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Titel
Soldaten der Arbeit. Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933-1945


Autor(en)
Patel, Kiran Klaus
Reihe
Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 157
Erschienen
Göttingen 2003: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
459 S., 9 Abb.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nicole Kramer, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

In der Debatte um die Nutzen und Grenzen einer transnationalen Geschichtsschreibung, positionierte sich Kiran Klaus Patel jüngst mit der These, die transnationale Geschichte sei kein Paradigma, sondern eine Forschungsperspektive. In seiner Dissertation zur Geschichte des nationalsozialistischen Reichsarbeitsdienstes (RAD), der im Fahrwasser der Weltwirtschaftskrise entstand, führt er vor, was damit gemeint sein kann.

Der RAD verstand sich als „Wiege der Volksgemeinschaft“ (S. 142) ebenso wie als „Werbeträger des NS-Regimes“ (S. 112). Über drei Millionen deutsche Männer durchliefen den Arbeitsdienst zwischen 1933 und 1945. Ausländische Staatsoberhäupter aus allen Teilen der Welt besichtigten die Arbeitsdienstlager. Mancher ausländische Student meldete sich sogar freiwillig, um einige Wochen am Arbeitsdienst teilzunehmen. Bis heute fehlte jedoch eine quellengestützte und methodisch reflektierte Gesamtdarstellung über den deutschen Arbeitsdienst für die männliche Jugend, was hauptsächlich an der dürftigen Überlieferung gelegen hat. Nach intensivem Quellenstudium legt Patel nun eine Untersuchung vor, die diese Forschungslücke schließt.

Drei zentrale Komplexe werden in der Untersuchung behandelt: Erstens steht die innere Organisation des RAD im Mittelpunkt sowie eine Verortung im Institutionengefüge des „Dritten Reiches“. Zweitens geht es um einen Vergleich zwischen RAD und dem amerikanischen Arbeitsdienst, dem Civilian Conservation Corps (CCC) in ihren jeweiligen gesellschaftlichen Kontexten. Patel eröffnet damit eine bisher kaum beachtete Perspektive: den Vergleich zwischen Diktatur und Demokratie. Der komparatistische Blick auf die Arbeitsdienste bildet den Ansatzpunkt für eine Untersuchung der Problemlösungskompetenz der NS-Diktatur im Kontrast zu der einer Demokratie wie den USA. Der Vergleich ist ein asymmetrischer und dient in erster Linie dazu, die Spezifika des deutschen Falles herauszuarbeiten. Drittens thematisiert die Studie, ganz im Sinne der transnationalen Geschichte, die gegenseitige Wahrnehmung des deutschen und des amerikanischen Arbeitdienstes sowie die damit zusammenhängenden Transferprozesse.

Die Arbeitdienst-Debatte verdichtete sich in vielen Ländern nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Die Kriegsverlierer sahen im Arbeitdienst die Möglichkeit, das Verbot der Wehrpflicht zu kompensieren. Die Weltwirtschaftskrise 1929 ließ den Arbeitdienst schließlich einigen Staatsregierungen als Allheilmittel gegen die Massenarbeitslosigkeit und die verheerenden Auswirkungen, die diese gerade auf junge Männer hatte, erscheinen. In Deutschland veranlassten schließlich Reichskanzler Brüning und sein Kabinett die Einführung des Freiwilligen Arbeitdienstes (FAD) im Sommer 1931. Der FAD stellte zwar eine staatsinterventionistische Maßnahme dar, durch die Einbindung von privaten Dienstträgern wies er jedoch eine erstaunlich schlanke Verwaltungsstruktur auf. Als Dienstträger fungierten der Reichsbanner, Kirchen- und Caritasverbände ebenso wie der Stahlhelm. Der Arbeitsdienst war von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen.

Hitlers Amtsantritt markierte in der Geschichte des deutschen Arbeitdienstes einen radikalen Bruch. Der Arbeitsdienst wurde entsprechend dem Führerprinzip streng hierarchisch aufgebaut und damit jegliche Flexibilität getilgt, die die Organisationsstruktur bis 1933 ausgezeichnet hatte. Die Umgestaltung, insbesondere der radikale Personalwechsel, stürzte den RAD in eine vorrübergehende Krise. Entgegen einer älteren These, führt Patel aus, dass der nationalsozialistische Arbeitsdienst sich aber bereits 1934 unter Leitung Konstantin Hierls konsolidierte und bis Kriegsausbruch seine Stellung gegenüber anderen Institutionen behaupten konnte. Das Jahr 1938 und die voranschreitende Militarisierung bedeuteten eine größere Zäsur als der Erlass des RAD-Gesetzes 1935, mit dem erstmals die Dienstverpflichtung eingeführt wurde. Nicht ganz überzeugend wirkt Patels These, der RAD habe während des Zweiten Weltkriegs als Hilfstruppe von Militär und Industrie ein „Schattendasein“ (S. 121ff.) gefristet. Die Tatsache, dass sich die Einsatzformen – der Verfasser unterstreicht selbst die Rolle des RAD bei der Judenvernichtung und der Partisanenbekämpfung – differenzierten und der Arbeitsdienst immer mehr „zu einer Art Feuerwehr“ (S. 417) wurde, um Krisen des NS-Regimes zu meistern, muss nicht zwangsläufig als Machtverlust gewertet werden. Der Profilwandel des Arbeitsdienstes war kein Einzelfall. Der Krieg, vor allem der Luftkrieg, verlangte von allen staatlichen Institutionen sowie Parteiorganisationen die Übernahme neuer, ungewohnter Aufgaben.

