G. Besier u.a.: Der Heilige Stuhl und Hitler-Deutschland

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Titel
Der Heilige Stuhl und Hitler-Deutschland. Die Faszination des Totalitären


Autor(en)
Besier, Gerhard; Piombo, Francesca
Erschienen
Anzahl Seiten
416 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Forstner, Erzbischöfliches Ordinariat München

Gerhard Besier, Direktor des Dresdner Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, legt mit dem vorliegenden Buch zusammen mit seiner italienischen Mitarbeiterin Francesca Piombo eine Analyse der vatikanischen Deutschland- und Europa-Politik unter den Päpsten Pius X. (1903-1914), Benedikt XV. (1914-1922) und Pius XI. (1922-1939) vor. Im Fokus der Untersuchung des evangelischen Kirchenhistorikers, Theologen und Psychologen Besier steht dabei vor allem das Wirken des vatikanischen Diplomaten Eugenio Pacelli als Nuntius in Bayern (1917-1925), beim Deutschen Reich und in Preußen (1920/25-1929) und als Kardinalstaatssekretär in Rom (1929-1939) bis zum Konklave vom 2. März 1939, aus dem Pacelli als Papst Pius XII. (1939-1958) hervorging. Dass das Buch mit dem Jahr 1939 endet ist bedauerlich, aber methodisch konsequent – bekanntlich hat der Vatikan Anfang 2003 seine auf Deutschland bezogenen Akten des Pontifikats Pius XI. vorzeitig geöffnet, hält hingegen die Dokumente aus der Ära Pius XII. nach wie vor unter Verschluss. Eine auf vatikanisches Quellenmaterial gestützte Analyse wie die Besiers und Piombos musste sich diesen Umständen beugen. Freilich bleibt dadurch die entscheidende Fragestellung, nämlich die vieldiskutierte vatikanische Haltung zur Ermordung der europäischen Juden, ausgeklammert.

Im letzten, kaum 20 Seiten umfassenden Abschnitt seines Buches trägt Besier, gleichsam in Form eines Resümees, seine aus der Untersuchung gewonnen Kernthesen vor: Sowohl Achille Ratti (Pius XI.) als auch sein Kardinalstaatssekretär und Nachfolger Pacelli hegten eine ausgeprägte Sympathie für straff geführte, autoritäre Staatsgebilde mit katholischer Prägung, was mit Verweis auf die politische Haltung des Vatikans gegenüber Pilsudskis Polen, dem Austrofaschismus, dem Putschisten Franco, vor allem aber in Hinblick auf das faschistische Italien dargelegt wird. Im Hintergrund dieser außenpolitischen Präferenz stand ein Kirchenverständnis, das mit einer pluralistischen Gesellschaftsauffassung, wie sie demokratische Verhältnisse erfordern, nur schwer in Einklang zu bringen war. Die verhassten „Grundsätze der französischen Revolution, der Liberalismus, die Volkssouveränität, der Sozialismus, der aufklärerische Rationalismus, der Parlamentarismus mit seinen Parteien, der Materialismus und der Egalitarismus – all das schien schon gesiegt zu haben und wurde nun doch durch den Faschismus gleichsam hinweggefegt“ (S. 308). „Gegen alle Wahrscheinlichkeit schien sich das Rad der Geschichte kulturell noch einmal zurückzudrehen und sich unverhofft die Chance zu bieten, alle Fehlentwicklungen von der Reformation über die Aufklärung bis hin zum weltanschaulich indifferenten, liberalen Staat zu korrigieren.“ (S. 315)

Neben dieser inhaltlichen Koinzidenz konstatiert Besier andererseits aber auch eine je nach konkreter Ausprägung des jeweiligen faschistischen Systems mehr oder weniger starke Konkurrenz. Dem Konzept eines „katholischen Totalitarismus“1 der die uneingeschränkte Herrschaft über die Familie und ihre Moral- und Wertvorstellungen beanspruchte, standen die totalitären Ansprüche der faschistischen Systeme gegenüber, die ebenfalls sittlich-ethische Forderungen an die Individuen stellten, die mit denen der Kirche – wie sich vor allem beim Nationalsozialismus zeigte – kaum zu harmonieren vermochten. Dennoch waren laut Besier Pius XI. und sein Staatssekretär Pacelli überzeugt, das katholische Programm in den autoritären Staaten Europas durchsetzen zu können. Der Kardinalfehler des Vatikans und insbesondere Pacellis hätte dabei darin bestanden, trotz intimer Kenntnisse Deutschlands die dortigen Verhältnisse zu sehr durch die italienische Brille wahrzunehmen, sprich: Die radikalen Kräfte des Nationalsozialismus wurden bei weitem unterschätzt und lediglich einer Minderheit in der Partei zugeschrieben, von der man glaubte, dass sie sich langfristig kaum durchzusetzen vermöge. Dies – so muss Besier relativierend nachgeschoben werden – wäre freilich eine außenpolitische Fehleinschätzung, die der Vatikan mit sämtlichen Staaten des demokratischen Europas gemein gehabt hätte.

