M. M. Howard: The Weakness of Civil Society in Post-Communist Europe

Cover
Titel
The Weakness of Civil Society in Post-Communist Europe.


Autor(en)
Morje Howard, Marc
Erschienen
Anzahl Seiten
206 S.
Preis
£17.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan C. Behrends, Wissenschaftszentrum Berlin

Der Aufbau einer zivilen Gesellschaft war das große Projekt der ostmitteleuropäischen Opposition gegen die kommunistischen Parteistaaten; seit 1989 versuchen die postkommunistischen Staaten, dieses Ziel zu realisieren. Trotz des in Mitteleuropa weitgehend friedlichen Zusammenbruchs der kommunistischen Diktaturen ist inzwischen evident, dass der Weg zu einer zivilen Ordnung ein kurvenreicher, mühseliger und steiniger sein kann. Insbesondere zeigte sich seit dem Umbruch von 1989/91, dass die Mehrheit der BürgerInnen in den Transformationsgesellschaften nur widerwillig, eigen-sinnig oder gar nicht an diesem Projekt ihrer neuen politischen Elite partizipieren mochte. Aus dieser Konstellation leitet sich der Befund ab, dass wir es in den postkommunistischen mit schwach ausgeprägten Zivilgesellschaften zu tun haben. An dieser Stelle setzt die Arbeit von Marc Morjé Howard an, der nach Erklärungen für den Mangel an ziviler Vergesellschaftung (verstanden als öffentlicher staatsbürgerlicher Initiative jenseits von Markt und Staat) in Osteuropa sucht.

Howard kritisiert mit Recht den Teil der Transformationsforschung, der ahistorisch argumentierte („tabula rasa Phase“ der frühen 1990er-Jahre) und davon ausging, dass man mit Hilfe demokratischer Institutionen in kurzer Frist offene, demokratisch verfasste Gesellschaften errichten könnte. Weiterhin kritisiert er, dass sich die sozialwissenschaftliche Forschung zu Osteuropa bisher primär auf die Eliten und Institutionen konzentriert habe und dabei die Erfahrungen und Prägungen der BürgerInnen durch die kommunistische Herrschaft als Bedingung für den Transformationsprozess vernachlässigt habe. Er postuliert, dass eben diese Erfahrungen die entscheidende Ursache für die Schwäche der Zivilgesellschaft in Osteuropa ausmachen.

Um seine Thesen empirisch zu unterfüttern, bedient sich der Verfasser quantitativer und qualitativer Methoden. Indikator für zivilgesellschaftliches Engagement der Staatsbürger ist bei Howard die freiwillige Mitgliedschaft in Vereinigungen und Organisationen. Hier vergleicht er auf der Grundlage breiter Datenmengen. Als Fallstudien für die qualitative Forschung hat er sich das Gebiet der früheren DDR und Russlands ausgewählt. In beiden Ländern führte der Verfasser Interviews durch, in denen er Menschen zu ihrem (fehlenden) zivilgesellschaftlichen Engagement befragte. Insgesamt hofft Howard mit seinen Methoden den Blick weg von den Differenzen und unterschiedlichen nationalen Entwicklungspfaden, hin zu den Übereinstimmungen zwischen den Transformationsgesellschaften zu lenken. Dabei nützt ihm sein Forschungsdesign mit den Fallstudien zu Deutschland und Russland, die er zu Recht als most different cases unter den möglichen Untersuchungsobjekten bezeichnet.

Der Autor geht davon aus, dass drei Faktoren das geringe Interesse der Ostdeutschen und der Russen an zivilgesellschaftlichem Engagement verursachen: Erstens die negativen Erfahrungen mit der oft erzwungenen bzw. quasi-obligatorischen Mitgliedschaft in verschiedenen kommunistischen Parteien und Massenorganisationen, zweitens die immense Bedeutung informeller Netzwerke von Freunden und Familienangehörigen, die für das Leben unter sowjetischer Herrschaft von zentraler Bedeutung waren und drittens die starke Enttäuschung durch die Härten des Transformationsprozesses nach dem Ende der kommunistischen Diktatur. Anhand des World Value Surveys gelingt es dem Verfasser zu zeigen, dass die Bürger in postkommunistischen Staaten eine signifikant geringere Neigung zu zivilgesellschaftlicher Aktivität zeigen als die Bürger der klassischen westlichen Demokratien, aber auch als die Mitglieder postautoritärer Staaten in Südamerika, Afrika oder Südostasien, die keine Erfahrung mit kommunistischer Herrschaft hatten. Ein breiter sozialwissenschaftlicher Datenstrom verdeutlicht, dass die staatssozialistische Erfahrung der entscheidende Faktor ist, der die Schwäche der Zivilgesellschaft in der postsowjetischen Welt begründet.

