I. Asmus u.a. (Hgg.), Gemeinsame Bekannte

Cover
Titel
Gemeinsame Bekannte. Schweden und Deutschland in der Frühen Neuzeit


Autor(en)
Asmus, Ivo; Droste, Heiko; Olesen, Jens E.
Erschienen
Münster 2003: LIT Verlag
Anzahl Seiten
445 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Inken Schmidt-Voges, Bremen

Der Begriff „Konjunktur“ hat Konjunktur; zumindest als einleitender Aufhänger für Sammelbände und Rezensionen. Auch die Herausgeber des vorliegenden Bandes verweisen auf die „Konjunktur der Geschichte des Ostseeraums“ (S. 11), wie sie sich in den zahlreichen Forschungseinrichtungen und wissenschaftlichen Konferenzen im letzten Jahrzehnt ausdrückt. Auch von politischer Seite wird immer wieder die Forderung nach einer „Wissensregion Ostsee“ laut, um die Integration und Verdichtung des Raumes auch innerhalb der EU im Wissenschafts- und Bildungsbereich zu institutionalisieren. 1

Auf welchen Grundlagen eine solche aufgebaut werden kann, zeigt der vorliegende Band auf zwei Ebenen: Zum einen versammelt er in 24 Aufsätzen die aktuellen Forschungstendenzen von etablierten Historikern und Nachwuchswissenschaftlern in Universitäten, Bibiliotheken und Archiven aus Schweden, Dänemark und Deutschland, die oftmals in ihren (Wissenschafts-)Biografien die enge Zusammenarbeit dieser Länder widerspiegeln. Zum anderen thematisieren diese Aufsätze gerade diese Verbindungslinien über die Ostsee in zahlreichen Facetten und Ausformungen vom 16. bis 18. Jahrhundert. Die Schnittstelle beider Ebenen kann unschwer in der Person des Stockholmer Reichsarchivars Helmut Backhaus gesehen werden, dem dieses Werk zum 65. Geburtstag gewidmet wurde. Es ist nicht so sehr eine offizielle Festschrift, sondern vielmehr eine Hommage an jenen Wissenschaftler, der in seiner „Doppelrolle als Historiker und Archivar“ nicht nur „wesentlich zur Erforschung der deutsch-schwedischen Geschichte beigetragen“ (S. 12) hat, sondern auch im für diese Geschichte so zentralen Reichsarchiv in Stockholm allen jüngeren Forschern ein Mentor war und ist.

Auch in der Frühen Neuzeit bestimmten Netze und Netzwerke über die Ostsee hinweg, die für Schweden vitale Bedeutung besaßen, das Verhältnis zwischen den beidseitigen Anrainern, von denen hier die Themen „Kulturelle Beziehungen“, „Biografien“, „Die deutschen Provinzen Schwedens“ und schließlich „Krieg und Militär“ bearbeitet werden.

