C. Defrance: Der Élysée-Vertrag und die deutsch-franz. Beziehungen

: Der Élysée-Vertrag und die deutsch-französischen Beziehungen 1945-1963-2003. . München 2005 : Oldenbourg Verlag, ISBN 3-486-57678-X 291 S. € 24,90

: "Comme un coup de tonnere dans un ciel d'été". Französische Reaktionen auf den 17. Juni 1953. Verlauf - Perzeptionen - Interpretationen. Berlin 2003 : BWV Berliner Wissenschafts-Verlag, ISBN 3-8305-0493-4 78 S. € 11,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jost Dülffer, Historisches Seminar, Universität zu Köln

Zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrages fand am 19. und 20. Januar 2003 in Paris eine Konferenz statt, deren Ergebnisse hier dokumentiert werden. Wie das so bei Jubiläen ist, dominiert der gehobene Ton der Festreden, die Versöhnung wird mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg gefeiert, die Sicht richtet sich auf die hoffentlich hoffnungsfrohe Zukunft. Dem Bericht über dieses politische Ritual, das sich zeitgleich in beiden Ländern vollzog, zollen zahlreiche Beiträge Tribut, gehen jedoch glücklicherweise selten darin auf. Fast alles ist schon einmal bei einem so viel beackerten Thema gesagt worden – nicht zuletzt bei den vorangegangenen Jubiläen. Gründliche Monografien fast aller Beiträger liegen vor; Personen des öffentlichen Lebens reflektieren aus dieser oder jener Wirkabsicht die Bedeutung.

Einleitend geben Ulrich Pfeil 1 und Corine Defrance einen quellengesättigten Überblick über die zeitgenössische Wahrnehmung in beiden Ländern sowie bei den wichtigsten anderen Mächten. Sie heben hervor, dass Versöhnung/réconcilation auch theologische und religiöse Komponenten aufweise, die erst in den Jahren zuvor in die Debatten gelangt seien. Hans-Peter Schwarz formuliert geistreich das Paradox, wie sich aus einem Fehlstart doch so viel an dauerhafter Kraft entfaltete. Das habe nicht zuletzt an Erhard und Schröders Opposition gegen diese Form der Sonderbeziehungen gelegen. Jacques Bariéty holt weiter in der Nachkriegszeit aus und betont, dass erst nach de Gaulles Rücktritt der Vertrag seine volle Wirkung entfalten konnte. Natürlich waren es nicht nur die Personen, sondern insgesamt fanden bedeutsame gesellschaftliche Prozesse schon seit den ersten Jahren nach dem Krieg in beiden Ländern statt (so die Einleitung). Auch die sind sattsam in vielen Arbeiten erfasst. Henri Ménudier könnte als einer der Akteure in dem Prozess wohl viel sagen, begnügt sich jedoch damit, die Erinnerungen von Alain Peyrefitte als Quelle einzubringen. Die Zeit seit 1963 leuchtet Lappenküper behutsam aus, betont, dass das „Couple franco-allemand“ phasenweise enger (so Kohl-Mitterrand) oder weiter kooperierte. „America is our most important ally, France is our closest ally“, hat Helmut Schmidt formuliert (S. 122).

„Was bleibt vom Élysée-Vertrag im Bereich der Verteidigung noch übrig?“(S. 143) fragt Florence Gauzy – auch wenn dieses Thema selbst im Vertrag nicht angesprochen war, findet sie immerhin ein paar positive Ansätze bis hin zum Euro-Corps. Die größte Kraft entfaltet der bilaterale Vertrag im Rahmen der Erziehungs- und Jugendfragen. Und hier sind mit Ansbert Baumann, Corine Defrance, Hans-Martin Bock und Ulrich Pfeil auch Autoren gründlicher Bücher vertreten, die ihre Ergebnisse hier detaillieren und zusammenfassen. Deutlich wird bei ihnen und anderswo, dass gerade die Kulturbeziehungen wegen der Kulturhoheit der Länder nicht ausdrücklich in den Vertrag hinein formuliert werden konnten, aber große Bedeutung erlangten. Das Deutsch-französische Jugendwerk stach nur besonders hervor. Aber gerade deswegen fragen Baumann und Defrance auch nach der Relation zum Kulturabkommen von 1954. Bei den Kulturbeziehungen weisen Bock und Pfeil auf die Zunahme zivilgesellschaftlicher Elemente seit den 1950er-Jahren in der Bundesrepublik hin (mit Eckard Michels) und betonen die Entstehung eines „erweiterten Kulturbegriffs“ über die Elitenkultur hinaus bereits in den 1950er-Jahren.

