P. J. Bräunlein: Religion und Museum

Titel
Religion und Museum. Zur visuellen Repräsentation von Religion/en im öffentlichen Raum


Autor(en)
Bräunlein, Peter J.
Anzahl Seiten
242 S.
Preis
€ 23,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne Koch, Interfakultärer Studiengang Religionswissenschaft, Ludwig-Maximilians-Universität München Margrit Prussat, Institut für Ethnologie und Afrikanistik, Ludwig-Maximilians-Universität München

„Religion und Museum“ greift eine weitere Fragestellung im Schlepptau des ‚iconic turn‘ auf und gehört als eine Facette zum Projekt einer neuen religionswissenschaftlichen Subdisziplin namens Religionsästhetik, die sich mit der wahrnehmbaren Seite der Religion(en) beschäftigt. Der Sammelband zum Panel „Museale Repräsentation von Religion“ auf der Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für Religionsgeschichte (DVRG) 2001 ist nun im interessanten kulturwissenschaftlichen Verlagsprogramm von transcript in der Sparte Kultur- und Museumsmanagement erschienen. Der Herausgeber Peter J. Bräunlein, als Leiter der Religionskundlichen Sammlung an der Philipps-Universität Marburg tagtäglich mit Religion und ihrer Sichtbarkeit im öffentlichen Raum eines Museums konfrontiert, hatte schon das Panel angeregt. Seine Einleitung in den Band gibt einen bislang einzigartigen Überblick zur Wahrnehmungsgeschichte des religiösen Objektes von seiner Verkennung, Abwertung und Konstruktion als Fremdes bis endlich zu seiner Aufnahme in den religionswissenschaftlichen Fragenkanon. Wichtige Einflüsse aus der Ethnologie, Volkskunde, Geschichts- oder Kunst/Bildwissenschaft werden ebenso kenntnisreich geschildert wie die Gründe innerhalb der Religionswissenschaft, die zur Blindheit gegen die religiöse Materialkultur beigetragen hatten. Auf Forschungsdesiderate wird verwiesen und eine kleine kommentierte Bibliografie ist enthalten, so dass sich die Einleitung als hilfreicher Ausgangspunkt weiterer Forschungen nutzen lässt.

Die meisten Beiträge sind Analysen musealer Inszenierungen durch Religionswissenschaftler, die insbesondere das kulturelle Umfeld untersuchen, in dem Religionen oder (religiöse) Objekte dargeboten werden. Angesichts der von dem Theologen Rudolf Otto gegründeten Marburger Religionskundlichen Sammlung schildert Bräunlein im ersten Beitrag „Vermittlungsdilemmata“, die sich dem Religionswissenschaftler als Museumsmacher stellen. Ist der Kontext des Objektes religiös inszeniert, so aktiviert das bestimmte Erwartungen des Besuchers. Der Wissenschaftler mutiert zum Gralshüter. Wie kann ein (religiöses) Objekt andererseits ausgestellt werden, ohne zum kulturellen Zeugnis verallgemeinert zu werden? Bräunleins Vorschlag lautet: Museen sollten als „Orte des Befremdens“ inszeniert werden und weniger als Ort eines autoritären Wissens darüber, dass es „den Hinduismus“ nicht gäbe.

Der Forderung nach einer Inszenierung auch des Befremdlichen schließt sich Susanne Lanwerd in ihrer Analyse von vier zeitgenössischen Ausstellungen an („Heaven“ Düsseldorf 1999/Liverpool 2000, „The Image of Christ“ London 2000, „Altäre“ Düsseldorf 2001, „New Heimat“ Frankfurt 2001/02). Sie nimmt Fragestellungen von Aby Warburgs kulturwissenschaftlicher Kunstgeschichte auf und übt damit Kritik an der Ausstellung „Altäre“, dass nicht allen Altären aus 70 Ländern eine vergleichbare Ästhetik zugrunde liege, wie suggeriert. Hier werde historische Besonderheit einplaniert. Lanwerd mutmaßt, dass die Imagination einer minimalen Ästhetik wie in „Altäre“ „mit der Abwehr des Gedankens kultureller Gewalt“ (S. 92) einhergehe. Die Imagination einer heilen, zur Identifikation einladenden Welt manifestiere sich auf Analyseebene in Projekten wie diesen. Ihre interessante psychoästhetische Hypothese nimmt Lanwerd zum Anlass, im Umgang mit (religiösen) Objekten „aufmerksame Betrachtung“ auch des Abweichenden anzumahnen.

