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Titel
Der Bankier Hermann Josef Abs. Eine Biographie


Autor(en)
Gall, Lothar
Erschienen
München 2004: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
526 S., 57 Abbildungen
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Wixforth, Bielefeld

Hermann Josef Abs zählt fraglos zu den herausragenden Bankiers in der deutschen Finanzwelt des 20. Jahrhunderts. Gäbe es im deutschen Bankwesen augenblicklich Bankdirektoren seines Kalibers, so hätten einige der Großbanken ihre aktuellen Probleme vielleicht vermieden. Hermann Josef Abs zählt aber auch zu den umstrittenen deutschen Bankiers des 20. Jahrhunderts. Nur wenige Finanzleute standen so in der Kritik und waren Gegenstand von Spekulationen. Eine detaillierte, auf einen breiten Quellenfundus gestützte Biografie zu Abs war daher überfällig, um offene und lange Zeit diskutierte Fragen zu beantworten. Lothar Gall, als Bismarck-Biograf mit den Lebenswegen wichtiger Entscheidungsträger vertraut, hat sich dieser Aufgabe gestellt. Im Ergebnis ist eine in ihrer Geschlossenheit beeindruckende und hervorragend erzählte Biografie des einflussreichsten und bedeutendsten Bankiers der deutschen Nachkriegsgeschichte entstanden. Gall ist es gelungen, ein facettenreiches Porträt des langjährigen Vorstandssprechers und Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Bank zu zeichnen, zudem die oft spröde Materie des Bankgeschäfts mit einer plastischen Darstellung des Wirkens von Abs in Wirtschaft und Politik während der nationalsozialistischen Diktatur und der jungen Bundesrepublik zu verbinden. Eines wird dabei deutlich. Der Lebens- und Berufsweg von Abs von 1901, dem Jahr seiner Geburt, bis zu seinem Tod 1994 spiegelt die Kontinuitätslinien der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert ebenso wider wie ihre Brüche. Die Lebensgeschichte des Hermann Josef Abs ist damit auch ein Stück deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert.

In seiner Darstellung folgt Gall den Linien einer „klassischen Biografie“. Nach zwei kürzeren Kapiteln über die Kindheit und Jugend von Abs sowie über seine „Lehr- und Wanderjahre in der Weimarer Republik“ folgt ein erster längerer Abschnitt über die Tätigkeit von Abs als Teilhaber des Berliner Privatbankhauses Delbrück, Schickler & Co. Hier erwarb er sich den Ruf eines versierten Außenhandelsfachmannes und eines geschickten Sanierers, was ihm schließlich die entscheidende Weichenstellung in seinem Leben ermöglichte: Der Eintritt in den Vorstand der Deutschen Bank. Abs hatte es mit 35 Jahren geschafft, im „Gelddom der deutschen Hochfinanz“, der Deutschen Bank, die große, fünfmanualige Otgel spielen und alle Register ziehen zu können.

Die Tätigkeit von Abs im Vorstand der Deutschen Bank während der NS-Diktatur ist bereits mehrfach Gegenstand von teils polemischen, teils spekulativen Abhandlungen gewesen. Anfang der 1970er-Jahre war sie sogar Anlass für einen Prozess, den Abs gegen den DDR-Historiker Eberhad Czichon anstrengte, um sich gegen dessen Behauptungen und Schlussfolgerungen zur Wehr zu setzen. Auch Gall konzediert, dass seine Darstellung von Abs als Vorstandsmitglied der Deutschen Bank im „Dritten Reich“ eines der Schlüsselkapitel für seine Biografie ist. Zum ersten Mal konnte Gall dafür das persönliche Archiv von Abs im Historischen Archiv der Deutschen Bank auswerten, der ca. 5.000 Aktenordner umfassen soll und für Außenstehende weiterhin gesperrt ist. Zu Recht bestand daher die Erwartung, dass auf dieser Quellengrundlage viele offene Fragen zur Rolle von Abs in der Kreditwirtschaft des Nationalsozialismus zu beantworten seien, dass sich auf dieser Materialbasis ein klares und scharf konturiertes Bild von Abs in der Zeit des Nationalsozialismus gewinnen ließe.

Diesen Erwartungen wird Gall nicht ganz gerecht. Wesentlich Neues oder gar Überraschendes kann er nicht präsentierten. Dies liegt, so Gall, an der Struktur des Abs-Archives: Der größte Teil der Aktenordner beinhaltet Vorgänge aus der Zeit nach 1945, der weitaus kleinere Teil Geschäftaktivitäten während des Nationalsozialismus. Zudem habe Abs einige Dokumente wohl selber vernichtet, aus Furcht vor Nachforschungen des NS-Herrschaftsapparates über seine Tätigkeit in der Deutschen Bank. Gall wiederholt daher im Wesentlichen sein bereits an anderer Stelle publiziertes Urteil: Abs war ein „man for all seasons“, der es geschickt verstand mit den Mächtigen zu paktieren, zum Wohle der Deutschen Bank, aber auch zum Wohle seiner eigenen Karriere. Abs war aber auch klug genug, sich nicht vollständig von Hitler und seinen Satrapen und deren verbrecherischen Expansionspolitik vereinnahmen und instrumentalisieren zu lassen. Außerdem habe er sich aus innerer Überzeugung als gläubiger Katholik stets die innere Distanz zum NS-Regime bewahrt. Dieses Urteil dürfte im Wesentlichen zutreffend sein, wird es doch durch andere aktuelle Forschungen zur Rolle der Banken im Nationalsozialismus gestützt. Dennoch: Das tatsächliche Maß an Verstrickung in die NS-Expansionspolitik, seine spezifische und persönlich Verantwortung für bestimmte geschäftspolitische Entscheidungen zu Lasten von Banken, Firmen oder deren Inhaber in den besetzten Gebiet wird nicht ganz deutlich. Die Rolle von Abs in der Kreditwirtschaft des Nationalsozialismus bleibt daher unscharf konturiert. Gall kritisiert in vergleichsweise scharfer Form die Schlussfolgerungen des amerikanischen Historikers Harold James über die Tätigkeit von Abs im NS-Wirtschaftssystem (S. 71-73). James spricht von einer persönlichen Mitschuld von Abs an einigen „Brutalitäten“, die im Zuge der Expansion der Deutschen Bank in das Protektorat Böhmen und Mähren vorgefallen seien. Eindeutig entlastende Dokumente kann jedoch auch Gall nicht präsentieren. Wahrscheinlich wird sich erst nach intensiven Recherchen in osteuropäischen Archiven, in denen sich wesentliches Material zur Rolle der Banken in den vom NS-Regime besetzten Gebieten befindet, das Bild über die Expansionstätigkeit der Deutschen Bank im Osten und damit auch über die persönliche Verantwortung von Abs präziser darstellen lassen.

In den folgenden Kapiteln beschreibt Gall den weiteren Lebens- und Karriereweg von Abs nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Nach zwei kürzeren Abschnitten über die direkte Nachkriegszeit und den von den Alliierten angestrengten Ermittlungen gegen Abs sowie zu seiner Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender der Kreditanstalt für Wiederaufbau behandelt Gall ausführlich die Verhandlungen, die zum Londoner Schuldenabkommen führten. Hier gelingt es Gall hervorragend, die unterschiedlichen Motivstränge im Handeln von Adenauer und Abs darzustellen, zudem anschaulich das Taktieren des ersten deutschen Nachkriegskanzlers auf der einen und seines finanzpolitischen Beraters auf der anderen Seite zu rekonstruieren. Adenauer setzte sein Kalkül durch, was Abs wohl mit dazu bewogen hat, sich doch wieder eher auf das Bankgeschäft und weniger auf Fragen der Außenpolitik zu konzentrieren. Dennoch: Gerade durch seine Tätigkeit als Vorstandssprecher der rückverflochtenen Deutschen Bank und sein Bemühen, den „Kredit“ der jungen Bundesrepublik auf den internationalen Finanzmärkten wiederherzustellen, wurde Abs als weltweit anerkannter Finanzfachmann der kongeniale Partner für Adenauer und dessen Politik, möglichst schnell die volle Souveränität für die zweite deutsche Demokratie wieder herzustellen. Die besondere Bedeutung, die Abs in seiner Zeit bei der Deutschen Bank dem Auslandsgeschäft beimaß, rechtfertigt es auch, dass Gall dieses Feld schwerpunktmäßig in den Kapiteln behandelt, in denen er die Tätigkeit von Abs als Vorstandssprecher und Aufsichtsratsvorsitzenden des größten deutschen Kreditinstituts behandelt.

Erst in den letzten Abschnitten seiner Biografie verschieben sich die Akzente etwas: Hier tritt uns Abs als „finanzpolitischer Sprecher der Deutschland AG“ entgegen, als Bankier, der auch in der Bundesrepublik eine Fülle von Aufsichtsratsmandaten wahrnahm, was eine spezielle Gesetzesregelung für ihn zur Folge hatte, der gleichsam als herausragender Netzwerkspezialist eine entscheidende Schlüsselposition im Beziehungsgeflecht zwischen Banken, Industrie und Politik besaß. Zudem verstand sich Abs als einer der nachdrücklichsten Verfechter einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die heute als „rheinischer Kapitalismus“ charakterisiert wird. Gall kann detailreich und plausibel die Motive und das Handeln von Abs nachzeichnen. Im Ergebnis wird verständlich, warum Abs zum „Cheforganisten im größten deutschen Gelddom“ avancierte, und was seine Leistungen für die Finanzwelt, aber auch für Industrie und Politik bedeuteten. Ein letztes Kapitel über Abs als Wirtschaftsbürger und Mäzen, als Kunst- und Musikfreund schließt die Biografie ab.

Wenn auch nicht alle offenen Fragen geklärt sind, so präsentiert Gall doch eine geschlossene und vor allem gut lesbare Darstellung des Lebens- und Karrierewegs eines herausragenden deutschen Bankiers. Nicht nur dies: Sie veranschaulicht, wie und warum der „rheinische Kapitalismus“ funktionierte. Abs war einer der Garanten dafür. Nicht überraschend ist daher, dass mit dem Ende dieser Form der deutschen Konsensgesellschaft, hervorgerufen durch die politischen Umbrüche in Europa in den 1980er und 1990er-Jahren, auch Hermann Josef Abs selbst historisiert wurde – ein personifiziertes Stück deutsche Nachkriegsgeschichte.

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