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Titel
Begegnungen. Über nahe und ferne Freunde


Autor(en)
Fest, Joachim C.
Erschienen
Reinbeck 2004: Rowohlt Verlag
Anzahl Seiten
383 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tilmann Lahme, Göttingen

Dem sechzehnjährigen Flakhelfer Joachim Fest gab sein Deutschlehrer 1943 eine Lehre mit auf den Lebensweg, die ihn vor den Gefahren totalitärer Verführungen und utopischer Modelle bewahren sollte: „Niemals gegen den Zweifel leben! Sondern immer und in jeder Lage mit dem Zweifel!“ Fest, langjähriger Herausgeber der FAZ, Hitler- und Speer-Biograf und Autor des jüngst von Bernd Eichinger verfilmten „Untergangs“ 1, stellt diese Lebensweisheit seinem neusten Buch „Begegnungen. Über nahe und ferne Freunde“ als Motto voran. Es handelt von Personen, die „mein Denken und die Maximen, denen es folgte“, beeinflussten, so Fest im Vorwort. (S. 7)

Die meisten der Porträtierten spielten eine nicht unerhebliche Rolle in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik. Sebastian Haffner und Golo Mann schrieben – wie Fest selbst – historische Werke, die von der Zunft zuweilen als halbwissenschaftlich angegriffen wurden, aber zugleich eine enorme Breitenwirkung entfalteten, viele Leser erreichten und den Grundstein dafür legten, dass auch ihre publizistischen und politischen Äußerungen weithin Gehör fanden. Über die öffentliche Bedeutung von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein oder der politischen Philosophin Hannah Arendt erübrigt sich jedes weitere Wort, und die meist scharfen Töne von Arnulf Baring sind fester Bestandteil der gegenwärtigen öffentlichen Debatten.

Doch wer hofft, mit Hilfe der Personenskizzen von Fest tiefer in die Gedankenwelt der Porträtierten oder des Autors einzusteigen, wird in dem Buch wenig finden. „Die Anschauung der Person mag einen besseren Zugang zum Werk eröffnen als die zwangsläufig verkürzende Darlegung der einen oder anderen Veröffentlichung“, begründet Fest seinen Zugang (S. 11). Das schon, nur sind es bei Fest fast immer die Personen ohne ihr Werk, die im Vordergrund stehen. Das bedeutet nicht Identifikation oder gar Hagiografie; ganz im Gegenteil, es überwiegen die kritischen, teils subtil boshaften Töne.

Die „Liebenswürdigkeit als Form zivilisierten Umgangs“, die Fest fordert (und bei Golo Mann vermisst, S. 232f.), bildet bei den vorgelegten Stücken, zumeist einer Rede oder einem sonstigen Gelegenheitsgrund entspringend, nicht die bestimmende Grundhaltung. Die enge Freundschaft zum Verleger Wolf Jobst Siedler hindert Fest nicht daran, ihn als arroganten Großbürger und Preußen-Verherrlicher darzustellen, der „die Welt strikt in Herrschaft und Dienstboten“ teilt (S. 143). Der Literatur- und Musikkritiker Joachim Kaiser erscheint als eitler Bonvivant, dessen „Mühelosigkeit seines Tuns“ im Widerspruch zur Überzeugung steht, „Gelungenes entstehe nur bei Vorhaben, die einem schwerfallen“ (S. 308). Statt der „seit Jahrzehnten ausstehende[n]“ Mozartbiografie (S. 310) widme Kaiser sich lieber Beefsteak und erlesenem Bordeaux. Solche unterhaltsamen Bosheiten finden sich bei Fest zur Fülle.

Hannah Arendt lernte Fest im Zusammenhang mit der Debatte um ihr provokantes Eichmann-Buch und ihre These von der „Banalität des Bösen“ 2 kennen. Doch wiederum wird ein aus der Perspektive des Historikers äußerst interessantes Thema schnell abgetan; stattdessen zeigt Fest sich hier von seiner medisanten Seite und verfolgt mit großem Vergnügen über Seiten hinweg die tragische Liebesgeschichte zwischen Arendt und Martin Heidegger.

Die Porträtsammlung vereint, so Fest, die „katalysatorische Macht“ Adolf Hitlers, dessen entzweiende Kraft ebenso stark sei wie seine verbindende Wirkung (S. 7). Davon hätte man gerne mehr gelesen, doch zumeist bleibt exakt dieses gemeinsame Interesse an der jüngsten Vergangenheit im Oberflächlichen stecken. An Rudolf Augsteins Buch über Friedrich den Großen 3 kritisiert Fest den Determinismus (von Friedrich zu Hitler) und des Autors „Belehrungsleidenschaft“, die ihn zur „Todsünde“ des Historikers geführt habe: vorgefassten Urteilen zu folgen (355f.). Doch dieses Licht wird schnell wieder ausgemacht, es folgt amüsanter Spott über Augstein aus dem Mund des Publizisten Johannes Groß: „Sie haben das Buch über Friedrich den Großen geschrieben, ein paar Jahre darauf das Werk über ‚Jesus’. Und wenn Sie sich nun weiter mit so großen Schritten steigern wollen, bleibt Ihnen nur die Autobiographie.“ (S. 357)

Mit Sebastian Haffner ebenso wie mit Golo Mann verbindet Fest eine skeptische Grundhaltung, die Überzeugung, dass der Mensch, nicht Strukturen und Prozesse im Vordergrund der Historie zu stehen habe, sowie der narrative Ansatz, Geschichtsschreibung auch als Literatur zu betrachten. Gemeinsam konnte man über die Universitätsprofessoren spotten, die Geschichte als Wissenschaft wie die Kernphysik betrachten wollten und die sich bei der Präsentation ihrer Forschungsergebnisse mit einer „Mehltau-Prosa“ 4 um größtmögliche Unleserlichkeit bemühten. Trotzdem blieb man sich persönlich eher fremd.