Im systematischen Vergleich zwischen RAD und CCC, dem Herzstück der Studie, verlieren die oberflächlichen Gemeinsamkeiten der Dienste sehr schnell ihre Bedeutung und es schält sich der spezifische Charakter des deutschen Dienstes heraus. Beide Dienste verfolgten zwar die Idee einer gesellschaftlichen Integration durch Arbeit. Im Fall des RAD fiel dies jedoch mit der völkisch-rassistisch motivierten Exklusion von „Gemeinschaftsfremden“ – „Schwerverbrecher“, Juden, „Untaugliche“ und nationale Minderheiten (S. 137ff.) – zusammen. Der deutsche Arbeitsdienst wurde 1933 zu einem wirksamen Instrument der Ausgrenzung. Darüber hinaus etablierte sich der RAD als eine der wichtigsten Erziehungsinstanzen des NS-Regimes. Die Lagerstruktur des Arbeitsdienstes erlaubte den „totalen“, aber zeitlich begrenzten Zugriff auf einen Großteil der Jugendlichen. Schon früh unterstrich Hierl die Möglichkeiten der ideologischen Durchdringung im Sinne des rassistischen Weltbildes und schließlich die Vorbereitung auf den Krieg. Auch der CCC organisierte die Teilnehmer in Lagern und unterwarf sie damit einer disziplinierenden Ordnung. Diese äußerliche Parallele zum RAD tritt jedoch hinter den grundverschiedenen Erziehungszielen zurück. Der CCC verstand sich in erster Linie als Einrichtung der Berufsausbildung und nicht als Instrument der Disziplinierung. Das Individuum stand damit im Mittelpunkt, die Schaffung eines „wir-Gefühls“ war nicht angestrebt. Die praktische Arbeit der beiden Dienste unterschied sich hingegen kaum. Die Angehörigen beider Dienste wurden bevorzugt für arbeitsintensive Projekte, beispielsweise im Rahmen der Landeskultur- und Forstarbeiten sowie im Wegebau, herangezogen.

Wichtiges Spezifikum des RAD war die militärische Aufladung des Arbeitsbegriffs. Die Angehörigen des Dienstes wurden schon in den ersten Jahren als „Soldaten der Arbeit“ bezeichnet. Immer stärker spiegelte sich die Ideologie auch in der praktischen Arbeit des RAD wider. Spätestens mit dem Einsatz beim Westwallbau gehörten die „Soldaten der Arbeit“ (S. 337) zur deutschen Kriegsmaschinerie. Patel sieht diese Entwicklung nicht isoliert, sondern ordnet sie in den größeren Zusammenhang einer „Militarisierung des Arbeitsverständnisses“ ein, wie sie die gesamte arbeitende Bevölkerung im NS-Regime erlebte. Im CCC blieb eine Militarisierung der Arbeit, wie sie der RAD vornahm, bis 1941 weitgehend aus. Eine ideologische Aufladung der Arbeitsidee fand nicht statt.

Am Ende der Teilvergleiche Organisationsstruktur, Erziehungsauftrag und praktische Arbeit steht die Frage nach Problemlösungskompetenzen von Diktatur und Demokratie. Das Ergebnis der Untersuchung ist nicht ohne weiteres auf einen Nenner zu bringen. Beide Dienste konnten letztlich nur ein Teil der Arbeitslosen binden, wenngleich der disziplinierende Einfluss auf junge Erwerbslose als eigentliche Zielgruppe ungleich höher veranschlagt werden muss. Die Überwindung der wirtschaftlichen Krise, ein zentrales Ziel beider Arbeitsdienste, gelang erst im Zuge der Kriegsvorbereitungen. Als „Rituale der Mobilisierung“ (S. 409) lag ihre Bedeutung daher vielmehr im Bereich der symbolischen Politik. RAD und CCC waren in der Wahrnehmung der Zeitgenossen Zeichen des Aufbruchs in eine bessere Zukunft. Diese sollte sich freilich für beide Systeme sehr unterschiedlich gestalten.

Die Perzeptions- und Transferanalyse der Studie ist dem Vergleich eindeutig nachgeordnet. Patels Studie macht sich zweifellos darum verdient, die theoretischen Diskussionen der Kulturtransfer-Forschung mit einem konkreten Fallbeispiel aus dem 20. Jahrhundert zu unterfüttern. Nichtsdestotrotz bleibt der Erklärungswert der Beobachtung, dass sich RAD und CCC gegenseitig wahrgenommen haben, bisweilen sogar einzelne Elemente des anderen adaptierten, gering. Die Deutung, moderne Gesellschaften seien kooperierend oder konkurrierend miteinander verflochten, überrascht wenig. Mit Hilfe des kontrastierenden Vergleiches, ist es Patel gelungen, eine empirisch fundierte und gut lesbare Untersuchung vorzulegen, die weit mehr ist als eine Geschichte des Reichsarbeitsdienstes. Damit ist ein für die NS-Forschung neuer Weg beschritten worden und es ist zu hoffen, dass weitere Studien dem Beispiel folgen werden.

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