H. Sarkowicz (Hg.): Hitlers Künstler

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Titel
Hitlers Künstler. Die Kultur im Dienst des Nationalsozialismus


Herausgeber
Sarkowicz, Hans
Erschienen
Frankfurt am Main 2004: Insel Verlag
Anzahl Seiten
453 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Waltraud Sennebogen, Institut für Geschichte, Universität Regensburg

Das Verhältnis von Kunst und Macht im Nationalsozialismus stößt in Forschung und Öffentlichkeit auf großes Interesse. Filme wie „Taking Sides – Der Fall Furtwängler“ 1 oder die zahlreichen Nachrufe anlässlich des Todes der „unpolitischen“ Regisseurin Leni Riefenstahl 2 veranschaulichen dies. Vor kurzem widmete der Hessische Rundfunk dem Thema eine eigene Hörfunkreihe. Hans Sarkowicz, der Leiter des Programmbereichs Kultur und Hörspiel, zeichnet als Herausgeber des dazu erschienenen Sammelbandes „Hitlers Künstler. Die Kultur im Dienste des Nationalsozialismus“ verantwortlich. Es ist Sarkowicz gelungen, namhafte Beiträger zu akquirieren – Beiträgerinnen allerdings sucht man vergeblich. Damit wäre zugleich eines der wenigen Defizite dieses Sammelbandes benannt.

Ziel des Buches ist nicht, „die nationalsozialistische Kulturbürokratie mit allen ihren Verästelungen dar[zu]stellen, sondern die Personen, die das kulturelle Leben in der NS-Zeit bestimmt hatten“ (S. 12). Der Sammelband will zugleich „immer auch eine geraffte Geschichte der jeweiligen Kunstgattung in der NS-Zeit bieten“ (S. 12f.). Der biografische Zugang erleichtert gerade dem interessierten Laien, an den sich dieses Buch nicht zuletzt wendet, die Lektüre. Aus demselben Grund wurde zu Gunsten von Anmerkungen am Ende des Buches auf Fußnoten verzichtet. Den stärker wissenschaftlich orientierten Leser entschädigen ein gutes sowie ein ausführliches Personenregister für das viele Blättern.

Die ersten drei Beiträge des Bandes geben einen allgemeinen Überblick über die Rolle der Kunst im „Dritten Reich“: Wolfgang Benz eröffnet mit „Hitlers Künstler. Zur Rolle der Propaganda im nationalsozialistischen Staat“ (S. 14-39). Er schildert den Zugriff des Regimes auf die Kunst über das Propagandaministerium ebenso wie die zumeist „willige Unterwerfung“ (S. 22) der Kulturschaffenden. Stärker institutionsgeschichtlich orientiert ist dagegen Jan-Pieter Barbians „Die Beherrschung der Musen. Kulturpolitik im ‚Dritten Reich’“ (S. 40-74). Barbian bietet einen Überblick über die „Gleichschaltung“ des Kultur- und Geisteslebens (S. 43ff.) und berücksichtigt dabei auch den Kampf um Zuständigkeiten zwischen Rosenbergs „Kampfbund für deutsche Kultur“ und Goebbels’ Propagandaministerium, den letzteres bald für sich entscheiden konnte. Die Verdrängung der Juden aus dem deutschen Kulturleben und die Begrenzung der Freiräume in der immer stärker zum „Medium der Propaganda und Repräsentation des NS-Staates“ (S. 68) werdenden Kultur bilden weitere Schwerpunkte.

Mit seiner Detailstudie „Künstler als Funktionäre. Das Propagandaministerium und die Reichskulturkammer“ rundet Volker Dahm diesen Teil des Sammelbandes ab (S. 75-109). Neben „nationalsozialistischen Aktivisten und konservativen bis nationalsozialistischen Ministerialbeamten“ (S. 81) gab es auch Künstler in den Kammerführungen. Doch allzu erfolgreich gestaltete sich die Zusammenarbeit mit ihnen nicht. Im Herbst 1935 war von den „vier Künstler-Präsidenten der ersten Stunde“ nur noch einer im Amt und auch dieser musste bald darauf seinen Stuhl räumen.

