H. Härke (Hg.): Archaeology, Ideology and Society

Titel
Archaeology, Ideology and Society. The German Experience


Herausgeber
Härke, Heinrich
Erschienen
Frankfurt am Main 2002: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
437 S., 40 Tab., 7 Graf.
Preis
€ 56,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Theune, Institut für Ur- und Frühgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin

Der im Jahre 2000 erstmals erschienene Sammelband zur Geschichte und Entwicklung der Prähistorie in Deutschland als Wissenschaft war schon nach zwölf Monaten vergriffen, es folgte zu Beginn des Jahres 2002 eine zweite überarbeitete Auflage - auch diese ist inzwischen weitgehend verkauft. Die zunächst ungewöhnlich wirkende Form des Buches, eine spezifisch deutsche Thematik in englischer Sprache zu veröffentlichen, trifft offensichtlich das Bedürfnis der (vorwiegend englischsprachigen?) LeserInnen.

Der Sammelband ist aus der Tagung der Arbeitsgemeinschaft Theorie (Theorie-AG), eine unabhängige Vereinigung theoretisch interessierter Archäologen, im walisischen Lampeter im Jahre 1990 hervorgegangen. Der politische Umbruch in Deutschland und Europa war damals Anlass, die Entwicklung der Ur- und Frühgeschichte als Fachwissenschaft unter verschiedenen Machtsystemen zwischen 1871 und 1990 in Deutschland und den jeweiligen Einfluss auf das Fach und die Fachvertreter in den Blickpunkt zu rücken. 1990 war dies eine neue aktuelle Fragestellung, doch leider hat der Band durch das verspätete Erscheinen 10 Jahre nach der Tagung seine Aktualität etwas eingebüßt. In der Zwischenzeit haben sich weitere Konferenzen ähnlichen Problemstellungen zugewandt und sind verschiedene Teilaspekte thematisiert und publiziert worden. Zwar haben die Autoren des hier zu besprechenden Werkes die nach 1990 erschienen Literatur für den Druck noch berücksichtigt, doch sind insgesamt Lücken festzustellen, die auch in der überarbeiteten 2. Auflage nicht völlig geschlossen wurden. So liegen heute mehrere forschungsgeschichtliche Untersuchungen vor, die ähnliche Fragestellungen für verschiedene Zeitspannen analysieren.

In dem hier zu besprechenden Band kommen Kollegen zu Wort, die um 1990 einer jungen, dem eigenen Fach gegenüber kritisch eingestellten Generation angehörten. Hier sollen nicht die einzelnen Beiträge differenziert besprochen, sondern einige allgemeine Bemerkungen angeführt werden. Ausführliche Rezensionen von Sebastian Brather und Christiane Frirdich zur ersten Auflage des Bandes geben einen vielschichtigen Überblick über die Abhandlungen 1, so dass zunächst ein kurzer Abriss genügen soll. Der Band umfasst 13 Einzelbeiträge und gliedert sich in vier Hauptteile: From Nationalism to Nazism (Kap. 1), Post-War West Germany (Kap. 2), East Germany and Reunification (Kap. 3) und International Perspectives (Kap. 4). Durch eine zusätzliche ausführliche Einleitung des Herausgebers Heinrich Härke wird der Leser in die Entstehungsgeschichte und Motivation des Werkes und in die einzelnen thematischen Abschnitte und Aufsätze eingeführt. Diverse Listen zu den Abbildungen, Tafeln, Abkürzungen und ein Index ergänzen die Texte. Die Abbildungen selber sind einerseits manchmal sehr klein (U. Sommer), andererseits unverhältnismäßig groß geraten (E.-M. Mertens), der Index ist sowohl in der 1. wie in der 2. Auflage unvollständig.

