W. Hirch: Zeugen Jehovas während der SED-Diktatur

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Titel
Die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas während der SED-Diktatur. Unter besonderer Berücksichtigung ihrer Observierung und Unterdrückung durch das Ministerium für Staatssicherheit


Autor(en)
Hirch, Waldemar
Reihe
Europäische Hochschulschriften 3 980
Erschienen
Frankfurt am Main 2003: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
430 S.
Preis
€ 68,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Schmidt, Theologische Fakultät, Abteilung Religionssoziologie, Universität Leipzig

Aus religionshistorischer Perspektive waren die 1990er-Jahre vor allem durch eine wissenschaftliche Analyse der Situation der evangelischen und der katholischen Kirche in der DDR bestimmt. In den letzten Jahren erschien nun auch eine beachtliche Reihe von Arbeiten zur Geschichte der Zeugen Jehovas (ZJ) in der DDR. Das Interesse lag dabei vor allem auf der Verfolgung dieser Religionsgemeinschaft und den staatlichen und geheimdienstlichen Repressionen, denen die ZJ seit 1945 ausgesetzt waren.1 Zuletzt geschah dies in einer Verbindung von historischen und soziologischen Fragestellungen, wobei damit verstärkt die Binnenperspektive der ZJ in den Blick rückte.2

Waldemar Hirchs Arbeit steht in der Reihe dieser Forschungen und wurde als Dissertation an der Fernuniversität Hagen angenommen. Insgesamt muss jedoch festgestellt werden, dass der Titel der Arbeit mehr verspricht, als das Buch schließlich zu halten vermag. Wer hofft, etwas über Leben und Entwicklung der ZJ in der DDR zu erfahren, erkennt bald, dass der Untertitel die Arbeit deutlich dominiert: Außer einigen überblicksartigen Schilderungen verfolgt Hirch das Schicksal der ZJ fast ausschließlich aus der Perspektive des Ministeriums für Staatssicherheit. So liest man viel über Methoden und Ziele des MfS, erfährt allerdings wenig über die Zeugen Jehovas in der DDR.

Hirch stützt sich weitestgehend auf Akten des MfS, dazu auf Bestände des Bundesarchivs und des evangelischen Zentralarchivs. Zudem verwendet er veröffentlichte Literatur der ZJ und führte acht Interviews. In der Einleitung wird kein explizites Forschungsziel der Arbeit formuliert, stattdessen eine Skizzierung der grundsätzlichen Entwicklung der ZJ in der DDR und einige vorgreifende Einschätzungen zur sicherheitsdienstlichen Bearbeitung der Zeugen vorgenommen. Lediglich bei der Vorstellung des Kapitels zur „Christlichen Verantwortung“ detailliert Hirch einige seine Untersuchung leitende Fragen (S. 14). Die Darstellung des Forschungsstandes erfolgt ebenfalls recht knapp und bleibt meist auf wenige Inhaltsangaben begrenzt.

Das erste Kapitel gibt einen knappen Überblick über die Geschichte der ZJ und ihre Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime. Anschließend folgt ein Abschnitt zum „Staats-, Neutralitäts- und Glaubensverständnis der Zeugen Jehovas“. Darin erläutert Hirch grundlegende theologische Prämissen der ZJ und daraus resultierende Haltungen zu Politik und Staat.

Das zweite Kapitel beschreibt die Situation der ZJ in der SBZ/DDR bis 1950. Während dieser Zeit arbeitete die Religionsgemeinschaft formell legal, war aber gleichwohl etlichen Behinderungen unterworfen. Zudem beschloss das SED-Politbüro im September 1949 umfangreiche Maßnahmen, um die Tätigkeit der ZJ weiter zu erschweren. Hirch schildert die in diesen Jahren erfolgten Veranstaltungsverbote, Verhaftungen sowie Anschuldigungen in der Presse und auf lokaler Ebene.

Im dritten Kapitel widmet sich Hirch den Jahren 1950 bis 1990, in denen die Tätigkeit der ZJ nach deren Verbot am 31.8.1950 inoffiziell erfolgen musste. Noch im gleichen Jahr fand in Berlin ein „Schauprozess“ gegen neun Zeugen Jehovas statt, die wegen „Kriegs- und Boykotthetze“ sowie Verfassungsbruchs zu hohen, teilweise lebenslänglichen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Bis zur Mitte der 1950er-Jahre erfolgten zahlreiche weitere Verhaftungen, Prozesse und Verurteilungen. Hirch schildert detailreich die Bemühungen der Staatssicherheit, Informationen über die Tätigkeit der Zeugen Jehovas zu erlangen, und gleichzeitig die Versuche der ZJ, Literatur in die DDR zu schleusen und die interne Organisationsstruktur aufrecht zu erhalten. Ab 1966 gab es jedoch keine Verhaftungen mehr. Stattdessen wurden bei illegalen Treffen oder Literatureinschleusungen Ordnungsstrafen ausgesprochen und vermehrt so genannte „Vorbeugungsgespräche“ geführt. Diese Strategie wurde bis zum Ende der DDR verfolgt.

Im abschließenden vierten Kapitel stellt Hirch die Arbeit der „Christlichen Verantwortung“ (CV) vor. Unter diesem Namen erschien ab 1965 ca. zweimonatlich eine Zeitschrift, die es sich offiziell zum Ziel gemacht hatte, über die „religiöse Strategie und Taktik“ der ZJ zu berichten, deren „fortdauernden Antikommunismus [...] ans Licht zu bringen und einen Weg zu weisen, der frei ist von religiösem Irrtum und politischem Missbrauch“ (zitiert auf S. 238). Die Zeitschrift wurde in einer Auflage von bis zu 6.000 Exemplaren hergestellt und an die Adressen von bekannten Zeugen Jehovas, aber auch an öffentliche Institutionen und kirchliche Einrichtungen verschickt. Hirch beschreibt die CV als „Oppositionsorgan des MfS“ (S. 197) und schildert umfänglich deren Aufbau und Entwicklung. Sein besonderes Interesse gilt dabei den jeweils leitenden CV-Mitarbeitern, deren Finanzierung und Anleitung durch das MfS und den diversen Versuchen, über die CV Einbrüche ins Lager der ZJ zu lancieren.

Zusammenfassend konstatiert Hirch einen geringen Einfluss all dieser Maßnahmen. Die Mitgliedszahlen, die trotz zeitweiliger Rückgänge zu Beginn wie Ende der DDR ca. 20.000 betrugen, seien nie dauerhaft gesenkt worden. Auch konnte „der überwiegende Teil der Zeugen Jehovas [...] von der CV-Argumentation weder erreicht noch überzeugt werden“ (S. 406). Dagegen hätte außerhalb der ZJ die Propaganda gefruchtet. „Hier ließen sich zumindest ein Teil der ‚religiösen Konkurrenz’, aber auch ehemalige Zeugen Jehovas, von der tendenziösen und unsachlichen Kritik durch CV informieren“ (S. 407).

Vor allem im Vergleich mit der bisher erschienenen Literatur zum Thema fällt ein Fazit nach der Lektüre leider ernüchternd aus. Waldemar Hirchs Arbeit bietet inhaltlich wenig Neues. Das Buch weist einen vorwiegend deskriptiven Charakter fast ohne theoretische Bezüge oder systematisch verfolgte Fragestellungen auf, Bezugnahmen auf die bisher erschienene Forschung erfolgen sehr selten. Durch die Konzentration auf die Arbeit des MfS kommt eine überzeugende Einbettung der jeweiligen Strategien und Vorgänge in politische Rahmenbedingungen viel zu kurz.

Das Lesen wird zudem erschwert durch einen teilweise umständlichen Stil, fehlerhafte Grammatik und mangelhaftes Layout. Im Text fehlt eine Nummerierung der Kapitel, die Abschnitte sind nicht immer stringent aufgebaut. Das Kapitel zur CV hätte eine gestraffte Darstellung gut vertragen, wie auch etliche Zitate in kürzerer Form ausgereicht hätten und das teilweise umfangreiche Zahlenmaterial in Tabellenform zugänglicher präsentiert werden könnte.