Wirtschaftliche Fragen wurden nicht geregelt, was nach Andreas Wilkens an Adenauers Respekt vor den Römischen Verträgen und dem Atlantischen Bündnis hing – dass der Kanzler den ungeliebten Ludwig Erhard nicht mit nach Paris bringen wollte, ist wohl eher eine erheiternde Anekdote. Ganz innovativ ist Werner Bührers Diskussion der beiderseitigen wirtschaftlichen Akteure, so der Industrieverbände u.a., was tendenziell zur Herausarbeitung unterschiedlicher Wirtschaftsstile in den jeweiligen gesellschaftlichen Systemen führt.2

Im Ausblick ordnet der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher den Elysée-Vertrag in die gesamte Einigungsgeschichte ein: „Heute, am Beginn des 21. Jahrhunderts, steht die europäische Staatskunst vor der Herausforderung die Einheit Europas zu vollenden“ (S. 272). Das gilt auch zwei Jahre nach der Tagung genau so. Ähnlich freundlich formuliert Colette Mazzucelli um den Vertrag herum Bemerkungen über Zentralität oder Beiwerk der Aussöhnung. Neu und erfrischend ist in diesem Bereich allein Robert Franks Versuch, den Vertrag als bilateralen Erinnerungsort zu diskutieren, indem er unterschiedliche Symbole deutsch-französischer Inszenierungen mit verschiedenen Akzenten auf Aufladungen prüft. Hier entsteht ein wichtiges Feld, mit dem der „anfänglich durch einen doppelten politischen Misserfolg“ (S. 247) gekennzeichnete Vertrag auf dieser Ebene der Erinnerung und Symbole neue Bedeutung erlangt.

Eine Bilanz des Bandes fällt zwiespältig aus; viele Autoren versuchen die freundliche Aussöhnungsrhetorik zu hinterfragen, betonen, wie kurz dies gegriffen habe, aber dennoch habe es diese oder jene Folgen gezeitigt. Das ist der Kampf der Wissenschaft gegen die Windmühlenflügel der öffentlichen Rhetorik. Aber das muss man nicht immer wieder in Sammelbänden dokumentieren, in denen genau diese Rhetorik gleichfalls vielfältig enthalten ist. Wissenschaftliche Innovation kommt demgegenüber deutlich zu kurz.

Anmerkungen:
1 Vgl. auch: Pfeil, Ulrich, „Comme und coup de tonnere dans un viel d’été“. Französische Reaktionen auf den 17. Juni 1953. Verlauf- Perzeptionen- Interpretationen, Berlin 2003. Hier wird quellennah ein breites Spektrum an französischen Haltungen und Reaktionen innovativ gebündelt, in manchem allerdings durch Pfeils Monografie zum Thema überholt: Pfeil, Ulrich, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, Köln 2004.
2 Vgl. im größeren Rahmen: Bossuat, Gérard (Hg. in Zusammenarbeit mit Georges Saunier), Inventer l’Europe. Histoire nouvelle des groupes d’influence et des acteurs de l’unité européenne (Euroclio. Etudes et documents), Brüssel 2003.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Weitere Informationen
Der Élysée-Vertrag und die deutsch-französischen Beziehungen 1945-1963-2003
Sprache der Publikation
"Comme un coup de tonnere dans un ciel d'été"
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension