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Titel
Frauen der Intelligenz. Akademikerinnen in der DDR 1945 bis 1975


Autor(en)
Budde, Gunilla-Friederike
Reihe
Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 162
Erschienen
Göttingen 2003: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
446 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerd Dietrich, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

"Ja: Ökonomisch und juristisch sind wir den Männern gleichgestellt, durch gleiche Ausbildungschancen und die Freiheit, über Schwangerschaft und Geburt selbst zu entscheiden, weitgehend unabhängig, nicht mehr durch Standes- und Klassenschranken von dem Mann unserer Wahl getrennt; und nun erfahren wir [...] bis zu welchem Grad die Geschichte der Klassengesellschaft, das Patriarchat ihre Objekte deformiert hat und welche Zeiträume das Subjektwerden des Menschen - von Mann und Frau - erfordern wird." Das schrieb Christa Wolf bereits 1977 zu Maxie Wanders "Guten Morgen, du Schöne". 1 Im Prinzip verfolgt auch Gunilla-Friederike Budde diese Sichtweise: Qualifikationsoffensiven, Frauenförderung, dem legendären Heer der ostdeutschen Ingenieurinnen, einer glanzvollen Frauenpolitik u.a. Erfolgsgeschichten der DDR - Frauen begegnet sie skeptisch. Sie fragt genauer nach den Spielräumen und den Handlungsbarrieren von Frauen. "Mit der Betrachtung von Qualifikations-, Berufs- und Karrierewegen von Akademikerinnen in der SBZ/DDR begibt sich diese Studie an einen Brennpunkt, von dem aus sich wenigstens partiell ermessen läßt, wie weit Emanzipationsrhetorik und Emanzipationsrealität auseinander klafften." (S.14) Die Studie wurde 2001 vom Institut für Geschichtswissenschaften der Freien Universität Berlin als Habilitationsschrift angenommen.

Budde beschreitet damit zugleich Neuland. Denn es gibt zwar zahlreiche Studien zu akademischen und bildungsbürgerlichen Gruppen und zur Elitepolitik in der DDR, aber geschlechtergeschichtliche Fragestellungen spielten darin bisher kaum eine Rolle. Den Prämissen der Gender-Forschung folgend, bewegt sich diese Studie im Schnittfeld von Sozial-, Kultur- und Geschlechtergeschichte. Es geht Budde "zum einen darum, offizielle und öffentliche Diskurse über Frauen und Frauenerwerbsarbeit im Allgemeinen und über Akademikerinnen im Besonderen nachzuzeichnen. Zum zweiten soll empirisch überprüft werden, inwieweit Reden und Vorstellungen über weibliche Akademiker mit realen Entwicklungen auf quantitativer und qualitativer Ebene übereinstimmten. Nicht zuletzt sollen zum dritten die Akademikerinnen in den Blick und selbst zu Wort kommen, ihr Verhalten und ihre Erfahrungen beleuchtet werden." (S. 23) Dieses Vorhaben ist überzeugend gelungen; weil Budde sich nicht allein auf das "offizielle" Quellenmaterial beschränkt, auch wenn dieses schon weitaus polyphoner ist, als angenommen. Man vergleiche nur die offiziellen Verlautbarungen und die offiziell gelenkten Medien mit den Meinungsumfragen, Eingaben und Leserbriefen. Sondern weil sie darüber hinaus zwanzig lebensgeschichtliche Interviews mit Akademikerinnen führte und neben diesen Ego-Dokumenten auch zahlreiche belletristische Zeugnisse, Romane und Spielfilme als Quellen heranzog. Das verlangte dieses Thema natürlich zwangsläufig, nachdem vor allem Schriftstellerinnen in der DDR "eine literarische Form des Feminismus" (S. 27) entwickelt hatten. Siebzehn aussagekräftige statistische Tabellen und ein Register vervollkommnen den Text.

Die Arbeit ist in fünf systematische Kapitel gegliedert, in denen jeweils mehr oder weniger chronologisch vorgegangen wird. Vorgeschichten aus der Zeit vor 1945, Vergleiche mit der Situation der Frauen im Dritten Reich und in der Bundesrepublik werden punktuell herangezogen. Kap. I behandelt die Bedeutung der "Intelligenz" im "Arbeiter-und-Bauern-Staat" zunächst allgemein und speziell die der "Frauen der Intelligenz". Die Vertreter der (alten) Intelligenz werden als hofierte Außenseiter vorgestellt und dabei auch auf die anfängliche Doppeldeutigkeit und Ambivalenz des Etiketts "Frauen der Intelligenz" eingegangen: als Ehefrauen der Akademiker zum einen, die man etwa durch "Hausfrauenbrigaden" zu gewinnen trachtete, als Akademikerinnen zum anderen, die fast ausschließlich bürgerlicher Herkunft und darum mit einem Negativimage versehen waren. "Ein Umschwung zu einer positiven Bewertung der 'weiblichen Intelligenz' zeichnete sich erst im Laufe der sechziger Jahre ab." (S. 55) Den konkreten Anstoß für eine Frauenpolitik neuer Qualität und eine explizite Förderpolitik gab das "Frauenkommuniqué" von 1961. "Nie zuvor und nie wieder danach ist in der DDR über die Stellung der Frau im Sozialismus so offen und so intensiv öffentlich diskutiert worden." (S. 59)

Im Kap. II geht es um die verschiedenen Ausbildungswege für Frauen, die zur akademischen Profession führten. Studentinnen waren in den 1940ern und 1950ern die "Stieftöchter" staatlicher Aufmerksamkeit. Der Grund hierfür lag in der klassenmäßigen Umprofilierung der Intelligenz. Die "Brechung des bürgerlichen Bildungsprivilegs" bedeutete zunächst "eine Stärkung des männlichen Bildungsprivilegs" (S. 99). Die Förderung von Arbeiter- und Bauernkindern betraf in der Regel Arbeiter- und Bauernsöhne. "Töchter aus dem mittleren und unteren Bürgertum stellten das Gros der Studentinnen in den ersten zwei DDR-Dekaden - eine durchaus unbeabsichtigte, doch logische Folge einer geschlechtsspezifisch nicht differenzierten Klassenideologie." (S. 112) Mit Studienfachlenkung und wenig attraktiven Angeboten wie Fern- und Abendstudium oder Frauensonderstudium suchte man dem zunächst zu begegnen. Nach dem Frauenkommuniqué von 1961 stieg der Frauenanteil im Direktstudium dann von 32 auf 43,3 Prozent im Jahr 1970. Kap. III fragt danach, welche Berufswege Frauen nach ihrer Qualifikationsphase einschlugen. Dabei wird sehr detailliert auf die Vorgaben und das Abschneiden weiblicher Karrierewege in vier Gruppen akademischer Berufe eingegangen: Wissenschaftlerinnen, Richterinnen, Ärztinnen und Lehrerinnen. In einem zusammenfassenden und vergleichenden Abschnitt "Profession und Geschlecht: Feminisierung und Deprofessionalisierung", den ich für den wissenschaftlich wichtigsten und theoretisch ertragreichsten in diesem Buch halte, geht Budde den Veränderungen nach, die sich durch das Vordringen der Frauen in diesen akademischen Berufen vollzogen. Erstens war der Grad der Feminisierung sehr unterschiedlich. Zweitens erleichterte das sinkende Ansehen der Profession bei Richtern und Lehrern den Zugang für Frauen. Drittens blieben die höheren und höchsten Ränge weiterhin fast ausnahmslos in Männerhand. Viertens hatte die wachsende Anzahl hoch qualifizierter Frauen weniger eine Deprofessionalisierung als vielmehr eine Diversifizierung der Berufsebenen zur Folge. Fünftens ging diese Spezialisierung gleichzeitig mit einer stärkeren Hierarchisierung zuungunsten der Frauen einher. Sechstens unterstanden Teilbereiche der Berufe einer gleichzeitigen Feminisierung und Familiarisierung, was zu einer Neuformulierung innerberuflicher Trennlinien führte.

Kap. IV analysiert und differenziert die vielfach beschworene Vereinbarkeitsproblematik von Familie und Karriere. Es geht auf die familienpolitische Wende von der Frauen- zur "Muttipolitik" ein, zeigt die karrierefördernden wie die karrierebremsenden Seiten des "Frauenschutzes", der Familie und der Ehemänner wie die neuen Herausforderungen an Studium und Mutterschaft auf, stellt Karrierefrauen, widerspenstige Akademikerinnen und Karriereverweigerinnen vor. Das Schlusskapitel bündelt die vergleichenden Aspekte der Arbeit, wobei der Vergleich mit dem Dritten Reich überwiegt, der mit der Bundesrepublik zu kurz kommt, und es fragt nach den Erfolgen und Grenzen der SED-Diktatur bei der Prägung und Lenkung der Akademikerinnen in der DDR.

Problematisch erscheinen mir die unterschiedliche und widersprüchliche Behandlung der Rolle der SED-Mitgliedschaft für die akademischen Professionen und Karrieren wie ebenso die Gleichsetzung des Volksbegriffes von SED und NSDAP. Bei der Behandlung der gesellschaftswissenschaftlichen Hochschul- und Wissenschaftsstrukturen in der DDR bleiben die politisch führenden Institutionen, die Parteiinstitutionen, leider außer Betracht, in denen es zu einer makabren Wiederbelebung des anfangs geschilderten Problems kam: Beschäftigung der gebildeten Frauen der "Funktionäre". Mit Augenmaß beschreibt Budde die "Doppeltheit der Maßstäbe" denen die Frauen in der DDR unterlagen: Einerseits sollten sie die Geschlechtergrenzen herunter spielen und neutralisieren, andererseits durften diese Anpassungsleistungen aber nicht zu einer Verwischung der Geschlechtergrenzen führen. "Diese Gleichzeitigkeit von Anpassung und Absetzung, dieses subtile Oszillieren zwischen doing und undoing gender markierte eine deutliche Grenze der Gleichberechtigungspolitik der DDR." (S. 130f.) Auf historische Hintergründe und gesellschaftstheoretische Fragen des Patriarchats in der staatssozialistischen Gesellschaft geht sie allerdings nicht ein. 2 Eine "Erfolgsgeschichte" will Gunilla-Friederike Budde das Vordringen der DDR-Frauen in alle akademischen Professionen nicht nennen. Denn ostdeutsche Akademikerinnen "profitierten weniger, später und weniger umfassend von dem angestrengten Elitenwechsel. [...] Schaut man dagegen auf Möglichkeiten, sich innerhalb eines diktatorischen Regimes selbstbestimmte Räume zu sichern und zu bewahren" (S. 412), die von den Männern aufgestellten Regeln in Frage zu stellen und immer häufiger abzulehnen, so könne man eher von einer "Erfolgsgeschichte" sprechen.

Anmerkungen:
1 Wolf, Christa, Berührung. Maxie Wande,. in: Wolf, Christa, Die Dimension des Autors, Bd. I, Berlin 1986, S. 202f.
2 Vgl. Hauser, Kornelia, Patriarchat als Sozialismus. Soziologische Studien zur Literatur aus der DDR, Hamburg 1994.

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