M. Fröhlich (Hg.): Weimarer Republik

Titel
Die Weimarer Republik. Portrait einer Epoche in Biographien


Herausgeber
Fröhlich, Michael
Erschienen
Darmstadt 2002: Primus Verlag
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Siegfried Weichlein, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Alfred Döblin meinte 1921 über die Weimarer Republik: „Es war auch eine Republik da. [...] Man gedachte aber, mit ihr fertig zu werden. Zehn Mann der Regierung streiften sich die Ärmel hoch, spuckten in die Hände, faßten an, stellten die Republik auf die Beine. Da hatte man sie. Ein prächtiges Ding. Man überlegte, ob man ein Glasgehäuse darum bauen sollte, putzte es fleißig, zeigte es allen Nachbarn, hatte seine Freude daran. Einige ältere Männer und Frauen wurden damit betraut, das Ding in Ordnung zu halten und zu bewachen, denn es wird im Land furchtbar gestohlen.” 1 Der vorliegende Band von Michael Fröhlich stellt die Riege der älteren und jüngeren Wächter vor, die abgestellt waren, um das „prächtige Ding” des Weimarer Verfassungsstaates zu bewachen. 2

Vorgestellt werden aber auch die nächtlichen Diebe Adolf Hitler, Ernst Thälmann, Carl Schmitt, der Denker des Bürgerkrieges, und Oswald Spengler genauso wie die „Schönen der Nacht” Bertold Brecht und Ernst Jünger. Die vorgestellten Personen sind überwiegend Männer (nur drei Frauen), alle sind vor der Jahrhundertwende geboren: von Hugo Preuß (Jahrgang 1860) reicht die Liste bis zu Erich Kästner (Jahrgang 1899). Sie alle verbindet die Erfahrung des Ersten Weltkrieges, die freilich ganz unterschiedlich gedeutet wurde. Während Preuß, Friedrich Ebert, Otto Braun und Gustav Stresemann als Republikaner zur staatstragenden Elite gehörten, bekämpften Ernst Thälmann, Bertold Brecht und Alfred Hugenberg das „System von Weimar” zum Teil bis aufs Messer.

Die beschriebenen 35 Personen stammen aus der Politik und der Kultur. Auch die Literatur und die Wissenschaft sind prominent vertreten. Die einzelnen Beiträge werden durch Quellen und Literatur abgerundet. Es entsteht ein „Portrait einer Epoche in Biographien”, wie es im Untertitel heißt. Die Auswahl der Personen ist immer Beschränkungen unterworfen. Es ist daher wohlfeil, auf fehlende Persönlichkeiten hinzuweisen. Dennoch stellt sich die Frage, aus welcher Perspektive das Portrait entworfen wird, was an der Weimarer Epoche hell beleuchtet, was aber auch abgedunkelt und verschwiegen wird.

Weimar tritt in diesem Band als politisches und kulturelles Projekt in Erscheinung, das 1933 scheiterte, aber im Guten wie im Schlechten zukunftsweisend war. Alle wichtigen politischen Parteien sind vertreten, Sozialdemokraten, Zentrumspolitiker, Liberale verschiedener Richtungen, Konservative, Nazis und Kommunisten, selbst Schulreformer (Siegfried Kawerau) und Pazifisten (Fritz Küster). An Weimar tritt damit das in den Blick, was in die tausend Jahre nach 1933 oder aber in die Bundesrepublik hinein weiterwirkte. Oswald Spengler meinte im Juli 1933 ernüchtert vom Naziregime: „Wir stehen vielleicht schon dicht vor dem zweiten Weltkrieg mit unbekannter Verteilung der Mächte und nicht vorauszusehenden - militärischen, wirtschaftlichen, revolutionären - Mitteln und Zielen.” Spengler sagte eine weiße Weltrevolution „von unten” und eine farbige Weltrevolution in Asien und Afrika voraus (S. 238). Weit in die Nachkriegsgeschichte nach 1945 hinein verweist auch die Biografie von Toni Sender, einer jüdischen Sozialdemokratin aus Frankfurt mit einem Dresdener Wahlkreis. Als Frau in der Politik beschäftigte sie sich gerade nicht mit klassischen Frauenthemen, sondern mit Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Bewusst ehelos und lebenslang selbstständig widersprach sie in allem der sozialdemokratischen Männerphantasie von der „‚Weibwerdung’ der proletarischen Frau” (S. 320).

