: Die Fenster der Monade. Gottfried Wilhem Leibniz' Theater der Natur und Kunst. Berlin 2004 : Akademie Verlag, ISBN 3-05-003719-9 280 S. € 44,80

: Jacob Burckhardts 'Die Sammler'. Kommentar und Kritik. München 2004 : Deutscher Kunstverlag, ISBN 3-422-06432-X 168 S. € 39,90

: Sammelwunder, Sammelwahn. Szenen aus der Geschichte einer Leidenschaft. Frankfurt am Main 2004 : Eichborn Verlag, ISBN 3-8218-4637-2 408 S. € 75,00

Krämer, Sybille; Bredekamp, Horst (Hrsg.): Bild, Schrift, Zahl. . Paderborn 2003 : Wilhelm Fink Verlag, ISBN 3-7705-3859-5 210 S. € 19,90

: Des saintes reliques à l'art moderne. Venise-Chicago, XIIIe-XXe siècle. Paris 2003 : Quarto Gallimard, ISBN 2-07-076600-4 370 S. € 24,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Laube, Berlin

Ob es sich nun um Autogramme oder Gemälde handelt, um heilige Knochen oder Briefmarken, um Bierdeckel oder Schallplatten: Es gibt eigentlich nichts, was man nicht sammeln könnte. In seiner 1931 publizierten „Rede über das Sammeln“ kleidet der Sammler Walter Benjamin diese materialisierte Anthropologie in folgende viel zitierten Worte: „Man braucht nur einen Sammler zu beobachten, wie er die Gegenstände seiner Vitrine handhabt. Kaum hält er sie in Händen, so scheint er inspiriert durch sie hindurch, in ihre Ferne zu schauen.“1 Zugleich prophezeite er, dass für den Sammler „die Nacht hereinbricht“. Die Passion sei unzeitgemäß, der Typus des Sammlers sterbe aus. Die Adelung des Sammlers zur Eule der Minerva macht diesen Typus für die Wissenschafts-, Kunst- und Kulturgeschichte um so interessanter, die sich in den letzten Jahren verstärkt mit Sammlern und Sammlungen auseinandergesetzt hat.

Wer einen Einstieg in das weite Feld skurriler Sammlernaturen benötigt, der ist mit Philipp Bloms schön gestaltetem Buch „Sammelwahn, Sammelwunder“, erschienen als Band 229 der „Anderen Bibliothek“, gut bedient. Hier kommen Menschen ausgiebig zu Wort, die einer manischen Tätigkeit anhängen, eben Dinge anzuhäufen und sie um sich zu versammeln. Blom hat eine Kulturgeschichte des Sammelns geschrieben, die im 16. Jahrhundert einsetzt. Wie ein passionierter Sammler stellt Blom seine Trouvaillen vor. Nicht zu Unrecht stehen die Personen im Zentrum seiner Gliederung, ob sie nun Rudolf II., Ulisse Aldrovandi, John Tradescant, Zar Peter der Große oder Pierpont Morgan heißen. Neu ist das alles nicht, aber dennoch in dieser kompakten Dichte unterhaltsam zu lesen. Auf Theorie und präzise Begriffsbildung scheint es dem Autor nicht anzukommen. Vielmehr sind Impressionismus und Narration die Methode seiner im Stile eines Romans verfassten Abhandlung. Trotz einer relativ reichhaltigen Bibliografie verzichtet der Autor weitgehend auf einen Fußnotenapparat, so dass seine bisweilen kunstvoll miteinander verknüpften Zitate in den meisten Fällen ohne Beleg bleiben. Vielleicht wollte er durch diesen Kunstgriff ähnlich wie die Gelehrten Italiens im 16. Jahrhundert die Idee in den Vordergrund stellen, „dass ein Fischmarkt ein besserer Ort des Studiums sein [könnte] als eine Bibliothek“. Letztlich ist das Buch im wissenschaftlichen Diskurs aber nur mit großen Bedenken zu zitieren. Zudem verschwimmen Bloms Erzählebenen immer wieder, so dass nicht immer ersichtlich wird, ob der Autor nun seine private Meinung mitteilt oder eine Ansicht aus der Forschung paraphrasiert.