Im qualitativen Teil der Analyse zeigt Howard anhand seines Interviewmaterials, warum sich russische und ostdeutsche Bürger nicht zivilgesellschaftlichen Organisationen anschließen. Dabei wird deutlich, dass die Erfahrung kommunistischer Herrschaft eine entscheidende Rolle bei der ausgeprägten Distanz gegenüber gesellschaftlichen Organisationen darstellt. Außerdem zeigt sich, dass die Unterschiede zwischen den Erfahrungen und Einstellungen russischer und ostdeutscher Bürger erstaunlich gering sind. Offenbar wurden beide vom sowjetischen System in ähnlicher Weise geprägt. Die signifikanten Unterschiede der Transformation treten hinter die gemeinsamen Diktaturerfahrungen zurück. Sowohl in Ostdeutschland als auch in Russland machten die Menschen ähnliche Frustrationserfahrungen mit einem neuen politischen System, auf das sie nicht vorbereitet waren, was in den 1990er-Jahren zu einer Verstärkung des Rückzugs in die Privatsphäre führte.

Howards Studie überzeugt durch ihren Versuch, die sozialwissenschaftliche Transformationsforschung stärker historisch zu verankern. Resümierend konstatiert er, dass die postkommunistischen Gesellschaften noch auf lange Zeit von den Erfahrungen geprägt sein werden, die ihre Bürger im staatssozialistischen System gemacht haben. Er sieht die Schwäche der zivilgesellschaftlichen Sphäre als besonderes Charakteristikum postkommunistischer Demokratien und erklärt, dass der Mangel an Vertrauen zu Institutionen und gegenüber Fremden in den kommenden Jahrzehnten eine belastende Hypothek kommunistischer Herrschaft sein wird. Andererseits sieht Howard jedoch Auswege aus diesen Dilemmata: Neben einer Verbesserung der sozialen Lage (insbesondere in Russland und Osteuropa) setzt er seine Hoffnung darauf, dass es dem Staat, den er nicht als Gegenspieler, sondern als Kooperationspartner der Zivilgesellschaft sieht, gelingt, freiwillige Institutionen, Netzwerke, Bewegungen und Organisationen gezielt zu fördern. So könnte das Defizit an Zivilgesellschaft mittelfristig von einer neuen Generation von Staatsbürgern überwunden werden.

Abschließend einige kritische Bemerkungen zu dieser insgesamt kohärenten und überzeugenden Studie. Die Auswahl der Fallstudien Ostdeutschland und Russland ist zwar interessant und aufschlussreich; der Autor widmet jedoch einer kritischen Kontrastierung der historischen Entwicklung seit 1989 nicht genügend Raum. Howard unterstellt, Russland habe sich nach der Auflösung der Sowjetunion auf den Weg zu einer demokratischen Gesellschaft begeben. Diese unwidersprochene Grundannahme der Studie ist wenigstens zweifelhaft, wenn nicht abenteuerlich – insbesondere wenn man den Vergleich mit anderen postkommunistischen Gesellschaften (nicht nur mit Ostdeutschland!) ernst nimmt. Die Kontinuität autoritärer Strukturen und das Fehlen von Rechtsstaatlichkeit im postsowjetischen Russland finden in der Analyse keinen gebührenden Niederschlag. Der Autor vernachlässigt demnach die Frage, ob in Russland nach 1991 überhaupt Institutionen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen geschaffen wurden, die es erlauben, von einem gezielten Transformationsprozess in Richtung Zivilgesellschaft zu sprechen. Viele Indikatoren weisen eher in Richtung der Kontinuität repressiver Strukturen. Auch versäumt es Howard, die traditionell stark ausgeprägte Staatsfixiertheit zu thematisieren, die für die russische und auch die deutsche Gesellschaft schon vor der kommunistischen Diktatur charakteristisch waren und es immer noch sind (nicht aber für andere Transformationsgesellschaften wie etwa Polen). Gerade die tradierte hohe Erwartungshaltung gegenüber dem (Sozial-)Staat dürfte in Deutschland und Russland weiterhin die zivilgesellschaftlichen Dynamiken abbremsen. Eine historische Analyse der Bedingungen von Zivilgesellschaft kann eben weder 1989 noch 1917 einsetzen – sie muss den gesamten Weg einer Gesellschaft in die Moderne in den Blick nehmen.

Schließlich erscheinen einige plausible Postulate des Buches nach den Ereignissen der letzten Wochen in einem neuen Licht. Dass es neue Formen politischer Mobilisierung in Osteuropa gibt, zeigte die „orangene Revolution“ in der Ukraine. Eine Bevölkerung, die über ein Jahrzehnt stoisch die Willkürherrschaft einer korrupten Elite ertragen hatte, fand im Winter 2004 überraschend die Kraft und den Mut, den öffentlichen Raum der Hauptstadt zu nutzen, um dort friedlich, aber mit großer Verve ihr Wahlrecht und einen politischen Kurswechsel in Richtung demokratischer, legaler und ziviler Herrschaft einzufordern. Wie – trotz einer schwachen Ausprägung zivilgesellschaftlicher Faktoren – dieses Phänomen zu erklären ist, ist ein Desiderat für weitere sozialwissenschaftliche Forschung zum spannenden Thema Zivilgesellschaft in Osteuropa.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension