D. Kah (Hg.): Das hellenistische Gymnasion

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Titel
Das hellenistische Gymnasion.


Herausgeber
Kah, Daniel; Scholz, Peter
Reihe
Wissenskultur und Gesellschaftlicher Wandel 8
Erschienen
Berlin 2004: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
465 S.
Preis
€ 69,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dorit Engster, Althistorisches Seminar, Georg-August-Universität Göttingen

Treffend hebt der Perieget Pausanias für die nachklassische griechische Stadt hervor, dass das Gymnasion - wie Bouleuterion, Theater und Agora - ein konstituierendes Merkmal der Polis darstellte.1 Grundlage für jede Beschäftigung mit diesem Thema war bisher die Untersuchung von Jean Delorme von 1960.2 Seitdem sind verschiedene Einzeluntersuchungen erschienen3, doch fehlte eine zusammenfassende Darstellung des neueren Forschungsstandes. Der vorliegende Band enthält Vorträge eines Frankfurter Kolloquiums des Jahres 2001, die unter althistorischen wie archäologischen Aspekten die Institution des Gymnasions untersuchen: als Bildungsinstitution, als Einrichtung der Polis, die Rolle des Gymnasions im griechischen Osten und seine baulich-materielle Ausgestaltung. Einem umfassenden Forschungsüberblick durch Peter Scholz zu Beginn entspricht am Ende des Bandes eine Einordnung der Ergebnisse in die Forschungsdiskussion von Hans-Joachim Gehrke.

Zunächst werden der Stellenwert des körperlichen Trainings wie der intellektuellen Ausbildung thematisiert (S. 25ff.). Ingomar Weiler betrachtet die Bedeutung der Agonistik, wobei er anhand epigrafischer und papyrologischer Quellen einen Wandel der gymnasialen Praxis aufzeigt, ohne dass man aber von einem Niedergang der Agonistik sprechen könne. Hatte Weiler auf Veränderungen der Ephebie, Professionalisierung des Trainings und den "Trend zur Agonistik und Gymnastik" (S. 32) hingewiesen, untersucht Daniel Kah den Aspekt der militärischen Ausbildung, insbesondere Belege für Kampftechniken, die erst in hellenistischer Zeit in das gymnasiale Programm aufgenommen wurden. Kah sieht einerseits einen Zusammenhang mit gewandelten Anforderungen der Kriegsführung, andererseits möchte er den Stellenwert dieser Ausbildungsform relativieren und in ihr ein Element der Identitätsstiftung der Polis sehen. An diese Thematik schließen Ausführungen von Miltiades Hatzopoulos und Johannes Engels zur Ephebie sowie zur Praxis in Makedonien und Sparta an. Abgeschlossen wird die Betrachtung des Gymnasions als Bildungsinstitution mit sehr differenzierten Überlegungen von Scholz zum Stellenwert der wissenschaftlich-literarischen Ausbildung. Scholz konstatiert generell eine gestiegene Bedeutung intellektueller Ausbildung und die Umwandlung der Ephebie zu einem "exklusiven Bildungsinstitut für ein kosmopolitisches Publikum" (S. 128).