Im ersten Abschnitt wird die Zeit zwischen der Jahrhundertwende und dem Ende des 2. Weltkrieges behandelt. Der Beitrag von Ulrich Veit beleuchtet die Stellung Gustaf Kossinnas und seinen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Faches in Deutschland und im Ausland, Henning Hassmann widmet sich der Archäologie im Dritten Reich, und Frank G. Fetten beschäftigt sich mit der spezifischen naturwissenschaftlich-exakten (R. Virchow) bzw. der kulturhistorischen Fachausrichtung (G. Kossinna). Im zweiten Abschnitt wird die weitere Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1945 und 1990 betrachtet. Sabine Wolfram analysiert die positivistischen Arbeitsweisen im fachlichen Diskurs um Typologie und Chronologie sowie die enge Kooperation mit den (exakten) Naturwissenschaften, Ulrike Sommer schildert den Aufbau und die Ausbildung des Faches an den deutschen Universitäten, und Martin Schmidt behandelt das Verhältnis von Archäologie und Öffentlichkeit. Die Abhandlung von Eva-Maria Mertens blickt auf die berufliche Stellung der Archäologinnen und Sigrun Kalisch, Sibylle Kästner und Helga Brandt erläutern die in Deutschland noch zu wenig etablierten archäologisch ausgerichteten Genderstudien. Der dritte Teil umfasst zwei Beiträge, einerseits der Blick von Werner Coblenz zurück auf die Organisation und Forschungsschwerpunkte der Archäologie in der DDR; die durch die Vereinigung beider deutscher Staaten vollzogene Umstrukturierung des Faches in den fünf neuen Bundesländern wird von Jörn Jacobs untersucht. Der vierte und letzte Abschnitt enthält drei Aufsätze von im Ausland tätigen Fachkollegen: John Kinahan thematisiert die schon in 1920er-Jahren unternommenen und heute noch von deutscher Seite fortgeführten Forschungen zu den Felsbilder in Namibia; Tom Bloemers und Bettina Arnold blicken von außen auf die deutsche Archäologie, als Nachbarn aus den Niederlanden und mit einer weiteren Distanz aus den USA. Sie beschreiben nicht ganz unzutreffend einige Merkmale der deutschen Archäologie, zu denen sie einen „objektiven“ Positivismus als Folge der Fachentwicklung im Dritten Reich, die auf Empirie und weniger auf theoretischen Modellen beruhende Interpretation, die strukturellen Probleme zwischen den drei großen Bereichen Universität, Denkmalpflege und Museen sowie ihre umfassenden Auslandsbeziehungen zählen. Die scheinbar mangelnde Berücksichtigung theoretischer Grundlagen in der Lehre und daraus weiter folgenden Analysen archäologischer Fragestellungen ohne theoretisches Fundament, wie sie noch Bloemers und Arnold kritisieren, ist nach Meinung der Rezsentin heute nicht mehr in dieser Weise aufrecht zu halten. Inzwischen werden in der universitären Lehre die vielschichtigen Methoden und Theorien von den zahlreichen Kollegen – dazu gehören auch etliche Autoren des Sammelbandes – intensiv unterrichtet. Mehrere – auf Deutsch publizierte – grundlegenden Abhandlungen stehen seither ebenfalls zur Verfügung. Als Resultat liegen außerdem schon etliche Abschlussarbeiten vor, die die Verifizierung verschiedener Modelle anhand des archäologischen Materials thematisieren. Doch diese Entwicklung ist erst verstärkt seit der Mitte der 1990er-Jahre zu beobachten.

