W. Borodziej u.a. (Hgg.): Dokumente aus polnischen Archiven

: "Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden..." Die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945-1950. Dokumente aus polnischen Archiven, Bd. 2: Zentralpolen. Wojewodschaft Schlesien (Oberschlesien). Marburg 2003 : Herder-Institut Verlag, ISBN 3-87969-294-7 VIII, 768 S., 8 s/w Abb. € 75,00

Borodziej, Wł odzimierz; Lemberg, Hans (Hrsg.): "Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden..." Die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945-1950. Dokumente aus polnischen Archiven, Bd. 3: Wojewodschaft Pommern, Wojewodschaft Stettin. Marburg 2003 : Herder-Institut Verlag, ISBN 3-87969-314-5 € 70,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heidi Hein, Herder-Institut Marburg

Die vergangenen und aktuellen Debatten in Polen und Deutschland über die Vertreibung der Deutschen, die an dieser Stelle nicht aufgerollt werden sollen, deuten auf das Bedürfnis in beiden Gesellschaften hin, das Schicksal der Deutschen in Ostmitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg weiter aufzuarbeiten. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet - neben jüngeren Forschungsarbeiten1 zur Bevölkerungs- und Vertriebenenpolitik - die auf vier Bände angelegte polnische2 und deutsche Quellenedition "'Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden'. Die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945-1950". Sie entstand nach 1997 in Zusammenarbeit dreier polnischer und deutscher Nachwuchshistoriker, die unter Leitung von Wlodzimierz Borodziej (Warschau) und Hans Lemberg (Marburg) amtliche polnische Dokumente aus staatlichen zentralen und regionalen Archiven zum Schicksal der Deutschen im Nachkriegspolen erschlossen, ausgewählt und zum Druck vorbereitet haben.

Da der erste Band der Edition3 in der deutschsprachigen Öffentlichkeit im Herbst des Jahres 2000 ausführlich rezipiert und diskutiert worden ist 4, sei im Folgenden vor allem auf den Aufbau der hier angezeigten Bände 2 und 3 eingegangen. Jeder Band umfasst zwei Teile, in denen einerseits Dokumente zu Zentralpolen und zur Wojewodschaft Schlesien (Oberschlesien) und andererseits zur Wojewodschaft Stettin (Hinterpommern) und zur Wojewodschaft Posen zusammengefasst sind. Dies weist darauf hin, dass die Quellen grundsätzlich nicht nach den historisch gewachsenen Regionen, sondern analog zur Verwaltungsorganisation der Jahre 1945-1950 sortiert worden sind. Damit wird die Edition nicht nur der Ordnung der Aktenbestände gerecht, sondern auch der in den jeweiligen Verwaltungsbezirken (Wojewodschaften) vertretenen unterschiedlichen Nationalitätenpolitik.

Jedem Teil ist eine ausführliche Einleitung vorangestellt. Da die Konzeption und die für alle Bearbeiter gleichen Kriterien für die notwendig selektive Quellenauswahl ausführlich im ersten Band dargelegt worden sind, werden sie hier nicht wiederholt. Leider verzichteten die Bearbeiter der Dokumente zur Wojewodschaft Posen und zur Wojewodschaft Stettin (Hinterpommern) auch darauf, näher auf die für ihren Bereich spezifische Quellenlage einzugehen. In den Abschnitten zu Zentralpolen und der Wojewodschaft Schlesien (Oberschlesien) werden sie gleichwohl ausführlich erörtert.

Die Einleitungen zu den einzelnen Abschnitten informieren jeweils insbesondere über das Leben der deutschen Bevölkerung in der Zwischenkriegszeit und während des Zweiten Weltkriegs sowie über den allgemeinen historischen Hintergrund der polnischen Nachkriegszeit. Da sie so die Quellen in Relation zum historischen Kontext setzen, wird auch dem nicht auf die Vertreibungsdebatte spezialisierten Historiker der Zugang zum Themenkomplex erleichtert, zumal die Quellen nicht nur das Schicksal der "Reichsdeutschen", sondern – im Gegensatz zur bisherigen polnischen historiografischen Tradition – auch das der Angehörigen der Volkslisten und so genannten Autochthonen behandeln. Die Register, Glossare und die zumindest bei der ersten Nennung zweisprachig angegebenen geografischen Bezeichnungen tragen zur besseren Orientierung bei, wie auch eine angefügte Karte Polens, auf der die behandelten Regionen markiert sind. Zugleich weisen die ausführlichen Glossare und der Thesaurus auf die Bemühungen hin, einheitliche, qualitativ hohe Übersetzungen zu erreichen.

