Cover
Titel
Bringing the War Home. The Weather Underground, the Red Army Faction, and Revolutionary Violence in the Sixties and Seventies


Autor(en)
Varon, Jeremy
Erschienen
Anzahl Seiten
394 S.
Preis
$ 21.95
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Klaus Weinhauer, Universität Bielefeld Faultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theolgie, Abt. Geschichte

Die Rote Armee Fraktion (RAF) ist inzwischen ein Gegenstand öffentlichen Nachdenkens über die 1970er Jahre. Zumeist geschieht dies jedoch in Filmen, Autobiographien, Romanen oder wie derzeit in Ausstellungen. Wissenschaftliche Publikationen sind eher selten; geschichtswissenschaftliche Arbeiten fehlen fast vollständig. Diesem Defizit hat Jeremy Varon nun erfolgreich entgegengewirkt, indem er die Geschichte der RAF und die ihres US-amerikanischen Pendants, der Weathermen, gegenüberstellt. Beide Gruppen entstanden 1969/70 und rekrutierten sich zumeist aus bildungsbürgerlichen Schichten. Seine Studie unterscheidet sich wohltuend von Arbeiten, die die militanten Aktivistinnen und Aktivisten als pathologische Fälle oder familiär geschädigte Wirrköpfe darstellen, denen es nicht um Politik ging. Vielmehr ist Varon bemüht, die Rationalität der Aktionen von RAF und Weathermen aufzuzeigen, deren Mitglieder eine radikal andere und bessere Welt anstrebten. Varon verwendet die abqualifizierenden Begriffe „Terrorismus“ bzw. „Terroristen“ sehr umsichtig. Die Studie integriert Anstöße von Herbert Marcuse, aber auch psychoanalytische Erklärungsansätze, wobei nicht Individuen, sondern kollektive Prozesse im Zentrum stehen. Quellengrundlage für die Geschichte der Weathermen bilden selbstgeführte Interviews, für die RAF sind es leider nur die oft benutzten schriftlichen Materialien (u.a. aus dem APO-Archiv Berlin sowie die RAF-Texte).

Mit Blick auf den Internationalismus der Neuen Linken verdeutlicht Varon, dass sich Phasen des dynamischen Zusammenspiels nationaler Entwicklungen, globaler Ideen und Bewegungen abwechselten mit Zeiten, in denen linke Bewegungen nur von nationalen Faktoren beeinflusst wurden, wie dies seit den frühen 1970er Jahren der Fall war. Leider wird dieses interessante Zusammenwirken nationaler, internationaler und globaler Entwicklungen nicht weiter systematisch analysiert. Darüber hinaus arbeitet Varon einleitend wichtige Faktoren heraus, die den „dizzying sense of possibility“ (S. 8) in der Neuen Linken der späten 1960er Jahre widerspiegelten: Nicht nur Antiimperialismus, Opposition gegen den Vietnamkrieg und Ideen der Befreiungsbewegungen der Dritten Welt, sondern auch Revolutionshoffnungen waren weit verbreitet; der bewaffnete Kampf sollte bei der Formung neuer, revolutionärer Subjekte helfen; die Macht und Einheitlichkeit des kaum näher definierten Imperialismus, aber auch die Durchschlagskraft der vielen Befreiungsbewegungen wurden ebenso überschätzt wie der eigene gesellschaftliche Rückhalt.

Im ersten Kapitel („Agents of Necessity“) analysiert Varon sowohl für die RAF als auch für die Weathermen die allmähliche Entwicklung hin zum bewaffneten Kampf. Neben den Protesterfahrungen in der Opposition gegen den Vietnamkrieg sowie den Debatten über Gewaltanwendung und Revolution wirkten die Konflikte mit Staat und Gesellschaft radikalisierend, was in der bundesdeutschen Linken durch den fast allgegenwärtigen Bezug auf die NS-Vergangenheit noch verstärkt wurde. In den folgenden drei Kapiteln stehen die Weathermen im Vordergrund. Zunächst blickt Varon unter der Überschrift „The Importance of Being Militant“ auf die Gewalterfahrungen während der von den Militanten stark überschätzten „Days of Rage“ in Chicago (Oktober 1969). Er betont jedoch, Gewalt sei niemals ein Ziel an sich, sondern Mittel zum Zweck gewesen, die Revolution herbeizuführen (S. 102). Kapitel 3 („Hearts and Minds“) schildert die Aktionen der militanten und der friedlichen Flügel der US-Antikriegsbewegung. Die militanten und die gemäßigten Flügel verfolgten mit ihren Protesten unterschiedliche Ansätze, um den „Krieg nach Hause zu tragen“ (bringing the war home). Im Kern ging es um die Frage: kämpfte man für oder gegen die US-Bevölkerung? Im vierten Kapitel („The Excesses and Limits of Revolutionary Violence“) skizziert Varon, wie die Weathermen ihre „politics of transgression“ (S. 151) von Straßenkämpfen zu Bombenanschlägen weiter vorantrieben. Im Zentrum stehen der ‚War Council’ der Weathermen in Flint (Michigan), wo sie im Dezember 1969 ihre Pläne, in den Untergrund zu gehen, öffentlich diskutierten. Zudem geht es um die Hausexplosion in New York am 6. März 1970, als sich ein Weathermen-Kollektiv beim Bombenbauen unbeabsichtigt in die Luft sprengte und es in den eigenen Reihen drei Tote gab.