„Kulturelle Beziehungen“ drücken sich in ihrer Vielfalt vor allem am individuellen Beipsiel aus. So verweisen die Untersuchungen Hans-Jürgen Vogtherrs zur Brautwerbung Gustav Wasas um Katharina von Sachsen-Lauenburg durch seinen Lübecker Faktor auf die nicht zu trennende Verbindung zwischen wirtschaftlichen und diplomatischen Aufträgen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Zugleich wird das hohe persönliche Risiko der „Mittelsmänner“ jenseits der Ostsee deutlich, die mit ihrem Kredit für den schwedischen König sowohl in fiskalischer wie auch in politischer Belangen einstehen mussten. Ein ähnliches Bild zeichnet Jan Brunius in seinen Untersuchungen zu den Außenhandelsbeziehungen Herzog Karls von Södermanland, des späteren Karls IX. anhand der Rechnungsbücher seines Faktors Marcus Meus. Die wesentlich auf dem persönlichen Ansehen der Diplomaten beruhenden politischen Außenbeziehungen untersucht Heiko Droste am Beispiel Johann Adler Salvius‘ in Hamburg für das 17. Jahrhundert. Im Gegensatz zu den bisher im königlichen Umfeld analysierten Beziehungen stellt Simone Giese wesentliche Aspekte ihrer Dissertation zu den Bildungsreisen des schwedischen Adels vor. Sie entwickelt eine qualitative und zeitliche Unterscheidung zwischen den Begriffen der „peregrinatio academica“, der „Kavalierstour“ und der „Grand Tour“, die sie exemplarisch an den Bildungsreisen der Familie Oxenstierna im 16. und 17. Jahrhundert illustriert. Auf ganz andere Weise institutionalisiert sind die kulturellen Beziehungen im Logenwesen des 18. Jahrhunderts in Pommern. Andreas Önnerfors präsentiert hier wesentliche Ergebnisse seiner Dissertation, wobei die argumentative Stringenz mitunter unter der starken Verdichtung und Straffung leidet. Abgeschlossen wird dieser Abschnitt mit der Präsentation einer selbst historisch gewordenen Wissenschaftsdiskussion um die Politik Gustav Adolfs gegenüber dem Reich. Ludwig Biewer untersucht ein von Wilhelm II. bei dem preußischen Staatsarchivar Reinhold Koser bestelltes Gutachten über eine Rede des Uppsalaer Professors Harald Hjärne (1848-1922). Dieser hatte anlässlich der Jahresversammlung der „Deutsch-Schwedischen Vereinigung“ 1913 eine Rede über „Wasa und die Hohenzollern“ gehalten. Der Kaiser konnte ob befürchteter sozialdemokratischer Untertöne beruhigt werden. Der Beitrag von Werner Buchholz zum Fortleben des magischen Bewusstseins in der Lübecker Bistum des Spätmittelalters scheint auf den ersten Blick aus der Reihe zu fallen, ergänzt aber neuere Forschungen zur Volksfrömmigkeit im reformatorischen und konfessionellen Skandinavien. 2

Der Abschnitt „Biografien“ zeichnet das Überschreiten der Ostsee und das Überschneiden kontinentaleuropäischer und skandinavischer Elemente in einzelnen Biografien nach, die sich im Gegensatz zum vorherigen Abschnitt auf das 17. Jahrhundert konzentrieren. Die Wissensnetzwerke sinddurch Nicolaus Andreae Granius vertreten, dessen Wirken an der Universität Helmstedt Arne Losman untersucht hat. Der Lebensweg von Diplomaten wird in einem Aufsatz von Daniel Höffker zum hessischen Gesandten Hermann Wolff anhand dessen Korrespondenz mit dem schwedischen Reichskanzler Axel Oxenstierna beleuchtet. Die enorme Bedeutung der Oxenstierna’schen Korrespondenz und Schriften als Quelle für die Erforschung der Verbindungen zwischen dem Alten Reich und Schweden stellt Sven Lundkvist in einer Präsentation des „Oxenstiernaprojektes“ vor, das nun auch eine Erschließung via Internet ermöglicht. 3Beate-Christine Fiedler beschreibt den wechselvollen Lebensweg Esaias v. Pufendorfs, des Bruders von Samuel, in schwedischen Diensten. Selbst der Adel dehnte seinen Grundbesitz bis in die deutschen Provinzen aus, wie Ivo Asmus anhand der Wrangelschen Besitzungen in Pommern nachweist. Nils Jörn weist auf die vielfältigen Familienbeziehungen am Wismarer Tribunal hin und arbeitet diese in Engführung zur Problemlage am Reichskammergericht heraus. Dabei macht er deutlich, dass die verwandtschaftlichen Beziehungen in der Anfangszeit zur Etablierung und Stabilisierung des Gerichts durchaus ihre Funktion erfüllten. Allerdings erweiterten sie sich in den nachfolgenden Generationen dann zu einem so dichtenNetz, dass im 18. Jahrhundert eine unparteiische Rechtsprechung kaum noch gewährleistet war. Auch Dirk Schleinert behandelt anhand der Geschichte der Familie v. Lepel auf Gut Wieck bei Gützkow exemplarisch die Schwierigkeiten der Grund- und Pfandinhaberrechte in Schwedisch-Pommern nach den hier nur teilweise durchgeführten Güterreduktionen nach 1692.

