H. Timmermann: Deutschlandvertrag und Pariser Verträge

Cover
Titel
Deutschlandvertrag und Pariser Verträge. Im Dreieck von Kaltem Krieg, deutscher Frage und europäischer Sicherheit


Herausgeber
Timmermann, Heiner
Reihe
Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen 115
Erschienen
Münster 2003: LIT Verlag
Anzahl Seiten
173 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rolf Steininger, Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck

Der Herausgeber, Direktor des Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitutes der Europäischen Akademie Otzenhausen im Saarland und Professor an der Friedrich-Schiller-Universität-Universität Jena, hat Recht, wenn er in der Einleitung die Jahre 1952-1955 als eine „faszinierende Periode der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg“ bezeichnet. Gar nicht Recht hat er allerdings mit der Feststellung, dass sich der Sammelband mit dieser Periode auseinandersetzt. Das Gegenteil ist der Fall; daran ändern auch solche vollmundigen Sätze wie dieser nichts: „Das Wissen der damaligen Akteure war in den mikroskopischen Verästelungen sicherlich gewaltig, in den großen politischen Zusammenhängen der internationalen Politik war der Überblick bescheidener als der des Historikers.“ (S. 7)

Der viel zitierte Historiker hat inzwischen einen ziemlich guten Überblick über die erwähnten Jahre: Es gibt nicht nur zahlreiche Akteneditionen aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland, sondern auch hervorragende Darstellungen und Sammelbände. Da ist der vorliegende Sammelband leider eine Enttäuschung und ein großer Schritt zurück: Es wird absolut nichts Neues geboten, der Rezensent hat ihn mit wenig Freude gelesen. Es wird Uralt-Literatur zitiert, selten die neueste Literatur, und wenn, dann werden Autoren falsch geschrieben; Archivalien werden nur in einem Beitrag herangezogen.

Der Herausgeber versucht sich in zwei Beiträgen (S. 8-15, 161-172) und nennt gleich auf der ersten Seite das Datum der Außenministerkonferenz in Moskau 1943 falsch. Für die Arbeit der Europäischen Beratenden Kommission zitiert er den Dokumentenband von Ernst Deuerlein aus dem Jahr 1961. Offensichtlich kennt er den hervorragenden Aktenband der „Dokumente zur Deutschlandpolitik“ zur Europäischen Beratenden Kommission gar nicht. So geht das weiter in diesem Sammelband. Jean Klein (S. 32-59), Politikwissenschaftler und Historiker aus Paris, erzählt auf sieben Seiten etwas von den „Stationen zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ – ohne eine einzige Anmerkung. Dafür liefert er auf einer Seite eine „Bibliographie zur Wiederbewaffnung Deutschlands“, in der die wichtigsten Werke fehlen, aber Werner Picht mit seinem Buch über die Wiederbewaffnung aus dem Jahr 1954 (!) genannt wird.

Noch ärgerlicher als die erwähnten Beiträge sind die zwei Aufsätze der britischen Politikwissenschaftlerin Marianne Howarth von der Universität Nottingham über die britische (Deutschland-)Politik jener Jahre (S. 41-57, 112-129). Es gibt in London ein wunderbares Archiv, das Howarth offensichtlich nur oberflächlich kennt. Anders sind ihre Beiträge – mit lediglich zwei Hinweisen auf das Public Record Office – nicht zu erklären. Stattdessen gibt es Altbekanntes und jede Menge haarsträubender Formulierungen. Da geht es z.B. darum, ein Angebot „von der Hand abzuweisen“ (S. 56), „es blieb die Bedeutung des Vertrages noch zu realisieren“ (S. 57), Außenminister Eden „ergriff die wichtige Initiative, die Situation zu retten“ (S. 57). Immerhin wird die Adenauer-Biografie von Hans Peter Schwarz viermal zitiert, allerdings die englischsprachige Ausgabe!

Ruud van Dijk aus den USA benutzt in seinem Beitrag über „Deutschland in der internationalen Politik 1955: Sieg und Niederlage der Ideologie“ (S. 137-160) wenigstens die vom Department of State in Washington herausgegebenen Bände der „Foreign Relations of the United States“. Wirklich Neues teilt er uns allerdings auch nicht mit.

Der Beitrag des bekannten, leider inzwischen verstorbenen Diplomaten Wilhelm Grewe über den „Deutschlandvertrag“ (S. 75-82) ist ein Nachdruck aus dem Jahre 1991 – ebenfalls ohne Anmerkungen.

Andreas Fürst vom US-Generalkonsulat in Leipzig beginnt seinen Beitrag über „Das Engagement der USA in Europa 1945 bis 1955“ (S. 96-111) mit der Abschiedsrede von George Washington im Jahre 1796. Ein allzu weiter Bogen bis 1955 – wo dann auch nichts Neues kommt. Noch am interessantesten sind die Beiträge von Gerhard Wettig und Alexei Filitov. Es geht – wieder einmal – um die Stalin-Note vom März 1952. Wettig, der ja in früheren Arbeiten sowjetische Akten benutzt hat, wiederholt seine alte These: keine Chance zur Wiedervereinigung! Das sahen und sehen andere Kollegen, die dieselben sowjetischen Akten eingesehen haben, bekanntlich anders. Diese Diskussion wird mit Sicherheit weitergehen – wenn auch wohl ohne definitives Ergebnis. Mit meiner eigenen Aktenedition über amerikanische und britische Dokumente aus dem Jahre 19851 schien zumindest die westliche Position definitiv geklärt worden zu sein – dachte ich. Die amerikanische Führung, so Wettig jetzt aber, hielt eine Ablehnung des sowjetischen Vorschlages für nötig (S. 70). Das ist im Prinzip richtig, Außenminister Dean Acheson war nach der zweiten sowjetischen Note allerdings zu Verhandlungen bereit: Es war Adenauer, der ablehnte.

Filitov – mit Akten! – hat noch eine andere Sichtweise der Dinge. Demnach war nicht die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) mit 500.000 deutschen Soldaten der Grund für Stalins Note, also nicht die vielfach erwähnte Bedrohungsvorstellung, sondern „titoistische“ Tendenzen in der DDR. Das soll Stalins Hauptsorge gewesen sein. Eine These, die zu beweisen wäre.

Fazit: Ein ärgerlicher und überflüssiger Sammelband. Nicht empfehlenswert.

Anmerkung:
1 Steininger, Rolf, Eine Chance zur Wiedervereinigung? Die Stalin-Note vom 10. März 1952 (Archiv für Sozialgeschichte Beiheft 12), Bonn 1985.

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