Die folgenden acht Beiträge widmen sich einzelnen Bereichen der Kunst im „Dritten Reich“: Dieter Bartetzko untersucht die NS-Architekten und ihre „Obsessionen aus Stein“ (S. 110-134). Die „Kernbotschaft aller Staatsbauten“ sei „Todessucht“ gewesen (S. 125). Bartetzko lässt das gesamte Personal und einzelne Phasen der NS-Architektur Revue passieren und verweist auf bis in die Nachkriegszeit reichende personelle Kontinuitäten.

Anschließend folgt Felix Moellers Beitrag „’Ich bin Künstler und sonst nichts’. Filmstars im Propagandaeinsatz“ (S. 135-175). Nach einem Überblick über das Filmwesen in NS-Deutschland sowie die gängigsten Ausreden deutscher Filmstars nach 1945, dekliniert er anhand von sechs Fallbeispielen das „Unpolitisch-Sein“ dieser Künstler durch (Luis Trenker, Veit Harlan, Wolfgang Liebeneiner, Leni Riefenstahl, Emil Jannings und Zarah Leander). Moeller kann die Glaubwürdigkeit dieses „Unpolitisch-Seins“ in jedem Fall erschüttern. Den „Schriftsteller[n] im Dienst der NS-Diktatur“ widmet sich der Herausgeber selbst (S. 176-209). Angesichts des dürftigen Niveaus der literarischen Produktion im „Dritten Reich“, das Dichter an die Spitze der Akademien und Verbände brachte, „die zum überwiegenden Teil sonst nie eine Chance gehabt hätten“ (S. 177), waren nach 1945 „die meisten dieser Autoren schnell vergessen“ (S. 207). Kaum einer der in NS-Deutschland Verbliebenen glaubte nach 1933 „auf Konzessionen und Kompromisse verzichten zu können“ (S. 198) – auch jene literarischen Debütanten nicht, die später bekannt werden sollten, wie Günter Eich oder Marie Luise Kaschnitz. So steht am Ende eine durchaus provokante These: „Bis in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurde das literarische Leben in der Bundesrepublik maßgeblich von Autoren geprägt, die schon vor 1945 [...] mit dem Schreiben begonnen hatten.“ (S. 209)

Im Anschluss betrachtet Henning Rischbieter das „Theater in der Nazizeit“ (S. 212-244). Nach der Darstellung der „Säuberung“ des Theaterwesens liegt ein erster Schwerpunkt auf dem Scheitern des nationalsozialistischen „Thingspiels“ (S. 219-225). Den zweiten Schwerpunkt bildet eine kenntnisreiche Schilderung der Verhältnisse in der „Theatermetropole Berlin“ (S. 225-243). Deren große Häuser und ihre Intendanten (Staatstheater/Gründgens, Deutsches Theater/Hilpert, Schiller-Theater/George und Volksbühne/Klöpfer) „repräsentieren die vier wichtigsten Schauspielbühnen des Nazi-Reiches und vier unterschiedliche Anpassungsformen an dieses Reich und dessen letztlich unnachgiebige kulturideologische Vorgaben“ (S. 227). Willig unterworfen haben sich auch andere, lässt Joachim Petschs „’Unersetzliche Künstler’. Malerei und Plastik im ‚Dritten Reich’“ (S. 245-277) vermuten. Petsch präsentiert eine knappe Gliederung der NS-Kunst: Eine erste Phase (1933-1935/36) war geprägt von einer „Rückkehr zur traditionellen Gattungsmalerei und zur figurativen Plastik“ (S. 246). Die Kunst der zweiten Phase (1936-1940) sollte „das rassisch begründete Schönheitsideal zur Anschauung“ bringen. In der letzten Phase (1940-1944) gab es „keine stilistische Entwicklung“ mehr, sondern „eine prozentuale Verschiebung innerhalb der Gattungen“. Pietsch charakterisiert die Kunstpraxis im „Dritten Reich“ als „höfische[n] Kulturbetrieb“ (S. 267-277).

Der Beitrag Heiner Boehnckes „Von ‚stillen’ und ‚lauten’ Formen. Design im Nationalsozialismus“ thematisiert ein erst in jüngerer Zeit näher erforschtes Feld. Boehncke schreibt sowohl über das Design alltäglicher Dinge wie des Volksempfängers, einzelner Stühle oder ganzer Kantineneinrichtungen als auch über das „Design der Macht“ (S. 292), das den einzelnen als Ornament zum „Teil des Volkskörpers“ (S. 293) reduzierte.

Danach entwirft Hans-Werner Heister ein Kaleidoskop der Musikwelt des „Dritten Reichs“ (S. 312-345). Das vieldiskutierte Verhältnis zwischen Furtwängler und Karajan kommt darin ebenso zur Sprache wie der Kampf der Nationalsozialisten gegen die „entartete Musik“. Auch die Auslandseinsätze deutscher Musiker zur „Truppenbetreuung“, die Rolle der Musik bei der „Sakralisierung“ des Regimes und der demaskierende Umgang damit („Horst-Dussel-Lied“) werden erwähnt.

Den Sammelband rundet Volker Kühns Beitrag „Der Kompass pendelt sich ein. Unterhaltung und Kabarett im „Dritten Reich“ (S. 346-391) ab. Die Künstler der Unterhaltungsbranche, deren Aufgabe es nicht zuletzt war, auch Hitler und Goebbels persönlich zu amüsieren, sollten ausschließlich positive Stimmung verbreiten. Ihre Rolle war klar definiert und diente einem einzigen Zweck: „Komödianten und Kabarettisten, Schlagersänger und Stimmungskanonen – sie alle taten das ihre, um vor der industriell betriebenen Mordmaschine eine Glitzerkulisse zu errichten, eine Fassade schönen Scheins, hinter der sich die Barbarei in bisher unvorstellbarer Weise umso hemmungsloser austoben konnte.“ (S. 391)

Insgesamt revolutioniert dieser Sammelband die Forschung sicherlich nicht. Manche seiner scheinbar gewagten Thesen sind de facto breiter Konsens. Thematisch gesehen beschränkt das Buch sich weitgehend auf die „Hochkultur“. Aspekte der Populärkultur kommen daher etwas zu kurz. Gerade zu dieser Überschaubarkeit steht jedoch der Herausgeber: „Eine Kulturgeschichte der NS-Zeit ist noch nicht geschrieben worden, und sie wird auch nicht einfach zu schreiben sein.“ (S. 12) Den Autoren dieses Bandes ging es darum, einer breiten Zielgruppe einen lesenswerten Einblick in das kulturelle Leben in NS-Deutschland zu geben. Das ist ihnen mit diesem Sammelband, der für Studierende allemal auch zum wissenschaftlichen Einstieg in das Thema geeignet ist, gelungen. Das Fazit Volker Dahms, das ebenso als Zusammenfassung aller Beiträge gelten kann, dürfte sich vielen einprägen: „Zu allen Zeiten und allenthalben haben Künstler mit Diktaturen paktiert und von ihnen gelebt.“ (S. 109)

Anmerkungen:
1 Der Film mit Stellan Skarsgård und Harvey Keitel in den Hauptrollen basiert auf einem Theaterstück von Ronald Harwood, vgl. Harwood, Ronald, Collected Plays, Bd. 2, London 1995.
2 Dazu zwei der frei zugänglichen Nachrufe im Netz: Jessen, Jens, Triumph des Willens über das Gewissen. Zum Tode der Filmkünstlerin Leni Riefenstahl, die den Nazis ihr Genie geschenkt hat, in: Die Zeit 38 vom 11. September 2003, online unter: http://www.zeit.de/2003/38/Riefenstahl; sowie Rother, Rainer, Die Unberührbare. Die Regisseurin Leni Riefenstahl ist im Alter von 101 Jahren gestorben - ein Nachruf, in: Berliner Zeitung vom 10. September 2003, online unter: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2003/0910/blickpunkt/0001/ [Zugriff jeweils am 24. Februar 2005].

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