Susan Kamel zeichnet kunst- und religionsgeschichtliche Interferenzen nach. Diese reichen von kunsthistorischen Subsumptionen der Kunst unter die Religion mittels der homo religiosus These oder der Vereinnahmung der Religion durch die Kunst mittels Ästhetisierung (Kamels Kritik an der Ausstellung „Altäre“, in der der Museumsmacher disparate, religiös wie nicht religiös gehandhabte Gegenstände unter eine Formalästhetik mit Weihe zwingt). Am aktuellen Beispiel des St. Mungo Museum of Religious Life and Art, Glasgow, macht sich Kamel auf die Suche nach musealen Darstellungs- und Vermittlungstechniken eines modernen Konzeptes Religion, die nicht ästhetisieren, Unmittelbarkeit vortäuschen, sakral reduzieren oder transkulturell verallgemeinern, sondern Sehbedingtheit, Alltagskultur und hybride Religionsbiografien berücksichtigen.

Sabine Offe zeigt, wie das neue bürgerliche Museum seit der Französischen Revolution Formelemente der Sakralarchitektur fortführt und umcodiert. Opfersemantik und Zentralbetonung werden zwar beibehalten, doch nicht mit christlichem Heilsgeschehen, sondern der Patrie, dem Toten- oder Opfergedenken, dem Kunstschönen oder der Kunstliebhaber-„Gemeinde“ gefüllt. Vor dieser Tradition wirft Offe die religionsästhetisch interessante Frage auf, ob dieses Programm verlassen werden kann. Offe kommt am Beispiel von Libeskinds Jüdischem Museum, Berlin, zu einer ambivalenten, unabgeschlossenen Bewertung. Insbesondere mit den leeren Schächten des Museums wird ein Bruch in der Formensprache belegt. Jedoch tritt über die Erfahrung des Museumsbesuchers und durch die sprachliche Deutung des Architekten sakraler Schauder wieder ein. Offe kritisiert, dass sich darin eine Überhöhung und die problematische Vergesellschaftung des Gedenkens vollziehe. Ist dies aber nicht eine begriffliche Verwirrung, wenn Opfergedenken immer mit religiöser Erfahrung assoziiert wird, da jeder Symmetrie, Kuppel und Flamme axiomatisch Sakralität unterstellt würde? Sinnvoller ist es, Umdeutungen zu beschreiben die religionsgeschichtlich an der Tagesordnung sind.

Mit den Gründungen jüdischer Museen im Kaiserreich und der Weimarer Republik befasst sich die Historikerin Katharina Rauschenberger. Im Geist der Mitte des 19. Jahrhunderts neu begründeten „Wissenschaft des Judentums“ entstanden auch die Museen, um jüdischer Religion, Kultur und Geschichte ein öffentliches Forum zu bieten. Infolge der enttäuschten Hoffnungen auf Liberalisierung und politische Partizipation der jüdischen Gemeinschaften nach 1850 versuchte man, das identitätstiftende Potential der Musealisierung und kulturwissenschaftlichen Untersuchung eigener jüdischer Traditionen zu nutzen. Dabei verfolgten die Museen eher kulturhistorische Ansätze als dass sie die (Re-)Aktivierung religiöser Praktiken intendierten. „Utopieersatz oder Selbstvergewisserung?“ – unter dieser Fragestellung behandelt Rauschenberger die Konzeptionen, Realisierungen und Wirkungen der jüdischen Museen.

Esther-Maria Guggenmos schildert ihre Erfahrungen im 2001 eröffneten Museum of World Religions, Taipei (Taiwan), das Religionen anhand ritueller Exponate, vor allem aber durch Multimedia-Anwendungen präsentiert. Guggenmos kritisiert zu Recht das Abspielen unkommentierter Bilderreigen religiöser Rituale, die ohne jegliche kulturelle Einbindung des Gezeigten auskommen. Religion scheint in einem weitgehend apolitischen, akulturellen Raum stattzufinden, in dem auch so genannte religiöse Konflikte des 20. und 21. Jahrhunderts keinen Platz finden. Schließlich konstatiert sie einen Mangel an inhaltlicher Auseinandersetzung und Sachinformation sowie das Verfehlen des dezidierten Ziels des Museums – Kompetenz in Sachen „Gemeinsamkeiten der Weltreligionen“ zu vermitteln. Doch ihren eigenen Argumenten nimmt Guggenmos die Kraft, indem sie den Erfolg des Museums an überwältigenden ästhetischen Eindrücken und einem großen Entwicklungspotential bemisst.

