M. Kaiser u.a. (Hgg.): Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit

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Titel
Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit.


Herausgeber
Kaiser, Michael; Kroll, Stefan
Reihe
Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit
Erschienen
Münster 2004: LIT Verlag
Anzahl Seiten
351 S.
Preis
€ 25,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Astrid von Schlachta, Institut für Geschichte, Universität Innsbruck

Obwohl das Paradigma der Konfessionalisierung seit seiner Etablierung durch die programmatischen Aufsätze von Heinz Schilling und Wolfgang Reinhardt einige grundlegende Modifikationen erfahren hat, ist es weiterhin ein wichtiger Parameter in der Untersuchung frühmoderner Staatlichkeit. Mit jeder näheren Analyse von Einzelbereichen und strukturellen Gegebenheiten der frühneuzeitlichen Gesellschaft offenbart sich jedoch die Notwendigkeit, den Prozess der Konfessionalisierung kritischer zu hinterfragen, vor allem hinsichtlich der Periodisierung und des bereits häufiger vorgebrachten Vorwurfs des Etatismus. Mit dem vorliegenden Band gelangen das vormoderne Militär- und Soldatenwesen und die Frage nach dem Verhältnis von Konfession, religiös-konfessionellem Verhalten und Militär ins Blickfeld. Dabei erweist sich die Beschäftigung mit dem Verhältnis von Konfession und Militär nicht nur für die Frage nach Monokonfessionalität und konfessioneller Disziplinierung als viel versprechend, sondern auch für die aktuelle Diskussion um das Wesen des Absolutismus. Denn der Aufbau stehender Heere seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gilt traditionell als Paradebeispiel absolutistischer Organisation und Disziplin. Die Rolle des Faktors ‚Konfession‘ ist also auch vor dem Hintergrund der Uniformierung der Untertanen im Dienst der Landesherren zu untersuchen.

Als Ergebnis der Beiträge kann vorab festgehalten werden, dass pragmatische Erwägungen im Militär häufig vor konfessionspolitischen Intentionen standen. Die Motive der Konfession und der religiösen Auseinandersetzung spielten für die Planung und die Durchführung der frühneuzeitlichen Kriege nicht die zentrale Rolle, die ihnen in der älteren Forschung zugesprochen wurde. Zwei Schwerpunkte kristallisieren sich dabei im vorliegenden Band heraus: zum einen die konfessionelle Flexibilität der Soldaten in ihrer alltäglichen Lebenswelt, zum anderen die Begründung und Rechtfertigung von Kriegen in der Bild- und Textpropaganda, in Pamphleten, Druckschriften oder Berichten von Kampfhandlungen und Belagerungen.

Wendet man den Blick von gesamtgeschichtlichen Konzepten hin zu kleineren Räumen, so offenbaren sich bikonfessionelle Strukturen und volksreligiöse Praktiken, die von konfessioneller Diversifizierung und Flexibiliät zeugen (Werner Meyer, Max Plassmann, Michael Reiff, Peter H. Wilson, Cornel Zwierlein und Jutta Nowosadtko). So achtete man im Südwestdeutschen Reichskreis auf eine paritätische Besetzung von Führungsposten, wobei die Eignung eines Kandidaten vor dessen konfessioneller Überzeugung stand. Die Anwesenheit von Angehörigen „fremder“ Konfessionen wurde als notwendig erachtet, so dass von einer Festschreibung konfessioneller Fronten keine Rede sein kann. Die Beispiele Württemberg und Kurbayern zeigen, dass die Konfession für das Offizierscorps nicht alleiniges und vorrangiges Mittel der Menschenführung war, was die These der konfessionellen Disziplinierung modifiziert. Während des Feldzuges Papst Pius V. gegen die französischen Hugenotten im Jahr 1589 erhielten die Soldaten zwar katholisch-konfessionelle Schriften, etwa „Il Soldato christiano“; die Umsetzung der konfessionellen Disziplin ließ jedoch zu wünschen übrig. Allerdings wurden allgemeine religiöse Topoi durchaus erfolgreich genutzt, um die Soldaten entsprechend obrigkeitlicher Zielsetzungen „auf eine Linie“ zu bringen: Die Verwendung des Begriffs der „Gottesfurcht“ in der kursächsischen Armee im späten 18. Jahrhundert zielte darauf, die Disziplin der Soldaten durch religiöse Werte zu erhöhen (Stefan Kroll).

Auch die Volksreligiosität unterstreicht die Vielfalt an Glaubensvorstellungen, die einer konfessionellen Einheitlichkeit entgegenstanden. Der religiöse Kult spielte sowohl für den einzelnen Soldaten als auch für die militärische Elite eine wichtige Rolle: Stadt- und Landespatrone waren entscheidend für die terminliche Festlegung von Schlachten, während Formen der Magie, die in der Volksfrömmigkeit tief verwurzelt waren, von den Landesfürsten in Anspruch genommen wurden, um die Loyalität der Truppen zu stärken. Mit magischen Ritualen ebenso wie durch die Zerstörung von Kirchen und Altären glaubte man, die Kraft der gegnerischen Heiligen schwächen zu können. In eine psychologiegeschichtliche Richtung führt der Blick auf den Umgang der Soldaten mit dem Tod (Michael Kaiser). Tod und Sterben sind in den Quellen, etwa in der Feldkorrespondenz, in militärischen Handbüchern und in Selbstzeugnissen kaum thematisiert worden. Erst im 18. Jahrhundert wurde der Tod anders, offenbar intensiver wahrgenommen. Konfessionelle, im christlichen Glauben verankerte Deutungsangebote standen dabei weiterhin neben magischen und säkularen Konzepten des Sterbens.