Obwohl Blom geschmeidig zu formulieren versteht, vollzieht sich seine Argumentation bisweilen ein wenig holzschnittartig. Ob die Jahrhundertwende zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert tatsächlich die Achsenzeit des Sammelns ausmacht, wie der Autor suggeriert, muss eher bezweifelt werden. Das Motto „Alles, was seltsam ist“, das John Tradescant, ohne dessen Sammelleidenschaft es kein Ashmolean Museum in Oxford gäbe, im Jahre 1625 der britischen Handelsflotte als Marschroute auf ihrem Beutezug auf den Weg gab, war schon in Kirchenschätzen des Mittelalters, wie zum Beispiel in der königlichen Abtei St. Denis und in vielen anderen vergleichbaren Einrichtungen verbreitet. War die Gier nach Kuriosa zuvor also tatsächlich nur religiös motiviert, wie Blom es am Beispiel des Reliquienkults im Spätmittelalter ausführt? Dabei künden allein die umfangreichen Reliquiensammlungen in Halle und in Wittenberg, zusammengestellt von Kardinal Albrecht und Kurfürst Friedrich dem Weisen vom Gegenteil, von einer Kunstkammer avant la lettre.

Die epochenübergreifende Behandlung des Themas bis ins hohe Mittelalter macht sich hingegen Krzysztof Pomian zu eigen. Sein Dauerthema ist die Säkularisierung der Dinge oder besondere Sammlungen, die sich aus der Sphäre des Heiligen befreien. So setzt sich ein Drittel des Buches allein mit der Sammlungskultur in Venedig vom 13. bis ins 18. Jahrhundert auseinander. Ausgangspunkt ist der sich besonders am heiligen Markus konzentrierende Reliquienkult, woran sich die Leitfrage anknüpft, wie sich daraus Sammlungen des Humanismus, wenig später dann Antiken- und Gemäldesammlungen herausbilden.

Siebzehn Jahre ist es mittlerweile her, seit die Kleine Kulturwissenschaftliche Bibliothek beim Wagenbach Verlag ein Büchlein zum Sammeln veröffentlichte, in dem Pomian auf knapp mehr als hundert Seiten seine Gedanken über den „Ursprung des Museums“ ausbreitete. Wichtige Texte waren darunter, wie die einschlägige Einleitung aus seiner Monografie „Collectioneurs, Amateurs et curieux. Paris, Venise, Xve-XVIIIe siècle“, die kurz zuvor, im Jahre 1987 bei der „Edition Gallimard“ publiziert wurde. Seitdem erscheint in Deutschland kein Beitrag zur Museumsgeschichte mehr ohne sich auf dieses Buch zu berufen. In Frankreich hat sich „Edition Gallimard“ erst jetzt entschlossen, einen Pomian-Aufsatzband zur Geschichte des Sammelns mit wichtigen, mitunter schwer zugänglichen Abhandlungen seit Mitte der 1980er-Jahre zu veröffentlichen. Auf knapp vierhundert Seiten entfaltet sich unter dem treffenden Titel „Des saintes reliques à l´art moderne“ ein beeindruckender Sammlungskosmos, vom Venedig des 13. Jahrhunderts bis nach Chicago im 20. Jahrhundert. Der Bogen ist weit gespannt, von Schätzen byzantinischer Kirchen bis zu Sammlungen moderner Kunst. Präzise Ausführungen wechseln mit Anekdoten, so wie die über die Entstehungsgeschichte des MoMA im Frühjahr 1929 als Konsequenz eines Frühstückskomplotts mutiger Sammlerinnen aus New York. Mit dem schon klassischen Aufsatz über die Medici-Vasen, der wohl am klarsten macht, was Pomian mit „semiophore“ meint und über eine Sammlungstypologie, darunter sind auch zwei Aufsätze, die schon auf Deutsch erschienen sind.2

Pomians begriffliches Instrumentarium stammt aus der Religionsanthropologie. Um das Unsichtbare (l´invisible) und das Opfer (le sacrifice) dreht sich seine Argumentation. Warum sammelt man, was ist das Gemeinsame des Sammelns – von Grabbeigaben in Gräbern der Jungsteinzeit, von Reliquien im Reliquiar, von Preziosen in den Schatzkammern der Kathedralen, von Merkwürdigkeiten in den Kunstkammern oder von Werken moderner Kunst? Nach Pomian sind all diese aus ihrem üblichen Kreislauf herausgezogenen Dinge eine Form des Opfers, Opfergaben an die nachfolgenden Generationen. Wenn das Ding in eine Sammlung integriert wird, verliert es jede Existenz in der Welt und weist auf einen Austausch mit der unsichtbaren Welt. Die Grenze, die die Objekte zu überschreiten haben, hat sich dabei im Laufe der Jahrhunderte geändert. Heutzutage seien Museen keine Tempel der Vergangenheit mehr, sondern kollektive Maschinen, um mit der Zukunft zu kommunizieren. Es irritiert ein wenig, dass das Buch keine Abbildungen hat.

