Cover
Titel
Suger en question. Regards croisés sur Saint-Denis


Herausgeber
Große, Rolf
Reihe
Pariser Historische Studien 68
Erschienen
München 2004: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
175 S.
Preis
€ 34,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lotte Kéry, Historisches Seminar, Universität Bonn

Der vorliegende Band enthält die Beiträge eines Kolloquiums, das im Oktober 2002 vom DHI Paris in Zusammenarbeit mit dem DHI London unter der Leitung von Rolf Große, dem „grand démystificateur de l’abbé Suger“ (Barthélemy, S. 155) organisiert wurde. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob die einzigartige Rolle Abt Sugers (1122-1151) auch dann noch im selben Licht erscheint, wenn man nicht nur zentrale Aspekte seines Lebens und seiner Schriften noch einmal genauer in den Blick nimmt, sondern auch andere Quellen heranzieht und darüber hinaus sein Wirken mit demjenigen weniger bekannter Vorgänger und Zeitgenossen vergleicht.

Jean Dufour (Suger, personnage complexe, S. 11-20) zeichnet ein Bild Sugers anhand der Quellen, die im Zentrum seiner eigenen Forschungen stehen: der Urkunden und Nekrologien. Dabei stellt er fest, dass Suger nur selten in Urkunden, die nicht für St-Denis bestimmt waren, als Zeuge auftritt. Die Bedeutung Sugers für St-Denis besteht dagegen nicht nur darin, dass diese Abtei seit der Mitte des 12. Jahrhunderts zur „capitale européenne de la prière (S. 18) wird, sondern mit dem Eintreten Sugers in die Entourage des Königs sind auch deutliche formale und inhaltliche Änderungen in den Königsurkunden für St-Denis festzustellen, was vor allem am Ausmaß der Rechte und Privilegien deutlich wird, die Ludwig VI. der Abtei verleiht. Zum Ausgleich habe Suger mit seinen Schriften nicht nur zum Ruhm der kapetingischen Monarchie beigetragen, sondern sie sogar in gewisser Weise „erschaffen“.

Auch vor Fälschungen schreckte er nicht zurück und man kann ihn – so das Fazit von Jens Peter Clausen (Suger, faussaire de chartes, S. 109-116) – nicht einmal im Sinne Carlrichard Brühls als „ehrbaren Fälscher“ bezeichnen. Mit Blick auf weitere Untersuchungen in seiner Dissertation, vor allem auch über die Fälschungen, die zur Zeit Sugers auf den Namen Dagoberts entstanden, jedoch nicht ohne weitere Untersuchungen Suger zugeschrieben werden können, zeigt Clausen hier zunächst an mehreren Beispielen, dass Suger auch auf diesem Gebiet nach Möglichkeit nichts Neues erfand, sondern geschickt an bereits Existierendes anknüpfte.

Dass eine gute Kenntnis des Klosterarchivs für einen ehrgeizigen Mönch, der Abt werden wollte, von Vorteil war, betont auch Laurent Morelle (Suger et les archives: en relisant deux passages du De administratione, S. 117-139). Während Suger den Eindruck erweckte, dass ihm die Gründungsurkunde für Argenteuil vorliege, konnte er sich wohl tatsächlich nur auf ein Diplom Ludwigs des Frommen (BM 848) stützen. Durch eine detaillierte lexikografische Untersuchung kann Morelle zudem zeigen, dass mit biblos immunitatum nicht Chartulare o.ä., sondern ganz klassisch Privilegien auf Papyrus gemeint sind. Die Angabe in archivis publicis bezieht sich nicht auf die königlichen Archive, sondern auf den (öffentlichen) Urkundenbestand der Abtei St-Denis, es kann also keine Rede davon sein, dass Suger die Existenz des Trésor des Chartes (bzw. eines Vorläufers) bereits für die Zeit Ludwigs VI. bezeugt.

„Richtige“, d.h. umfassende, thematisch nicht eingeschränkte Chartulare sind für Saint-Denis erst aus dem 13. Jahrhundert erhalten, wie Olivier Guyotjeannin (Retour sur le Cartulaire blanc de Saint-Denis, S. 141-153) feststellt, unter dessen Leitung das wichtigste mittelalterliche Chartular von St-Denis, das Cartulaire blanc aus dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts, ediert wird. Als Vorarbeit zur kritischen Edition wird eine fortlaufende elektronische Edition auf der Internetseite der Ecole des chartes (www.enc.sorbonne.fr) zugänglich gemacht. Die Verbindung zu Suger stellt Guyotjeannin durch die Frage her, welche Bedeutung die Urkunden Sugers nach Auskunft des Cartulaire blanc für die Abtei hatten. Bemerkenswert ist dabei vor allem, dass die beiden „Schmuckstücke“ der Urkundensammlung von Saint-Denis, die auf Suger zurückgehen, das Testament von 1137 und die so genannte Ordinatio von 1140, als einzige fehlen. Im Anhang I publiziert Guyotjeannin die Regesten der im Cartulaire blanc überlieferten Urkunden Sugers nach dem zwischen 1287 und 1289 entstandenen Ancien inventaire noir, im Anhang II eine Tabelle zur Überlieferung der Urkunden Sugers in Saint-Denis.

Drei weitere Beiträge ziehen das Wirken anderer Kirchenmänner zum Vergleich mit Suger heran. Frank G. Hirschmann (Abbés réformateurs, abbés constructeurs – quelques précurseurs et contemporains de Suger, S. 21-30) zeigt, dass auch andere Äbte, wie Gauzelin von Fleury, Wilhelm von Volpiano, Richard von St-Vanne, Wilhelm von Hirsau und Radulf (Raoul) von St-Trond, auf dem Gebiet der Klosterreform schon seit mehr als einem Jahrhundert Ähnliches leisteten wie Suger. Dies gilt auch für seinen Vorgänger im Amt des Abtes von St-Denis, Adam (Rolf Große, L’abbé Adam, prédécesseur de Suger, S. 31-43). Seine Verdienste um die Reorganisation der Abtei gerieten wohl auch deshalb in Vergessenheit, weil er sie im Unterschied zu Suger nicht schriftlich festhielt und sie offenbar von Suger bewusst geschmälert wurden, wie ein Vergleich mit dem entsprechenden Urkundenmaterial zeigt. Auch für die enge Verbindung der Abtei zu den Königen wurden schon unter Adam die Grundlagen geschaffen und auch das Recht, die königlichen Insignien aufzubewahren, muss als Sieg Adams verbucht werden. Allein auf Grund der Existenz der Historia regum Francorum, die bereits unter Adam in St-Denis entstand, kann Suger auch nicht als Begründer der dortigen Historiografie im Dienst des Königtums angesprochen werden. Lindy Grant (Geoffrey of Lèves, Bishop of Chartres: „Famous Wheeler and Dealer in Secular Business“, S. 45-56), zeigt am Beispiel des Bischofs von Chartres, Geoffroy de Lèves (†1149), der nach dem Zeugnis seiner Zeitgenossen einer der führenden Kirchenmänner des 12. Jahrhunderts war, dass auch politisch sehr aktive Persönlichkeiten dieser Zeit von den Historikern nahezu übersehen wurden und mahnt deshalb zur Vorsicht. Es bestehe die Gefahr, dass man bei Suger von zu viel Licht geblendet werde.

Suger unterhielt bekanntlich nicht nur enge persönliche Beziehungen zu den kapetingischen Königen, sondern auch zu den Päpsten seiner Zeit, die Françoise Gasparri (L’abbé Suger de Saint-Denis et la papauté, S. 69-80) noch einmal anhand der verschiedenen Begegnungen nachzeichnet.1 Neben seinen Aufgaben im Dienst des Königs war Suger auch häufig als eine „Art päpstlicher Legat in Frankreich“ (S. 79) und als päpstlich delegierter Richter tätig. Unter anderem wurde er von Eugen III. mit der Reform von Ste-Geneviève in Paris und St-Corneille in Compiègne beauftragt. Während seines Aufenthaltes in Süditalien (1123) erhielt Suger zudem viele Anregungen für seine eigene Bautätigkeit. Speziell die Abtei Montecassino und ihr Abt Desiderius, der spätere Papst Viktor III. (1086-1087), dienten ihm als Vorbild für seine eigene Tätigkeit als abbé contructeur.

