R. Blänkner u.a. (Hgg.): Eduard Gans (1797-1839)

Titel
Eduard Gans (1797-1839). Politischer Professor zwischen Restauration und Vormärz


Herausgeber
Blänkner, Reinhard; Göhler, Gerhard; Waszek, Norbert
Reihe
Deutsch-Französische Kulturbibliothek 15
Erschienen
Anzahl Seiten
350 S.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Ries, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Wer war Eduard Gans? So möchte man heute allenthalben eine interessierte Öffentlichkeit fragen und würde entweder gar keine Antwort erhalten oder die, dass er der Doktorvater von Karl Marx gewesen sei, und die wäre auch noch falsch; denn Marx hat lediglich Vorlesungen bei Gans gehört und sich dann an ihm abgearbeitet und erheblich von ihm abgesetzt. Dies erfährt man u.a. in dem anzuzeigenden Band "Eduard Gans (1797-1839). Politischer Professor zwischen Restauration und Vormärz", der auf eine Tagung der Werner Reimers Stiftung in Bad Homburg im Juni 1995 zurückgeht.

Um es gleich vorwegzunehmen: Man liest den Band besser von hinten nach vorne, der instruktivste und ins Thema wirklich gut einführende Artikel stammt nämlich von Reinhard Blänkner, einem der Tagungsorganisatoren und Herausgeber des Bandes, und steht ganz am Ende als letzter Beitrag. Wenn man dies alles weiß, was Blänkner zu Gans zusammenträgt, dann macht es Sinn, sich auf die einzelnen Artikel, die sich mit speziellen Themen befassen, einzulassen. Gans war der "Meisterschüler" von Hegel oder der "Oberhegelianer", wie sein Freund Heinrich Heine ihn liebevoll nannte, und bis heute hin steht Eduard Gans ganz und gar im Schatten Hegels, wird stets an ihm gemessen, mit ihm verglichen, alle Schriften in Bezug zu denen Hegels, dessen wichtigste Schriften er auch edierte, gesetzt und danach beurteilt. Es ist eine Crux, dass Gans bislang in der Forschung nicht als eigenständiger Denker betrachtet und behandelt wurde, und leider - muss man sagen - gelingt dies dem vorliegenden Sammelband auch nicht so recht: Ganze sechs von insgesamt vierzehn Beiträgen widmen sich ausschließlich dem Verhältnis von Gans und Hegel und lassen die Originalität und Authentizität des Gansschen Denkens und Handelns dementsprechend in den Hintergrund treten, ganz abgesehen von den zahlreichen Redundanzen, den immer wieder kehrenden zeitgenössischen Zitaten, von denen der Band, der eine bessere Redaktion verdient hätte, ohnehin voll ist.