In vielen Untersuchungen zeigt sich die wichtige Rolle der Geistlichen als Multiplikatoren obrigkeitlicher Botschaften an die Soldaten (Maren Lorenz, Benjamin Marschke und Hannelore Lehmann). Feldprediger stellten die „wichtigste Schnittstelle zwischen Militär und Religiosität im Ancien Régime“ dar (S. 249), über sie gelangten die ideologischen und strategischen Botschaften zu den Soldaten. Der Militärführung standen somit geeignete Kommunikationskanäle zur Verfügung, um ihre politischen Ziele im Kontext religiöser Botschaften zu transportieren. So wurden beispielsweise Betstunden genutzt, um an die Vaterlandsliebe zu appellieren. Vor diesem Hintergrund wird die zentrale Bedeutung einer effizienten und zentralisierten Kontrolle der Militärgeistlichkeit deutlich, wie die Beiträge des vorliegenden Bandes, die sich der Militärkirche in Preußen besonders unter Friedrich Wilhelm I. widmen, unterstreichen. Die Zentralisierung der Militärkirche im späten 17. und im frühen 18. Jahrhundert wurde von hallisch-pietistischen Kreisen geprägt, die über ihr gut organisiertes Netzwerk den Einfluss im Heer vergrößern konnten. Die Besetzung der mittlerweile als prestigeträchtig geltenden Posten der Feldgeistlichen wurde von diesem pietistischen Netzwerk kontrolliert, das jedoch nach dem Tod August Hermann Franckes im Jahr 1727 zusammenbrach.

Der zweite Schwerpunkt des Bandes liegt auf der konfessionellen Bild- und Textpropaganda. Dabei werden allgemeine Topoi der Legitimierung frühneuzeitlicher Kriege und die Argumentation der verschiedenen Kriegsparteien geprüft. Im Zentrum der Argumentation standen demnach weniger Religion und Konfession, als vielmehr patriotische Intentionen. Allerdings dominierten vor allem im 16. Jahrhundert noch religiöse Bilder vom Soldaten (Matthias Rogg): Heilige als Ritter, der Papst als „antichristlicher Landsknecht“ oder Martin Luther als Hauptmann, der die „frommen Landsknechte“ gegen die alte Kirchenordnung aufwiegelt, sind nur einige Beispiele der reformatorischen und antireformatorischen Bildpropaganda.

Für die Instrumentalisierung religiöser Ideen bei der Vermittlung patriotischer Gedanken stellte der Siebenjährige Krieg eine wichtige Zäsur dar, wie eine Untersuchung der preußischen Propaganda zeigt (Antje Fuchs und Stefan Kroll). Während das konfessionelle Element in der habsburgischen und französischen Propaganda zurücktrat, verband Preußen es programmatisch mit einem landeseigenen Patriotismus, der auf die Durchsetzung des protestantischen Glaubens im Reich zielte. Die militärische Auseinandersetzung mit Österreich wurde zum „Entscheidungskampf um Deutschland“ stilisiert (S. 228). Bei Joseph II. hingegen stand das konkrete Staatsinteresse explizit im Vordergrund, zumal mit der Integration von Juden in das habsburgische Militär seit 1788 auch andere Religionsgruppen politisch nutzbar gemacht wurden (Michael Hochedlinger).

Der Band „Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit“ steht in einer Reihe mit jüngeren Studien zum frühneuzeitlichen Militärwesen, die sich, in Abkehr von rein ereignisgeschichtlichen Darstellungen, mikro-, sozial- und alltagshistorischen Ansätzen verpflichtet fühlen. Die Betrachtung des Militärs vor dem Hintergrund des Konfessionalisierungsparadigmas erweist sich dabei als äußerst aufschlussreich, um sich grundsätzlichen Fragen der Entwicklung von Staatlichkeit in der Frühen Neuzeit anzunähern.

Ein Fazit zur Rolle der Konfession im Militär fällt anhand der Beiträge des Bandes ambivalent aus: Einerseits blieb die Religion ein wichtiges Element in der Kommunikation zwischen Obrigkeit und Soldaten; religiöse Begriffe wie „Gottesfurcht“ wurden im positiven Sinne instrumentalisiert, um sie in Verbindung mit der „Treue zum Vaterland“ für politische Ziele zu nutzen. Religiöse Topoi konnten auch zur Propaganda gegen den Feind eingesetzt werden, um Feindbilder heraufzubeschwören. Andererseits zeigt sich jedoch, dass die Soldaten häufig, auch in den als Paradebeispiel geltenden Türkenkriegen (Jürgen Luh), nicht in dem bisher angenommenen Ausmaß ihren Einsatz im Feld als Kampf gegen einen konfessionellen „Erzfeind“ ansahen. Vielmehr lässt die Auswechselbarkeit von Konfessionalität auf durchlässige und flexible Praktiken religiösen Lebens schließen. Diese Ambivalenz lässt sich durch die Unterscheidung zwischen persönlicher Religiosität und obrigkeitlich verordneter Konfession auflösen: Während erstere den Soldaten half, die schwierigen und ihn häufig überfordernden Situationen des Krieges zu bewältigen, war die obrigkeitlich verordnete Konfession für den einzelnen Soldaten weniger entscheidend.

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