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Titel
Revolution und Klio. Die Hauptwerke zur Französischen Revolution


Herausgeber
Pelzer, Erich
Erschienen
Göttingen 2004: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
431 S.
Preis
€ 23.90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rolf Reichardt, Mainz

Seit jeher und vollends seit dem Bicentenaire von ´89 zählt die Französische Revolution zweifellos zu den literaturintensivsten und schon deshalb schwer überschaubaren Bereichen der historischen Frankreich-Forschung. Erwartungsvoll nimmt man daher eine Neuerscheinung über „Die Hauptwerke zur Französischen Revolution“ zur Hand: ein Sammelband, erwachsen aus einem historischen Oberseminar, das der Herausgeber – inzwischen Professor in Mannheim - 1999 an der Universität Freiburg im Breisgau veranstaltet hat. Aus den damals gehaltenen Referaten, nachträglich ergänzt um mehrere Aufsätze Pelzers, hat sich in langwieriger Überarbeitung laut Herausgeber ein „universitäres Gemeinschaftsprodukt“ ergeben: die „Quintessenz eines Gedankenaustauschs zwischen Dozenten und Studenten“ (S. 15) bestehend aus insgesamt 18 Beiträgen, die zur einen Hälfte von fortgeschrittenen Studierenden (Magistranden und Doktoranden), zur anderen von Dozenten stammen, hier allein fünf von Pelzer selbst.

Gegliedert nach Chronologie, nationaler Zugehörigkeit und historiografischen ‚Orientierungen‘, die nur in den Zwischenüberschriften des Inhaltsverzeichnisses auftauchen, behandelt der Band nach dem durchgängigen Schema „Biographie, Werk und Wirkung“ zwei Dutzend Revolutionsgeschichten, erschienen von 1793 bis 1988. Der Löwenanteil entfällt – naturgemäß? – auf französisch(sprachig)e Autoren. Die Skala reicht hier von Mallet du Pan, Adolphe Thiers, Louis Blanc und François Mignet über Jules Michelet, Alexis de Tocqueville, Hippolyte Taine, Albert Sorel und Alphonse Aulard bis hin zu Albert Mathiez, Georges Lefebvre, François Furet und Denis Richet. Während von diesen Historikern keiner mehr lebt, kommen im angelsächsischen Bereich neben Crane Brinton, Robert R. Palmer, Alfred Cobban und Hannah Arendt, die ebenfalls verstorben sind, auch noch aktive HistorikerInnen zu Ehren: Lynn Hunt, Simon Schama und Keith M. Baker. Zwischen diesen ungleichen Gruppen wird die deutsche Historiografie allein von Heinrich von Sybel, Walter Markov, Eberhard Schmitt und Ernst Schulin, Pelzers akademischem Förderer, vertreten. Gewiss, es handelt sich durchweg um bekannte und oft zitierte Autoren von Standardwerken, zu denen nun eine Sammlung biografischer Daten und inhalticher Erschließungen vorliegt. Wenn darunter auch anregende Beiträge hervorzuheben sind (von Klaus Deinet über Louis Blanc, von Wilhelm Kreutz über Brinton und Palmer sowie von Jens Ivo Engels über Lynn Hunt), so weckt der Band insgesamt doch Bedenken.

Zum einen erscheint der Anspruch, mit den historiograpischen Hauptwerken zur Französischen Revolution eine fundierte „Genealogie der Revolutionsgeschichte“ (S.13) zu bieten, stark überzogen. Anstatt seine Auswahl zu rechtfertigen, deutet der Herausgeber lakonisch unvermeidliche Lücken an (S. 13). Sein Eröffnungsbeitrag über Mallet du Pan soll stellvertretend für die „Revolutionserfahrung als Zeitgeschichte“ stehen, ohne dass von den gleichzeitigen französischen Revolutionsdarstellungen die erfolgreichsten auch nur erwähnt werden: Genannt seien hier lediglich die Introduction à la Révolution française von Antoine Barnave (1792), Sénac de Meilhans Schrift Des principes et des causes de la Révolution de France (1795), die Histoire secrette de la révolution française von François-Xavier Pagès (1796), welche u.a. die Begleittexte zu den mehrfach aufgelegten Tableaux historiques de la Révolution française lieferte, ferner die Histoire philosophique de la Révolution de France von Antoine-E.-N. Fantin-Desodoards (1796-97) und Des causes de la Révolution et de ses résultats von Claude-F.-A. de Lezay-Marnézia (1797). Die französische Historiografie des 19. Jahrhunderts ist besser vertreten, wenn man auch u.a. die wichtigen Revolutionsdeutungen von Germaine de Staël, Alphonse de Lamartine und Edgar Quinet vermisst. Problematischer ist dann wieder die Auswahl französischer Autoren des 20. Jahrhunderts: Mag die Revolutionsdarstellung des Sozialisten Jean Jaurès, mögen die gelehrten Forschungen eines Augustin Cochin, Paul Caron und Marcel Reinhard viel von ihrem ursprünglichen Einfluss verloren haben, so ist es doch völlig unverständlich, dass mit Albert Soboul, Michel Vovelle und Mona Ozouf ausgerechnet die maßgebenden Historiker fehlen, deren Werke die ‘kulturelle Wende’ der neueren Revolutionsdeutung wohl am authentischsten repräsentieren.

Noch willkürlicher verfährt die Auswahl bei der angelsächsischen Historiografie: kein Beispiel der zeitgenössischen Revolutionserfahrung, obwohl Gregory Claeys das publizistische Umfeld von Edmund Burkes Considerations umfassend dokumentiert hat (Political Writings of the 1790s: French Revolution Debate in Britain, 8 Bde., 1995); nichts zu Thomas Carlyle, nichts zu den neueren Monografien eines Richard Cobb, Norman Hampson, Colin Lucas, Alan Forrest, John Markoff; stattdessen ein ganzes Kapitel zu Hannah Arendt, die gar nicht speziell über die Französische Revolution geschrieben hat, und ein halbes zu Keith M. Baker, von dem bisher nur ein paar (allerdings wichtige) einschlägige Aufsätze vorliegen.

Geradezu peinlich wirkt schließlich der Anspruch, mit einem Kapitel über Heinrich von Sybel (Torsten Kohlen) und einem zweiten über Walter Markov, Eberhard Schmitt und Ernst Schulin (Simon Palaoro) nicht weniger als die „Grundentenzen der deutschen Geschichtswissenschaft vom 19. Jahrhundert bis heute“ (S. 9 Inhaltsverz.) nachzuzeichnen. Stillschweigend außen vor bleiben dabei sowohl die wichtigen zeitnahen Werke von Friedrich Schulz‘ Geschichte der großen Revolution in Frankreich (1790) bis hin zu Lorenz von Steins Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich (1849), die Horst Günther sorgfältig in einem Band versammelt hat (Die Französische Revolution. Berichte und Deutungen deutscher Schriftsteller und Historiker, Frankfurt am Main 1985), als auch die ‚klassischen’ Monografien von Adalbert Wahl, Hedwig Hintze, Martin Göhring, Karl-Dietrich Erdmann und Hans Maier; ganz zu schweigen von den derzeit aktiven Autoren.

Zum anderen - und grundsätzlicher - ist zu bezweifeln, dass die im vorliegenden Band praktizierte Aneinanderreihung von Besprechungen einzelner Revolutionsgeschichten bei repräsentativerer Auswahl das Ziel des Herausgebers, eine „Zwischenbilanz“ der endlosen Kontroverse um die Französische Revolution zu ziehen (S. 11), hätte erreichen können. Denn spätestens seit Georges Lefebvre und Crane Brinton erhält die internationale Diskussion ihre wichtigsten Impulse nicht von Gesamtdarstellungen, sondern von quellennahen Problem- und Regionalstudien etwa über die Jakobiner oder die Bauern Nordfrankreichs in der Revolution. Und dieser Diskussionszusammenhang erschließt sich weniger aus einer personenorientierten Perspektive, wie Pelzer sie auch in seinem Buch über Die Wiederkehr des girondistischen Helden (1998 ) angewandt hat, sondern vielmehr über zentrale Sachbereiche der Revolutionsgeschichte, zu denen gleichzeitig mehrere bis viele Historiker publizieren. Das sind, um exemplarisch nur einige französische Autoritäten zu nennen, längst nicht mehr Furet und Richet, sondern etwa Raymonde Monnier, Christine Peyrard, Jean-Clément Martin, Guy Lemarchand oder Patrice Gueniffey. Als würde er dieses Dilemma ahnen, beschließt der Herausgeber den Band über die historiografischen „Hauptwerke“ unvermittelt mit einem Beitrag von Ursula Kölle zur „Geschlechtergeschichte und Französische Revolution“, der jedoch ausgerechnet die wichtigsten einschlägigen neueren Werke aus Frankreich und Deutschland verpasst: und zwar die Citoyennes tricoteuses von Dominique Godineau (1988), die dreibändigen Akten der Konferenz von Toulouse über Les femmes et la Révolution française (1990) und den Frankfurter Ausstellungskatalog Sklavin oder Bürgerin? von Viktoria Schmidt-Linsenhoff (1989).

So legt der geneigte Leser Pelzers Sammelband zur Seite. Muss er sich noch in die Französische Revolution einarbeiten, dürften ihm die nötigen Vorkenntnisse fehlen, um die Deutungsunterschiede zwischen den vielen vorgeführten Revolutionsgeschichten richtig nachzuvollziehen. Kennt er sich aber schon aus, sollte er die großen Revolutionsgeschichten im Original lesen bzw. zu herausragenden Problemstudien greifen.

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