Gans war getaufter Jude, aber erst spät, 1825, nachdem der von ihm gegründete "Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden", der ein kulturelles Ventil der politischen Restaurationszeit nach den Karlsbader Beschlüssen bot, gescheitert war und Gans mehrmals vor allem von Savigny eine Professur auf den Rechtslehrstuhl in Berlin verweigert wurde. Erst nach seiner Taufe - man spricht von dem "Umbruchsjahr 1825" - standen ihm in der Wissenschafswelt die Türen offen, und erst jetzt begann er sich als "politischer Professor" zu engagieren, der mit der Julirevolution von 1830 eine linksliberale Position, gegründet in seinem spezifischen, sich von den südwestdeutschen Liberalen unterscheidenden "Oppositions-Begriff", vertrat und bereits die "soziale Frage" zu stellen begann, von der Marx dann seinen Ausgang nahm. Man hätte sich in der Einleitung der Herausgeber und in dem ansonsten sehr guten Artikel von Blänkner eine stärker theoretische Reflexion und eine genauere Definition des 'politischen Professors' gewünscht, um so die immer wieder behauptete "Ausnahmestellung" von Gans besser begründen zu können. In dem Beitrag von Heinz Mohnhaupt über "Universalrechtsgeschichte und Vergleichung" bei Gans wird ein Seitenblick auf das Wissenschaftsverständnis von Gans geworfen, der deutlich macht, dass er nicht das "kritische", typisch aufgeklärte und von der Göttinger Schule Schlözers herkommende Konzept vertritt, was für den politischen Professor eigentlich bezeichnend ist: Gans wendet sich gegen die historische Rechtsschule Savignys und spricht ihr jegliche Wissenschaftlichkeit ab, weil sie zu sehr auf den praktischen Nutzen und Zweck sieht, was für ihn nichts mehr mit Wissenschaft zu tun habe, weil - wie er sagt - "es eben der Begriff und die Ehre der Wissenschaft ist, keinen Nutzen zu haben" (S. 363). Dieses Plädoyer für die absolute Zweckfreiheit von Wissenschaft kommt dem Diktum Rankes sehr nahe, das Blänkner in seinem Schlussbeitrag zitiert und das er auch für Gans reklamiert. In seiner Gedächtnisrede auf Gervinus, einen nun wirklich politischen Professor, der sich selbst als "Historiker des Lebens" bezeichnete und damit die für den politischen Professor typische Verbindung von "Wissenschaft und Öffentlichkeit" zum Ausdruck brachte, lässt Ranke, der große Antipode des politischen Professorentums, die ganz bemerkenswerten und heute immer noch aktuellen Worte fallen: "[U]nmöglich kann man seinen Standpunkt in dem Leben nehmen und diesen auf die Wissenschaft übertragen: dann wirkt das Leben auf die Wissenschaft, nicht die Wissenschaft auf das Leben. Für das Leben aber ist doch häufig nur das, was einen Jeden zufällig berührt, massgebend, so daß das Zufällige auf das zurück wirkt, was das allgemein Gültige sein soll, nicht dieses auf jenes. Wir können nur dann eine wahre Wirkung auf die Gegenwart ausüben, wenn wir von derselben zunächst absehen, und uns zu der freien objektiven Wissenschaft erheben." (S. 380) Wenn Gans diese Rankesche Idee einer "freien objektiven Wissenschaft", wie Blänkner behauptet, "geteilt" hat, dann war er - so möchte man kurzschließen - kein politischer Professor; wie er dennoch in Berlin die Spendensammlung für die Göttinger Sieben organisierte, wo er doch eigentlich von seinem Wissenschaftsverständnis her eher die Position Herbarts, des großen Gegenspielers der Göttinger Protestanten, vertrat, bleibt demnach unerschlossen oder doch zumindest widersprüchlich. Dennoch hat auch Gans politisch gewirkt, sein Katheder benutzt, um vor allem im Gefolge der Julirevolution seine politischen Ansichten in seinen zeitgeschichtlichen Vorlesungen mit dem bezeichnenden Titel "Geschichte der letzten fünfzig Jahre" zu transportieren, die einen ungeheuren Zulauf hatten und die nicht von ungefähr von der preußischen Behörde zunächst einmal verboten wurden. Was zeichnete also Eduard Gans aus, um ihn in die Kategorie des politischen Professors einzuordnen, wie es die Herausgeber tun. Hier hätte man sich, wie gesagt, eine schärfere Analyse und präzisere Zuordnung gewünscht. Blänkner hebt als weiteres typisches Charakteristikum von Gans neben seinen politischen Vorlesungen und publizistischen Versuchen, in und auf die Öffentlichkeit zu wirken, sein Leben in der Geselligkeitskultur des Salons hervor, der Salon sei - so Blänkner - "gleichsam Gans' besonderer habitueller Ort" (S. 385). Aber gerade dies ist nicht das spezifische Kennzeichen des typisch deutschen Phänomens des politischen Professors, sondern passt eher zu der französischen Form der so genannten "politischen Advokatur", worauf schon Franz Schnabel 1933 in seiner "Deutschen Geschichte im neunzehnten Jahrhundert" aufmerksam gemacht hat: "In Deutschland - wo die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen dem freien Berufe nicht so günstig waren (wie in Frankreich, K.R.) - wurde wichtiger als die politische Advokatur die Erscheinung des politischen Professors: die deutsche Beredsamkeit kommt von Kanzel und Katheder her, nicht von der Tribüne und dem Salon." (Bd. II, S. 204)

