N. Bröcker u.a. (Hgg.): Südwestlich siedeln

Titel
Südwestlich siedeln. Kleinmachnow bei Berlin. Von der Villenkolonie zur Bürgerhaussiedlung


Autor(en)
Bröcker, Nicola; Kress, Celina
Anzahl Seiten
183 S., 120 s/w & 110 f. Abb.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Schaefer, Potsdam

Der städtebaulichen, architektonischen und gartenkünstlerischen Entwicklung des Berliner Südwestens wird in den letzten 20 Jahren zunehmend Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei standen zu Beginn naturgemäß die spektakulären Exponenten wie das Grunewaldviertel oder die Kolonie Alsen im Mittelpunkt. Insofern verdient es Beachtung als Signal für eine neue Forschergeneration, wenn sich die Kunsthistorikerin Nicola Bröcker und die Architektin Celina Kress für ihre Studie nicht eine der „nahe liegenden“ Kolonien wie etwa Lichterfelde oder Zehlendorf gewählt haben, sondern ein besonders sperriges Objekt, nämlich Kleinmachnow. Denn während dieser Ort in vieler Hinsicht dem Stereotyp der Berliner Koloniegründungen entspricht, fehlt doch eines der wesentlichen Elemente, nämlich ein S-Bahn- oder U-Bahn-Anschluss. Wie zur Bestätigung dieses planerischen Geburtsfehlers ist Kleinmachnow als einziger südwestlicher Villenvorort 1920 nicht nach Groß-Berlin eingemeindet worden.

Die beiden Autorinnen gehen den Ursachen und Auswirkungen dieses Makels im Einzelnen nach und präsentieren dabei das Bild einer nur in Teilen aufgegangenen Spekulation. Wäre die S-Bahn oder die U-Bahn gekommen, mit Sicherheit hätte Kleinmachnow eine ganz andere Entwicklung genommen. So aber spielte die Kolonie seit ihrer Gründung vor allem ihren Preisvorteil gegenüber den besser an den öffentlichen Nahverkehr angebundenen Siedlungsgebieten aus: Man konnte (und kann) dort in jeder Hinsicht so wohnen, wie es einem typischen Berliner „grünen Vorort“ entspricht, nur zu einem viel günstigeren Preis.

Das Werk ist in vier Abschnitte gegliedert. Einer städtebau- und siedlungsgeschichtlichen Einführung zur Entwicklung Kleinmachnows in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Kress folgt eine Beschreibung des ersten Entwicklungsabschnitts, der Zehlendorfer-Kleinmachnower Villenkolonie 1904-1914 von Bröcker, nebst einem Bestandskatalog der kaiserzeitlichen Villenkolonie (ebenfalls von Bröcker). Den Abschluss bildet ein Abschnitt über den letzten Entwicklungsabschnitt vor dem 2. Weltkrieg, der Bürgerhaussiedlung Kleinmachnow 1927-1937 von Kress. Mit dieser Aufteilung gelingt es den Autorinnen, das Thema sowohl hinsichtlich der Gesamtentwicklung als auch im Hinblick auf die architektonische Ausformung im Detail auf eine ebenso anspruchsvolle wie verständliche und gut lesbare Art darzustellen.

Zudem haben sie mit der Auswahl und Anordnung des außerordentlich reichhaltigen Abbildungsmaterials eine sichere Hand bewiesen, so dass das Werk nicht nur den vielen neuen und alten Bewohnern Kleinmachnows eine Freude, sondern dem wissenschaftlichen Nutzer ein wertvolles Arbeitsmittel sein wird. Dabei gelingt es den Autorinnen in jedem Abschnitt des Buches, ihre Forschungsergebnisse in das jeweilige gesellschaftliche und wirtschaftliche Umfeld einzuordnen, wenn sie etwa im Einzelnen die Rolle des Architekten Bruno Schmitz in der ersten und die des Bauunternehmers Adolf Sommerfeld (heute bekannt vor allem als Bauherr des Gropius´schen Blockhauses in der Lichterfelder Limonenstraße) in der letzten Phase der Siedlungsentwicklung darstellen und in ihrer Bedeutung erläutern. Sehr illustrativ wirken auch die Werbeanzeigen der Terraingesellschaften aus den verschiedenen Entwicklungsphasen, die stets aufs neue eine zufriedenstellende Antwort auf die wichtigste Vorort-Frage (zugleich der wunde Punkt Kleinmachnows) zu geben versuchen: „Wieviel Minuten Fahrzeit bis zum Potsdamer Platz?“

Von den verschiedenen Siedlungsabschnitten der 1920er und 1930er-Jahre, die sämtlich im Einführungskapitel vorgestellt werden, wie etwa die „Eigenherd“-Siedlung, die „Winkler-Siedlung“ oder die „Villen-Kolonien“ von Andresen oder der Villen-Parzellen AG, wird nur die „Bürgerhaussiedlung 1927-1937“ im Detail behandelt. Angesichts der hohen Qualität dieser Einzeldarstellung, wie auch derjenigen zur „Villenkolonie 1904-1914“ nebst dem Bestandskatalog wäre es wünschenswert gewesen, auch zu den anderen Siedlungen mehr Details zu erfahren, zumal auch einige Architekten der Bauhaus-Moderne in Kleinmachnow gebaut haben. Bleibt zu hoffen, dass solche sinnvollen Nachträge in einer zweiten Auflage noch ergänzt werden.

Abgesehen von solchen Erweiterungswünschen handelt es sich nach alledem um ein Werk, das weit mehr darstellt als einen Beitrag zur Lokalgeschichte Kleinmachnows. Es bildet schon jetzt ein wichtiges Teilstück der „neuen“ wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Siedlungs- und Architekturgeschichte des Berliner Südwestens. Insofern ist „Südwestlich siedeln“ ein besonders gut gelungener Obertitel. Es bleibt zu hoffen, dass die Autorinnen ihm noch weitere monografische Untertitel hinzufügen werden, denn auf der architektur- und stadtplanungsgeschichtlichen Landkarte dieser Region gibt es noch viele weiße Flecken.

Die Geschichte Berlins seit der Reichsgründung ist ohne seine Villenkolonien und Siedlungen im Grünen nicht verständlich. Solche Viertel entwickelten sich nicht einfach, sie wurden entwickelt. Das Werk von Nicola Bröcker und Celina Kress zeigt exemplarisch, welche Erfolgsfaktoren dafür erforderlich waren und welche Gestalt solche Entwicklungen zu verschiedenen Zeiten annahmen. Jedem, der sich für bauliche Geschichte Berlins seit der Reichsgründung und natürlich jedem, der sich speziell für die Geschichte Kleinmachnows interessiert, kann „Südwestlich siedeln“ ohne Einschränkung empfohlen werden.

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