W. Schmidt-Biggemann: Politische Theologie der Gegenaufklärung

Titel
Politische Theologie der Gegenaufklärung. De Maistre, Saint-Martin, Kleuker, Baader


Autor(en)
Schmidt-Biggemann, Wilhelm
Erschienen
Berlin 2004: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
159 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Natalie Scholz, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

„Warum“ fragt Wilhelm Schmidt-Biggemann am Ende des Buches „werden hier Philosophen aus der Versenkung geholt, die [...] als Reaktionäre, ewig Gestrige, zu Recht Vergessene [...] gelten?“ (S. 143) Diese defensiv anmutende Frage scheint zunächst unverständlich, drängt sich doch die Aktualität des Themas in gewisser Hinsicht auf: Das Grundprinzip einer heilsgeschichtlichen Interpretation der modernen politischen Welt, wie sie die hier behandelten politischen Theologen der Gegenaufklärung um 1800 betrieben, begegnet uns heute in Gestalt der diversen Formen fundamentalistischer Religiosität. In den gegenwärtigen Debatten um diese Bewegungen sind grob zwei sehr unterschiedliche Deutungen auszumachen. Für die einen repräsentieren diese Strömungen ein Denken, das schlicht in der Vergangenheit stehen geblieben ist, für die anderen sind sie selbst Teil und Konsequenz der ‚Moderne’ und müssen als solche begriffen werden.

Während die neuere historische Forschung zum gegenaufklärerischen Denken kein ausgeprägtes Interesse an solch übergreifenden Fragestellungen zeigt 1, sieht dies in der Philosophie anders aus. Hier ragt vor allem Isaiah Berlin hervor, der sich intensiv mit diesem ansonsten eher vernachlässigten Thema, namentlich insbesondere mit dem Denken Joseph De Maistres auseinandergesetzt hat und wie kein anderer für die These steht, dass das Denken der Gegenaufklärung und der Gegenrevolution als Bestandteil der Moderne selbst zu verstehen sei. 2

Der Name Berlins taucht indes nicht im Literaturverzeichnis des Buches von Wilhelm Schmidt-Biggemann, Professor für Philosophie an der Freien Universität, über die „Politische Theologie der Gegenaufklärung“ auf, das denn auch eine andere globale Einordnung vornimmt. Diese findet man allerdings erst auf der letzten Seite des Buches. Die Denker der Gegenrevolution zeigten, heißt es da, den „alten abendländischen Komfort“ und böten „voraufgeklärte Geschichtstheologie“ neu an, weswegen sie „überholt, altmodisch, überflüssig“ wirkten (S. 145). Die Beschäftigung mit diesen Theoretikern erklärt sich hier also gerade nicht aus einem Verständnis der Moderne, das diese Art des Denkens integrieren könnte oder wollte.

Das Hauptinteresse Schmidt-Biggemanns an den Texten der Gegenaufklärung ist, diesem „Epilog“ nach zu urteilen, kein historisches, sondern ein systematisches oder besser gesagt ein geschichtsphilosophisches. Er argumentiert durchaus überzeugend, dass wir den existentiellen Fragen über Sinn und Ziel der Geschichte nicht entkommen können. Trotz der Verbesserungs-Rhetorik der Demokratie bleibe das „Entsetzen, Geschichte könne unversöhnt enden“ (S. 145) ob unseres Unwissens über die Zukunft notgedrungen aktuell. Dass uns dieser Schrecken so deutlich nur in der radikalen Geschichtstheologie begegnet, mache diese Texte zu lohnenswerten Objekten der „theoretischen Neugierde“.

Im „Vorwort“ liefert Schmidt-Biggemann eine geschichtsphilosophische Reflexion über „ Muster- und Urgeschichten“ und insbesondere über die „weltweit wohl erfolgreichste Geschichte“ (S. 12) der göttlichen Erschaffung der Welt und der Menschen, ihres Sündenfalls und ihrer Erlösung. Diese Mustergeschichte erweist sich als „erstaunlich stabil und variabel“ sie wird von Lessing ebenso herangezogen wie von der Freimaurerei. Dass die Heilsgeschichte im Denken der Gegenrevolution gerade auf dasjenige Ereignis angewendet wurde, welches ihre Geltung überhaupt in Frage stellte, mache die politische Theologie zu einer Art Test für die „Leistungsfähigkeit der heilsgeschichtlichen Mustergeschichte“ insgesamt (S. 17). Doch dieser lediglich angedeutete Fragehorizont wird von Schmidt-Biggemann leider in keiner Weise ausgeführt und bleibt daher allzu vage.