Eduard Gans scheint mir - nach der Lektüre dieses Bandes - eher eine "Mischform" von deutscher Gelehrtenpolitik der Umbruchszeit um 1800 zu sein, die französische Elemente in sich aufnahm und zu einer ganz spezifischen Ausprägung verarbeitete. Darin liegt wohl auch seine viel beschworene "Ausnahmestellung" begründet. Sein reger Kontakt nach Frankreich - die Beiträge von Michael Werner, Myriam Bienenstock, Alfons Bürge und nicht zuletzt wieder Reinhard Blänkner belegen dies - macht ihn zu einem regelrechten 'Grenzgänger' und zu einem Katalysator deutsch-französischer Kultur- und auch Politik-Beziehungen. Michael Werner zeigt dies am Beispiel der drei jüdischen Intellektuellen Börne, Heine und Gans und macht deutlich, wie sehr Frankreich mit der Julirevolution zur Folie wird, auch in Deutschland sozusagen das "Wort" zur "Tat" werden zu lassen bzw. den philosophischen Gedanken in die Praxis umzusetzen. Gans mutiert damit allerdings nicht zum Revolutionär, er greift, wie Frau Bienenstock sehr interessant nachweisen kann, den Saint-Simonismus auf, bezeichnet ihn gar als 'deutsche Schöpfung' und erkennt Hegelsche Prinzipien darin, wendet sich dann aber von den gesellschaftsverändernden Forderungen der Schüler Saint-Simons dezidiert ab und gelangt zu eigenständigen Versuchen, die soziale Frage gewissermaßen 'staatsreformerisch' zu lösen. Damit stellt Gans auch in dem sich nach 1830 allmählich ausdifferenzierenden liberal-demokratischen Lager eine Ausnahmeerscheinung dar, weil er weder die gemäßigt-liberale Vision einer "klassenlosen Bürgergesellschaft" (L. Gall) noch den radikaldemokratischen Gleichheitsappell mittrug. Hier scheint wohl seine Prägung durch Hegel eine nicht zu verachtende Rolle gespielt zu haben.

Diesem Verhältnis zu Hegel widmen sich - wie eingangs erwähnt - sechs Beiträge, nämlich die von Willi Jasper, Norbert Waszek, Hans-Christian Lucas, Angelica Nuzzo, Edda Magdanz und Gerhard Göhler. Auch hier wird die Zwischenposition und Vermittlerrolle von Gans deutlich: Er war weder Althegelianer, der die Vorstellungen des großen Meisters unkritisch weitertradierte, noch gehörte er bereits zu den sich links davon allmählich absetzenden so genannten Jung-Hegelianern (ein Begriff übrigens, der mir bis heute hin nicht einleuchten will), sondern er baut sich eine eigene Denkwelt, die in diesem Band unisono als die "Liberalisierung" der Hegelschen Philosophie bezeichnet wird oder in den Worten eines anonym gebliebenen Zeitgenossen, den Edda Madganz am Ende ihres Beitrages zustimmend zitiert: "Er [Gans] ist der lebendigste, der liberalste und der dem ganzen und entschiedenen Idealismus der neuesten Zeit am nächsten stehende Althegelianer." (S. 206)