Es folgen Untersuchungen zur Rolle der Gymnasien im städtischen Kontext (S. 129ff.). Zunächst analysiert Walter Ameling den Wandel der Stiftungspraxis. Der Euergetismus sei zunächst von den Königen monopolisiert worden, später seien vermehrt wohlhabende Bürger in den Ehrungen genannt bzw. hätten die Gymnasiarchen die ihnen zukommenden Pflichten und Möglichkeiten zur Repräsentation wahrgenommen. Problematisch ist allerdings, dass sich Ameling bei seiner Analyse im Wesentlichen auf die pergamenischen Inschriften stützt und die Exzeptionalität der politischen Entwicklung Pergamons zu wenig thematisiert. Anschließend setzt sich Christof Schuler mit den Zeugnissen zur Gymnasiarchie auseinander. Er unterscheidet zwischen einem frühen "liturgischen Modell" und dem "magistratischen Modell" hellenistischer Zeit. Die Wandlung zum öffentlichen Amt sieht Schuler als Folge der engen Beziehung zwischen Polis und Gymnasion sowie des Bemühens um eine stärkere Kontrolle der Finanzen. Mit der attischen Ephebie befasst sich Leonhardt Burckhardt. Deren abnehmende militärische Relevanz macht Burckhardt an dem Rückgang der Zahl der Epheben und der Verkürzung der Dienstzeit fest. Vielleicht geht es zu weit, wenn er in der Ephebie der späteren Zeit eine "Schule für den Offiziersnachwuchs" (S. 198) sieht, doch trifft seine Betonung des zunehmend exklusiven Charakters sowie der wichtigeren Rolle der Epheben im Rahmen der Selbstrepräsentation der Polis sicher das Richtige. Zu einer "zivilen Einrichtung" (S. 204) wurde sie aber kaum, wie auch Stephen Tracy in seinem Koreferat hervorhebt.

Boris Dreyer analysiert in seiner Untersuchung unter intensiver Erfassung des epigrafischen Materials die Rolle der "Neoi" und stellt heraus, wie diese spezifische, bürgerliche Organisation eine "Polis auf Probe" sein sollte. Wie Dreyer zeigen kann, sollten die organisierten Neoi, die zunehmend sogar Funktionen der Ekklesia übernehmen konnten, bereits die politische Praxis der Vollbürger einüben. Bemerkenswert an seiner Analyse ist eine schärfere begriffliche Trennung zwischen "Neoi" und "Neaniskoi". Während letzterer Terminus einen (para-)militärischen Nebensinn hatte, wurde der Neoi-Begriff umfassender und auch bezüglich der zivilen Funktionen der Altersgruppe der 20-30-jährigen gebraucht. Mit den Zugangsvoraussetzungen zu Gymnasien beschäftigt sich, ausgehend von Inschriften aus Beroia und Amphipolis, Jörn Kobes. Kobes konstatiert, dass auch Metöken und Angehörige anderer Religionsgemeinschaften - wie die Juden - Zutritt hatten. Insgesamt betont Kobes allerdings, dass die Entscheidung über die Zulassung bei der Polis lag, weshalb sich regionale Unterschiede herausbildeten.

Mit den Kulten im Gymnasion befassen sich Sophia Aneziri und Dimitrios Damaskos, wobei sie insbesondere die Gottheiten, die genuin mit den Aufgaben der Institution in Verbindung standen, sowie die Kulte berücksichtigen, die mit Gesundheit oder der Kultpraxis der Polis verbunden waren. Zudem wird die Verehrung von Heroen im gymnasialen Kontext analysiert. Aneziri und Damaskos zeigen die enge Verbindung zwischen Polis und Gymnasion im kultischen Bereich auf. Problematisch bleibt, dass sie generell Weihungen an Gottheiten ausscheiden, deren Verbindung mit dem Gymnasion sonst nicht bezeugt ist. Die Abhaltung von Banketten thematisiert der anschließende Aufsatz von Elena Mango, die, ausgehend von einer vorzüglichen Zusammenstellung literarischer, epigrafischer und archäologischer Befunde, auf Teilnehmerkreis, Ablauf, Bedeutung der Bankette und den Wandel der gymnasialen Architektur eingeht. Mango belegt eine zunehmende Funktionserweiterung der Bauten sowie ihre Entwicklung zu immer aufwendiger gestalteten "urbanen Zentren" (S. 291f.).

Im Anschluss wird die Bedeutung der Gymnasien für die Hellenisierung des griechischen Osten thematisiert (S. 313ff.), wobei Jerusalem und Ägypten im Zentrum der Betrachtungen stehen. Kirsten Groß-Albenhausen analysiert insbesondere die Gründung von Gymnasien auch in weniger stark griechisch geprägten Gebieten und stellt fest, dass die Hellenisierung im Wesentlichen auf die Oberschicht begrenzt blieb. Zu einem abweichenden Ergebnis kommt Klaus Bringmann, der die hohe Attraktivität der griechischen Lebensweise hervorhebt und dem Gymnasion die Rolle einer Schule wenn nicht der intellektuellen, so doch der politischen Selbsthellenisation zuweist. Auch Bringmann sieht im Gymnasion allerdings nicht ein Instrument zur Integration der indigenen Bevölkerung, sondern betont dessen exklusiven Charakter. Einen anderen Akzent setzt Wolfgang Habermann bei seiner Untersuchung des Gymnasionbetriebes in Ägypten. Als Besonderheit streicht er die Gründung von Gymnasien auf dem Lande heraus. Auch der Personenkreis der Besucher weist eine Reihe von Spezifika auf. Zum einen ist er stark militärisch geprägt, zum anderen war der gymnasiale Betrieb, wie Habermann gerade auch mit Blick auf die Gymnasialvereine nachweist, durch ägyptisch-griechische Elemente geprägt.

Mit der materiellen Ausgestaltung der Gymnasien befasst sich die folgenden Aufsätzen (S. 349ff.), wobei zunächst Christian Wacker die baugeschichtliche Entwicklung von der Parkanlage bis zur baulichen Ausdifferenzierung der verschiedenen Bereiche im 4. Jahrhundert darlegt. Bemerkenswert ist seine Beobachtung, dass im Zuge der "Architektonisierung" der Gymnasien zunächst die Palästren entstanden, dann ab dem 3. Jahrhundert auch die Stoai und Xystoi. Literarische Quellen sowie Vasendarstellungen werden von Wulf Raeck für seine Überlegungen zur Baugeschichte der Gymnasien herangezogen. Raeck vertritt die These, dass deren Funktionen längere Zeit von heute nicht mehr identifizierbaren Gebäuden wahrgenommen wurden, bevor sich eine einheitliche architektonische Form etablierte. Die Entstehung einer spezifischen Bauform sieht Raeck in der Tendenz zur Differenzierung zwischen Gebäuden verschiedener Funktion sowie deren gestiegener Bedeutung für die bürgerliche Repräsentation begründet. Mit den in den Gymnasien aufgestellten Skulpturen befasst sich Ralf von den Hoff; er wählt als Fallstudien die Gymnasien von Delos und Pergamon und stellt fest, dass zunächst Götterbilder und Athletenfiguren bestimmend waren, in Pergamon zudem Herrscherbildnisse, später hätten bürgerliche Bildnisstatuen dominiert. Dies charakterisiert er als "Profanisierung des Gymnasions" (S. 392), die der auch sonst zunehmenden Bedeutung der bürgerlichen Selbstrepräsentation im öffentlichen Raum entspreche. Gleichzeitig sieht er in der lokal unterschiedlichen Statuenausstattung ein wichtiges Element der "polisspezifischen Identitätsstiftung" (S. 392). Auf die unterschiedlichen lokalen Bildprogramme und ihre Relevanz geht auch Wolfram Martini in seinen ergänzenden Ausführungen ein, wobei er neben den Statuen auch auf die sonstige Ausstattung der Gymnasien hinweist.

So stellt der vorliegende Tagungsband insgesamt eine hervorragende Einführung in alle mit dem hellenistischen Gymnasion verbundenen Forschungsfragen dar und legt die Basis für jede zukünftige Beschäftigung mit diesem Thema.

Anmerkungen:
1 Paus. 10,4,1.
2 Delorme, Jean, Gymnasion. Étude sur les monuments consacrés à l'éducation en Grèce, Paris 1960.
3 Vgl. bes. die Publikationen des Gymnasiarchengesetzes von Beroia: Gauthier, Philippe; Hatzopoulos, Miltiades, La loi gymnasiarchique de Beroia, Athen 1993.

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