In drei Kapiteln stellt Schmidt-Biggemann die von ihm ausgewählten Autoren und einige ihre Schriften vor. Es fällt schwer, den Inhalt dieser Kapitel adäquat zusammenzufassen, da Sätze, die das Dargestellte in größere Zusammenhänge oder Fragestellungen einordneten, Mangelware sind. Man fühlt sich über weite Strecken an Nietzsches Diktum von den „unverdaulichen Wissenssteinen“ 3 erinnert, denn troz der im Vorwort und im Epilog aufgeworfenen systematisch-geschichtsphilosophischen Fragen verfährt Schmidt-Biggemann in der Behandlung der einzelnen Texte nach einem recht eng gefassten ideengeschichtlichen Muster. Der Inhalt der Texte wird eher referiert als übersetzt und diskutiert, wobei einzelne Aspekte auf bestimmte ideengeschichtliche Einflüsse zurückgeführt werden. Martines de Pasqually, ‚Vordenker’ der mystischen Freimaurer, und sein Propagator Claude Louis de Saint-Martin liefern laut Schmidt-Biggemann die entscheidende theoretische Grundlage für das Denken Joseph de Maistres, Johann Friedrich Kleukers und Franz von Baaders. Das von Pasqually verwendete „Motiv des perfekten Urmenschen“, stammt wiederum, wie wir erfahren dürfen „aus der Tradition der kosmischen Anthropologie, die in der philonischen Idee des ersten Adam sowie in der paulinischen Adam-Christus-Typologie grundgelegt und vor allem im christlichen Neuplatonismus weiterbearbeitet wurde“ (S. 28).

In der abschließenden Bewertung des einflussreichen „Traité de Réintégration“ von Pasqually stellt der Autor die „ideologische Unausweichlichkeit“ (S. 34) der immer schon in die Zukunft weisenden Universalgeschichte heraus, die jeden Einzelnen für die Verwirklichung des Heils mit verantwortlich mache. In diesem Aspekt findet sich die Idee der Wohlfahrt wieder, von der auch der sich abspaltende „linke“ Flügel der Freimaurerbewegung, die Illuminaten, geprägt war. Doch an diese Beobachtung schließt nicht, wie nahe liegen würde, eine Reflexion darüber an, in welchem Maße womöglich doch auch die mystische Freimaurerbewegung in die komplexe Kulturbewegung der Aufklärung selbst eingeordnet werden müsste.

Auf den knapp 35 Seiten (S. 45-79) über De Maistres widmet sich Schmidt-Biggemann dem zentralen Thema des Buches, den Konsequenzen der Französischen Revolution für die politische Theologie. Die Französische Revolution habe einen „totalen Bruch aller weltgeschichtlichen Kontinuitätsvorstellungen“ (S. 46) bedeutet. Erst durch sie gelangte die Möglichkeit der unversöhnten Geschichte ins Bewusstsein und brach den festen Glauben an die durch Gott garantierte Realisierung des Guten in der Welt. Vor diesem Hintergrund betrachteten De Maistre und andere die Revolution als „Sünde wider den göttlichen Heilsplan“ (S. 47) und als Herrschaft des Bösen selbst.

Die Abschnitte über die drei wichtigsten Werke De Maistres sind aus historischer Perspektive insofern die lohnendsten, als sich hier etliche Topoi wieder finden, die in radikalen (nicht nur reaktionären) politischen Diskursen später immer wieder auftauchen. De Maistre hat mit einem bemerkenswerten Aufwand versucht, eine legitime souveräne Macht jenseits der „Vernunft“ und offenbar durchaus im Bewusstsein der verloren gegangenen selbstverständlichen religiösen Legitimation zu denken und dabei die Macht selbst ins Zentrum gestellt. Bedauerlicherweise löst Schmidt-Biggemann jedoch weder sein systematisches Interesse an der Leistungsfähigkeit des Heilsgedankens ein - dann hätte er zumindest ansatzweise die offensichtlichen theoretischen Widersprüche diskutieren müssen -, noch liefert er eine historische Interpretation, welche die gegenrevolutionäre Theorie stärker vor dem Hintergrund der Epoche würdigte und etwa in einen Zusammenhang mit anderen politischen Strömungen stellte.

Auch die beiden folgenden Kapitel bestätigen den Gesamteindruck eines Buches, das ohne große gedankliche Sorgfalt produziert wurde und daher das Potential eines eigentlich spannenden Themas verschenkt. Im dritten Kapitel über Franz von Baader tritt das Thema der politischen Theologie gegenüber der reinen heilsgeschichtlichen Theologie in den Hintergrund. Immerhin wird mit Baader ein Denker vorgestellt, der sich zwar auf dieselben ideengeschichtlichen Grundlagen wie De Maistre beruft, für den aber keineswegs die Gefahr der unversöhnten Geschichte aufzieht, der infolgedessen weit weniger radikale politische Konsequenzen zieht. Zwischen dieses durchaus interessante Duo hat Schmidt-Biggemann aus schwer nachvollziehbaren Gründen ein Kapitel über Johann Friedrich Kleuker eingeschoben, dessen Haupttext noch vor der Revolution entstand. Hier dominieren vollends langatmige Darlegungen über die trinitarisch konzipierte Gottheit, den Ur-Menschen und die kabbalistische Zahlenmystik. Wer nicht genügend historistische Neugier mitbringt, dem bleibt die eingangs zitierte Frage nach dem „Warum“ bei diesen Passagen unbeantwortet im Kopfe hängen.

Anmerkungen:
1 Zu jüngeren deutschsprachigen Publikationen über das Thema Gegenaufklärung siehe die Sammelbesprechung: Kraus, Hans-Christof, Gegenaufklärung, Spätromantik, Konservatismus. Zu einigen neueren Veröffentlichungen, in: Historische Zeitschrift 269 (1999), S. 371-413.
2 Vgl. zuletzt Berlin, Isaiah; Hardy, Henry (Hgg.), Freedom and Its Betrayal. Six Enemies of Human Liberty, Princeton 2002.
3 Nietzsche, Friedrich, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, Zürich 1984, S. 36.