D. Wolton u.a. (Hgg.): Francophonie et Mondialisation

Cover
Titel
Francophonie et Mondialisation.


Herausgeber
Wolton, Dominique; Bambridge, Tamatoa; Barraquand, Herve; Laulan, Anne-Marie; Lochard, Guy; Oillo, Didier
Reihe
Hermes. Cognition-Communication-Politique 40
Erschienen
Paris 2004: CNRS Éditions
Anzahl Seiten
420 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Middell, Zentrum für Höhere Studien, Universität Leipzig

Die Frankophonie ist ein besonders geeignetes Objekt für Globalisierungsstudien, weil sie als kulturelle Verflechtung (als Zusammenhang jener Gruppen, die sich vorzugsweise auf Französisch verständigen und die frankophone Kultur als ihre Leitreferenz nutzen) und als internationale Organisation mit politischer, kultureller und wirtschaftlicher Integration der Mitgliedsstaaten den Doppelaspekt der entstehenden Netzwerkgesellschaft (M. Castells) repräsentiert. Es gibt allerdings außerhalb der frankophonen Wissenschaftsszene nur eine geringe Aufmerksamkeit verglichen mit anderen Dimensionen wie dem amerikanischen Hegemonieanspruch, der Europäischen Union, ASEAN, MERCOSUR, NAFTA usw. usf. Dies hat nicht zuletzt mit der disparaten Lokalisierung der frankophonen Staaten zu tun, die – hierin dem Commonwealth nicht unähnlich – über verschiedene Erdteile verstreut liegen und eben keinen größeren geografischen Block bilden. Hervorgegangen aus der postkolonialen Konstellation nach dem Rückzug Frankreichs aus Zentral- und Westafrika, der auf die empfindlichen Niederlagen in Vietnam, am Suez und in Algerien folgte, zeigt die Streulage der Frankophonie jene Neusegmentierung der Welt an, die zu Recht als Charakteristikum der jüngeren Globalgeschichte betont worden ist.

Die vorliegende thematische Nummer der kommunikations- und politikwissenschaftlich ausgerichteten Zeitschrift Hermès, die am CNRS in Verantwortung von Dominiue Wolton herausgegeben wird, der mit seiner Forderung nach einer „anderen Globalisierung“ (Une autre mondialisation, Paris 2004) Anschlussfähigkeit zwischen Internationalismus und französischer „exception culturelle“ herzustellen sich bemüht, gibt einen gelungen Überblick zu den zahlreichen Facetten der oftmals von Romanisten, Politologen und Historikern nur ausschnitthaft erfassten Frankophonie.

Der erste Abschnitt dient der (durchaus kritischen) Auseinandersetzung mit der französischen Politik gegenüber den frankophonen Staaten und Territorien in Afrika, der Karibik, Nordamerika, Europa und Asien, und er gibt auch Gelegenheit, die internationale Organisation der Frankophonie mit ihrem verwickelten Organigramm (samt Versammlung der frankophonen Bürgermeister und der frankophonen Abgeordneten, samt Wirtschafts-, Bildungs- und Sportvereinigung etc.) zu präsentieren. Klar wird in diesem und dem „Dispositifs“ überschriebenen Teil zu Zielen und leitenden Wertvorstellungen die zentrale Position der Kulturpolitik, um den Zusammenhang der Frankophonie immer wieder herzustellen und zu erneuern. Aus Sicht der ärmeren Länder, die mit ihrer Initiative zur Bildung der Frankophonie in den 1960er-Jahren auch den Wunsch nach Entwicklungszusammenarbeit verbanden, ist das zweifellos eine für Frankreich besonders kostengünstige Variante, für wirtschaftliche Unterstützung den Status einer „puissance ecoutée“, einer Mittelmacht von überdurchschnittlichem Gewicht in der UNO, einzutauschen, zumal der Kernbereich der Kulturpolitik, nämlich die Alphabetisierung und die Eröffnung von Bildungszugängen dramatisch unterfinanziert bleibt – allen guten Wünschen und allen guten Programmen von Linguisten und Erziehungswissenschaftlern zum Trotz.

Anschließend unternimmt der Band eine Rundreise durch wichtige und bizarre Situationen der weltweiten Frankophonie. Der Paradefall der mehrheitlich französischsprachigen Provinz Québec in Kanada steht logischerweise am Beginn, aber es folgen dann auch Polen und Moldova, die nach dem Zusammenbruch der sowjetischen Vorherrschaft in Ostmittel- und Südeuropa die Frankophonie als einen Hebel zur Sicherung ihres internationalen Gewichtes nutzten. Es gibt einen Abschnitt über Algerien, das nach den traumatischen Erfahrungen des Krieges 1954-62 nicht der offiziellen Frankophonie beitrat, aber allen Islamisierungs- und Arabisierungstendenzen zum Trotz eines der Länder in Afrika mit der größten Gemeinschaft der Französischsprecher ist. Allerdings bleiben die Beiträge – wie sich am Fall des nur eine dreiviertel Seite langen Aufsatzes von Prinz Norodom Sihamoni über Kambodscha in extremis zeigt – zuweilen auf offizielle Stellungnahmen beschränkt und beabsichtigen erst gar nicht, eine wissenschaftliche Analyse vorzuspiegeln.

Gleiches trifft für die Beiträge im nächsten Abschnitt über die Medienpolitik der Frankophonie und das Verhältnis der Journalisten und TV-Sender zu den politischen Vorgaben ihrer Bemühungen um einen kulturellen Zusammenhalt zu.

Das Kapitel über die Wirtschaftsbeziehungen bleibt auf die Frage beschränkt, ob es eine erkennbare Sprachpolitik zugunsten des Französischen bei den Kontakten der Unternehmer gibt – die dahinter liegende Frage, ob die Frankophonie die französische Sprache unbedingt zu ihrer Selbstdefinition benötigt und auch behaupten kann in einem mehrheitlich englischsprachigen Umfeld internationaler Geschäftskontakte, wird angedeutet, aber letztlich mit der Annahme, die Frankophonie sei Instrument der Erhaltung einer kulturellen Diversität, die das Französische quasi als Schutzmauer gegen den Unilateralismus der anglophonen Welt braucht, auch schnell wieder entsorgt. Der Übergang zur Kommunikation auf Englisch wird denn auch als „neuer Verrat der Intellektuellen“ und als „Terrorismus des Englischen“ gegeißelt (S. 255). Dies nimmt den Abschnitten über die Entwicklung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit, die zahlreiche interessante Details über die Verflechtungen jenseits regierungsamtlicher Programme bieten, vieles von ihrer sonstigen Sachlichkeit. Eine Reflexion der Implikation vor allem der französischen Intellektuellen in die Politik der Frankophonie und deren Fragwürdigkeiten hinsichtlich des Erfolgs der proklamierten Ziele und hinsichtlich der Begeisterung außerhalb Frankreichs über diese Ziele, sucht man in dem Band leider vergeblich. Hierin liegt nun aber ein gravierendes Problem, denn die Frankophonie ist keine Ersatzglobalisierung, in deren chasse gardée sich reflexartige Ressentiments gegen eine neoliberale, angelsächsische Globalisierung gemeinsam pflegen lassen. Diese Idee haben französische Unternehmen längst hinter sich gelassen, wenn sie sie denn je angenommen haben. So ist Frankreich heute noch durch eine große intellektuelle und öffentliche Skepsis gegen Globalisierungstendenzen, aber auch durch eine sehr aktive global orientierte Wirtschaftspolitik und Unternehmerkultur gekennzeichnet, die sich um diese Reserviertheit des Publikums wenig schert. Die auf diversen und teilweise weit zurückreichende Traditionen (ein Beitrag des vorliegenden Bandes erinnert zu Recht an die Zugehörigkeit des 1804 aus dem französischen Staatsverband ausgeschiedenen Haiti zum Problemkreis) fußende Frankophonie befindet sich deshalb seit Mitte der 1990er-Jahre, als mit Bill Clintons Afrikareise klar wurde, daß die alte Abgrenzung des ehemaligen französischen Kolonialraumes nicht mehr funktioniert, inmitten einer gemeinsamen Globalisierung mit widerstreitenden Akteuren und nicht in säuberlich getrennten verschiedenen Globalisierungen. Der Vorzug des Themenheftes liegt in Bezug auf diese Dimensionierung nicht so sehr in der vergleichenden Analyse, sondern in der Sammlung von Stimmen mit Gewicht in der Frankophonie zu den Herausforderungen, denen die internationale Organisation und ihre Teilgliederungen ausgesetzt sind. Darüber hinaus bietet der Band ein so weites Spektrum an Informationen über die verschiedenen Kontexte und Felder, das er einschlägige Handbücher sehr gut ergänzt. Dafür erweist sich auch die abschließende Bibliografie (S. 379-384) als hilfreicher Wegweiser. Die Resümees in englischer Sprache erschließen die einzelnen Artikel wenigstens der leitenden Fragestellung nach auch dem nicht des Französischen kundigen Leser.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Land
Sprache der Rezension