Am deutlichsten wird das „Abtauchen“ Fests vor den historisch relevanten Streitpunkten im Porträt Golo Manns. Fest betont hier die abgründigen, unbeherrschten Seiten Manns, seine „Vergeltungsbedürfnisse“ und seine „gewisse menschliche Unfertigkeit“, an der nicht allein der übermächtige Vater Schuld trage (S. 233). Das ist hell gesehen, nur dient Fest die Wiedergabe der unerfreulichen Begegnungen mit Golo Mann als Beleg dafür, dass dessen Kritik an seinem Hitler-Bild von persönlichen Motiven geleitet gewesen sei, zumal Fest wenig später auf den vermeintlich volkspädagogischen Ansatz Manns verweist, der aus erzieherischen Gründen sich um die Wahrheit der verachteten Zeitgeschichte nicht geschert habe (S. 237f.). Auf derart schlichte Weise lassen sich die Bedenken, die Mann in seiner Rezension der Festschen Hitler-Biografie äußerte, nicht zur Seite schieben. Fest sei der propagandistischen Selbstdarstellung der Nazis („Triumph des Willens“, Rettung des Abendlandes gegen den Bolschewismus usw.) auf den Leim gegangen, so Mann. „Er hat Hitler „größer“ gemacht, als er war, hat stellenweise seine Theorien, „Visionen“ und Ziele viel zu ernst genommen. Und er hat ihn weniger schlecht gemacht, als er war“.5 Auf dieser Kritik basierte das wenig herzliche Verhältnis von Fest und Mann. Sachlichen Widerspruch Fests, der über persönliche Invektiven und polemische Spitzen hinausgeht, sucht man in seinem Buch vergebens.

Überhaupt Hitler, der „Katalysator“ der vorliegenden Porträts: Von Fest als einem der Protagonisten des Historikerstreits von 1986 um die Einzigartigkeit der Ermordung der europäischen Juden hätte man sich auch hierzu einige Aussagen gewünscht, zum Beispiel zur Frage, ob die damals angemahnte Historisierung des „Dritten Reiches“ inzwischen, fast zwanzig Jahre später, Wirklichkeit geworden ist. Doch der Begriff „Historikerstreit“ taucht im gesamten Buch nicht auf, es finden sich lediglich versteckte Hinweise in Form von Angriffen auf die Vertreter der „political correctness“ und auf borniertes Lagerdenken und Gutmenschentum, gipfelnd in den Bonmots Johannes Groß’, z.B.: „Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus wachse seit 1945 von Tag zu Tag.“ (S. 81) Der Name Marcel Reich-Ranicki, dessen Freundschaft zu Fest am Historikerstreit zerbrach 6, wird gemieden, von der Aufnahme seines Porträts, das ohne Zweifel in diese Reihe der beeinflussenden Begegnungen gehört hätte, ganz zu schweigen.

Die „Begegnungen“ sind ein lesenswertes, anregendes und amüsantes Buch, manchmal auch mehr als das, beispielsweise im ebenso überzeugenden wie überraschenden Porträt der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof, mit der sich Fest in den 1960er-Jahren mehrfach zu von beiden geschätzten Streitgesprächen traf. Gegen die These, Meinhofs Radikalisierung habe pathologische Gründe, wendet Fest sich entschieden und betont ihre konsequente Entwicklung vom radikalen Wort zur Tat (S. 269). Es mag in der Anspruchshaltung des historisch Interessierten liegen, von dem Buch insgesamt noch mehr zu erwarten. Anstatt einfacher Grenzziehungen zwischen linken Ideologen und konservativen Zweiflern, anstatt von Altersverdrossenheit zeugender Klagen über die „künstlerisch seltsam irrelevante Epoche“, in der man lebe (S. 304), über „die Zeitgenossen der Spaßkultur und des Eventgetues“ (S. 359), über das „gewandte und gefeierte Mittelmaß von heute“ (S. 368) und so fort, hofft man, mehr von der intellektuellen Auseinandersetzung Fests mit den Porträtierten zu erfahren – und wird enttäuscht.

Anmerkungen:
1 Fest, Joachim, Hitler. Eine Biographie, Berlin 1973; ders., Speer. Eine Biographie, Berlin 1999; ders., Der Untergang. Hitler und das Ende des Dritten Reiches: Eine historische Skizze, Berlin 2002.
2 Arendt, Hannah, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht über die Banalität des Bösen, München 1964.
3 Augstein, Rudolf, Preußens Friedrich und die Deutschen, Frankfurt am Main 1968.
4 Fest, Johannes, Geschichte und Geschichtsschreibung (Rede zur Verleihung des Hanns Martin Schleyer-Preises am 9. Mai 2003), in: Veröffentlichungen der Hanns Martin Schleyer-Stiftung, Band 61, Köln 2003, S. 47-55, hier S. 52
5 Mann, Golo, Hitler – zum letzten Mal? Zu Joachim C. Fests großer Biographie, in: ders., Zeiten und Figuren. Schriften aus vier Jahrzehnten, Frankfurt am Main 1979, S. 277-291, hier S. 279 (erstmals in: Süddeutsche Zeitung, 13./14.10.1973)
6 Vgl. Reich-Ranicki, Marcel, Mein Leben, Stuttgart 1999, S. 540-548

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