W. Hechberger: Adel, Ministerialität und Rittertum im Mittelalter

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Titel
Adel, Ministerialität und Rittertum im Mittelalter.


Autor(en)
Hechberger, Werner
Reihe
Enzyklopädie deutscher Geschichte 72
Erschienen
München 2004: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
168 S.
Preis
€ 19,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Weller, Historisches Seminar, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Bei nahezu allen Themenfeldern der mittelalterlichen Geschichte, von der politischen und Verfassungsgeschichte über die Sozial-, Landes- und Kirchengeschichte bis hin zur Kultur- und Mentalitätsgeschichte, kommt dem Adel eine mehr oder minder wichtige Rolle zu. Entsprechend umfangreich ist die wissenschaftliche Literatur, die sich mit dem Phänomen „Adel“ bzw. mit den Wandlungsprozessen innerhalb des Adels, mit einzelnen Adelsgruppen, mit den Formen der Adelsherrschaft bzw. mit adliger Lebensart usw. beschäftigen.

Was für „Adel“ generell gilt, gilt im Besonderen auch für die Problembereiche „Ministerialität“ und „Rittertum“. Wer hier eine Summe ziehen will, benötigt angesichts der Bandbreite des Themas und der Flut an Fachliteratur eine gehörige Portion Mut.

Um so anerkennenswerter ist es, dass der Passauer Historiker Werner Hechberger nunmehr eine Synthese zur Adelswelt des fränkisch-deutschen Mittelalters vorgelegt hat, und dies, obwohl ihm gemäß der Konzeption der Reihe für Darstellung samt Forschungsüberblick und Bibliografie nur ein denkbar knapper Raum von ca. 150 Seiten zur Verfügung stand. Hier ist Konzentration auf das Wesentliche gefragt: Thematische Aspekte müssen in einem Absatz zusammengefasst, Forschungsbeiträge in einem Satz auf den Punkt gebracht werden. Diese Herausforderung hat Hechberger auf beeindruckende Weise gemeistert.

Dabei kann das Themenspektrum eigentlich kaum umfassender sein. Es reicht von der umstrittenen Frage, ob der politischen Führungsschicht des fränkischen Merowingerreiches bereits Adelsqualität zukommt, über die Gestalt der karolingischen „Reichsaristokratie“, das Beziehungsgefüge zwischen Herrscher und Adel bzw. zwischen Adel und Reichskirchen, die territoriale „Verdichtung“ von Adelsherrschaft und den damit einhergehenden Wandlungsprozess vom vornehmlich horizontal ausgerichteten Familienverband („Sippe“) zum patrilinear strukturierten Geschlecht bis hin zur Absonderung rechtlich abgehobener Spitzengruppen des Adels (Reichsfürstenstand, Kurfürstenkolleg), zu Aufkommen, Zusammensetzung und Verbreitung des ministerialischen Dienst- und des Ritteradels sowie zu dem komplexen Phänomen der ständischen Ausdifferenzierung im Spätmittelalter (Hoch- und Niederadel, Landesherrschaft und landständischer Adel usw.). Die Wechselwirkungen zwischen militärischen Innovationen (z.B. steigende Bedeutung der Reiterei in der frühen Karolingerzeit; „Renaissance“ des Fußvolkes im 14. Jahrhundert) und sozialer Formierung werden ebenso aufgezeigt wie die zeitgenössischen „Deutungsschemata“ sozialer Wirklichkeit (funktionale Dreiteilung der Gesellschaft).

Entsprechend vielfältig sind die Aspekte, die Hechberger in seine Darstellung einbezieht. Er geht auf diverse, für das Thema relevante Quellengattungen ein (z.B. Leges, Genealogien, Fürstenspiegel, Hofrechte), skizziert die wesentlichen Entwicklungslinien des mittelalterlichen Adels und behandelt in knapper Form zahlreiche Gesichtspunkte seiner Herrschaftsbasis, seines Selbstverständnisses und seiner Lebensformen: Neben den materiellen Grundlagen adliger Herrschaft werden die Ausbildung und Systematisierung des Lehnswesens angesprochen, der archäologische Befund frühmittelalterlicher „Prunkgräber“, der Burgenbau, die vielschichtige Memorialkultur, die Gewohnheiten der Namengebung (Namenvariation, Leitnamenprinzip), die adlige Siegel- und Wappenführung, die höfisch-ritterliche Kultur, das Turnierwesen, das Aufkommen der Ritterorden, die soziale Zusammensetzung der Kloster- oder Stiftskonvente (Stiftsadel), die Residenzbildung und vieles andere mehr.

Die Ausführungen Hechbergers zu seinem komplexen Gegenstand sind durchweg klar strukturiert, stringent in der Gedankenführung und konzise in der Formulierung. Die Art und Weise, wie er überblicksartig ein weites und facettenreiches Forschungsfeld absteckt, zeugt von imponierender Belesenheit und souveräner Kenntnis der Materie, die wissenschaftliche Beiträge präzise zu resümieren und sicher in größere Zusammenhänge einzuordnen versteht. Allenthalben wird spürbar, dass hinter jedem Satz reifliche Überlegung steht. Da der Band als Arbeitsinstrument konzipiert ist, das eine Übersicht bieten will, ohne selbst mit eigenen Thesen aufzuwarten, verzichtet Hechberger weitestgehend auf eigene Ansichten und Wertungen, sondern beschränkt sich darauf, die Grundzüge der Forschungsgeschichte sowie den gegenwärtigen Forschungsstand darzulegen. Dabei weist er relativ häufig darauf hin, dass dieser oder jener Punkt unklar oder umstritten sei bzw. dass bestimmte Sachverhalte nur wahrscheinlich zu machen, aber nicht sicher zu belegen seien. Auf dieser Linie liegt es beispielsweise, wenn er nach der Abwägung der rechts- und verfassungsgeschichtlichen Diskussion hinsichtlich der frühmittelalterlichen Gesellschaft zu dem ernüchternden Fazit kommt: „Ein konsensfähiges Gesamtbild [...] erscheint aus heutiger Sicht [...] nicht möglich.“ (S. 61) Prinzipiell ist Hechberger darum bemüht, Erkenntnisprobleme aufzuzeigen und Thesen und Theorien auch als solche erkennbar werden zu lassen und nicht als verifizierte Fakten auszugeben. Auch sein Hinweis auf die heuristische Problematik des Herrschaftsbegriffes ist in der Sache sicher richtig (S. 67f.); freilich wird man auf ihn – selbst wenn er sich im Zweifelsfall nur schemenhaft konkretisieren lässt – kaum verzichten können; jedenfalls geht es wohl etwas zu weit, wenn angemahnt wird, „ohne grundsätzliche Modifikationen“ könne „der Herrschaftsbegriff in der Mediävistik wohl kaum noch verwendet werden“ (S. 68).

Der bibliografische Teil (S. 119-152) umfasst insgesamt 428 Titel, wobei anzumerken ist, dass hier auch viele Sammelbände aufgeführt sind, deren einzelne Beiträge nicht eigens aufgelistet wurden. Bei einem solchen Kompendium kann nur das Wichtigste geboten werden, und so stand Hechberger vor der undankbaren Aufgabe, eine recht restriktive Auswahl zu treffen. Sinnvollerweise hat er hierbei im Allgemeinen der neueren Literatur den Vorzug vor der älteren gegeben, wobei er selbst konzediert, dass bei der Erstellung des Verzeichnisses ein subjektives Moment nicht auszuschalten sei. So kann es nicht verwundern, dass der Leser hier und da einen Titel vermissen wird, der sich aber über die gebotenen Literaturhinweise relativ problemlos ermitteln lässt.

Insgesamt handelt es sich um einen rundum gelungenen, sehr instruktiven Band, den ein ausführliches Autoren-, Personen-, Orts- und Sachregister erschließen hilft. Überdies macht er gespannt auf die noch unveröffentlichte Habilitationsschrift von Werner Hechberger, in der er sich in ausführlicher Form mit der „Anatomie“ der Forschungsgeschichte zum fränkisch-deutschen Adel auseinander gesetzt hat.

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