Die letzten beiden Kapitel sind der RAF gewidmet. Im Abschnitt „Deadly Abstraction“ geht es um die Debatten um Gewaltanwendung, um den Rückhalt in der Bevölkerung und in der Linken, um die Auswirkungen der Inhaftierung auf die RAF-Gefangenen und auf die Politik der RAF sowie erneut um die Bedeutung der NS-Vergangenheit. Die Konfrontationen mit der Polizei verhärteten den Konflikt mit dem bundesdeutschen Staat. Seit der Maioffensive von 1972 lehnte die Linke, die RAF nun nahezu einheitlich ab. Im Kampf gegen die Haftbedingungen verlor die RAF den Imperialismus als Gegner aus dem Auge. Im Gefängnis verengte sich dann die Weltsicht der Inhaftierten noch mehr als schon zuvor im Untergrund. Grundsätzlich schien den militanten Aktivisten der Faschismus allgegenwärtig. In Kapitel sechs (‚Democratic Intolererance’) wird die Bekämpfung der RAF durch den bundesdeutschen Staat geschildert und diskutiert, warum letzterer so hart und unnachgiebig auf die zahlenmäßig kleine und auch in ihren Mitteln begrenzte RAF reagierte. Varon führt dies vor allem auf zwei Ursachen zurück. Zum einen sollte, orientiert an einem autoritären Staatsverständnis, das Gewaltmonopol des Staates unbedingt verteidigt werden. In den USA sah dies anders aus: hier gefährdete die Militanz der Weathermen vielleicht zeitweise den sozialen Frieden, aber nicht die Legitimität des Staates. Zum anderen verschärften die Nachwirkungen der NS-Vergangenheit die staatlichen Reaktionen auf die RAF. Es bestand ein „compensatory antifacism“, der gegen ein Ersatzobjekt gerichtet war. Die mit Blick auf den Untergang der Weimarer Republik sowie den Aufstieg des Nationalsozialismus getroffenen harten staatlichen Maßnahmen förderten auf Seiten der studentischen Aktivisten wiederum die Furcht, der Antiterrorismus könne die Bundesrepublik zum autoritären Polizeistaat werden lassen.

Varons Studie verdeutlicht, dass terroristische Gewaltanwendung nicht nur auf Länder mit faschistischer Vergangenheit beschränkt ist. Zudem wird die unterschiedliche Haltung zum politischen Mord deutlich: Auch die Weathermen wollten mit ihren Anschlägen Grenzen überschreiten und schockieren. Sie reflektierten deren Wirkungen jedoch weit intensiver als dies bei der RAF der Fall war: „they made the conscious decision not to be killers“ (S. 13). Demgegenüber trug die Militanz der RAF weit abstraktere Züge, war selbstreferentieller und hielt länger an. Seit Mitte der 1970er waren die RAF-Aktionen fast zum Privatkrieg gegen staatliche Sicherheitseinrichtungen geworden. Darüber hinaus wird der Einfluss der NS-Vergangenheit auf die Entwicklung des Terrorismus, aber auch auf staatliche Reaktionen mehr als deutlich. Varon resümiert, der bundesdeutsche Terrorismus und seine Bekämpfung waren „a tortured form of Vergangenheitsbewältigung – symptom of Germany’s difficulty in confronting and working through its Nazi past“ (S. 15).

Vor allem die Kapitel zu den Weathermen können – nicht zuletzt durch das Interviewmaterial - analytisch überzeugen. Zwar ist Varons Studie auch unter den aktuellen Büchern zur RAF die mit Abstand differenzierteste. Jedoch findet man viele Erkenntnisse schon in den sozialwissenschaftlichen Studien der 1980er Jahre. Damals sind auch bereits vergleichende Untersuchungen durchgeführt worden 1. Anscheinend ist dieses fundierte Wissen in Vergessenheit geraten. Auch sollte man zumindest fragen, wie lange die NS-Vergangenheit die militanten Aktivisten, aber auch Staat und Gesellschaft in der Bundesrepublik so massiv beeinflusste. Wie ein Blick auf zeitgenössische Debatten zeigt, bestimmte nach 1977 zumindest in Teilen der Gesellschaft nicht mehr vorrangig die Wiederkehr des Faschismus das Denken und Handeln. Vielmehr ging es um die Bekämpfung des computergestützten Überwachungsstaats Orwellscher Prägung unter dem Stichwort ‚1984’. Grundsätzlich wird der derzeitige stagnierende Erkenntnisfortschritt in der Terrorismusforschung durch zwei Sachverhalte unterstützt. Zum einen wird immer wieder ein zu enger Quellenkorpus benutzt, weder zeitgenössische Pressematerialien systematisch ausgewertet noch die inzwischen durchaus vorhandenen staatlichen Akten. Zweitens fehlt eine breitere Einbettung der Geschichte der RAF und anderer militanter Organisationen in die Geschichte der 1960/70er Jahre, etwa in Form einer Sozial- und Kulturgeschichte der Inneren Sicherheit 2.

1 Vgl. Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Analysen zum Terrorismus, 4 Bde., Opladen 1981ff.; Henner Hess u.a., Angriff auf das Herz des Staates. Soziale Entwicklung und Terrorismus, Frankfurt/M. 1988; ferner Peter Waldmann, Terrorismus. Provokationen der Macht, München 1998.

2 Ansätze bei: Klaus Weinhauer, Terrorismus in der Bundesrepublik der Siebziger Jahre, in: Archiv für Sozialgeschichte 44 (2004), S. 219-242; vgl. auch Michael Sturm, „Dazwischen gibt es nichts“. „Bewaffneter Kampf“ und Terrorismusbekämpfung in der Bundesrepublik am Beginn der 1970er Jahre, in: Sozialwissenschaftliche Informationen 32 (2003), S. 47-59.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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