerischen Gauleiter“ war und wie sie dieses Selbstverständnis „bei der konkreten Ausfüllung des gegebenen Freiraums leitete“ (S. 79). Ist es selbstverständlich legitim, nach den Motiven der Täter zu fragen, so setzt die Freiraum-Metapher den Willen zur Nutzung dieses Freiraums voraus, als hätte es aufgrund regionaler Unterschiede eine andere Behandlung z.B. der Juden oder der Kommunisten gegeben. Hierzu wären aber gerade die „Aktionen“ der Gauleiter interessant und nicht ihr Selbstverständnis. Gerade dies aber will Ziegler nicht leisten (S. 79). Sprachlich ist der Aufsatz so oberflächlich, dass Missverständnisse entstehen müssen, so wird z.B. von der „Betreuung der Bevölkerung“(S. 81) durch die Gauleiter oder vom „Ausfall durch Tod“ für die Ermordung Fritz Wächtlers (S. 85) gesprochen. Zweifelhaft ist die Übernahme von Werturteilen: So übernimmt der Autor die Selbstbeschreibung des schwäbischen Gauleiters Wahl, er sei „kein Machthaber des Dritten Reiches“ gewesen, mit den Worten, dies sei „wohl treffend“ (S. 94). Das Kapitel ist aber fast ausschließlich nach der Autobiografie Wahls aus dem Jahr 1953 oder anderen NS-Quellen gearbeitet, kann also nur apologetischen Charakter haben.

Ein anderes Beispiel ist die Charakterisierung Fritz Wächtlers, Gauleiter der „Ostmark“, dem ein Hang „zu Luxus und Trunksucht“ nachgesagt wurde. Damit wurde er, so Ziegler, „für die Partei- und Staatsführung in München zweifellos ein Fremdkörper“ (S. 105). Abgesehen von der Fragwürdigkeit des Urteils besaß Gauleiter Wagner ähnliche Neigungen. Was derartige Urteile in einer historischen Abhandlung zu suchen haben, wird nicht ersichtlich. Völlig abwegig erscheinen diese Urteile, wenn mit keinem Wort auf die Verfolgung der Terrormaßnahmen im Gau (mit Ausnahme des Kirchenkampfes) eingegangen wird. Formulierungen wie „bis heute wertvolle regionalhistorische Landesbeschreibungen“ (zum „Gaubuch“ von Hans Scherzer von 1940) oder „der Anfall der Böhmerwald-Gebiete an Bayern“ (zur erzwungenen Gebietsabtretung 1938) ergänzen dieses Bild. Wächtlers „Grenzgauideologie“ habe keine dezidiert aggressiven Züge enthalten (S. 111). Wie sind die Enteignungen und Umsiedlungen im Sudetenland denn dann zu bezeichnen? Hier ist eine Lücke in der Rezeption der Besatzungspolitik.1 Ziegler kommt zu dem Fazit, dass „die Persönlichkeiten, die Art ihrer Aktivitäten und ihrer besonderen Ziele höchst unterschiedlich“ (S. 123) waren. Dass Ziegler aber nicht zu den Apologeten des NS-Staates gehört, zeigen seine Schlussworte. Dennoch versteht man nicht, was eigentlich Ziel dieser Untersuchung sein soll. Der einzige Maßstab bleibt ein imaginäres Bayerntum, denn alle anderen Parameter einer prosopografischen Untersuchung wie z.B. Alter, Beruf, Religion u.a. bleiben ausgespart.

Die Fruchtbarkeit eines „regionalen Ansatzes“ zeigt sich an diversen Studien des Bandes. Herausheben möchte ich in diesem Zusammenhang die Studie „Zur Rolle des Bayerischen Finanzministeriums“ von Mathias Rösch, die zeigt, wie durch Übernahme durch Reichsbehörden, aber auch durch „rigorose Sparpolitik“ (S. 228) die Haushaltsprobleme in den Griff bekommen wurden, und die zumindest in einigen Punkten der These von Götz Alys „Gefälligkeitsdiktatur“ widerspricht. Interessant zu erfahren wäre, wie z.B. die bayerischen Staatschulden von 1932 377 Mio. RM auf 292 Mio. RM (1936), 205 Mio. RM. (1941) gesunken sind und welche Rolle z.B. Arisierungsgewinne, Rösch hält dies für ein Forschungsdesiderat (S. 241f.), oder die Besatzungspolitik dabei gespielt haben. Rösch deutet hier an, dass noch Forschungslücken bestehen, dass aber von einer Zunahme der Reichsschuld, d.h. einer Umverteilung 1939/40: 47,9 Milliarden RM auf 1944/45: 379 Milliarden RM, auszugehen sei. Zusätzlich sei mit Steuermehreinnahmen in Bayern zu rechnen. Bis 1936 verlor Bayern jedoch „knapp 26 Prozent seiner gesamten Steuereinnahmen, die ihm noch im Geschäftsjahr 1933 zur Verfügung gestanden hatten“ (S. 236). Damit wurde Bayern fast völlig von Ausgleichsregelungen des Reiches abhängig, bis 1943 endgültig die Steuerhoheit den Ländern genommen wurde.

