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Titel
Pope John XXII and His Franciscan Cardinal. Bertrand De La Tour and the Apostolic Poverty Controversy


Autor(en)
Nold, Patrick
Reihe
Oxford Historical Monographs
Erschienen
Anzahl Seiten
212 S.
Preis
$74.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eva Luise Wittneben, Institut für Geschichte, Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd

Die Monografie basiert auf einer Dissertation (1999) über den Franziskanerkardinal Bertrand de la Tour an der Oxford University bei Alexander Murray. Patrick Nold schlägt eine Interpretation der 1321/22 an der Kurie entbrannten Diskussion über die Armut Christi und der Apostel, des so genannten Theoretischen Armutsstreits, vor, die die bisherige Darstellung der Forschungsliteratur weitgehend in Frage stellt und den Anspruch erhebt, die Kontroverse vollkommen neu zu beleuchten. Die Forschung habe sich bisher, so Nolds Kritik, sehr einseitig und ausschließlich auf die so genannte ‚Chronik des Nicolaus Minorita’ (NM) gestützt, eine umfangreiche Sammlung verschiedener Dokumente, die zu Verhandlungen der Minoriten an der Kurie zusammengestellt wurde.1 Die Fronten, so Nold, seien zu Beginn der Debatte weniger klar verlaufen als bei Nicolaus Minorita dargestellt und als in der Forschung bisher angenommen wurde. Diese Kritik ist so keineswegs berechtigt, denn die Gutachten in dem für Papst Johannes XXII. zusammengestellten Dossier der Handschrift Bibliotheca Apostolica Vaticana (BAV) Ms. Vat. lat. 3740 wurden wiederholt untersucht und in die Darstellung einbezogen.2 Nolds Aussagen über die Entstehung des NM sind ebenfalls fragwürdig. Obwohl er wiederholt Parallelen zwischen NM und den Schriften der Michaeliten aufzeigt, möchte Nold doch im Gegensatz zur bisher vorherrschenden Meinung annehmen, dass erst ein späterer Verfasser für die Sammlung verantwortlich ist. Von den unterschiedlichen Redaktionen und der komplexen Entstehungsgeschichte des Nicolaus Minorita dagegen erfährt man nichts.3 Auch die Annahme Offlers, dass sich hinter dem Pseudonym NM einer der Minoriten aus dem unmittelbaren Umfeld des Michael von Cesena verberge, wird nicht erwähnt.4 Dabei spricht doch einiges – z.B. das von Nold erwähnte Handexemplar des Bonagratia von Bergamo in BAV Ms. Vat. lat. 4009, das zahlreiche Aktenstücke übereinstimmend mit NM enthält und als dessen Vorläufer gelten kann (so auch Nold, S. 7) - klar dafür, dass die Dokumentensammlung des NM unmittelbar im Kreis der Michaeliten kompiliert wurde, möglicherweise von Bonagratia von Bergamo, der zahlreiche Schriften im Namen Michaels von Cesena verfasst hat.5 Entscheidend ist für Nold, dass NM die sehr einseitige Sicht der Michaeliten spiegelt. Diese hätten von Anfang an die Offenheit der an der Kurie geführten Diskussion heruntergespielt, um den Papst als Tyrannen und Häretiker zu diffamieren. Zugegebenermaßen liegt es auf der Hand, dass die Michaeliten die Ereignisse aus ihrer eigenen, nicht unparteiischen Sicht schilderten, was in der Forschung auch gar nicht bestritten wurde. Nolds These aber, dass die Michaeliten in ihren Schriften eine tendenziöse Geschichtsfälschung betrieben hätten, erscheint überzogen und die angeführten Quellenbelege sind m.E. nicht stichhaltig.

Nachdem so zunächst der grundlegende Rahmen abgesteckt ist, innerhalb dessen die Ergebnisse einzuordnen sind, kommt Nold zum eigentlichen Gegenstand seiner Monografie, der Position des Kardinals Bertrand de la Tour im Theoretischen Armutsstreit. Quellengrundlage seiner Untersuchung ist das von Duval-Arnould untersuchte Dossier des BAV Ms. Vat. lat. 3740, in dem Papst Johannes XXII. 66 Stellungnahmen von Kardinälen, Bischöfen und Theologen zur Frage der apostolischen Armut hat sammeln lassen.6 Unter den Gutachten befindet sich auch die Stellungnahme des Bertrand de la Tour, die (wie verschiedene andere Gutachten) in einer kürzeren und einer längeren Version überliefert ist. Während die Kurzfassung des Gutachtens seit langem bei Tocco im Druck zugänglich war 7, ist die ausführliche Stellungnahme nun erstmals im Anhang der besprochenen Arbeit abgedruckt. Nolds Annahme, dass die Kurzfassungen in Ms. Vat. lat. 3740 Protokolle mündlicher Stellungnahmen im Konsistorium sind, scheint plausibel. Dagegen lässt sich die Vermutung, dass die ursprüngliche Kurzfassung des Gutachtens von Bertrand de la Tour erst später zur längeren Stellungnahme ausgearbeitet wurde, aufgrund des Textbefunds nicht aufrecht erhalten. Denn die fehlerhafte Nummerierung einiger Absätze der Kurzfassung, die schon Tocco im Druck angemerkt hat, lässt sich vielmehr gerade dann erklären, wenn man davon ausgeht, dass bei einer späteren Kürzung der längeren Version ein Irrtum unterlaufen ist.

Die Arbeit unternimmt eine ausführliche inhaltliche Analyse der Position des Kardinals und vergleicht dessen Aussagen mit anderen Gutachten aus Ms. Vat. lat. 3740. Dabei vertritt Nold die These, dass Bertrand de la Tour nicht die im so genannten Manifest von Perugia formulierte Stellungnahme der Michaeliten unterstützt, sondern vielmehr von Anfang an eine von der offiziellen Position der Michaeliten deutlich abweichende Haltung eingenommen habe. Diese Diskrepanz in der Haltung des Bertrand de la Tour sucht Nold zunächst anhand einiger Punkte aus der Kurzfassung des Gutachtens zu erhärten. Vor allem aber stützt er sich auf die längere Stellungnahme, in der er eine gegenüber der Kurzfassung leicht veränderte Argumentation feststellt (S. 69ff.): Die Besonderheit der von Bertrand de la Tour vertretenen Position macht Nold daran fest, dass der Kardinal den Minoriten bestimmte Rechte zugestehe. Im Unterschied zu den Anhängern Michaels von Cesena berufe er sich nicht auf den faktischen Gebrauch (usus facti), sondern wie später Johannes XXII. in seiner Bulle Cum inter nonnullos (1323) auf das Gebrauchsrecht (ius utendi). Der Franziskanerkardinal wird somit als Vertreter einer mittleren Position zwischen Michaeliten und Papst Johannes XXII. dargestellt. Freilich ist Nolds Argumentation bei einer kritischen Lektüre der angeführten Textstellen durchaus anfechtbar, da Bertrand zwar vom ius utendi spricht, dieses jedoch ausdrücklich als eine Befugnis des Naturrechts und als Äquivalent für den faktischen Gebrauch versteht (vgl. Appendix, S. 193, Z. 22-32). Während Nold sich vor allem auf den Begriff ius utendi konzentriert, entgeht ihm, dass Bertrand de la Tour an dieser Stelle eine Interpretation vorträgt, die auf den Spiritualen Petrus J. Olivi zurückgeht: die Begründung der in Act. 4, 32 genannten communia durch das im Urzustand geltende Naturrecht.8 Die damit aufgenommene Deutung widerspricht aber eindeutig dem, was Johannes XXII. in seiner Bulle Cum inter nonnullos verfügte.