Modern war Weimar gerade in seiner Kultur. Das „neue perikleische Zeitalter”, wie der Theaterkritiker Alfred Kerr (nicht aufgenommen) seine Zeit nannte, verband Kultur und Politik engstens miteinander. Wie im peloponnesischen Krieg der Athener war in Weimar der Krieg ein Thema in der Zeit kultureller Blüte. Hier liegen die Stärken dieses Bandes. In den Portraits von Preuß (Arndt Faatz), Walter Simons (Horst Gründer) und Matthias Erzberger (Peter Grupp) tritt der fragile Charakter der politischen Neuschöpfung aus der Kriegsniederlage plastisch hervor. Der Beitrag von Wolfram Wette zum sozialdemokratischen Reichswehrminister Gustav Noske zeichnet das Hysterische an der ständigen inneren Bürgerkriegsangst nach, das zu Überreaktionen durch das Militär führte. Noske leistete den Bestrebungen der Militärs Vorschub, „den Krieg gegen die äußeren Feinde in einem Nachkrieg gegen den inneren Feind fortzusetzen” (S. 134).

Die Portraits von Erich Kästner, Kurt Tucholsky (beide Karl Heinz Wagner), Bertold Brecht (Jürgen Kost) und Alfred Döblin (Wolfgang Düsing) beleuchten facettenreich die vibrierende Kultur einer immer noch vom Krieg zerrissenen Gesellschaft. Das Pathos noch der kritischen Literatur war idealistische eingefärbt und blieb elitär. Tucholsky meinte: "So leben Tausende und Tausende dahin, und haben das Land ihrer Sehnsucht, das Land ihrer Jugend verraten und vergessen [...] Aber die Bücher sind noch da, die Bücher und ihre Wahrheiten, ihre Zweifel und ihre krummen Wege.” (S. 371)

Die Weimarer Kultur tritt als Literatur in Erscheinung. Damit hängen die Schwächen des Bandes und seiner Auswahl zusammen. Die Vollständigkeit, die noch die Auswahl der politischen Parteien bestimmte, vermisst man in der Kultur und ihren Richtungen. Sie wird auf die Literatur reduziert. Diese Verengung deutet auf die Textfixiertheit vieler Historiker hin. Geschichte ist dann das Produzieren von neuen aus alten Texten. Kultur, die nicht verschriftlicht ist, bleibt diesem Zugriff entzogen. Man ist an die frühneuzeitliche Verfahrensregel im römisch-kanonischen Prozess erinnert: „Quod non est in actis, non est in mundo.” 3 Die Malerei, die Architektur und die Musik stellten aber ein Markenzeichen der Weimarer Epoche dar. Nur ein Maler (Otto Dix) ist aufgenommen, die Musiker fehlen völlig: kein Paul Hindemith, kein Richard Strauß, keine Zwölftonmusik. Auch die Bauhaus-Architektur, die Haupt-und Vorzeigekunst Weimars bei den europäischen Nachbarn, bleibt außen vor, ebenso der rasende Reporter Egon Erwin Kisch. Diese Personen waren nicht nur Individuen, sondern Verkörperungen ihrer Epoche, wie der Expressionismus und die „Neue Sachlichkeit”.

Dem Projektcharakter von Weimar geschuldet ist auch, dass die weniger heroische wirtschaftliche und soziale Gegenwart ausgeblendet bleibt. Robert Bosch ist der einzige Unternehmer in diesem Band. Mit den Kohlebaronen an Saar und Ruhr werden auch die Arbeitswelt der Deutschen und die Gewerkschaften ausgespart. Überhaupt ist das, was uns Weimar eher fremd macht, in dem Band kaum vertreten. Die immer noch starke Deutungsmacht der Kirchen ist bis auf den Studentenpfarrer Carl Sonnenschein überhaupt nicht vertreten. Dass der evangelische Christ typischerweise deutschnational wählte, scheint nicht durch. Das gilt auch für die religiösen Aufbrüche der Weimarer Zeit, sei es bei Romano Guardini oder bei Karl Barth. Auch Filmregisseure, Schauspieler und Sportler sucht man vergebens, obwohl sie ihre Zeit in einprägsame Bilder für ihre Zeitgenossen fassten. Dabei waren es doch gerade diese Felder, die von Weimar über den Nationalsozialismus in das Nachkriegsdeutschland weiterwirkten.

Anmerkungen:
1 Döblin, Alfred, Der deutsche Maskenball von Linke Poot. Wissen und Verändern, Hg. Walter Muschg, Olten 1972, im vorliegenden Band zit. auf S. 214.
2 Damit ist er eine Fortsetzung von: Fröhlich, Michael (Hg.), Das Kaiserreich Portrait einer Epoche in Biographien, Darmstadt 2001.
3 Vgl. Detlef Liebs (Bearb.), Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, München 1998, S. 197.

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