Dass das Sammeln wie das Atmen zum Menschsein gehört, zeigt Jochen Brüning in seinem ebenso bestimmten wie wegweisenden Aufsatz. Sammeln bedeutet nichts anderes als die Aufhebung eines Kontextes und Stiftung eines neuen. So wie grundsätzlich jeder lebende Organismus jedem anderen als Nahrung dienen könne, so könne jede Kategorie von Objekten zum Gegenstand einer Sammlung gemacht werden, von Mineralien, getrockneten Pflanzen und präparierten Tieren über Bücher, Autografen und Grafiken bis zu Denksportaufgaben, Liebesabenteuern und Kometenbeobachtungen. Die gesamte Zivilisation scheint auf Sammelpraktiken zu fußen. Auch lebensweltliche Operationen, die man in der Regel woanders verortet, wie zum Beispiel die Konstituierung eines Vereins oder der Begriff bzw. die Nutzung eines Handys liegen nach Brüning Zyklen des Sammelns zugrunde. Ohne die Vorgänge des Aneignens, Ordnens und Gestaltens, d.h. ohne den konkreten Umgang mit Objektsamples ist auch Wissenschaft undenkbar. Hier präsentiert sich die Wissenschaftsgeschichte als Kulturgeschichte, die die abstrakte Gedankenbewegung an die Materialität einzelner Dinge zurückbindet. Wissenschaftliche Sammlungen erfüllen dabei keinen Selbstzweck, sondern werden durch eine „forschende Frage“ inspiriert. Labor- und Reisetagebücher, Akten, Zettelkästen und Kataloge machen den Sammelprozess des Forschers transparent.

Der Aufsatz ist in einem Aufsatzband erschienen, in dem Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Kulturtechnik (Humboldt-Universität zu Berlin) mit ihren Beiträgen aus Mediävistik, Mathematik, Kunstgeschichte, Kulturgeschichte, Mediengeschichte, Informatik und Philosophie das interdisziplinäre DFG-Projekt „Bild, Schrift, Zahl“ skizzieren.

Schließlich wird in zwei Büchern das Phänomen des Sammelns aus dem Blickwinkel Gottfried Wilhelm Leibniz´ und Jacob Burckhardts zum Thema gemacht. Horst Bredekamps Buch über Leibniz stellt weit mehr dar als einen Beitrag über die Geschichte des Sammelns. Sie präsentiert einen neuen Deutungsrahmen seiner Philosophie, die letztlich nicht logisch und abstrakt gewesen sei, sondern ikonisch. Im Rahmen dieser Beweisführung fällt auf, welchen zentralen Stellenwert Leibniz dem Sammeln einräumt. Leibniz zufolge sind „zahlreiche Objekte aus Natur und Kunst der Neugierde in Schatzkammern und Museen zu sammeln, zu ordnen und zu bewahren, damit in Sternwarten, Laboratorien, Bergwerken, Gärten, zoologischen Gärten und Rüstkammern neue Experimente durchgeführt werden“. Das Projekt eines „Theaters der Natur und Kunst“ verfolgte Leibniz von 1671 bis 1716. Mit keiner anderen Frage hat sich Leibniz länger auseinandergesetzt – 45 Jahre lang (Hauptschrift: „Drôle de Pensée“, 1675 erschienen, in dem Leibniz seine museologischen Eindrücke aus Paris verarbeitet). Im Zentrum von Leibniz´ Denken stehen die im 16. und 17. Jahrhundert vorherrschenden, über jede Spezialisierung hinausweisenden Kunst-, Raritäten- und Anatomiesammlungen und der ihnen innewohnenden „ars combinatoria“. Leibniz sammelt nicht, um zu sammeln. Vielmehr geht es ihm darum, durch Betrachtung der einzelnen Dinge die Imagination oder Phantasie zu üben, sie von Ausschweifungen fernzuhalten. Bredekamp zeigt, dass Sammler Augenmenschen sind. In Sammlungen sind Dinge nicht nur gespeichert und versteckt, vielmehr zeichnen sie sich dadurch aus, Dinge gleichzeitig, auf einen Blick zu sehen („göttlicher Blick“, „coup d´oeil“), was in der Bibliothek beim immer sukzessive ablaufenden Lesen von Buchstaben stets scheitern muss. Letztendlich ging es Leibniz wohl darum, in Sammlungen die Harmonie von Natur und Kunst zu erfassen, um so die Allmacht Gottes und die Weisheit der Schöpfung wenigstens spüren zu lassen. Dieser Antrieb, den intuitiven Blick zu schulen, sich eine Vielzahl von Blickwinkeln anzueignen, hat seinen institutionellen Ort im „theatrum naturae et artis“.