Sehr ertragreich ist auch Paul Erkers Studie „‚NS-Wirtschaftsaufschwung’ in Bayern?“, der sich den beiden Fragen widmet, wie die wirtschaftspolitischen Maßnahmen des Reiches regional angekommen sind und inwieweit in dieser Phase bereits die Wurzeln des Industriestaates Bayern nach 1945 lagen. So kann er zeigen, dass sich die Forderung des sozialen Wohnungsbaus im Vergleich zur Weimarer Republik verschlechterte, dass die Kredithilfen nicht oder kaum wirkten und dass insgesamt eine Verlagerung zur Aufrüstung stattfand (von 1934: 18% der Ausgaben der öffentlichen Haushalte zu 1938: 58%). Diese Zahlen und Fakten sind aber durch die Forschungen Ch. Buchheims bereits bekannt. Dennoch beschleunigten die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen den Wirtschaftsaufschwung, so dass die Arbeitslosenzahlen in Bayern um ca. 70 Prozent zwischen Januar 1933 und Mai 1936 zurückgingen (S. 260). Ein Teil der Maßnahmen wurde aber bereits in der Weimarer Republik beschlossen (Gereke-Plan) und die Nationalsozialisten profitierten vom bereits einsetzenden Wirtschaftsaufschwung. Außerdem bleibt offen, inwieweit die Wehrpflicht und der Reichsarbeitsdienst in diese Rechung einbezogen wurden. Interessant für die Diskussion um Götz Alys „Gefälligkeitsdiktatur“-These ist die Feststellung zur Lebensqualität: „Materiell brachte daher der Wirtschaftsaufschwung für die Masse der Menschen keine Verbesserungen der Lebensqualität.“ (S. 264) Die Nettoreallöhne wurden niedrig gehalten, die Qualität der Produkte sank, das Wachstum des privaten Verbrauchs wurde nach 1933 eingeschränkt und es kam zu Engpässen im Bereich des Konsumgütersektors. Erker stellt auch am Beispiel der Philipp Rosenthal Porzellanfabrik dar, wie das Bayerische Wirtschaftsministerium sich zum „Handlanger wie aktiven Betreiber der ‚Arisierung’“ (S. 277) machte. Durch die Annexionen Österreichs und der Tschechischen Republik verschlechterte sich der Wirtschaftsstandort Bayern immer mehr. Den Durchbruch zum Industriestaat verschafften schließlich die Aufrüstung und die Verlagerung von Rüstungsfirmen nach Bayern.

Generell sind die meisten Vorträge aus Archivarbeiten hervorgegangen und stellen somit eine Bereicherung der Forschung in vielerlei Hinsicht dar. Man wird also in Zukunft als Ergänzung zur Martin Broszats u.a. Bänden „Bayern in der NS-Zeit“ zu diesem Band greifen, auch wenn man nicht alle Bewertungen teilen wird.

Anmerkung:
1 Heinemann, Isabel, Rasse, Siedlung, deutsches Blut, Göttingen 2003, S. 127-186

Kommentare

Von Ziegler, Walter02.08.2005

Rezensionen erwarten und verlangen normalerweise keine Antwort; jeder Autor hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern, und jeder Rezensierte wird die Meinung des Rezensenten ernsthaft bedenken, vorausgesetzt, die Rezension geschieht mit der nötigen Sorgfalt und mit einer speziell wissenschaftlichen Zielrichtung. Da beides bei der Rezension von Rolf Rieß jedoch nur zum Teil gegeben ist, sind einige Bemerkungen dazu nötig.

Der Rezensent erklärt, nachdem er den Band in der äußeren Anlage umrissen hat, dass er keine Einzelkritik der Aufsätze bringen, sondern diese nur kurz vorstellen, im übrigen aber auf die „programmatischen Ausführungen des Initiators“ Ziegler eingehen will. Die kurze Vorstellung der Aufsätze, die etwa die Hälfte des Textes umfasst, besteht darin, dass der Rezensent die Inhaltsbeschreibung des Bandes (S. 5-9, von Hermann Rumschöttel) satz- und wortgleich (mit einigen Kürzungen) abschreibt. Abgesehen von der merkwürdigen Art, einfach den Einleitungstext des Bandes zu wiederholen – das lässt danach fragen, ob der Rezensent sich wirklich mit dem ganzen Buch auseinandergesetzt hat –, vergibt er sich damit auch die Chance, auf das Zentrum des Bandes kritisch einzugehen, das in mehreren der nicht beachteten Aufsätze deutlich wird. Das Buch ist nämlich keineswegs eine „Ergänzung“ zu den sechs Widerstandsbänden von Broszat („Bayern in der NS-Zeit)“, sondern geht von der Frage nach der Herrschaft im Dritten Reich aus, was immer vor dem Widerstand liegen muss. Die allgemeine Geschichtsforschung hat dies stets getan, für die Landesgeschichte ist das hier erstmals in großem Maßstab verwirklicht. Über diesen Kernpunkt, den man nicht mit einem Zitat abtun kann, könnte man viel sagen und dabei manches kritisch beleuchten, doch sind offenbar weder die Landesgeschichte noch die NS-Herrschaftsgeschichte das spezielle Anliegen des Rezensenten.

