P. Schmidt: Kleine Geschichte Spaniens

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Titel
Kleine Geschichte Spaniens.


Herausgeber
Schmidt, Peer
Reihe
Universal-Bibliothek Geschichte
Erschienen
Stuttgart 2004: Reclam
Anzahl Seiten
555 S.
Preis
19,60 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Weber, Rothschild Archive London Email:

Mit dem Erscheinen der „Kleinen Geschichte Spaniens“ ist in der entsprechenden Reihe des Philipp Reclam Verlags eine Lücke geschlossen worden. Der Band bietet einen kompakten Überblick von der Zeit der Kelten und Iberer über die römische Epoche bis zu den Auswirkungen des Bombenattentats vom März 2004. Zwei spanische Autoren bestreiten die ersten Kapitel, Pedro Barceló das „antike Spanien“, José L. Martín Martín die frühen „christlichen Königreiche“, während Pierre Guichard die „islamischen Reiche des spanischen Mittelalters“ behandelt. Ihnen folgen Christian Windlers Ausführungen zu den „religiösen Minderheiten im christlichen Spanien“. Friedrich Edelmayer stellt die Zeit der „Katholischen Könige und der Habsburger“, Peer Schmidt die der bourbonischen Herrscher dar. Hans-Otto Kleinmann behandelt das „zwischen Ancien Régime und Liberalismus“ zerrissene 19. Jahrhundert und Hedwig Herold-Schmidt den Abschnitt bis zum Scheitern der Zweiten Republik. Das abschließende Kapitel zum Bürgerkrieg, der Franco-Herrschaft und zur modernen spanischen Demokratie stammt wiederum von Peer Schmidt.

Die für diese Einteilung gewählten dynastischen und politischen Zäsuren geben dem gesamten Band eine übersichtliche Struktur. Der Herausgeber und seine Koautoren haben das Kunststück vollbracht, eine drei Jahrtausende umfassende Darstellung auf den knappen Raum eines Reclam-Bändchens zu komprimieren. Alle Beiträge sind sehr gut lesbar geschrieben, wobei Hans-Otto Kleinmanns transparente Darstellung der politischen Wirren im nach-napoleonischen Spanien besonders hervorzuheben ist. Auf 10 Karten werden politische, militärische und wirtschaftliche Entwicklungen veranschaulicht, darunter auch eine Karte zur weltweiten spanischen Expansion im 16. und 17. Jahrhundert. Das sehr ausführliche Orts- und Personenregister macht aus dem Buch zugleich ein kleines Nachschlagwerk. In der Generallinie legen alle Autoren das Schwergewicht ihrer Ausführungen auf die Politikgeschichte, und für die Jahrhunderte von Spaniens Kolonialherrschaft sind auch deren Auswirkungen auf das Mutterland besser berücksichtigt als bei manch anderen bislang vorliegenden Darstellungen.

So stringent diese Politikgeschichte erzählt ist, so sehr bedauert man aber die im Verhältnis sehr knappe Abhandlung der sozial- und kulturgeschichtlichen Aspekte und die fast vollständige Aussparung der Forschungsdebatten. Immerhin ist ein ganzes Kapitel den religiösen Minderheiten gewidmet, und was Peer Schmidt zum heutigen Spanien erläutert – soziokultureller Hintergrund der demografischen Entwicklung, Auflösung traditioneller Milieus (S. 513ff.) – würde der Leser sich in ähnlicher Weise auch für andere Kapitel wünschen. Aber selbst hier ist die Sozialgeschichte aus politikgeschichtlicher Perspektive behandelt. Eine Betrachtung der Politik etwa durch ein kulturhistorisches Prisma wäre anhand der „cofradías“ bzw. Laienbruderschaften möglich gewesen.1 Diese für die soziale Struktur vieler Regionen bis heute so wichtigen Organisationen sind kaum gewürdigt. Sicherlich ist das weitgehend dem nur knapp zur Verfügung stehenden Raum geschuldet. Dennoch schmälert diese Art der Narration den Nutzen des Buches. Eine solche Bewertung ist freilich mit der Frage nach dem Zielpublikum verbunden. Der landeskundlich interessierte Reisende wird sicherlich eher zu einem Kultur- und Reiseführer greifen. Wer sich eingehender mit dem Thema auseinandersetzen will, findet ausführlichere Darstellungen in Arbeiten von Walther Bernecker und Horst Pietschmann2, die aber wegen der ganz anderen zugrunde liegenden Konzepte auch nicht mit dem hier besprochenen Buch verglichen werden sollen. Das Zielpublikum eines Reclam-Bandes sollten vor allem Studenten und generell wissenschaftlich Interessierte sein, die sich einen ersten Überblick verschaffen wollen, um dann von dort aus bestimmte Aspekte vertieft zu bearbeiten. Gerade letzteres ermöglicht die „Kleine Geschichte“ allerdings nur beschränkt, zum einen wegen der politikgeschichtlichen Engführung. Zur Literatur des Goldenen Zeitalters etwa sollte eine moderne Einführung sich nicht mit der in jedem Konversationslexikon zu findenden Feststellung begnügen, dass „die Stücke eines Lope de Vega, Tirso de Molina oder Pedro Calderón de la Barca [...] bis in unsere Zeit fester Bestandteil der Theaterspielpläne geblieben“ sind (S. 201).