Inhaltlich scheint vor allem Hirchs Einschätzung der Stellung des MfS diskussionswürdig. Hirch schreibt dem MfS „ganz eindeutig [...] die Führung“ bei den „Unterdrückungs- und Verfolgungsmaßnahmen“ gegen die ZJ zu (S. 401). Andererseits wird das MfS als „direktes Ausführungsorgan der SED“ eingeführt (S. 11). Zudem legt Hirch dar, wie das MfS ab Mitte der 1960er-Jahre nur noch Ordnungsstrafen verhängte und begründet dies damit, dass „von den DDR-Gerichten keine Haftstrafen mehr [...] ausgesprochen wurden“ (S. 166). Eben jene Gerichte werden aber später als dem MfS „untergeordnet“ charakterisiert (S. 401).

Trotz aller Kritik bleibt es Hirchs Verdienst, eine Fülle an Quellen aufgearbeitet zu haben, die die geheimdienstliche Verfolgung der ZJ in der DDR belegen und die Vielfalt der dabei angewandten Methoden verdeutlichen. Interessante Ansätze ergeben sich zudem in den Passagen, in denen Hirch die Auswirkungen der staatlichen Politik auf das Bild der ZJ in der Gesamtgesellschaft andeutet. Denn nicht zuletzt die mindestens desinteressierte Haltung weiter Teile der Bevölkerung mag die Lage der ZJ in der DDR verschärft haben. Hirchs Charakterisierung von gegen die ZJ demonstrierenden Personen als „Pöbel“ (S. 79f.) mag dabei zwar emotional verständlich sein; sie taugt allerdings nicht als wissenschaftlich brauchbare Kategorie. So bleibt nicht nur in diesem Punkt auch weiterhin Raum und Bedarf für eine analytisch und empirisch fundierte sozial-historische Forschung.

Anmerkungen:
1 Einen guten Überblick zu gegenwärtigen Forschungsperspektiven bietet der Sammelband Besier, Gerhard; Vollnhals, Clemens (Hgg.), Repression und Selbstbehauptung. Die Zeugen Jehovas unter der NS- und der SED-Diktatur, Berlin 2003. Vgl. dazu auch die Rezension von Anke Silomon bei H-Soz-Kult vom 25.11.2003, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-4-113>.
2 Schmidt, Robert, Religiöse Selbstbehauptung und staatliche Repression, Berlin 2003.

Kommentare

Von Hirch, Waldemar07.02.2005

Anmerkung der Redaktion:
Im folgenden Beitrag reagiert Waldemar Hirch auf Thomas Schmidts Rezension seiner Dissertation „Die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas während der SED-Diktatur“. (Siehe: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-4-151>)
An Hirchs Kommentar schließt sich die Gegenreaktion Thomas Schmidts an.

*

Waldemar Hirch
E-Mail: <waldemarhirch@aol.com>
http://www.neuegeschichte.de/

Wie Schmidt zu Recht schreibt, ist in den letzten Jahren „eine beachtliche Reihe von Arbeiten zur Geschichte der Zeugen Jehovas (ZJ) in der DDR“ erschienen. Aus diesem Grund war es nicht die Intention des Autors, bereits veröffentlichtes Wissen in seiner Dissertation zu wiederholen, und die Geschichte der Zeugen Jehovas in der DDR wurde lediglich als Überblick aufgenommen. Großen Wert legte der Verfasser dagegen in der Tat auf die „Unterdrückungs- und Verfolgungsmaßnahmen“ durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Bereits im Vorwort wird hierzu erklärt, dass die Schilderung des MfS und seines geheimdienstlich gesteuerten Oppositionsorgans „Christliche Verantwortung“ (CV) einen wesentlichen Teil dieser Arbeit einnimmt, da „durch die Arbeitsweise von und mit CV ein erhellender Einblick in die außergewöhnlich weitreichenden Aktivitäten des MfS erhältlich“ sei (S.14). Dies war bis dato so nicht möglich. Der Titel der Dissertation, wenn er korrekt gelesen wird, lässt darauf schließen, dass den Methoden des MfS gegen Zeugen Jehovas besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird: „Die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas während der SED-Diktatur, unter besonderer Berücksichtigung ihrer Observierung und Unterdrückung durch das Ministerium für Staatssicherheit“. Dem aufmerksamen Leser des Buchtitels verwundert es eigentlich nicht, dass tatsächlich die MfS-Arbeit im Vordergrund steht.