Etwas ausführlicher soll auf die Einführung von Heinrich Härke und die oben angesprochenen allgemeinen Aspekte eingegangen werden. Dessen Einführung thematisiert die Notwendigkeit, den steten Einfluss von aktueller Politik, Zeitgeist und Gesellschaftsströmungen auf die Wissenschaften, speziell die Ur- und Frühgeschichte, zu untersuchen. Da in Deutschland in den letzten 130 Jahren sehr unterschiedliche politische Machtverhältnissen herrschten, seien die jeweiligen Beeinflussungen auf das Fach besonders gut zu analysieren. Doch um die Entwicklung in Deutschland überregional einzuordnen, sollte in zukünftigen Untersuchungen vergleichend die Situation in anderen Staaten und anderen Zeitepochen diskutiert werden, vollzieht sich doch die Entwicklung der Wissenschaften generell innerhalb eines politisch-gesellschaftlichen Kontextes, der u.a. durch das Wechselverhältnis von globalen Prozessen und nationalen Besonderheiten gekennzeichnet ist. Das spezielle Verhältnis von Großbritannien zu Europa spielt beispielsweise in der angelsächsischen Migrationsforschung eine immer wiederkehrende Rolle. Auf die Beeinflussung der archäologischen Fragestellungen und Themen durch allgemeinpolitische Tendenzen haben im Übrigen schon H. J. Eggers 2 und K. Böhner 3 hingewiesen.

Aktuelle Strömungen in Gesellschaft und Politik und die Übertragung in die Fachwissenschaft lassen sich allerorts ausmachen. Härke führt für die gegenwärtige Archäologie das Thema Europa an, welches in jüngster Zeit durch verschiedene Ausstellungen programmatisch thematisiert wurde, andere Beispiele wie die ethnische Fragestellungen waren und sind sowohl in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts aber auch nach dem Ende der kommunistischen und sozialistischen Regime in Osteuropa hoch aktuell. Die teilweise von den Kollegen kritisierten chronologisch und typologisch ausgerichteten „objektiven“ Studien der Nachkriegszeit können auch mit dem Pragmatismus der Zeit zusammengebracht werden; die Umweltarchäologie ist nicht ohne ein allgemein geschärftes Umweltbewusstsein in den 1980er-Jahren denkbar; die neuerdings aufkommenden Analysen zu prähistorischen ökonomischen Weltsystemen hängen mit der allgemeinen Diskussion um die Globalisierung zusammen; weitere Themen ließen sich anführen.

Eine zweite wesentliche Motivation für die vorliegende Publikation sieht Härke in der fehlenden Kommunikation zwischen unterschiedlichen Strömungen und Schulen im internationalen archäologischen Diskurs. Grund hierfür sei eine Sprachbarriere: die anglophonen Wissenschaftler nehmen auf der einen Seite aufgrund fehlender Deutschkenntnisse die hiesige Forschung nicht wahr, auf der anderen Seite berücksichtige die deutsche Forschung nicht die seit den 1960er-Jahren formulierten theoretischen Ansätze und Modelle aus dem angloamerikanischen Raum. Um hier eine erste Brücke zu schlagen, wurde diese Aufsatzsammlung in englischer Sprache publiziert. Härke, als deutschsprachiger Fachvertreter im englischen Reading tätig, kennt die Problematik der Sprachbarriere genau und möchte daher diesem erweiterten Leserkreis die Entwicklung des Faches in Deutschland nahe bringen. Der Ansatz ist sicherlich richtig, doch ist mit dem Buch nur ein erster kleiner Schritt getan. Das Problem der mangelnden Kommunikation betrifft nicht nur die vielsprachige internationale Archäologie, sondern ebenso - wenn auch in geringerem Maße - das Fach im eigenen Land. Die Auswahl der verwendeten Literatur und damit die kritische Auseinandersetzung mit den Kollegen wird häufig selektiv betrieben. Das Nichtbeachten von Fachbeiträgen zeugt ebenso von mangelnder Kommunikation wie hemmende Sprachbarrieren. So sind auch in dieser 2. Auflage die zwei ebenfalls 130 Jahre Forschungsgeschichte umfassenden Abhandlungen von G. Kossack 4 nur in zwei Beiträgen berücksichtigt worden (Hassmann, Bloemers), eine Einbeziehung wäre aber für etliche andere Autoren möglich gewesen. Vielleicht hätten zumindest auch die Vorberichte zu den forschungsgeschichtlichen Tagungen in Berlin 5 und Freiburg beachtet werden können.6

