R. Ziegler: Kunst und Architektur im Kulturfilm 1919-1945

Cover
Titel
Kunst und Architektur im Kulturfilm 1919-1945.


Autor(en)
Ziegler, Reiner
Reihe
Close up 17
Erschienen
Konstanz 2003: UVK Verlag
Anzahl Seiten
398 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephen Lowry, Hochschule der Medien, Fachhochschule Stuttgart

Lange vernachlässigt, wird die Geschichte des nicht-fiktionalen Films in Deutschland zurzeit stark aufgearbeitet, wie das vorliegende Buch sowie der Tagungsband Triumph der Bilder 1 aus derselben Reihe und die noch zu erwartenden Bände aus dem vom Haus des Dokumentarfilms gemeinsam mit den Universitäten Trier und Siegen betriebenen DFG-Projekt zur „Geschichte und Ästhetik des dokumentarischen Films in Deutschland 1895-1945“ zeigen. 2 Fehlten bisher sogar Übersichtsdarstellungen, so greift das Buch von Ziegler nun bereits sehr spezielle Fragen und einen relativ kleinen Korpus an Filmen auf, um den besonderen Darstellungsweisen der Kulturfilme nachzugehen, die sich mit Kunst und Architektur beschäftigten, allerdings nicht ohne sie im größeren filmhistorischen wie politischen Kontext zu lokalisieren.

Obwohl sich der untersuchte Zeitraum – wie im Titel angekündigt – von 1919 bis 1945 erstreckt, liegt der Schwerpunkt der Darstellung und vor allem der Fragestellung auf der NS-Zeit und der inhaltlichen oder propagandistischen Verstrickung der Filme mit der Kunstpolitik des Nazi-Regimes. Das hat zur Folge, dass das zweite Kapitel über „Kulturfilm in der Zeit der Weimarer Republik“ – sowie der abschließende „Ausblick auf die Nachkriegsjahre und frühen 50er-Jahre“ – weit weniger Gewicht bekommen als die zentralen Kapitel über die Zeit von 1933 bis 1945 und inhaltlich vor allem dazu dienen, Entwicklungslinien bzw. Brüche und Kontraste zu zeigen. Die Fokussierung auf die Frage nach Art und Umfang der Politisierung und der propagandistischen Verwendung der Filme wird bereits in der Einleitung sichtbar, wenn Ziegler die Diskussion über die Rolle des Films wie die der Kunst in der nationalsozialistischen Kulturpolitik aufrollt und auf neuere Debatten hinweist. Die Einleitung wirkt dadurch etwas verwirrend, da diese Einschränkung gegenüber dem im Titel angekündigten Thema und Zeitraum nicht explizit entwickelt und begründet wird. Nach Lektüre des gesamten Buchs ist einem aber klar, dass der Titel eher zu breit und neutral gefasst ist – es geht in der Arbeit um „die Frage nach einer möglichen Inanspruchnahme dieser offiziell anerkannten Kunst aus der Vergangenheit und Gegenwart“ und genauer um „etwaige zeitliche bzw. graduelle Unterschiede einer möglichen Instrumentalisierung von Kunst und kulturellen Leistungen im Kulturfilm“ (S. 23). Methodisch geht Ziegler dann durch die Untersuchung exemplarischer Filme der Frage nach einer Zäsur in der Darstellung von Kunst und Architektur mit der „Machtergreifung“ im Jahre 1933 sowie kleineren Verschiebungen im Laufe der NS-Herrschaft nach.