Die Darstellung der „CV“ beschäftigt sich nicht, wie Thomas Schmidt zu Unrecht konstatiert, vorwiegend mit den „jeweils leitenden CV-Mitarbeiten, deren Finanzierung und Anleitung durch das MfS und den diversen Versuchen, über die CV Einbrüche [eine etwas ungeschickte Formulierung Schmidts] ins Lager der ZJ zu lancieren“ (Abs. 7). Neben der grundsätzlichen Arbeitsweise des MfS gegen die Zeugen Jehovas werden vielmehr die nationalen und internationalen Auswirkungen dieser intensiven geheimdienstlichen Arbeit gegen die Religionsgemeinschaft hervorgehoben. Aus diesem Grund werden die vermeintlichen und tatsächlichen Oppositionsgruppen, die Weltanschauungsbeauftragten der Kirchen und einzelne Apostaten anhand dauerhafter persönlicher Kontakte zueinander in Beziehung gesetzt. Eine Diskreditierung par excellence hatte hier stattgefunden. Nicht nur national, sondern auch international sollte den Zeugen Jehovas dadurch geschadet werden, was auch gelang. Insofern ist hier eine „Fülle von Quellen aufgearbeitet worden“, wie Schmidt zutreffend bemerkt.

Natürlich sollte eine Rezension vor allem die wesentlichen Ergebnisse einer Forschungsarbeit hervorheben oder zumindest zur Kenntnis nehmen - das umgeht Thomas Schmidt allerdings recht lässig. Dagegen äußert er die Meinung, dass „nicht zuletzt die mindestens desinteressierte Haltung weiter Teile der Bevölkerung“ die Lage der Zeugen Jehovas in der DDR verschärft haben könnte (Abs.12). Als Begründung gibt Schmidt ein Ereignis aus dem Jahre 1949 in Bischofswerda an. Hier war es aufgrund einer von SED-Mitgliedern durchgeführten Flugblatt-Aktion gegen Zeugen Jehovas zu einer Ausschreitung gegen Angehörige der Glaubensgemeinschaft gekommen. Die Begründung von Thomas Schmidt ist daher nicht ganz nachvollziehbar. Denn nicht die von ihm vermutete desinteressierte Haltung der Bevölkerung hatte die Lage der Zeugen Jehovas verschärft, sondern die zielgerichtete gemeinsame Arbeit staatlicher DDR-Stellen, besonders aber des MfS.

Unverständlich bleibt ebenso, warum Thomas Schmidt der Meinung ist, „die Stellung des MfS“ (Abs. 11) sei bei Hirch diskussionswürdig. Hierzu hätte er, nebenbei bemerkt, die umfassenden Ausführungen des Autors zur Stellung des MfS in dessen Aufsatz „Die Politik des Ministeriums für Staatssicherheit gegenüber den Zeugen Jehovas“ aufmerksamer lesen sollen. Erschienen ist der Aufsatz in dem von Schmidt hervorgehobenen Sammelband von Gerhard Besier und Clemens Vollnhals.1 In diesem Aufsatz, aber natürlich auch in der besprochenen Dissertation, wird recht eindeutig ausgesagt, dass das MfS ein wirksames und unverzichtbares Herrschaftsinstrument - mit anderen Worten ausgedrückt, das „Schild und Schwert“ - der SED und ihr somit untergeordnet war. Das MfS wurde mit der Führung der „Unterdrückungs- und Verfolgungsmaßnahmen“ beauftragt. Aber selbstverständlich waren auch die Justiz und die Volkspolizei in den Kampf gegen politische oder religiös motivierte Gegner eingebunden. Dies geschah aber, wie es für jeden einsichtig sein sollte, nicht in dem großen Umfang, wie es das MfS aufgrund seiner „Zersetzungsmaßnahmen“ zu tun in der Lage war.

Dass es ab der Mitte der 1960er-Jahre zu keinen weiteren Haftstrafen gegen Zeugen Jehovas kam (außer im Falle von Wehrdienstverweigerern, die bis Mitte der 1980er-Jahre mit Inhaftierungen rechnen mussten), war nicht etwa auf die Einsicht zurückzuführen, dass die Zeugen Jehovas keine Staatsfeinde waren und nicht ins Gefängnis gehörten. Die veränderte Haltung der Justiz wird vielmehr von einem MfS-Offizier damit erklärt, dass „die Publikumsorgane des Klassenfeindes in großem Maße“ die Inhaftierungen der Zeugen Jehovas dazu benutzt hätten, um „eine zügellose Hetze gegen unseren Staat zu inszenieren“. Zudem seien die verhafteten Zeugen Jehovas „nach der Strafverbüßung innerhalb der Organisation stark aufgewertet worden“.2