Insgesamt handelt es sich um ein typisches Bredekamp-Buch, im Umfang eher knapp, geprägt von einer originellen Fragestellung, die sich konzis durch die Abhandlung zieht und das auch die spezialisierte Leibniz-Forschung nicht ignorieren kann. Die Abhandlung stellt einen wichtigen Beitrag zu einer Geschichte der Dinge, die noch geschrieben werden müsste. Hilfreich ist der Anhang, wo relevante Leibniz-Texte zum Theater der Natur und Kunst im Wortlaut abgedruckt sind.

Das wissenschaftliche Interesse gegenüber dem Sammeln, gepaart mit einer ausgeprägten visuellen Empfänglichkeit hatte Burckhardt mit Leibniz gemeinsam. Leibniz verfolgte auch das Konzept eines Bilderatlasses. So war er sehr bemüht, die zweite Sammlung des Abbé Marolle, sein „Livre des peintres et graveurs“ zu erhalten, da es sich um „ein Werk von vortrefflichen Nutzen“, durch das die Bilder „in lustvoller Leichtigkeit“ und „wie in einem Blick, ohne Umschweife der Worte, durch das Sehorgan dem Gemüt und kräftiger eingedrückt“ werden können, handele. Burckhardts zeitgemäßer Bilderatlas bestand aus einer Sammlung von 10.000 Fotografien. Er gab zu, wenn er Wichtiges fotografiert sehe, unter einer Art „magischen Kaufzwang“ zu geraten. Dabei waren die Fotografien für ihn allenfalls Gedächtnishilfe, die als visuelle Notiz niemals die direkte Anschauung ersetzen sollten. Stella von Boch liefert in ihrem Kommentar zu Burckhardts spätem Aufsatz „Die Sammler“ von 1893 3 nicht nur wertvolle Einblicke in Burckhardts Verhältnis gegenüber dem Lichtbild, sondern setzt auch neue werkbiografische Akzente. In diesem Text formuliert Burckhardt seine an der Sammlerpersönlichkeit Isabella d´Este festgemachte These, dass das Sammelwesen der Renaissance im 15. Jahrhundert mit dem Erwerb der Hausandachtsbilder begann, die damals aufhörten, religiöse Kunstbilder zu sein und sich stattdessen zum Kunst- und Sammlerbild entwickelten. Schon 1863 hatte Burckhardt verkündet, er denke sein Buch über die Kunst der Renaissance „nach Sachen“ einzuteilen, nicht nach Zeiten und Künstlern, die zunehmend die sozialen Kontexte der Kunst und die Funktion der Kunstwerke ins Auge fasst. Mit dem Auftrageber, seinem Privatgeschmack und seinem ästhetischen Empfinden taucht nach dem Künstler das zweite Subjekt in der Kunstgeschichte auf. Burckhardts Ringen um eine angemessene Darstellung der Kunst der italienischen Renaissance blieb fragmentarisch. Seine zukunftsweisende Idee, eine „Kunstgeschichte nach Aufgaben“ zu schreiben, spiegelte sich in den zwischen 1893 und 1896 verfassten Texten, die 1898 unter dem von Burckhardt autorisierten Titel „Beiträge zur Kunstgeschichte Italiens“ aus dem Nachlass veröffentlicht wurden. Sie enthielten „Das Altarbild“, „Das Porträt in der Malerei“ und „Die Sammler“, letzterer nach von Boch der „gehaltvollste Aufsatz“, dem aber wegen Valentin Schlossers Studie über die Kunst- und Wunderkammern eine adäquate Wirkung verwehrt blieb.