Der aufgrund der Quellenlage fast unlösbaren Frage, ob es eine gegenseitige Beeinflussung zwischen den beiden großen Äbten bei ihrem Reformwerk gegeben habe, geht Julian Führer (Suger et Bernard de Clairvaux, S. 81-93) nach. Mit dem häufig zitierten Lob Bernhards für Sugers Reform in St-Denis habe dieser wohl vor allem vom Einfluss Sugers bei Ludwig VI. profitieren wollen. Auch mit seiner Warnung vor dem wachsenden Einfluss Etienne de Garlandes beim König wollte Bernhard nach Führer in erster Linie seinem Freund, dem Bischof von Paris (und nicht von Senlis, wie S. 93), Etienne de Senlis, helfen, der, vom König vertrieben, Zuflucht bei den Zisterziensern von Clairvaux fand.

Andreas Speer (Les écrits de Suger comme source d`une esthétique médiévale – une relecture critique, S. 95-107) weist die herkömmliche, vor allem auf Erwin Panofsky zurückgehende Deutung der Schriften Sugers als grundlegende Dokumente einer mittelalterlichen Ästhetik zurück. Eine selektive Rezeption der entsprechenden Suger-Texte 2 sowie die Reduktion ihrer Bedeutung auf einen einzigen Zusammenhang haben nach Ansicht von Speer zu dieser Fehldeutung beigetragen, während die Liturgie als zentrales Element zum Verständnis seiner Schriften weitgehend ignoriert wurde.

Michal Wyss (Apport des recherches archéologiques récentes, S. 57-68), ‚archéologue municipal’ von Saint-Denis, ordnet die Entstehung der Vorstadt vor den Toren der Benediktinerabtei, die für die Geschichte der Stadt von entscheidender Bedeutung war, vor dem Hintergrund der archäologischen Untersuchungen ein, die seit 1973 systematisch betrieben werden und deren Zwischenbilanz er hier zieht.

Zum Abschluss beleuchtet Dominique Barthélemy (Rois et nobles au temps de la paix de Dieu, S. 155-167) die Rolle der kapetingischen Monarchie zwischen Adel, Kirche und Volk gegen Ende der Gottesfriedensbewegung. Für ihn ist der Gottesfriede kein Ersatz für die Schwäche des Königtums oder der Fürsten, sondern eine der Waffen, die die Kirche in einer Welt der Fehden (monde faidal) einsetzt, deren Normen sie nicht grundsätzlich in Frage stellt.

Der schmale, aber ertragreiche und sorgfältig redigierte Band (nur wenige Druckfehler fielen ins Auge: S. 76, Anm. 23 bricht vor dem Ende ab; S. 165: „champ du cygne“ statt „chant du cygne“), den ein Orts- und Personenregister erschließt und der im Vorwort und in den Anmerkungen zahlreiche Hinweise auf die neuere Suger-Literatur enthält, wird die Diskussion über die Bedeutung Sugers für die Geschichte des 12. Jahrhunderts sicherlich weiter beleben, auch wenn sein Titel insgesamt etwas überstrapaziert erscheint.

Anmerkungen:
1 Vgl. auch Große, Rolf, Saint-Denis und das Papsttum zur Zeit des Abtes Suger, in: Ders., L’Eglise de France et la papauté, Paris 1993, S. 219-238.
2 Speer, Andreas; Binding, Günter (Hg.), Abt Suger von Saint-Denis. Ausgewählte Schriften: Ordinatio, De administratione, De consecratione, Darmstadt 2000.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Land
Sprache der Rezension