Aufgrund solcher MfS-Erkenntnisse und der veränderten politischen Lage wurde sowohl die geheimdienstliche als auch die justizielle Vorgehensweise modifiziert. Die SED wies dem MfS die Bekämpfung der „politisch-ideologischen Diversion“ konkret zu. Die Bekämpfung der „politisch-ideologischen Diversion“, wie es im MfS-Jargon hieß, war natürlich die konkret von der SED zugewiesene Aufgabe des Ministeriums für Staatsicherheit. So war das Ministerium für Staatsicherheit auch für die Steuerung der Ordnungsstrafverfügungen (OSV) gegen Zeugen Jehovas zuständig (S.167); die Polizeidienststellen wurden als nach außen hin auftretende Hilfsorgane der MfS-Arbeit angesehen. Sogar die Anzahl der zu verhängenden Ordnungsstrafverfügungen wurde vom MfS festgelegt bzw. nach Größe eines Bezirks zugeordnet. In einem internen Informationsschreiben heißt es hierzu: „Die Gesamtzahl nicht weiter erhöhen. [...] Konspiration einhalten, ´ZJ´ berichten über OSV an die Feindzentrale [...] Mit den OSV keine Aktion auslösen! Sozialistische Gesetzlichkeit wie bisher einhalten.“ (abgedruckt auf S.171)

Selbstverständlich bleibt nach dieser Dissertation noch viel Raum für sozialhistorische Forschungen. Dazu gehört auch die Erforschung einer recht erstaunlichen Tatsache, die zu folgenden Fragen führt: Warum ist die Anzahl der evangelischen Gläubigen in der DDR, im Jahre 1946 immerhin 81,6% der Bürger, bis zum Jahre 1989 auf 19,4% abgesunken, wohingegen die Anzahl der Zeugen Jehovas eher gleich geblieben ist? Warum gewann die CV innerhalb der evangelischen Kirchen der DDR immer mehr an Einfluss, wenngleich das dubiose Unternehmen als staatliches „Oppositionsorgan“ gegen Zeugen Jehovas durchschaut werden konnte?

Anmerkungen:
1 Besier, Gerhard/Vollnhals, Clemens (Hg.), Repression und Selbstbehauptung. Die Zeugen Jehovas unter der NS- und der SED-Diktatur, Berlin 2003.
2 Vgl. Hirch, Waldemar, Wissenschaftliche Darstellung der „Zersetzung“ in Abschlussarbeiten der Juristischen Hochschule Potsdam (JHS), in: Ders. (Hg.), Zersetzung einer Religionsgemeinschaft. Die geheimdienstliche Bearbeitung der Zeugen Jehovas in der DDR und in Polen, Niedersteinbach 2001, S. 18ff, besonders die Untersuchung über: Bergner, Heinz, Die Erarbeitung geeigneter Anknüpfungspunkte für die Ausarbeitung und Anwendung von Zersetzungsmaßnahmen bei Gruppen mit antisozialistischer Zielsetzung. (Am Beispiel der in der DDR illegal tätigen Organisation ‚Zeugen Jehova’), VVS Nr. 697/75, Abschluss der Arbeit am 20. Januar 1976.

*

Thomas Schmidt-Lux, Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie, Universität Leipzig
E-Mail: <schmidtt@uni-leipzig.de>

Selbstverständlich habe ich in meiner Rezension vom 1.12.04 nicht, wie von Waldemar Hirch behauptet, „recht lässig“ die wesentlichen Ergebnisse seiner Arbeit übergangen. Dieser so vage wie weitgehende Vorwurf ist inhaltlich keineswegs haltbar. Auf die Mehrzahl der erhobenen Einwände geht Hirch auch gar nicht ein und zeigt zudem an keiner Stelle seiner Replik, dass eine in der Rezension getroffene Einschätzung durch – so seine implizite Unterstellung – überlesene Passagen seiner Dissertation entkräftet werden könnte.