Darüber hinaus bietet von Boch konkrete Einblicke in die Werkstatt einer geisteswissenschaftlichen Persönlichkeit, in seine Sammeltätigkeit von Exzerpten. Die Geschichte der Geschichtswissenschaft erschöpft sich nicht nur in großen Theorien, sondern ist auch in der Intimität eines Schreibtischs greifbar, in konkreten Praktiken des Notierens und Durchstreichens, der Archivbesuche und dem Quellenvergleich, dem Erstellen von Fußnoten und Bibliografien, die allesamt ohne den Vorgang des Sammelns undenkbar wären. Der Verfasser dieser Rezension hat übrigens – im weitaus kleineren Maßstab – nicht anders agiert. So vermag von Boch zu zeigen, dass Burckhardts Nachträge und Streichungen im Manuskript die im ersten Entwurf deutlich sichtbare Stringenz des Textes an vielen Stellen verwässerten. Burckhardt stellte seine Arbeit im Vorwort als „Auswahl von Quellenaussagen, Reiseeindrücken und Galerienotizen aller Art“ vor. Immer wieder kam es Burckhardt darauf an, bestehende, stichpunktartige Materialsammlungen, in manchen Fällen sogar ausformulierte Passagen in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen, eine beschwerliche Arbeit, die man heute im Zeitalter der per Mausklick verschiebbaren Textblöcke kaum noch nachvollziehen kann. Dem folgenschweren Entschluss vom Sommer 1858, die Kunstgeschichte getrennt von der Kulturgeschichte zu behandeln, entspricht im Nachlass die Scheidung der Kunstnotizen von denen zur Kultur. Das Material zur Kultur wurde in achtzehn braune Briefcouverts sortiert, deren Aufschriften schon nahezu der Einteilung der Kultur der Renaissance entsprachen. Wie Burckhardt in einem Brief an Paul Heyse erklärte, zerschnitt er seine Exzerpte zu Vasari, um sie zu sortieren und „nach Sachen“ aufzukleben, und rief damit eine neue Stoffsammlung ins Leben. Burckhardt interessierte sich nicht nur thematisch für den Sammler als Individuum, als säkulares Subjekt in der italienischen Renaissance, er spiegelt diesen Prozess selber in seinem Jahrhundert als Künstler und Handwerker der Geschichte. Wie Leibniz ist auch Burckhardt kein Sammler um seiner selbst willen, er sammelt, um geschichtliche Phänomene auf den Begriff zu bringen. Struktur ist sein Ziel, Formkraft sein Gabe bzw. Instrument. Der Kommentar macht meist ungesagte Aspekte historiografischen Sammelns explizit. Der berühmte Sammlungsschrank von Linné , dessen variable Facheinteilung jederzeit die Anpassung des Herbariums an die Erfordernisse neuer Belege ermöglichte, hatte seine Parallele bei Geisteswissenschaftlern in Form eines komplexen Ablagesystems thematischer Exzerpte, das bisher wissenschaftshistorisch so gut wie nicht untersucht worden ist.

Anmerkungen:
1 Benjamin, Walter, Ich packe meine Bibliothek aus. Eine Rede über das Sammeln, in: Ders., Gesammelte Schriften IV,1, Frankfurt am Main 1972, S. 388-396; hier S. 389 [zuerst: Die literarische Welt, 17.7.1931/24.7.1931].
2 Für eine Geschichte der Semiophoren. Anmerkungen zu den Vasen aus den Medici-Sammungen, in: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin 1988, S. 73-91; Sammlungen – eine historische Typologie, in: Grote, Andreas (Hg.), Macrocosmos in Microcosmo: die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450 bis 1800 (Berliner Schriften zur Museumskunde 10), Opladen 1994, S. 108-126.
3 Gemeinsam mit Martin Warnke hat Stella von Boch diesen Text vor Jahren in der neuen Werkausgabe editorisch betreut. Burckhardt, Jacob, Das Altarbild, Das Porträt in der Malerei, Die Sammler. Beiträge zur Kunstgeschichte von Italien, in: Ders., Werke, Bd. 6, hrsg.v. von Boch,Stella; Hartau,Johannes; Hengevoss-Dürkop,Kerstin; Warnke,Martin, München 2000.

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