Ein dritter Problemkomplex (neben dem politischen Professor und dem Verhältnis zu Hegel), dem sich der Sammelband zuwendet, ist die Stellung von Gans im wissenschaftlichen Streit zwischen "historischer" und "philosophischer" Rechtsschule, zu deren letzterer Gans selbst zu rechnen ist. Joachim Rückert arbeitet breit, leider muss man sagen: viel zu breit, ("ganz quellennah und kontextbewußt", S. 265) und zum Teil gespickt mit einem nicht gerade erkenntnisfördernden Frage- und Antwortspiel die einzelnen Aspekte des eigentlich bekannten Streits heraus, um am Ende zu dem Ergebnis zu kommen, dass es kein "Juristenstreit" gewesen sei, sondern "ein genuines Stück einer großartigen wissenschaftlichen Debatte längst vor 1800"(S. 310). Alfons Bürge behandelt den Streit aus französischer Perspektive und gelangt zu dem interessanten Ergebnis, dass in Frankreich durch die spezifische Verbindung der Rezeption der historischen Rechtsschule mit den idealistischen Strömungen der Zeit sich "mehr ein Miteinander" und "nicht ein Gegeneinander ihrer Anhänger" beobachten lässt, wobei beides wiederum "Kennzeichen einer betont wirtschaftsliberalen Grundeinstellung" (S. 336) war, so dass es in Frankreich konsequenterweise zu einem Zusammengehen mit der Ökonomie gekommen ist.

Etwas 'aus dem Rahmen' fallend, aber dafür nicht weniger interessant ist der Beitrag von Marek Jakubowski über "Gans und die polnischen Juden". Die Thematik ist deswegen von besonderem Interesse, weil sich durch den polnischen Aufstand und die kurzzeitigen Autonomiebestrebungen im Gefolge der Julirevolution so etwas wie eine "polnische Nationalphilosophie" herauskristallisierte, die in einer interessanten Verbindung der französischen Praxisorientierung mit der deutschen idealistischen Version bestand und eine "Synthese" der "Philosophie der Tat" hervorbrachte, welche im Vorfeld der Junghegelianer steht und - wie der Autor vorsichtig formuliert - auch durch Eduard Gans beeinflusst wurde.

Last but not least will ich noch den Beitrag von Jonathan Knudsen über "Restauration in Berlin" erwähnen, der an den Anfang gestellt wurde und den Rahmen und den historischen Kontext absteckt, innerhalb dessen Gans und seine politischen Mitstreiter nach 1815 "zwischen Anpassung und Opposition" agierten. Knudsen relativiert die Zäsur von 1830 für die Hauptstadt Berlin, wo es nicht zu einer politischen Öffnung kam, sondern zu "einer schrittweisen Provinzialisierung" (S. 30) infolge der bald schon eingeleiteten restaurativen Politik. Ausgenommen von dieser Provinzialisierung war einzig die Universität, wo sich ein diskursives Feld und ein bedeutsames, in die Zukunft weisendes Netzwerk mit den Reformkräften innerhalb der preußischen Bürokratie herausbildete.

Gans war, so Knudsen, "Teil dieser Opposition innerhalb der Bürokratie" (S. 36) - ein interessanter Aspekt für das politische Professorentum, das zwischen Staat und Gesellschaft changierte - und er erlebte wie viele seiner Zeitgenossen die "Krise" einer Generation, die - wie später einmal Heine ausführte - aus dieser Verunsicherung heraus ganz pragmatische Lebensentwürfe gestaltete, die nicht nur zur "Opposition", sondern eben auch zur "Anpassung" neigten.

Um meine Kritik zu Anfang nochmals aufzugreifen, so hätte nach diesem einführenden Rahmenartikel der Beitrag von Blänkner stehen müssen, um gleich zu Beginn schon die Person von Gans in den Kontext einzuordnen. Dann wäre es sinnvoll gewesen, den Band nach systematischen Gesichtspunkten wie dem Verhältnis zu Hegel, dem deutsch-französischen Kulturaustausch oder dem rechtshistorischen Wissenschaftsstreit zu gliedern, um so eine stärkere Stringenz und bessere Zuordnung des Protagonisten zu erreichen. Dies alles hätte allerdings immer noch nicht von der zentralen Aufgabe enthoben, den "politischen Professor" Gans analytisch schärfer zu fassen, zumal dies der Titel des Bandes ist.

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