Ich gehe deshalb hier nur kurz auf einige Punkte ein. Dass die machtpolitische Stellung des MfS in Hirchs Dissertation widersprüchlich dargestellt wird und letztlich unklar bleibt, kann nicht einfach durch Verweis auf einen anderen Aufsatz entkräftet werden, denn nicht Waldemar Hirchs wissenschaftliches Gesamtwerk stand zur Besprechung an. Weiterhin schreibt Hirch in seiner Replik, es sei nicht seine Absicht gewesen, „bereits veröffentlichtes Wissen in seiner Dissertation zu wiederholen“. Hier scheint mir ein sehr spezielles Verständnis für den Umgang mit bereits zum Forschungsthema erschienener Literatur vorzuliegen. Nicht eine bloße Wiedergabe, sondern vielmehr ein systematischer Bezug zur vorliegenden Sekundärliteratur wäre in Hirchs Dissertation wünschenswert gewesen – eigentlich kein sehr ungewöhnlicher Anspruch.

An anderer Stelle sieht Hirch das eigentliche Hauptkapitel seiner Arbeit, die Tätigkeit der CV, in der Rezension verkürzt dargestellt und verweist auf die „nationalen und internationalen Auswirkungen dieser intensiven geheimdienstlichen Arbeit“. Hier liegt nun eine recht großzügige Interpretation der eigenen Forschungsergebnisse vor. Denn einerseits werden die Auswirkungen auf die ZJ auf Grundlage von MfS-Berichten und der generellen Entwicklung der Mitgliedszahlen nur vermutet und als gering eingeschätzt. Weitaus stärker wiegt für Hirch das Maß, in dem sich kirchliche Kreise in ihrem ZJ-Bild von der CV beeinflussen ließen. Dies wird an einigen Publikationen exemplarisch demonstriert (Kapitel IV.4). Die Behauptung, diese Abschnitte würden die „nationalen“ und gar „internationalen Auswirkungen“ der MfS-Bemühungen aufzeigen, weckt Erwartungen, die bei einer Lektüre kaum erfüllt werden - bis auf wenige Beispiele für den Schweizerischen Evangelischen Pressedienst finden sich keine weiteren „internationalen“ Rezeptionsnachweise.

Wiederum andere Punkte der Rezension, die Hirchs Interpretationen ergänzen sollten, missversteht Hirch völlig. Denn im Bezug auf den Säkularisierungsprozess in der DDR ist gerade die Verschränkung von staatlicher bzw. geheimdienstlicher Politik mit den Einstellungen bzw. Verhaltensweisen weiter Teile der Bevölkerung zu erklären. Dies ist möglicherweise auch bei den ZJ-feindlichen Ausschreitungen in Bischofswerda der Fall, womit einer Initiativrolle des MfS überhaupt nicht widersprochen wäre.


Von Hirch, Waldemar17.06.2005

Antwort auf die Gegenreaktion von Thomas Schmidt

Schmidts Argument, die nationale und internationale "Zersetzungsarbeit" des MfS durch den ihm unterstehenden Verein "Christliche Verantwortung" (CV) wäre doch gar nicht so wesentlich wie behauptet, kann so nicht stehengelassen werden. Angeblich bis auf "wenige Beispiele für den Schweizerischen Evangelischen Pressedienst [würden] sich keine weiteren internationalen Rezeptionsnachweise" in der Dissertation finden.
Thomas Schmidt scheint zu vergessen, dass die BRD für das MfS eindeutig imperialistisches feindliches Ausland war. Noch hatte keine Wiedervereinigung stattgefunden.

Wieso Thomas Schmidt, der die Information über den "Schweizerischen Evangelischen Pressedienst" der S. 375 der Dissertation entnommen hat, nicht erwähnt, dass auf den Seiten 374 f. gleichfalls der westdeutsche "Evangelische Pressedienst" (epd) genannt wird, der doch ebenfalls Inhalte des MfS-Blattes "CV" kritiklos übernommen und abgedruckt hat, ist nicht nachzuvollziehen. Fakt ist: Auch in der BRD wurden Inhalte des MfS-Blattes "CV" konkret, aber unüberprüft übernommen.

Dass die Aufgaben des CV-Vereins nicht lediglich auf die DDR begrenzt waren, ist nicht bloß im Sinne eines Axioms niedergeschrieben worden, sondern wird durch verschiedene Beispiele belegt. Dass diese Versuche der Manipultation nicht auf die Kirchen begrenzt waren, ist hoffentlich auch deutlich geworden und braucht nicht wiederholt zu werden.

Im Kapitel IV.2.7 der Dissertation wird der "Aufbau eines internationalen Netzwerks unter Müller" beschrieben. Es wird die Zielrichtung genannt, die für den CV-Verein lautete, ein internationales Netzwerk aufzubauen, um über Jehovas Zeugen "aufzuklären". Auch wenn das ein hochgestecktes Ziel war, sozusagen als Maximalforderung definiert, wurde dies für den CV-Verein als Zielsetzung dezidiert formuliert.

Die nationalen Verbindungen in der DDR vom CV-Verein besonders zur Evangelischen Kirche und zu staatlichen Stellen müssen hier nicht repetiert werden. Dies kann niemand leugnen und dies wird von Thomas Schmidt auch nicht in Frage gestellt. Zu oft wurden Artikel des MfS-Blattes "CV" in den sogenannten "Sektenkundlichen Mitteilungen", einem regelmäßig erscheinenden Informationspapier zum "innerkirchlichen Dienstgebrauch", direkt aus "CV" abgedruckt und CV als Verein beschrieben, der sich angeblich in aller Aufrichtigkeit mit den Zeugen Jehovas auseinandersetzt (S. 363 ff.).

Dass CV-Mitarbeiter auf kirchlichen Tagungen referieren durften, ist ebenso bekannt und weder zu verharmlosen noch zu leugnen. CV hatte in der Evangelischen Kirche eine Plattform gesucht und gefunden. Hier konnte dieser Verein seine Argemente mit Hilfe des MfS und Teilen der Kirche verbreiten ( S. 367 ff.).

Zum besseren Verständnis und damit nicht im Raum stehen bleibt, lediglich im "Schweizerischen Evangelischen Pressedienst" wären die Ausführungen des MfS-Blattes "CV" abgedruckt und mit Interesse verbreitet worden, muss die Palette der am CV-Verein Interessierten doch noch breiter dargestellt werden.

Eine besonders intensiver Auslandseinsatz fand natürlich in der BRD statt, da hier auch die für die DDR zuständige Zentrale der Zeugen Jehovas war und von hier aus die Wachtturm-Literatur für die Zeugen Jehovas in der DDR koordiniert wurde.

So fand beispielsweise zwischen dem Evangelischen Kirchenrat Kurt Hutten, dem damaligen Leiter der Evanglischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Stuttgart, und Willy Müller, dem ersten Herausgeber des MfS-Blattes "CV", ein reger Informationsaustausch statt (S. 274 f.). Neben der schriftlichen Korrespondenz erhielt Hutten die Zeitschrift "CV" zugesandt. Hutten schrieb an Müller:

"Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die bisherigen Ausgaben der ‘Christlichen Verantwortung’ zugehen ließen, soweit sie noch bei Ihnen vorhanden sind. Das Blatt scheint nicht nur in der DDR, sondern weit darüber hinaus gelesen zu werden. Ich freue mich, dass ihre Arbeit eine solche Weite erreicht hat. [...] Ich interessiere mich sehr für ihr ganzes Unternehmen und bin darum für jede Nachricht dankbar" (zitiert auf S. 275).

Nicht vergessen werden sollten hier natürlich auch die internationalen Auswirkungen durch das Lancieren von Presseberichten an westdeutsche Zeitschriften. Beispielsweise durch Dieter Pape, dem herausragenden MfS-Schergen, der über Jahrzehnte der einflussreichste Kopf des CV-Vereins war. Er hatte 1961 "zersetzende" Informationen für die Zeitschrift "Der Spiegel" ausgearbeitet und diese über einen anderen geheimen Informanten des MfS in die Redaktion der Zeitschrift lancieren können. (S. 295 f.) Das Meinungsbild in der Öffentlichkeit über Jehovas Zeugen konnte durch den Artikel negativ tangiert werden und hat Auswirkungen bis in die heutige Zeit, besondern bei Apostaten, die, auch gegen besseres Wissen, gern auf den Spiegel-Artikel verweisen. Auch das gehört zu den internationalen Auswirkungen.

Zudem versandte Dieter Pape im Auftrag des MfS an verschiedene Zweigbüros der Wachtturm-Gesellschaft der Zeugen Jehovas und auch an das Hauptbüro in New York Briefe mit verleumderischen Inhalten (S. 295).

