E. Fraser: Delacroix, Art and Patrimony in Post-Revolutionary France

Cover
Titel
Delacroix, Art and Patrimony in Post-Revolutionary France.


Autor(en)
Fraser, Elisabeth A.
Erschienen
Anzahl Seiten
261 S.
Preis
$80.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Natalie Scholz, Department of History, Free University of Amsterdam

Die kulturhistorische Wende in der Historiografie der Französischen Revolution hat nicht nur allgemein den Blick für die Bedeutung symbolischer Dimensionen des Politischen geschärft, sondern auch die zentrale Rolle von Familienbildern betont. Hierfür steht nicht zuletzt Lynn Hunts 1992 erschienenes Buch "The Family Romance of the French Revolution", mit dem schlagartig ins Bewusstsein rückte, welch schwieriges und auf längere Sicht ungelöstes Problem der symbolische Vatermord der Revolution den folgenden Jahrzehnten auf sozialer, kultureller und politischer Ebene hinterlassen hatte 1.

Die amerikanische Kunsthistorikerin Elisabeth Fraser schließt mit ihrem Buch "Delacroix, Art and Patrimony in Post-Revolutionary France" an diese Überlegungen an. Im Zentrum ihrer Studie stehen jene drei großformatigen Historiengemälde, die Delacroix während der französischen Restauration fertig stellte: "Dante und Vergil in der Hölle" (1822), "Das Massaker von Chios" (1824) und "Tod des Sardanapal" (1827-28). Der Ausgangspunkt des Buches ist jedoch die These, dass das 19. Jahrhundert infolge der Revolution einerseits von einer kulturellen Ambivalenz gegenüber väterlicher Autorität geprägt war und andererseits die patriarchal organisierte Kleinfamilie - womöglich gerade deshalb - zu ihrem „versteckten Gott“ (Michelle Perrot) erhob. Die Monarchie der Restauration (1814-1830) nutzte ihrerseits das Bild des Königs als gütigen Vater zu ihrer symbolischen Legitimierung. Dieses auf dem 'Naturalismus' der Familienmetapher aufbauende Königsbild sollte zugleich die Widersprüche und Schwächen der Kontinuitätsfiktion der Monarchie ausgleichen. Mit der Wahl des Begriffs "patrimony" verbindet Fraser die Überlegung, dass das Verhältnis zu symbolischen wie realen Vätern nach der Revolution im besonderen Maße auch das Verhältnis zur jüngeren Vergangenheit berührt. Die Themen "Familie/Vater" und "Vergangenheit" in dieser Art zusammenzuführen, hat unzweifelhaft den heuristischen Wert, Zusammenhänge sichtbar zu machen, die zuvor unbemerkt blieben. Gleichzeitig hätte man sich manchmal eine klarere Definition und Abgrenzung der verschiedenen Begriffe – "paternalism"/"paternal authority"/"father dominated family"/"patrimony" – gewünscht.

Fraser interpretiert die Gemälde Delacroix', ihre Rezeption und gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen nun vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse als "case study of the development of post-revolutionary culture" (S. 7). Sie betrachtet die drei Historienbilder jeweils unter der Perspektive bestimmter, eingehend behandelter Aspekte des Familienthemas. Die so im historischen Kontext interpretierten Gemälde modifizieren zum einen die gängige Einordnung Delacroix' als progressiv und oppositionell. Zum anderen werden die Bilder nun als lebendiger und ambivalenter Teil der Kultur der Restauration lesbar, zu deren besseren Verständnis sie auf diese Weise beitragen. Diese Synthese von kunsthistorischen und historischen Aspekten spiegelt sich auch in der Herangehensweise wider: über die genauen Bildanalysen hinaus zieht Fraser eine Vielzahl weiterer Materialien heran, darunter administrative Korrespondenz der monarchischen Kunstpolitik. Debatten über Familienpolitik sind für sie ebenso Teil des relevanten Kontextes wie Salon-Kritiken oder zeitgenössische Druckgrafiken.

Fraser sieht in "Dante und Vergil" (1. Kap.) in erster Linie eine Auseinandersetzung mit dem Thema der „artistic paternity“. Schon die Wahl des Bildthemas — der erfahrene Virgil begleitet und leitet Dante durch die Hölle — reflektiert eine affirmative Haltung zum Ideal väterlicher Führung. Im Malstil der männlichen Akte wiederum ist eine Hommage vor allem an Michelangelo erkennbar, der im zeitgenössischen Diskurs den Ruf eines „rule breakers“ hatte, und von den Anhängern des (abwesenden)‚Übervaters’ David und seines Klassizismus nicht goutiert wurde. Auch eigene Äußerungen Delacroix' über Michelangelo sprechen dafür, dass hier eine bewusste Zuordnung zu einem künstlerischen Vater ausgedrückt wurde, der quer zur dominanten Davidschen Schule stand. In diesem Sinne erscheint das Gemälde als Teil des „patriarchal turn“ der Restauration, im Sinne einer allgemeinen Aufwertung väterlicher Autorität und Tradition, die zugleich eine große Unsicherheit über die Figur des Vaters verrät.

Das "Massaker von Chios" (2. Kap.) verursachte eine große Kontroverse beim Salon von 1824. Das Gemälde stellt eine Situation aus dem griechischen Befreiungskampf gegen das Osmanische Reich dar, der in Frankreich lebhaft wahrgenommen und diskutiert wurde. Delacroix ergreift Partei für die Griechen und damit gegen die protürkische Politik der Monarchie. Zugleich bricht das Werk radikal mit der Konvention: Es hat kein definierbares Zentrum, keinen Helden und keine Handlung. Stattdessen dominiert eine Gruppe apathisch wirkender griechischer Opfer das Bild. Dieser für ein Kriegssujet ungewöhnlicher Bildaufbau lässt die Tragödie als intime Erfahrung erscheinen. Die Griechen rücken in Frasers Lesart nicht nur in die emotionale Nähe der Betrachter, sondern provozieren durch das inszenierte Fehlen der Schutz gebenden Vaterfigur zugleich eine paternalistische Reaktion, welche wiederum an die kolonialistischen und national-autoritären Aspekte der Debatte über den Krieg zurück gebunden werden kann.

Der „Tod des Sardanapal“ (4. Kap.) wurde als einziges der drei Bilder nicht von der monarchischen Regierung aufgekauft und fiel auch bei den sonst wohlwollenden Kritikern durch. Frasers Interesse gilt den Gründen für diese heftig abwehrende Reaktion. Sardanapal, der letzte König von Ninive war schon im Ancien Régime mit ungezügelter Sinnlichkeit, Exzess und Verweiblichung identifiziert worden und zum festen Topos der Königskritik geworden. Indem Delacroix das Genre des Historiengemäldes für einen historischen König verwandte, dem er jegliche moralische Haltung entzog und zu reiner Fleischlichkeit inmitten von fleischigen Körpern werden ließ, konterkarierte er den Versuch der Bourbonen, sich über die Geschichte der Monarchie und früherer Könige zu legitimieren. Dieser ‚Angriff’ auf die Repräsentation der Monarchie musste um so wirkungsvoller ausfallen, als in der Restauration besonders augenfällig geworden war, dass der Körper des aktuellen Königs seine Fähigkeit verloren hatte, überindividuelle Ordnung oder gar Sakralität zu repräsentieren und stattdessen immer wieder zum Objekt der Satire wurde. Der "Sardanapal" legte in gewisser Weise den Finger direkt auf die Wunde dieses Dilemmas.

In dem zwischengeschalteten dritten Kapitel beschäftigt sich Fraser mit den institutionellen Entstehungsbedingungen der Kunst Delacroix'. Auch hier ging es letztlich um die Frage väterlicher Autorität, wenn das Königshaus seine Kunstpolitik zur monarchisch-väterlichen Selbstdarstellung nutzte. Die Entwicklung Delacroix' von einer großen Nähe zum herrschenden Autoritäts-Diskurs im "Dante" hin zur offenen Autoritätskritik im "Sardanapal" ist, wie Fraser überzeugend darlegt, nicht ohne die signifikanten Verschiebungen im Kunstbetrieb der Zeit denkbar. Während die Monarchie und ihre Adepten an Deutungsmacht verloren, sorgten private Kunstsammler wie der zukünftige Bürgerkönig Louis-Philippe und eine junge Garde liberaler Kunstkritiker, unter ihnen Stendhal und Thiers, dafür, dass die alte Autorität zunehmend von einer neuen verdrängt wurde, nämlich von der unabhängig veröffentlichten Meinung und der Publikumsreaktion.

Frasers Buch über Delacroix, das im Übrigen mit Genuss lesbar ist, macht deutlich, wie sehr die Gesellschaft der Restauration von den fundamentalen Fragen nach der Autorität im umfassenden Sinn und ihrer Beziehung zur revolutionären Vergangenheit beherrscht war. Da Fraser die ästhetische Sensibilität und spezifischen Interessen der Kunsthistorikern mit einer historisch kontextualisierenden Herangehensweise verbindet, führt sie außerdem die vielschichtige Verwobenheit der von Historikern noch immer gelegentlich als abgehoben wahrgenommenen 'hohen' Kunst mit den gesellschaftlichen und auch politischen Entwicklungen der Zeit vor Augen.

Dieser Erkenntnisgewinn wird jedoch ein wenig dadurch geschmälert, dass sie ihre methodischen Prämissen nur in Ansätzen und zudem unübersichtlich über die Arbeit verstreut offen legt. Wenn sie schreibt, sie habe stärkeres Gewicht auf das, was man "political imaginary" nennt, gelegt als auf die Intention des Künstlers (S. 162), verschleiert diese Aussage vielleicht mehr als sie offen legt. Vielmehr scheint mir Fraser, ohne dies selbst so zu bezeichnen, ein vom New Historicism inspiriertes und für das breite kulturwissenschaftliche Herangehen äußerst fruchtbares Verständnis des Kunstwerks als gesellschaftliches 'Ereignis' vorauszusetzen.

Anmerkung:
1 Hunt, Lynn, The Family Romance of the French Revolution, Berkeley 1992. In den letzten Jahren sind eine Reihe von vornehmlich literaturwissenschaftlichen Arbeiten zur Vaterthematik in Frankreich entstanden: Reid, Roddey, Families in Jeopardy. Regulating the Social Body in France, 1750-1910, Stanford 1993; Denby, David, Sentimental Narrative and the Social Order in France, 1760-1820, Cambridge 1994; Pasco, Allan H., Sick Heroes. French Society and Literature in the Romantic Age, 1750-1850, Exeter 1997; vgl. außerdem Delumeau, Jean; Roche, Daniel (Hgg.), Histoire des pères et de la paternité, Paris 1990.

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