Der internationale Diskurs muss nach Meinung der Verfasser Sprachbarrieren überwinden. Während die skandinavischen, niederländischen und deutsche Wissenschaftler in der Regel mehrere Sprachen beherrschen und daher ein weites Publikationsfeld überblicken könnten, begrenzen sich z.B. spanische, französische und englische Kollegen häufig nur auf ihre Muttersprache. Daher ist die englischsprachige Publikation des Sammelbandes nur eine logische Konsequenz. Die Übersetzung von bedeutenden Aufsätzen G. Kossacks, die von Bernhard Hänsel und Anthony Harding 1998 herausgegeben wurde, ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung.7

Abschließend kann festgehalten werden, dass 1990 die Thematisierung der gesellschaftlichen und politischen Einflüsse auf die Archäologie in Deutschland einen sehr wichtigen Baustein bei der Aufarbeitung der Wissenschaftsgeschichte bildete. Das Thema war in der Zeit der Wende hoch aktuell und bedeutsam für die weitere Diskussion im Fach. Heute nach über 10 Jahren ist manches in dieser zweiten, nur wenig überarbeiteten Auflage weniger zeitgemäß bzw. von anderer Seite differenzierter betrachtet worden. Dies gilt für wissenschaftsgeschichtliche Aspekte, aber auch für die theoretisch-methodisch fundierte Ausbildung der Studierenden. So liegt der englischsprachigen Welt zwar nun ein Einblick in die Entwicklung des Faches in Deutschland aus der Sicht einiger Fachkollegen der frühen 1990er-Jahre vor, für eine echte wissenschaftliche Diskussion müssen den ausländischen Kollegen aber auch andere Einsichten und Meinungen zum deutschen Weg dargeboten, die inzwischen erreichten Ziele und die noch herrschenden Mängel benannt und auf europäischer Basis eine vergleichende Studie vorgelegt werden.

Anmerkungen:
1 Brather, Sebastian, Germania 80 (2002), S. 389-394; Frirdich, Christiane, Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 44 (2003), S. 293-299.
2 Eggers, Hans Jürgen, Einführung in die Vorgeschichte, München 1959, passim.
3 Böhner, Kurt, Das Römisch-Germanische Zentralmuseum - eine vaterländische und gelehrte Gründung des 19. Jahrhunderts, in: Jahrbuch Römisch-Germanisches-Zentralmuseum Mainz 25 (1978), S. 1-48.
4 Kossack, Georg, Prehistoric Archaeology in Germany - Its History and Current Situation, in: Norwegian Archaeological Review 25 (1992), S. 73-109; Ders., Prähistorische Archäologie in Deutschland im Wandel der geistigen und politischen Situation, Bayerische Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist.Kl. 4, München 1999.
5 Leube, Achim; Hegewisch, Morten (Hgg.), Prähistorie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933-1945 (Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 2), Heidelberg 2001; Neumayer, Heino, Tagungsbericht: Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933-1945. Internationale Tagung in Berlin, November 1998, in: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 40/1 (1999), S. 99-102; Ament, Herrmann, Bericht über die internationales Tagung „Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933-1945, November 1998 in Berlin, in: Archäologisches Nachrichtenblatt 4 (1999), S. 369-372.
6 Steuer, Heiko (Hg.), Eine hervorragend nationale Wissenschaft. Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995, Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 29, Berlin 2001; Theune, Claudia, Bericht über die Tagung „Eine hervorragend nationale Wissenschaft“ - Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995. Arbeitsgespräch Freiburg/Br. 1999, in: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 40/2 (1999), S. 263-265; Brather, Sebastian, Bericht über die Tagung des Teilprojektes C4 „Eine hervorragend nationale Wissenschaft“. Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 1995, in: Archäologisches Nachrichtenblatt 5 (2000), S. 359-362.
7 Hänsel, Bernhard; Harding, Anthony F., (Hgg.), Towards Translating the Past. Georg Kossack - Selectes Studies in Archaeology. Ten Essays Written From the Year 1974 to 1997, Rhaden 1998.

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