Zentrales Beispiel für die Darstellung der Kunst in den 1920er-Jahren ist das Werk Hans Cürlis’, der mit seinem Institut für Kulturforschung eine wichtige Figur für die Entwicklung des Schul- und Kulturfilms war. Neben vielen politischen und nationalistischen schuf er auch bahnbrechende Filme über Kunst und Künstler, insbesondere mit dem Zyklus „Schaffende Hände“. Diese Reihe, die viele zeitgenössische Maler und Bildhauer der Moderne bei der Arbeit zeigte, konnte in der NS-Zeit aus politischen Gründen nur sehr bedingt fortgeführt werden. So führte Cürlis zusammen mit Arnold Fanck bei Filmen über systemkonforme Künstler wie Thorak und Breker Regie. Vor allem durch die Kommentare dienten diese Filme, wie Ziegler zeigt, der Heroisierung der Künstler und ihrer Werke, im Kamerastil und Montagetechnik sei die Handschrift Cürlis’ dagegen noch zu erkennen (S. 148). Einen größeren Raum nahmen Künstler aus vergangenen Zeiten in den Kulturfilmen ein, etwa in filmischen Porträts von Riemenschneider oder Michelangelo, deren inhaltliche wie formale Merkmale Ziegler genau darstellt. Dabei kann er – statt von pauschalen Urteilen über den NS-Film auszugehen – unterschiedliche Strategien der Darstellung und unterschiedliche Ausmaße der ideologischen Inanspruchnahme ermitteln. Das ist ein Vorteil der exemplarischen Methode, die eine genauere Beschreibung und tiefere Betrachtung dieser Filme ermöglicht, die bis heute wohl nur wenige Leute je gesichtet haben. Die Genauigkeit und Fülle der Details sowie die spezielle Thematik schränken zwar die potenzielle Leserschaft ein, erlauben aber eine differenzierte und begründete Einschätzung der Filme – z.B. im Hinblick auf das Weiterwirken moderner Tendenzen in manchen Filmen über bildende Kunst.

Eine sehr viele stärkere Politisierung lässt sich in den Filmen über Architektur und insbesondere über Bauprojekte feststellen. Ziegler geht in diesen Kapiteln ähnlich vor und untersucht spezielle Subgenres: Filme über den mittelalterlichen Dombau und über die nationalsozialistischen Bauprojekte sowie deren Stellung in der NS-Kulturpolitik. Die kulturpolitische Ausrichtung des Staates wird zudem in einem Kapitel zum offiziellen Kunstbild ausführlich behandelt, u.a. an den Beispielen der Filme von Walter Hege zu den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ in München oder in der Behandlung der Kunst in Propagandafilmen wie „er ewige Jude“. Die Arbeit ist gut dokumentiert und bietet neben einer ausführlichen Bibliografie auch komplette Biografien und Filmografien der zentralen Filmemacher im Anhang.

Insgesamt handelt es sich bei dem Buch also um eine sehr aufschlussreiche Arbeit, die sowohl für die Kunst- als auch die Filmwissenschaft neue Kenntnisse bringt und diese an konkreten Beispielen und mit exakten Analysen begründet. Die recht spezielle Fragestellung bringt aber auch Nachteile mit sich: So wird sich beispielsweise die Tragweite der Ergebnisse für den Kulturfilm im Allgemeinen erst dann nachprüfen lassen, wenn eine Gesamtdarstellung des nicht-fiktionalen Films in der NS-Zeit und davor vorliegt. Leider behindert die Darstellungsweise oft die Zugänglichkeit der Ergebnisse. Das Buch hätte von einer stärkeren Redaktion profitiert; unzählige Redundanzen sowohl innerhalb der Kapitel als auch zwischen den einzelnen Abschnitten ermüden beim Lesen. Eine straffere Schreibweise und Organisation des Buchs wären wünschenswert gewesen – einige Teile, wie die Diskussion des Forschungsstandes oder die Skizzierung der NS-Kunst- und Kulturpolitik, sind für Leser, die sich mit dieser eng eingegrenzten Thematik auseinandersetzen wollen, vermutlich längst bekannt und daher überflüssig. Gerade für solche Leser ist aber der Rest von Zieglers Arbeit von Interesse und Gewinn.

Anmerkungen:
1 Vgl. Annette Deeken: Rezension zu: Zimmermann, Peter; Hoffmann, Kay (Hrsg.): Triumph der Bilder. Kultur- und Dokumentarfilme vor 1945 im internationalen Vergleich. Konstanz 2003. In: H-Soz-u-Kult, 23.12.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-4-208>.
2 Die abschließende Gesamtpublikation der Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland 1895 bis 1945“ ist für Herbst 2005 vorgesehen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension