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Titel
Antitrust auf deutsch. Der Einfluß der amerikanischen Alliierten auf das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) nach 1945


Autor(en)
Murach-Brand, Lisa
Reihe
Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 43
Erschienen
Tübingen 2004: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
403 S.
Preis
€ 84,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Arndt Christiansen, FB Wirtschaftswissenschaften, Abteilung Wirtschaftspolitik, Philipps-Universität Marburg

In ihrer jüngst erschienenen (juristischen) Dissertation widmet sich Lisa Murach-Brand der Entstehungsgeschichte des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) von 1958, und zwar insbesondere des US-amerikanischen Einflusses darauf. Ihr besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Frage der deutschen Souveränität und dem Beitrag einzelner „Menschen und Mächte“ (S. 1). Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die deutsche Wettbewerbsgesetzgebung in erster Linie dem Druck der Amerikaner zu verdanken sei, obgleich ihr konkreter Inhalt das „Ergebnis eines [...] Konfliktes zwischen amerikanischen, deutsch-traditionellen, europäischen und ordoliberalen Einflüssen, Interessen und Grundsätzen“ sei (S. 180).

Dazu werden im ersten Kapitel die US-amerikanische Antitrust-Tradition und die Planungen für die Besatzungspolitik behandelt. Besonders bedeutsam erscheint hierbei die Verknüpfung von Kartellierung und Kriegsvorbereitung in NS-Deutschland durch die amerikanische Seite. Im folgenden Kapitel widmet sich Murach-Brand der alliierten Kartellpolitik in der ersten Nachkriegszeit, die im amerikanischen Militärgesetz Nr. 56 und der gleichlautenden britischen Verordnung Nr. 78 vom Februar 1947 mündete. Deren Ausarbeitung erfolgte ohne deutsche Beteiligung. Insbesondere die harten Entflechtungsvorschriften machen ihren Strafcharakter deutlich. Die folgenden drei Kapitel analysieren dann die Neuorientierung im Zuge des sich anbahnenden Ost-West-Konflikts, die zur deutschen Beteiligung an der Umsetzung der Militärgesetze und schließlich zur Ermächtigung führte, ein eigenes „Gesetz gegen Handelsmißbräuche“ auszuarbeiten, die amerikanische Politik unter Hochkommissar McCloy und die Verhandlungen um die insgesamt 14 (!) deutschen Gesetzesentwürfe aus den Jahren 1949 bis 1951 sowie die Anfänge supranationaler europäischer Wettbewerbspolitik in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und die deutsch-französischen Verhandlungen ein. Das sechste und letzte Kapitel beschreibt schließlich, warum es trotzdem (fast) sechs weitere Jahre bis zum Inkrafttreten des GWB dauerte. Entscheidend hierfür waren der Widerstand der zunehmend selbstbewussteren deutschen Industrie und bestimmter Bundesministerien sowie die Uneinigkeit innerhalb der Regierungsfraktionen, die zu zahlreichen Ausnahmeregelungen im neuen Gesetz führten.

Da diese vielen Einzelaspekte des Buches ohnehin unmöglich alle angesprochen werden können, soll stattdessen seine Kernthese im größeren Zusammenhang mit der internationalen Verbreitung des US-amerikanischen „Antitrust“ nach dem Zweiten Weltkrieg diskutiert werden. Als Hintergrund dazu ist die Kenntnis der vorherigen rechtlichen Behandlung von Kartellen hilfreich, insbesondere in Deutschland. Die Autorin selbst widmet dem rund 5 Seiten (S. 21ff.) und folgt dabei weitgehend der üblichen Darstellung, der zufolge es vor dem GWB keine effektive deutsche Wettbewerbspolitik gab.1 Als richtungsweisend wird hierfür das Reichsgerichtsurteil vom 4.2.1897 angesehen, in dem ein Kartellvertrag der sächsischen Holzstofffabrikanten als vereinbar mit der Gewerbefreiheit und daher für rechtswirksam erklärt worden war.2 Als Folge dieses Urteil und der darin zum Ausdruck kommenden wohlwollenden Beurteilung von Kartellen als Instrument zur privatrechtlichen „Ordnung“ des Wirtschaftsgeschehens und insbesondere zur Vermeidung „ruinösen“ Wettbewerbs verzeichnete Deutschland eine stetig zunehmende Zahl von wettbewerbsbeschränkenden Absprachen und wurde das klassische „Land der Kartelle“. Daran änderte auch die 1923 erlassene „Verordnung gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen“, die so genannte Kartellverordnung, nichts, weil auch sie die privatrechtliche Gültigkeit von wettbewerbsbeschränkenden Verträgen grundsätzlich unangetastet ließ. Vorgesehen war lediglich eine Missbrauchsaufsicht, wobei dem Wirtschaftsministerium in jedem Einzelfall der Nachweis der „volkswirtschaftlichen Schädlichkeit“ oblag. Der Kartellierungsprozess konnte damit nicht eingedämmt werden und erreichte Ende der 1920er-Jahre seinen Höhepunkt mit etwa 3.000 Kartellen. Daran schlossen sich während des Nationalsozialismus die Zwangskartellierung und schließlich die zentralistische Kriegswirtschaft an.

Vor diesem Hintergrund müssen die Regelungen des GWB als radikale Neuerungen erscheinen. Erstmals wurden wettbewerbsbeschränkende Absprachen zwischen Unternehmen grundsätzlich verboten. Zugleich wurde die Möglichkeit geschaffen, marktbeherrschenden Unternehmen den Missbrauch ihrer Stellung zu untersagen. Schließlich wurden Unternehmenszusammenschlüsse ab 20 Prozent Marktanteil anzeigepflichtig gemacht und mit dem Bundeskartellamt eine unabhängige Wettbewerbsbehörde mit weit reichenden Befugnissen geschaffen, die zur effektiven Durchsetzung dieser Regelungen in der Lage war. Diese Punkte finden in der geschilderten deutschen Tradition als „Land der Kartelle“ keinerlei Entsprechung. Daher liegt es nahe, diese „wettbewerbspolitische Erfolgsstory“ auf den US-amerikanischen Einfluss zurückzuführen. Dieser Einfluss beschränkte sich dabei nicht nur auf Deutschland: Zu einem „nicht unerheblichen Anteil“ ist auch die Einflussnahme der USA an der britischen Wettbewerbsgesetzgebung auszumachen (S. 52; 165-169). „Die gemeinsame europäische Kartellpolitik war nunmehr eine Politik im Sinne der USA geworden.“ (S. 178)

Murach-Brand schließt sich damit der Argumentation an, die internationale Verbreitung des Wettbewerbsrechts nach 1945 sei - wenn schon nicht ausschließlich, so doch in entscheidender Weise - US-amerikanischem Druck zu verdanken.3 Dies greift allerdings gerade für Deutschland zu kurz und übersieht die übrigen Wurzeln der späteren „Erfolgsstory“ GWB.4 Hier kann nur kurz auf die Beratungen des Reichstags in den 1890er-Jahren zu einem Kartellverbot im BGB als Verstoß gegen die „öffentliche Ordnung“ sowie zu einem unabhängigen Kartellamt Mitte der 1920er-Jahre hingewiesen werden. Außerdem sind das gängige gerichtliche Vorgehen gegen Wettbewerbsbeschränkungen als „sittenwidrig“ sowie die deutlich restriktivere „Kartell-Notverordnung“ von 1930 anzuführen. Schließlich ist aus der (Wirtschafts-)Wissenschaft an die groß angelegte Kartell-Enquete von 1902 bis 1905, v.a. aber an das Eintreten der Ordoliberalen um Böhm und Eucken für eine Wettbewerbsordnung zu erinnern. Lediglich diesen letzten Punkt würdigt auch Murach-Brand (S. 101-112). Alleine damit dürfte es ihr ebenso wie den anderen Anhängern dieses Deutungsmusters schwer fallen, die Frage warum die Wettbewerbspolitik in Deutschland auch lange nach dem Ende der US-amerikanischen Besatzung etabliert blieb und sogar zum Vorbild für die Wettbewerbspolitik der Europäischen Gemeinschaft werden konnte, zu erklären.5 Die einseitige Fokussierung auf den Einfluss der USA, die in der Gesamtanlage begründet liegt, stellt daher den Hauptkritikpunkt an der Arbeit von Murach-Brand dar. Darunter leidet die Ausgewogenheit der Analyse.

Trotzdem bleibt das Buch sehr lesenswert. Hilfreich ist die im Anhang abgedruckte (vollständige) Gegenüberstellung verschiedener Entwürfe mit dem schließlich verabschiedeten Gesetzestext (S. 240ff.). Das Werk zeichnet sich zudem durch zahlreiche Verweise und Zitate aus Originaldokumenten wie den Akten der amerikanischen Militärregierung bzw. des Hochkommissariats in Deutschland aus. Auch deshalb ist das Buch für alle lesenswert, die sich für die Geschichte deutscher Wettbewerbspolitik und ihrer nicht immer einfachen Durchsetzung interessieren.

Anmerkungen:
1 So auch Kartte, Wolfgang; Holtschneider, Rainer, Konzeptionelle Ansätze und Anwendungsprinzipien im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen – Zur Geschichte des GWB, in: Cox, Helmut; Jens, Uwe; Markert, Kurt (Hgg.), Handbuch des Wettbewerbs, München 1981, S. 193-223, hier S. 200; Schröter, Harm G., Kartellierung und Dekartellierung 1890-1990, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 81 (1994), S. 457-493.
2 Vgl. dazu Böhm, Franz, Das Reichsgericht und die Kartelle, in: ORDO. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 1 (1948), S. 197-213.
3 Schröter (wie Anm. 1), hier S. 484 und 487; Majone, Giandomenico, Cross-National Sources of Regulatory Policymaking in Europe and the United States, in: Journal of Public Policy 11 (1991), S. 79-106, hier S. 89; zum japanischen “Antimonopoly Act” von 1947 siehe: First, Harry, Antitrust in Japan. The Original Intent, in: Pacific Rim Law & Policy Journal 9 (2000), S. 1-71.
4 Vgl. Gerber, David, Law and Competition in twentieth century Europe. Protecting Prometheus, Oxford 1998, hier S. 115-147; Lammel, Siegbert, Das Verbot der Kartelle durch § 138 – eine verpaßte Gelegenheit?, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 9 (1987), S. 51-71; Ortwein, Edmund, Das Bundeskartellamt, Baden-Baden 1998, hier S. 50-57.
5 Vgl. Gerber (wie Anm. 4), hier S. 329-391.

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