Dann beschäftigt er sich mit dem Aufsatz von Ziegler über das „Selbstverständnis der bayerischen Gauleiter“. Dies ist übrigens ein Beitrag wie jeder andere und enthält keinerlei programmatische Ausführungen – es ist also nicht recht einzusehen, warum gerade dieser Beitrag in die Mitte gestellt wird, es sei denn, der Rezensent reibt sich an ihm besonders. Das tut er in der Tat, wobei aber wissenschaftliche Motive nicht deutlich werden. Die Kritikpunkte sind nämlich sehr merkwürdig. Zuerst stellt der Rezensent fest, dass das Thema des Autors falsch gewählt sei: er hätte nicht nach dem Selbstverständnis, sondern nach der Tätigkeit der Gauleiter fragen müssen. Von daher ist es natürlich dann leicht festzustellen, dass die verschiedenen Aktionen der Gauleiter, etwa gegen Kommunisten und Juden, in dem Aufsatz nicht beschrieben werden. Der Autor hat aber deutlich erklärt, dass er in diesem Aufsatz über das Selbstverständnis der Gauleiter und nicht auf die Breite ihrer Aktionen eingeht – in anderen Gauleiteraufsätzen wurden vom Autor andere Aspekte behandelt, etwa solche von Alter und sozialer Herkunft.

Die übrigen Ausstellungen sind entweder stilistischer Art oder unzutreffend. So wird behauptet, der Autor habe, den Memoiren Gauleiter Wahls (Augsburg) folgend, diesem die Beschönigung abgenommen, er sei kein Machthaber des Dritten Reiches gewesen. Diese Behauptung ergibt sich, dies sei zu Gunsten des Rezensenten angenommen, aus einer schlimmen Flüchtigkeit. Das Zitat von Wahl lautet nämlich vollständig, er sein kein Machthaber des Reiches, sondern sein Reich sei Schwaben gewesen – und dies, die Beschränkung auf Schwaben, wurde vom Autor als richtig bezeichnet. Von solcher Qualität sind auch die übrigen Ausstellungen. Für Ergänzungen oder Hinweise auf Übersehenes ist man natürlich immer dankbar, doch ist zum Beispiel der angegebene Literaturtitel (Heinemann) nicht einschlägig, weil es sich bei dem „Sudetenland“, über das Gauleiter Wächtler in Bayreuth gebot, um den an Bayern angeschlossenen Böhmerwald handelte, der also mit dem „Sudetengau“, auf den sich die meisten Arbeiten, so auch die angezogene von Heinemann, beziehen, nichts zu tun hat – offenbar kennt der Rezensent die Verhältnisse der (in der Tat erzwungenen, wer bezweifelt das?) Gebietsabtretungen 1938 nicht so genau. Hat man die Ausstellungen, die freilich den Aufsatz weitaus zu stark hervorheben, gelesen, so wird deutlich, dass der Rezensent dem Autor gern NS-Apologie ankreiden würde (so zu Wahl), es aber, wie er selbst zugibt, nicht kann. Ein solcher Vorwurf wäre auch eine durch nichts gedeckte und im Bereich wissenschaftlichen Umgangs unerträgliche Unterstellung.

Es ist erfreulich, dass sich der Rezensent dann doch entschließt, auf zwei Aufsätze näher einzugehen. Inwieweit er mit seinen interessanten Argumenten ihren Nukleus trifft und ob er Wichtiges zu ihnen aussagt, werden die Autoren der Aufsätze und die Leser selbst am besten beurteilen können. Doch hätte man sich eine solche konstruktive Haltung für die ganze Rezension gewünscht.