Der erste, von Jerzy Kochanowski bearbeitete Teil des zweiten Bandes der Edition behandelt in 212 Quellentexten zunächst die zentralpolnischen Gebiete, das heißt die Wojewodschaften Warschau, Lodz und Krakau. Das Schicksal der dort lebenden Deutschen wird zusammengefasst, da sich diese sowohl durch ihre (geringere) Anzahl als auch durch ihre "tiefgreifende historische, soziale und wirtschaftliche Wurzeln" sowie eine "deutlich erkennbare Andersartigkeit" (Bd. 2, S. 3) von den anderen Wojewodschaften abheben. Daraus ergibt sich eine problematische Quellenlage, die viel schlechter ist als für andere polnischen Regionen, zumal das Schicksal der Deutschen in den Dokumenten nur am Rande behandelt wird. Charakteristisch ist vielmehr, dass darin vor allem Einzelschicksale aufgegriffen werden. Historische Besonderheiten zeigen sich: Es gab keine Etappen- bzw. Sammelpunkte, die wie in Oberschlesien nur für Deutsche bestimmt waren, so dass etwa die Frage nach den sanitären Verhältnissen nur selten aufgeworfen, Terror und Gewalt nicht thematisiert werden. Wegen seiner Lage in der Wojewodschaft Krakau wird an dieser Stelle das für Schlesien zuständige Lager Jaworzowo behandelt, während es aber kaum Berichte über die Warschauer Lager gibt.

Der zweite Teil des Bandes umfasst 165 Dokumente aus der Wojewodschaft Schlesien (Oberschlesien), die Ingo Eser und Jerzy Kochanowski bearbeitet haben. Die Quellenlage stellt sich als sehr kompliziert dar, weil territoriale und wirtschaftliche Probleme hier von bevölkerungsstrukturellen Besonderheiten überlagert waren. Die dortige lange Tradition der deutsch-polnischen Antagonismen und die nur zögerliche Entwicklung eines nationalen Bewusstseins machten die Eingrenzung der betroffenen Personenkreise besonders schwierig. Die für diesen Teil ausgewählten Dokumente weisen insgesamt auf ein Fehlschlagen der staatlichen Politik hin, die ihre Verordnungen gegenüber der autochthonen Bevölkerung nur durch Repressionen durchsetzen konnte.

Der dritte Band umfasst 137 bzw. 155 Dokumente aus den Wojewodschaften Posen und Stettin (Hinterpommern), die von Stanislaw Jankowiak bzw. Katrin Steffen ausgewählt und bearbeitet wurden. Sie beschreiben die Praxis der Behandlung der Deutschen in Regionen, die von polnischer Seite als "Wiedergewonnene Gebiete" bezeichnet wurden, behandeln aber auch jene Teile der Wojewodschaft Posen, die bis 1939 zum polnischen Staat gehörten. Die Dokumente umfassen neben Berichten über die Aussiedlung überwiegend verwaltungsinterne Schreiben, in denen es darum geht, die Ordnung unter den Deutschen aufrecht zu erhalten und ihre Vertreibung zu organisieren. Zudem sind Quellen enthalten, die zeigen, dass die Deutschen als Arbeitskräfte vor allem im landwirtschaftlichen Bereich gebraucht wurden, wodurch sich deren Aussiedlung verzögerte.

Indem die vorliegende Quellenedition die polnische Perspektive auf die Vertreibung der Deutschen dokumentiert, stellt sie einen wichtigen Beitrag zur polnischen Zeitgeschichte allgemein und zur deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte im Besonderen dar. Ein weiterer Wert dieser Quellensammlung liegt darin, dass sie letztlich die "Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa"5 ergänzt. Da alle Gebiete des heutigen Polens zusammengefasst werden, wird ein Überblick über das Schicksal der dort lebenden Deutschen und den Aufbau einer polnischen Verwaltung sowie ihres Handelns ermöglicht. Dadurch wird nicht nur der Debatte um die Geschichte der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Polen sowohl in der deutschen als auch in der polnischen Historiografie und Gesellschaft eine allgemein zugängliche Quellengrundlage gegeben, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Verwaltungsgeschichte und Sowjetisierung Polens auf der regionalen und lokalen Ebene geleistet.

Anmerkungen:
1 Etwa: Ther, Philipp, Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945-1956 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 127), Göttingen 1998; Hofmann, Andreas R., Die Nachkriegszeit in Schlesien. Gesellschafts- und Bevölkerungspolitik in den polnischen Siedlungsgebieten 1945-1948, Köln 2000.
2 Borodziej, Wlodzimierz; Lemberg, Hans (Hgg.), "Nasza ojczyzna stala sie dla nas obcym panstwem ..." Niemcy w Polsce 1945-1950, wybór dokumentów, 4 tomy, Warszawa 2000-2001.
3 Borodziej, Wlodzimierz; Lemberg, Hans (Hgg.), "Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden ..." Die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945-1950. Dokumente aus polnischen Archiven, Bd. 1: Zentrale Behörden, Wojewodschaft Allenstein (= Quellen zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas, Bd. 4/I), Marburg 2000.
4 Beispielsweise: Blasius, Rainer, Die Vertreibung der Deutschen. Eine Quellenedition aus polnischen Archiven, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21.10.2004; oder die Rezension von Andreas R. Hofmann in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 1 [15.01.2002], URL: http://www.sehepunkte.historicum.net/2002/01/s79692831.html. 5 Schieder, Theodor (Hg.), Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, Bonn 1953-1962, siehe besonders zu Polen: Bd. 8: Polnische Gesetze und Verordnungen 1944-1955, Bonn 1960, Bd. 12-14: Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich von Oder-Neiße, Bonn 1954f. sowie die Berichte Bd. 5: Hans v. Lehndorff, Ein Bericht aus Ost- und Westpreußen 1945-1947, Aufzeichnungen, Bonn 1960; Normann, Käthe, Ein Tagebuch aus Pommern 1945-1946. Aufzeichnungen, Bonn 1955.

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