Im folgenden Kapitel werden wichtige inhaltliche Übereinstimmungen der Position des Manifests von Perugia mit der Stellungnahme des Bertrand de la Tour aufgezeigt; man vermisst allerdings den Hinweis, dass im Manifest von Perugia Bertrands (also Olivis!) Interpretation von Act. 4, 32 übernommen wird. Trotz der Übereinstimmungen des Manifests von Perugia mit den Gutachten des Bertrand de la Tour bleibt Nold bei der These, dass Bertrand die Verlautbarung von Perugia nicht unterstützt hat. Vielmehr habe Michael von Cesena auf dem Generalkapitel von Perugia die schriftliche Stellungnahme des Franziskanerkardinals entgegen dessen eigener Absicht interpretiert. Diese Argumentation überzeugt m.E. weder aufgrund des Gutachtens noch anhand der sich anschließenden Interpretation der Quellen zum Konsistorium vom 9. April 1328.

Ein weiteres Gutachten des Ms. Vat. lat. 3740, das bisher der Rubrik des Codex folgend einhellig Berengar Frédol zugeschrieben wurde, will Nold ebenfalls Bertrand de la Tour zuweisen. Schließlich wird im letzten Kapitel der Verlauf der Debatte als Ganzes in den Blick genommen und eine Interpretation der päpstlichen Bullen vorgeschlagen, die darauf abhebt, dass Papst Johannes XXII. zunächst eine in jeder Hinsicht offene Diskussion angestrebt habe. Da freilich die dogmatische Bedeutung der Dekretale Exiit allen Beteiligten bekannt war, muss es auch dem Papst bewusst gewesen sein, dass seine Fragestellung einen Punkt berührte, der aus minoritischer Sicht alles andere als diskutabel war.

Dem Anspruch, eine Neuinterpretation der gesamten Kontroverse um die Armut Christi und der Apostel vorzulegen, kommt die Arbeit nicht überzeugend nach. Die Quelleninterpretation stützt sich positivistisch auf Einzelaussagen und -sätze, ohne diese im historischen Kontext der übrigen Quellen angemessen zu gewichten. Insgesamt werden die an der Kurie herrschenden Machtverhältnisse und Zwänge unterschätzt. Die Haltung des Bertrand de la Tour wird von Anbeginn als relativ konstant dargestellt. Dass es der Kardinal angesichts der sich unaufhaltsam zuspitzenden Konfrontation vorgezogen haben mag, seine Position zu modifizieren, wird dagegen nicht in Betracht gezogen.

Anmerkungen:
1 Miethke, Jürgen, Der erste vollständige Druck der so genannten ‚Chronik des Nicolaus Minorita’ (von 1330/1338). Bemerkungen zur Präsentation eines Farbbuches des 14. Jahrhunderts, in: DA 54 (1998), S. 623-642.
2 Als Beispiel sei nur die sehr ausführliche Analyse der von Nold ins Blickfeld gerückten Anfänge der Kontroverse genannt bei Tabbaroni, Andrea, Paupertas Christi et Apostolorum. L’ideale francescano in discussione (1322-1324), Rom 1990.
3 Miethke (wie Anm. 1), S. 627-633.
4 Offler, Hilary Seton (Hg.), Guillelmi de Ockham Opera politica, Bd. 2 (1963), S. XVIII; ferner Miethke (wie Anm. 1), S. 640f.
5 Wittneben, Eva Luise, Bonagratia von Bergamo. Franziskanerjurist und Wortführer seines Ordens im Streit mit Papst Johannes XXII., Leiden 2003, S. 394.
6 Duval-Arnould, Louis, La constitution „Cum inter nonnullos“ de Jean XXII sur la pauvreté du Christ et des apôtres: Rédaction préparatoire et rédaction définitive, in: Archivum Franciscanum Historicum 77 (1984), S. 406-420.
7 Tocco, Felice, La Questione della povertà nel Secolo XIV, Neapel 1910.
8 Vgl. auch den Text des kürzeren Gutachtens bei Tocco (wie Anm. 7), S. 73; ferner meine Ausführungen (wie Anm. 5), S. 119-121.

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