W. Buschfort: Geheime Hüter der Verfassung

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Titel
Geheime Hüter der Verfassung. Von der Düsseldorfer Informationsstelle zum ersten Verfassungsschutz der Bundesrepublik (1947-1961)


Autor(en)
Buschfort, Wolfgang
Reihe
Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart
Erschienen
Paderborn 2004: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
327 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dirk van Laak, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Wolfgang Buschfort, dessen Name mit Forschungen zu den Ostbüros der westdeutschen Parteien verknüpft ist1, hat zum ersten Mal die Entstehungsgeschichte einer Verfassungsschutzeinrichtung der Bundesrepublik auf der Basis von Originalakten rekonstruiert. Der für die Darstellung gewählte Titel verweist auf eine Schrift von Carl Schmitt aus dem Jahr 1931 („Der Hüter der Verfassung“), die seinerzeit auf den Reichspräsidenten gemünzt war und sich in der frühen Bundesrepublik auf das Bundesverfassungsgericht bezog. Buschforts Leistung besteht jedoch weniger in politikgeschichtlichen Herleitungen, als vielmehr darin, bislang in der Regel nicht zugängliche Akten gesichtet und ausgewertet zu haben. Im Ergebnis kommt eine sehr detaillierte Institutionengeschichte sowie ein kursorischer Überblick über die ersten 15 Jahre der Tätigkeit dieser in vielem vorbildhaften Verfassungsschutzbehörde dabei heraus. Beides erlaubt vielfältige Einblicke in die Geschichte von Geheimdiensten, die allzu lange Gegenstand von verschwörungsverliebten Vermutungen oder aber von wohlfeilen Skandalisierungen waren. Zu beidem taugt der Zugang zur Geschichte dieser Landesbehörde für Verfassungsschutz freilich nicht. Gerade wegen ihres konstanten und eher unauffälligen Wirkens bietet sie sich – anders als etwa der Bundesnachrichtendienst – für eine Historisierung des Alltags einer solchen Behörde besonders an.

Zunächst skizziert Buschfort die Vorgeschichte des politischen Staatsschutzes seit dem deutschen Kaiserreich und verfolgt seine Wandlungen über die Weimarer Republik bis zum „Dritten Reich“. Aber ist Heinz Höhnes Darstellung aus dem Jahr 1967 wirklich der letzte Stand für die Geschichte von Gestapo und SD? Und was besagt es, den Gedanken der „wehrhaften Demokratie“ mit einem Exil-Artikel Karl Loewensteins aus dem Jahr 1937 zu verknüpfen und gleichzeitig zu mutmaßen, dass ihn wahrscheinlich keiner der späteren Verfassungsschützer gelesen habe? Buschfort vermag die Gründergeneration des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes überwiegend auf Sozialdemokraten der ehemals preußischen Verwaltung und der politischen Polizei zurückzuführen. Für sie galt es, sich gegenüber der britischen Besatzungsmacht seit 1947 Spielräume für eine Informationsbeschaffung zu erwirken, die es zugleich deutlich vermied, sich die viel zu weit gehenden Befugnisse der Vorläuferorganisationen anzueignen. Auch gegenüber den deutschen Politikern war zunächst Vorsicht geboten. Denn „die Grenzen zwischen Rechtsextremismus und Regierungsbeteiligung im neuen demokratischen Staat waren und blieben in den fünfziger Jahren fließend“ (S. 30). Nicht nur waren zahlreiche Politiker selbst belastet, sie fuhren zudem eine recht großzügige Integrationsstrategie gegenüber allen „Ehemaligen“. Das galt auch für linke Strömungen wie die westdeutsche KPD, die anfangs die Regierungsverantwortung in Nordrhein-Westfalen noch mittrug.

Mit fortschreitender Etablierung der Länder und des Bundes konnte die politische „Mitte“ immer exklusiver für die demokratischen Massenparteien definiert werden. Dabei kam dem Verfassungsschutz entgegen, dass es extremistischen Gruppen auch intern kaum noch gelang, rechte wie linke „Sammlungsbewegungen“ zu gründen. Bisweilen reichte es daher aus, beobachtend abzuwarten. Im Falle Otto Strassers beispielsweise, dem man die Bildung eines solchen Zusammenschlusses zutraute, operierten die Bundesbehörden selbst an der Grenze der Legalität, um seine Wiedereinbürgerung so lange zu verzögern, bis er dem langsamen Vergessen anheim gefallen war (S. 156-167). Dass man bisweilen auch zu lange wartete, um einzuschreiten, zeigte die so genannte Gauleiterverschwörung. Ein früherer Mitarbeiter von Joseph Goebbels hatte mit anderen „Ehemaligen“ die nordrhein-westfälische FDP derart erfolgreich unterwandert, dass die britische Besatzungsmacht Anfang 1953 selbst einschritt und den Kreis um Werner Naumann zerschlug. Spätestens 1957 hatte sich die politische Situation jedoch weitgehend entspannt, und die demokratischen Parteien erfreuten sich eines breiten Zuspruchs in der Bevölkerung. Mit den erfolgreichen Verbotsanträgen gegen die Sozialistische Reichspartei sowie die Kommunistische Partei waren demonstrativ Grenzen gezogen und das Konzept der „wehrhaften Demokratie“ sinnfällig in die Tat umgesetzt worden. Buschforts Darstellung endet mit dem personellen Einschnitt der Behörde in den frühen 1960er-Jahren, als die erste Generation der Verfassungsschützer abtrat, sowie mit Ausblicken auf die Gründung von NPD und DKP. Erst diesen beiden Parteien sollte es gelingen, die zersprengten Zirkel am rechten und linken politischen Rand vorübergehend wieder zu einigen.

Die Studie vermag manche Legende zurechtzurücken, etwa über die Zahl der politisch verfolgten Kommunisten. Auch zeigt sie detailliert, wie sich das Selbstverständnis des Geheimdienstes vom Staats- zum Verfassungsschutz wandelte. Dennoch hinterlässt das Buch einen zwiespältigen Eindruck: Aufgrund der überaus assoziativen Schilderung relevanter und weniger relevanter Personen und Organisationen wird man nicht eben zu einer durchgängigen Lektüre ermuntert. Auf der anderen Seite hat man es mit einem nicht nur unübersichtlichen und fehlerhaften, sondern insgesamt wertlosen Personenregister zu tun. Die Seitenzahlen beziehen sich ganz offensichtlich auf einen vorgängigen Bearbeitungszustand des Manuskripts. Das trifft ebenso für wenig durchgearbeitete Teile des Textes und das offenbar eilig zusammengefügte, ebenso unvollständige Literaturverzeichnis zu. Es wirft auch auf den Verlag kein gutes Licht, dass dies bis zum Druck offenbar gänzlich unbemerkt geblieben ist. Mit etwas mehr Übersicht wäre es sicher möglich gewesen, auf der Grundlage des Erforschten das Geheimdienstliche zu „entzaubern“, ohne es zugleich darstellerisch wieder zu verrätseln.

Anmerkung:
1 Buschfort, Wolfgang, Das Ostbüro der SPD. Von der Gründung der SPD bis zur Berlin-Krise, München 1991; ders., Parteien im Kalten Krieg. Die Ostbüros von SPD, CDU und FDP, Berlin 2000.

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