Aspekte der Geschichte der „deutschen Provinzen Schwedens“ bilden den dritten Abschnitt. Patrick Reslow untersucht die Ursachen der immer wiederkehrenden Konflikte um die Ausübung der schwedischen Jurisdiktionsgewalt in den deutschen Provinzen anhand einer Gegenüberstellung der Rechts- und Politikkultur des auf eine Zentralmacht ausgerichteten politischen Systems Schwedens und des föderal ausgerichteten Systems des Deutschen Reiches. Die Verdichtung der sehr komplexen Thematik auf acht Seiten gerät dabei an einigen Stellen recht kursorisch und die Bezeichnung des reichischen Systems als „medeltida politiska strukturerna“ (S. 279) lässt sich nur damit erklären, dass die Forschung zur Rechts- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches aus den letzten zehn Jahren unberücksichtigt bleibt. Kjell Åke Modéer analysiert eine weitere Komponente im rechtsgeschichtlichen Komplex des schwedischen Herrschaftsraums entlang der Ostsee: die Angleichung und Weiterentwicklung des unterschiedlichen Burgrechts. Das Verhältnis der beiden deutschen Provinzen Pommern und Bremen-Verden zueinander beschreibt Jürgen Bohmbach anhand der Auseinandersetzungen um finanzielle Beihilfen und Verpflichtungen. Das Schicksal des kleinen Naturhafens Grünschwade in der Peenemündung in den brandenburgisch-schwedischen Konflikten beleuchtet Joachim Krüger, Haik Thomas Porada schildert das Fortdauern hansestädtischer Kommunikationsformen und ihre Relevanz für die pommerschen Landstände bis in die Schwedenzeit hinein. Den Abschnitt beschließt der Aufsatz von Marco Pohlmann-Linke mit einem Vergleich der schwedischen und brandenburgischen Landesherrschaft in Vor- resp. Hinterpommern im 18. Jahrhundert.

Der letzte Abschnitt befasst sich unter der Überschrift „Krieg und Militär“ mit Fragen der Konjunkturbelebung durch Festungsbau am Beispiel Göteborgs (Henning Langenbach), der dänischen Politik im Hinblick auf Pommern (Jens E. Olesen), Formen und Entwicklung des Garnisonswesens in Pommern (Herbert Langer) und schließlich mit Fragen der schwedischen Militärgerichtsbarkeit in pommerschen Garnisonen ( Maren Lorenz).

Auffallend ist die starke Fokussierung der Beiträge auf Pommern als schwedischer Provinz. Dies liegt zunächst sicherlich an der Bedeutung, die Pommern für die Beziehungen Schwedens zum Reich spielte. Vor allem aber ist es ein Spiegel der Forschungssituation, dass die „deutsch-schwedische Geschichte in der Frühen Neuzeit“ immer noch stark von der pommerschen Landesgeschichte geprägt ist. Dass es aber über Pommern hinaus viele nicht minder wichtige und interessante Fragen an das Gesamtthema zu stellen gibt, zeigen die Beiträge zur Diplomatie-, Bildungs- und Rechtsgeschichte. Aber der Band beansprucht keinen umfassenden „Stand der Dinge“ bezüglich aller Aspekte der frühneuzeitlichen Ostseeregion zu liefern, sondern sieht sich ganz unter dem Prädikat der „Gemeinsamen Bekannten“ als ein Florilegium der laufenden Forschungen im wissenschaftlichen Netzwerk um Helmut Backhaus.

Anmerkungen:
1 Vgl. die Rede der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis vom 29. August 2003: http://www.landesregierung.schleswig-holstein.de/coremedia/generator/Archivordner/StK/Rede/ostseerat__lt__290803.html (3. Februar 2005).
2 Vgl. Asche, Matthias; Schindling, Anton (Hg.), Dänemark, Norwegen und Schweden im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Nordische Königreiche und Konfession 1500 bis 1660, Münster 2003.
3 Vgl. http://www.ra.se/ra/Oxenstierna/oxenstierna1.html (3. Februar 2005).

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