Mittlerweile liegen selbst deutschsprachige Arbeiten zur kulturell-religiösen, wirtschaftlichen und politischen Bedeutung und Funktion des Barocktheaters vor, die zumindest eine Erwähnung verdienen.3 Dem Studierenden wird die vertiefte Verfolgung bestimmter Fragen auch dadurch erschwert, dass eine Diskussion verschiedener Forschungsansätze und Interpretationen kaum erfolgt. Die Beiträge von Friedrich Edelmayer, Hans-Otto Kleinmann und Hedwig Herold-Schmidt machen dies teilweise durch ein breiteres Literatur- und Quellenverzeichnis wett. Wo Forschungsentwicklungen und -debatten kurz erwähnt werden (Martín Martín, S. 44; Guichard, S. 77; Windler, S. 108; Schmidt, S. 226; Kleinmann, S. 290), findet man kaum einen Verweis auf die entsprechende Literatur oder zumindest den Namen eines Autors (bescheidene Ausnahme S. 77). Eine Diskussion der sehr unterschiedlichen Bewertungen der Franco-Herrschaft z. B. hätte einigen Gewinn gebracht und die wichtige Phase der Transition eine Einordnung in den europäischen Kontext verdient, zumal hierzu reichlich Literatur vorhanden ist.4 Auch wenn ein Reclam-Bändchen keinen „Oldenbourg Grundriss der Geschichte“ ersetzen kann – der Gebrauchswert solcher Bände wäre durch kleine Änderungen des Konzepts erheblich zu steigern.

Inhaltlich ist die gewählte Darstellung sicherlich sehr gut fundiert und ausgewogen. Angesichts der beeindruckenden Breite des hier besprochenen Bandes kann man sich als Rezensent eine inhaltliche Kritik ohnehin nur zu zwei oder drei der insgesamt neun Kapitel leisten, und diese will die Gesamtleistung in keiner Weise in Frage stellen. So sollte man die frühneuzeitliche Preisrevolution (S. 164f.) nicht mehr monokausal nur mit den – gleichwohl sehr erheblichen – inflationären Effekten der aus Amerika nach Europa fließenden Silbermengen erklären, sondern weitere Faktoren erwähnen: Zunahme des Buchgeldes, Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit etc. Zum bourbonischen Reformismus wären einige neuere Darstellungen einzubeziehen, und zu den Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts sind Jordi Canals bedeutende Arbeiten über den Karlismus nicht berücksichtigt.5 Zum Verständnis der Eigenart des Franco-Regimes wäre es hilfreich gewesen, deutlicher zu unterscheiden zwischen der ursprünglichen Falange Española, einer kleinen Splittergruppe, und der späteren Staatspartei Falange Española Tradicionalista, in der praktisch jeder Offizier und höhere Beamte Mitglied wurde.6 Bei den Ausführungen zur inneren Struktur der Diktatur ist der erst nach dem Bürgerkrieg zu Bedeutung gekommene und bis heute umstrittene Laienorden Opus Dei zwar erwähnt (S. 458ff.), doch hätte seine wichtige Rolle bei der wirtschaftlichen Modernisierung der 1950er und 1960er-Jahre (S. 444) klarer herausgestellt werden müssen – die „Technokraten“ in den damaligen Kabinetten rekrutierten sich fast ausschließlich aus dieser Organisation.7

Ungeachtet dieser punktuellen Kritik: Die „Kleine Geschichte Spaniens“ bietet einen in dieser Form bislang nicht verfügbaren Überblick über die politische Geschichte des Landes. Wer sich auf diesem Feld schnell und zuverlässig orientieren möchte, ist gut beraten, sich das Bändchen zuzulegen. Zu dem vom Herausgeber im Vorwort formulierten Ziel, die spanische Geschichte als Teil der europäischen fester in Deutschland zu etablieren, wird es einen wichtigen Beitrag leisten.

Anmerkungen:
1 So geschehen bei Arias de Saavedra Alías, Inmaculada; López-Guadalupe Muñoz, La represión de la religiosidad popular. Crítica y acción contra las cofradías en la España del siglo XVIII, Granada 2002; Hurtado Sánchez, José, Cofradías y poderes, relaciones y conflictos, Sevilla 1939-1999, Sevilla 2000.
2 Bernecker, Walther L.; Pietschmann, Horst, Geschichte Spaniens, Stuttgart 1993; Bernecker, Walther L., Sozialgeschichte Spaniens im 19. und 20. Jahrhundert. Vom Ancien Régime zur Parlamentarischen Monarchie, Frankfurt am Main 1990.
3 So die Studie von Oehrlein, Josef, Der Schauspieler im spanischen Theater des Siglo de Oro (1600-1681). Untersuchungen zu Berufsbild und Rolle in der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1986.
4 Zum Beispiel von Merkel, Wolfgang (Hg.), Systemwechsel 1. Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung, Opladen 1996.
5 Zu den Bourbonen etwa Sánchez-Blanco, Francisco, El absolutismo y las luces en el reinado de Carlos III, Madrid 2002; Marchena Fernández, Juan, El tiempo ilustrado de Pablo de Olavide. Vida, obra y sueños de un americano en la España del siglo XVIII, Sevilla 2001; zum Karlismus: Canal, Jordi, El carlismo. Dos siglos de contrarrevolución en España, Madrid 2000.
6 Während etwa die NSDAP nach dem Wahlsieg von 1933 einen Aufnahmestop beschloss, weichte Franco die ursprüngliche Falange durch diese Mitgliederpolitik in ein ideologisch amorphes Machtinstrument auf. Hierzu: Ellwood, Sheelag, Spanish Fascism in the Franco Era. Falange Española de las JONS 1936-1976, Basingstoke 1987.
7 Siehe Beyme, Klaus von, Vom Faschismus zur Entwicklungsdiktatur. Machtelite und Opposition in Spanien, München 1971.

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