Christiane Pantke untersucht Aspekte afrobrasilianischer Identitätsbildung in Salvador, Bahia (Brasilien). Den Schwerpunkt bildet das 1982 gegründete Museu da Cultura Afro-Brasileira, dessen Entwicklung sie einschreibt in die umfassenden sozialen Transformationen im barocken Altstadtviertel Pelourinho. In der ökonomischen Fokussierung Bahias auf den Tourismus rangieren afrobrasilianische Traditionen und Religionen an oberster Stelle, was unter anderem beitrug zur Aufwertung afrobrasilianischen Selbstbewusstseins. Pantke kritisiert, dass die Präsentation zu sehr einer „Folklorisierung“ (S. 196) und Exotisierung (S. 214) Vorschub leiste als zu einer wirklichen „Begegnung“ mit fremdkulturellen Lebenswelten beizutragen. Ihre Differenzierung der Sphären „Kultur“ und „Folklore“ ist allerdings nicht immer nachvollziehbar. Das Potential des Museums sieht sie nicht hinreichend ausgeschöpft, denn die Lage im Pelourinho, einem signifikanten Ort kulturellen Gedächtnisses afrobrasilianischer Geschichte, offeriere viele Möglichkeiten der Interaktion zwischen gelebter Kultur und musealer Repräsentation. Eine formale und stilistische Überarbeitung des Aufsatzes wäre stellenweise wünschenswert gewesen.

Den Abschluss des Sammelbandes bildet ein Ausstellungsentwurf des Bremer Religionswissenschaftlers Christoph Auffarth zur Geschichte der Missionierung und Kolonialisierung Tanganjikas (Ostafrika) um 1900. Das öffentliche Eingeständnis politischer Verantwortung der westlichen Staaten an Sklaverei, Kolonialismus und Genozid sowie die (Re-)Aktivierung des kulturellen Gedächtnisses hält er für ebenso notwendig bei der Projektierung einer historischen Ausstellung wie das Bemühen um eine „dialogische“ Form des Ausstellens mit den (Nachfahren der) ehemals Betroffenen. Der eher assoziative Stil des Aufsatzes erschwert oft jedoch die adäquate Erfassung der zugrunde gelegten Konzepte.

Der vorliegende Band ist ein material- und konzeptreicher Beitrag zur Religionsästhetik, die sich in der Religionswissenschaft als Subdisziplin zu formieren beginnt. Seit dem Gründungseintrag im „Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe“ 1 hat Lanwerd eine am Symbolbegriff orientierte Habilitationsschrift zur Religionsästhetik vorgelegt 2, sowie einen Tagungsband.3 Kürzlich erschien ein religionsästhetisches Sonderheft in der MThZ.4 Die Medialisierung von Religion und von nicht im engeren Sinne religiösen kollektiven Imaginationen sind interessante Beschreibungsebenen der kulturwissenschaftlichen Religionswissenschaft. Dies zeigt sich auch in der Terminologie, die der literarischen und historischen Anthropologie entstammt und mit Imagination, Erinnern und Inszenieren arbeitet.

Anmerkungen:
1 Cancik, Hubert; Mohr, Hubert, Art. „Religionsästhetik“, in: Cancik, Hubert; Gladigow, Burkhard; Laubscher, Matthias (Hgg.), Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Stuttgart 1988, S. 121-156.
2 Lanwerd, Susanne, Religionsästhetik. Studien zum Verhältnis von Symbol und Sinnlichkeit, Würzburg 2002.
3 Lanwerd, Susanne (Hg.), Der Kanon und die Sinne. Religionsästhetik als akademische Disziplin, Luxembourg 2003.
4 Themenheft Ästhetik – Kunst – Religion, Münchener Theologische Zeitung, MThZ 55.4 (2004)

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