Ch. A. Hill u.a. (Hgg.): Defining Visual Rhetorics

Cover
Titel
Defining Visual Rhetorics.


Herausgeber
Hill, Charles A.; Helmers, Marguerite
Erschienen
Anzahl Seiten
342 S.
Preis
$36.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne Ulrich, Seminar für Allgemeine Rhetorik, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Spätestens seit W.J.T. Mitchells „pictorial turn“ hat das Visuelle ein deutlich gesteigertes wissenschaftliches Interesse gefunden. Dabei lässt es sich mit guten Gründen aus den unterschiedlichsten disziplinären Blickwinkeln beleuchten: als philosophische Kategorie, als kulturelle Ausdrucksform, als Visualisierungsinstrument oder eben als Kommunikationsmittel. Charles Hill und Marguerite Helmers machen daher gleich in der Einleitung ihres Sammelbandes „Defining Visual Rhetorics“ klar: „In this book, we study the relationship of visual images to persuasion.“ (S. 1) Damit grenzen sie sich von einer Reihe von Publikationen ab, die unter „Visual Rhetoric“ rein sprachliche Bildlichkeit verstehen oder die sich stark praxisorientiert mit der Effektivität von visuellen Layoutfragen im Grafikdesign-Bereich auseinandersetzen. Zudem zielen sie als eine der ersten auf die Beantwortung der Frage „How do images act rhetorically upon viewers?“ (S. 1) Denn bislang steckt die visuellrhetorische Forschung – trotz vereinzelter semiotischer Studien oder werbepraktischer Untersuchungen – immer noch in den Anfängen.1

Die Persuasion als Schlüssel zum Visuellen vereint jedoch immer noch eine ganze Reihe von Disziplinen, so dass bei der Lektüre – um die Stärke und zugleich Schwäche des Bandes vorwegzunehmen – nicht mit einer einheitlichen Definition des Phänomens visueller Rhetorik gerechnet werden kann, sondern sich ein Panoptikum dessen bietet, was die US-amerikanische Rhetorik, Literatur- und Kommunikationswissenschaft an visuellrhetorischen Analysen und Theorieansätzen zu bieten hat. Dreizehn Beiträge befassen sich auf höchst unterschiedliche Weise in Einzelanalysen mit klassischen Kommunikationsmitteln wie der Fotografie, dem Film, der Wahlkampfinszenierung, dem Kunstwerk, der WWW-Oberfläche oder dem statistischen Diagramm, aber auch in einem weiteren Rahmen mit Stickmustern, Bildern von Häuslichkeit oder der Warenauslage eines Ökomarktes in Colorado. Als besondere Leistung sind daher die rahmenden Kapitel der beiden Herausgeber („Introduction“) sowie der Rhetorikerin Sonja K. Foss („Framing the Study of Visual Rhetoric: Toward a Transformation of Rhetorical Theory“) hervorzuheben, die die Erkenntnisse bündeln und für Transparenz in den unterschiedlichen Ansätzen sorgen.

Es fällt auf, dass die Mehrzahl der Studien nicht streng semiotisch argumentiert und sich nicht auf das rein Visuelle beschränkt. Vielmehr scheint der weitere Rahmen der Cultural Studies ein fruchtbares Paradigma für die amerikanische Rhetorik- und Kommunikationswissenschaft zu sein, das die rhetorische Analyse in Einzelfällen jedoch etwas verwässert. J. Cherie Strachan und Kathleen E. Kendall bewegen sich mit ihrem Beitrag „Political Candidates’ Convention Films: Finding the Perfect Image – An Overview of Political Image Making“ auf dem urrhetorischen Gebiet der politischen Wahlkampfwerbung, setzen jedoch im Unterschied zu Vorgängerstudien das rhetorische Fachvokabular gar nicht oder wenig reflektiert ein.2 Wie kann beispielsweise ganz ohne argumentationstheoretische Definitionen vom „visual proof“ (S. 145) die Rede sein? Warum fallen an keiner Stelle rhetorische Schlüsselbegriffe wie „Ethos“, „Pathos“ oder auch „Topos“, obwohl die zugrunde liegenden Phänomene deskriptiv durchaus erfasst werden?

Ähnlich unscharf aus der Sicht der Rhetorik bleibt auch der Beitrag von Anthony Blair, „The Rhetoric of Visual Arguments“, der prüft, inwieweit sich Bilder für die rationale Persuasion eignen. Dies gelingt ihm nur, indem er Bildern eine stützende, nicht logische und nicht dialektische, sondern eben ‚rhetorische‘ Funktion im Rahmen einer verbalsprachlichen Argumentationsstrategie zuweist. Bilder erlangen so „evocative power“ oder „narrative capacity“ (S. 51), die jedoch vom Leser in kognitiver Eigenleistung erst konstruiert werden müssen. Die implizite und durchaus reflektierenswerte These, rationale Persuasion sei über die Ikonizität allein nicht möglich, wird jedoch theoretisch nicht weiter ausgeführt.

Um die schon von Platon in den Mittelpunkt rhetorischer Fragestellungen gerückte psychagogía, die Seelenlenkung, geht es in Charles Hills Beitrag „The Psychology of Rhetorical Images“. Das spezielle, oft als irrational bezeichnete Persuasionspotential der Bilder erklärt Hill plausibel mit Hilfe des rhetorischen Begriffs der „presence“ (Perelman/Olbrechts-Tyteca) und des psychologischen Begriffs der „vividness“ (Nisbett/Ross). Mit Hilfe der „presence“ werde die Aufmerksamkeit der Rezipienten erregt und „vividness“, verstanden als größtmögliche Konkretion in der Darstellung, evoziere emotionale Reaktionen. Im Spannungsfeld dieser Begriffe verortet Charles Hill geschickt die speziell visuelle Rhetorizität.

In eine psychologische, jedoch eher rezipientenorientierte Richtung denkt David Blakesley in seinem Beitrag „Defining Film Rhetoric: The Case of Hitchcock’s Vertigo“. Er versteht „film rhetoric as involving identification and division“. (S. 116) Grundlage von Blakesleys Überlegungen ist dabei Kenneth Burkes Definition von Identifikation als Bedingung und Ziel rhetorischen Handelns. Der Orator, der den visuellrhetorischen Persuasionsweg wählt, kalkuliere dabei das Identifikationsbedürfnis ein, das die Rezipienten beim Betrachten (bewegter) Bilder entwickeln. Hilfreich dabei sei die genuin visuelle Ambiguität, die es Filmemachern wie Hitchcock erlaube, mit der Multidimensionalität der Identifikationspotentiale zu spielen und somit filmrhetorisch wirksam zu werden.

Für Historiker ist Cara A. Finnegans Beitrag „Doing Rhetorical History of the Visual: The Photograph and the Archive“ von Interesse. Unter den Leitbegriffen „production, reproduction and circulation“ (S. 199) entwirft sie einen historischen Ansatz für die Visuelle Rhetorik. Dabei plädiert sie für eine Methodologie, „that accounts for both the history of images as rhetorical events and the rhetoric of images as historical events“ (S. 211). Wie ‚Geschichte‘ mit Hilfe visualisierter Medienereignisse konstruiert und im kollektiven Gedächtnis verankert wird, zeigt auch Janis L. Edwards am Beispiel des amerikanischen Kennedy-Mythos in ihrem Beitrag „Echoes of Camelot: How Images Construct Cultural Memory Through Rhetorical Framing“. Unter Bezugnahme auf David Perlmutters Kriterienkatalog für Schlagbilder („icons“) zeichnet sie nach, wie die Fotografie des dreijährigen, am Sarg seines Vaters salutierenden JFK jr. zur Ikone wurde und sich Jahre später in Cartoons wieder aktualisierte.

Der Kennedy-Mythos markiert den einen Erinnerungsort der amerikanischen Geschichte, der das kollektive Bildgedächtnis stark prägte und sich deshalb auch in einem zweiten Beitrag von Craig Stroupe wieder findet. Der andere, im Band prominent vertretene und heutzutage in der Diskussion um das Bild fast unumgängliche Erinnerungsort ist „the 9/11 tragedy“. (S. 5) Eingehende Besprechung findet Thomas Franklins Fotografie „Ground Zero Spirit“, die drei New Yorker Feuerwehrleute beim Hissen einer amerikanischen Flagge inmitten der Trümmer des World Trade Centers zeigt und in Amerika seither als Schlagbild des 11. September 2001 unzählige Male reproduziert worden ist. Die Cover-Fotografie des Bandes dagegen zeigt eine Hand, die eine Ansicht Manhattans mit World Trade Center gegen die gleiche Ansicht Manhattans ohne World Trade Center hält. ‚Vorher‘ und ‚nachher‘ werden so über das Bild-im-Bild-Verfahren zugleich sichtbar, ein verbalsprachlicher Kommentar erübrigt sich. Schade, dass sich sonst so wenige Beiträger darauf einlassen wollten, die Visuelle Rhetorik tatsächlich nur anhand ihrer visuellen Anteile zu untersuchen.

Dabei ist es gerade dieser Ansatz, den Sonja Foss in ihrem abschließenden Plädoyer für eine Transformation der Rhetoriktheorie präferiert: „[T]he investigation of the features of visual images to generate rhetorical theory that takes into account the distinct characteristics of the visual symbol.“ (S. 311) Diese Herangehensweise hat sicherlich das größte Potenzial „to expand rhetorical theory beyond the boundaries of discourse“ (S. 312). „Defining Visual Rhetorics“ ist keine Einführung in die Theorie, Praxis und Methode der Visuellen Rhetorik, sondern eher in seiner Vielfalt ein Spiegelbild der immer noch recht unübersichtlichen theoretisch-methodischen Lage. Was eine bahnbrechende und mehrheitsfähige Rhetoriktheorie des Visuellen betrifft, so wird sich die Fachwelt wohl noch eine Weile gedulden müssen.

Anmerkungen:
1 Zur deutschsprachigen Forschung vgl. etwa Sachs-Hombach, Klaus, Das Bild als kommunikatives Medium, Köln 2003 sowie Knape, Joachim, Rhetorik, in: Sachs-Hombach, Klaus, Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen und Methoden, Frankfurt am Main 2005 [im Druck] und Knape, Joachim (Hg.), Bildrhetorik, Baden-Baden 2005 [im Druck].
2 Vgl. etwa Morreale, Joanne, The Political Campaign Film: Epideictic Rhetoric in a Documentary Frame, in: Biocca, Frank (Hg.), Television and Political Advertising. Vol. 2: Signs, Codes, and Images, Hillsdale 1991, S. 187-201.

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