Von Rieß, Rolf07.09.2005

Eine Rezension hat m.E. den Sinn, den gesamten Inhalt eines Bandes vorzustellen. Da dies aus Platzgründen en Detail nicht möglich war, wurden die einzelnen Aufsätze unter Verwendung der Einführung nur genannt, aber nicht kritisiert. Danach wurde näher auf den m.E. kritikwürdigsten Vortrag eingegangen, um danach zwei ausgesuchte Aufsätze näher vorzustellen, die den regionalistischen Ansatz positiv umsetzen. Dass die Kritik den Aufsatz von Ziegler traf, hat nichts mit persönlichen oder wissenschaftspolitischen Erwägungen zu tun, wie dies der Autor glauben zu machen versucht. Zur Replik von Ziegler möchte ich nun einige Punkte ausführen:

1. Das Buch sei keine "Ergänzung" zu Broszats "Bayern in der NS-Zeit".Was soll es denn dann sein, wenn der Autor nicht der Meinung ist, die Sicht von unten müsse durch eine "NS-Herrschaftsgeschichte" ergänzt werden. Im Übrigen ist die Formulierung "Widerstandsbände" für das Broszat-Projekt wenig glücklich und verkürzend. Broszat hätte sicher diesen Titel gewählt, hätte er diese verkürzte Sichtweise gewollt.

2. Wenn der Aufsatz des Autors "keinerlei programmatische Ausführungen" enthält, so fragt man sich, wieso der Aufsatz unter dem Kapitel "Grundlagen", das immerhin den ersten Platz einnimmt, eingeordnet wird.

3. Dass der Rezensent den Ansatz eines Verständnisses der Motive der Gauleiter für verfehlt hält, sei hier nochmals betont, da dies einer der beiden Hauptkritikpunkte ist. Der Hinweis, dass Ziegler eine Darstellung der konkreten Tätigkeit nicht leisten will, ist bereits in der Rezension erfolgt.

4. Zum Zitat von Wahl: Was soll die Ergänzung denn anderes bedeuten als eine Selbstentlastung Wahls im Jahr 1954. Hier wird ein Gegensatz konstruiert,der so nicht bestanden hat. Der Machthaber des Dritten Reichs in Schwaben versucht die Verantwortung nach oben abzuschieben, eine Entlastungsstrategie, wie sie auch von anderen benutzt wurde. Vor dem Wahrheitsgehalt der Erinnerungen Wahls wurde im übrigen schon früher gewarnt. So glaubte Wahl noch 1975 behaupten zu können, Deutschland sei der Krieg aufgezwungen worden.

5. Zu Sudetenland und Sudetengau: Dem Rezensenten ist sehr wohl bekannt, dass der Böhmerwald zur Bayerischen Ostmark und nicht zum Sudetengau geschlagen wurde, wenn man dies so pauschal sagen darf. Es geht aber hier um die Frage, ob man behaupten könne, dass Wächtlers "Grenzgauideologie" keine aggressiven Züge aufweise. Dreht man das Argument um, so stellt sich dann die Frage, ob diese "Grenzgauideologie" defensiven Charakter besaß? Fühlte er sich gar von den Tschechen bedroht, könnte man fragen. Wie sah es denn aus im Böhmerwald 1938? Gab es in der Ostmark keine Freikorpsverbände, die den Einmarsch probten und die zumindest in der Ostmark geduldet wurden? Das noch unveröffentlichte Tagebuch des Böhmerwaldschriftstellers Hans Watzlik gibt darauf einige Hinweise. Des Weiteren bleibt zu fragen, wie mit der Bevölkerung in den besetzten Gebieten verfahren wurde. Hat sich denn der Gau Bayerische Ostmark wesentlich anders verhalten als z. B. der Sudetengau, auf den sich Isabel Heinemann vorwiegend bezieht?

6. Wie Ziegler darauf kommt, dass der Rezensent ihn zum NS-Apologeten stempeln will, ist mir unverständlich, da gerade das Gegenteil im Text steht. Bei den sprachlichen Formulierungen können bzw. müssen jedoch Missverständnisse entstehen. Diesen Vorwurf, den zweiten Hauptvorwurf, schiebt der Autor mit dem Hinweis auf die Stilistik beiseite .Dies ist m.E. zu einfach. Gerade in Zeiten, in denen über die Frage von "Odsun" Abschiebung oder Vertreibung heftig diskutiert wird, muss eine Formulierung wie der "Anfall" des Böhmerwaldes in den Ohren nicht nur tschechischer Historiker befremdlich klingen.

Abschließend möchte ich in Frageform nun doch noch auf die von Ziegler geforderte Zielrichtung eingehen, da er sich selbst von einer solchen anscheinend leiten lässt. Kann es die Aufgabe eines Historikers sein, ein "annehmbares Bild der NS-Herrschaft" zu zeichnen oder ein zutreffendes? Wenn also keine "Ergänzung" des Bayernprojektes von Broszat gewollt wird, wird dann von Ziegler eine Revision im Sinne einer konservativen Erneuerung einer Politikgeschichte angestrebt?

Das Manuskript wurde am 05.08.2005 abgeschlossen.


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