Im Gegensatz zu anderen politisch handelnden Gemeinwesen wird der Vatikan jedoch nicht primär als Staatswesen, sondern als moralische Institution gesehen, die Wertmaßstäbe ausgibt, mit denen sie sich auch selbst messen lassen muss. Dieses Ergebnis fällt bei Besier kaum zugunsten der Nachfolger Petri aus. Der Vatikan konnte der nationalsozialistischen Weltanschauung inhaltlich nichts abgewinnen und stand ihr teilweise scharf ablehnend gegenüber, gleichwohl habe er – so Besier – den Nationalsozialismus wie die anderen faschistischen Systeme Europas zur Durchsetzung eigener weltanschaulicher Interessen benützen wollen. Dies sei im Falle Hitler-Deutschlands jedoch fundamental gescheitert und mündete in einer Katastrophe. Bemerkenswert erscheint in der Tat, dass das außerordentlich hohe Analysepotential der vatikanischen Experten, wie es in den nicht erst bei Besier breit dargestellten Studien des Hl. Offiziums zur NS-Weltanschauung, ihrem Rassismus und Antisemitismus deutlich wird, nicht in konkretem außenpolitischen Handeln mündete. Besier konstatiert: „Eine innere Verbindung zwischen theologischer Reflexion und politischer Aktion ist nicht feststellbar […] Glaube und Macht, in einer Institution gebündelt, fallen im praktischen Handlungsvollzug auseinander.“ (S. 317) Dies ist jedoch freilich ein Urteil, das wenig neu und auch wenig überraschend ist. Genauso wenig überraschend war es freilich zugleich, dass sich innerhalb des katholisch geprägten akademischen Milieus alsbald zum Teil energischer Protest gegen Besiers Thesen regte – die seit Rolf Hochhuths theatralisch belanglosem Werk „Der Stellvertreter“ eingeübten Reflexe der Gegnerbekämpfung funktionieren offenbar immer noch.

Als Resümee bleibt festzuhalten, dass Besiers Buch einen guten quellenbasierten Überblick zur vatikanischen Außenpolitik dieser Zeit zu bieten vermag, zugleich aber kaum mit spektakulären Neuigkeiten in der Sache aufweist, was auch der Quellenlage geschuldet ist. Denn wahrhaft Spektakuläres und das bisherige Geschichtsbild umwerfendes – darin sind sich die Forscher weitgehend einig – enthalten die vor kurzem zugänglich gemachten vatikanischen Archivbestände zu Deutschland aus dem Pontifikat Pius XI. nicht.

Gleichwohl vermochten andere Forscher den entsprechenden Akten durch akribische Forschungsarbeit durchaus mehr Facetten zu entlocken, als man bei Besier finden kann, der konsequent seinen spezifischen Totalitarismusthesen folgt, die selbst wohl nur bedingt Bestand haben werden. So hat kürzlich etwa der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf aus den selben Quellen bemerkenswerte Details zur Vorgeschichte der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ (1937) ans Licht gebracht. Er konnte dabei unter anderem überzeugend nachweisen, dass eine direkte Linie zwischen dem Mitte der 1930er-Jahre geplanten Syllabus gegen den Rassismus und dieser Enzyklika gezogen werden kann 2, wohingegen Besier beide als singuläre Erscheinungen betrachtete und bewertete. Solche nur dem Laien auf den ersten Blick vernachlässigbar erscheinenden Details sind freilich für die Gesamteinschätzung nicht unwesentlich. Wolf, der im Gegensatz zu Besier auf Details und Nuancen viel Wert legt, gelangte dann auch hinsichtlich der möglichen Motive der vatikanischen Akteure zu einem differenzierteren Gesamtbild. Zwar kommt auch er zu dem Schluss, dass der ausgebildete Diplomat Pacelli seinem Grundsatz der Überparteilichkeit getreu lieber schwieg – selbst wenn dies auf Kosten der moralischen Autorität der Kirche ging – benennt jedoch auch mögliche Motivlagen jenseits von Politik und Ideologie: „Was während des Kulturkampfes in Deutschland passiert war, dass Menschen ohne die Hl. Sakramente bleiben mussten und daher ihr ewiges Seelenheil in Gefahr geriet, durfte nie mehr geschehen. Um das zu erreichen, sah man sich wohl gezwungen, auch bei der lehramtlichen Beschäftigung mit dem Rassismus Rücksicht zu nehmen.“3 Aus heutiger Sicht und Kenntnis des weiteren Verlaufs der Geschichte würde man wohl die Prioritäten anders setzen.

Anmerkungen:
1 In der Forschung strittig ist die Frage, ob Pius XI. in einer Audienz Anfang Februar 1932 tatsächlich zu Mussolini gesagt haben soll, in Abgrenzung zum faschistischen Totalitarismus, für den allein der Staat zuständig wäre, sei die Kirche im Rahmen des „katholischen Totalitarismus“ allein für das Seelenheil zuständig, vgl. Besier, S. 162f.
2 Wolf, Hubert, Pius XI. und die Zeitirrtümer. Die Initiativen der römischen Inquisition gegen Rassismus und Nationalismus, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 53 (2005), S. 1-43.
3 Ebenda, S. 43.

Der Rezensent ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Erzbischöflichen Ordinariat München. Diese Rezension spiegelt seine private Auffassung wider und ist keine öffentliche Stellungnahme des Erzbischöflichen Ordinariats München.

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