Nicht unterschätzt werden darf natürlich auch die Geheimdienstaktion des MfS in Polen, gemeinsam mit dem polnischen Geheimdienst im Jahre 1960. Auch hier kam der bereits erwähnte Dieter Pape in geheimer Mission im Namen seines Auftraggebers MfS in Polen zum Einsatz, um Jehovas Zeugen international zu schwächen (S. 264).

Das vom MfS in Auftrag gegebene Buch "Die Zeugen Jehovas. Eine Dokumentation über die Wachtturmgesellschaft" ist natürlich auch aufgrund der nicht nur national zu verstehenden "Zersetzungsarbeit" in der BRD verbreitet worden. Dies Buch galt sogar als Standardwerk über Jehovas Zeugen und ist, vom MfS subventioniert, in die BRD verkauft worden. Einige Exemplare wurden auch in die "sozialistischen Bruderländer" versandt (S. 304 ff).

Es muss hier auch nicht wiederholt auf die besondere Beziehung eingegangen werden zwischen der MfS-Truppe CV und dem Katholischen Informationsbüro in Haisterkirch, dessen Direktor Günther Pape, der Bruder des IME Dieter Pape, war. Das Katholische Informationsbüro erhielt regelmäßig "CV"-Ausgaben und versorgte den CV-Verein seinerseits mit Informationen aus der BRD. Die im "CV"-Blatt enthaltenen Aussagen wurden in die Argumentation des katholischen Büros eingebaut, das auch für die katholische "Zersetzungsarbeit" in Italien und bei den in der BRD lebenden Gastarbeitern zuständig war (S. 379 ff.).

Bereits 1962 war vom MfS im "Plan für koordinierte Aktivierung aller ZJ-Oppositionsarbeit" festgelegt worden, an einer "Weckung, Stärkung und Aktivierung aller Oppositionspersonen und Oppositionsgruppen" im In- und Ausland zu arbeiten (S. 268).

Neben dem Kontakt zu verschiedenen westdeutschen Gruppierungen und den beiden sogenannten Vokskirchen wurde schon früh zu einflussreichen Apostaten auch in den USA Kontakt aufgenommen. So beispielsweise zu William Schnell, dem Verfasser einer bekannten und weit verbreiteten Buchveröffentlichung gegen Zeugen Jehovas. Er hatte in den USA eine "Christliche Mission für Zeugen Jehovas" gegründet und war sehr rege in die Auseinandersetzungen gegen Zeugen Jehovas eingespannt. Seine "offenen Briefe" wurden in zigtausendfacher Form verbreitet. Bei ihm traf Müller auf helle Begeisterung über die Tätigkeit des CV-Vereins. Schnell nutzte die durch das "CV"-Blatt erhaltenen Argumente, ohne sie jemals zu überprüfen oder sich zu fragen, wie denn aus einem sozialistischen Land angeblich objektive Informationen über eine in den USA gegründete und in der DDR verbotene Religionsgemeinschaft zu erhalten sei. Ihm ging es, wie so manchem Apostaten, offenbar lediglich um persönliche Rache.

In seinen euphorisch geschriebenen Briefen schrieb er: "Alle die eine Pflicht empfinden für die verlorenen Seelen der Zeugen Jehovas haben jetzt eine große Gelegenheit. [...] CHRISTLICHE VERANTWORTUNG in Osteuropa und wir in der freien Welt mit Außenstellen in Westdeutschland, Zentralafrika [auch hier missionierte Schnell gegen Zeugen Jehovas, d. A.] und anderswo können dies tun" (S. 272).

Weitere Werbung für das MfS-Blatt "CV" machte er in einer seiner Veröffentlichungen: "’Christliche Verantwortung’ ist das offizielle Organ der konvertierten Zeugen Jehovas, die in Osteuropa leben. Veröffentlicht in Gera, Thüringen, nicht weit von der Wartburg Luthers, erhebt es den Ruf nach Freiheit und Befreiung von der Wachtturm-Sklaverei" (S. 272).

In ihm fand das MfS einen äußerst bereitwilligen Multiplikator der MfS-Propaganda. Es ist nicht verifizierbar, inwiefern Schnell Einfluss auf das Ansehen der Zeugen Jehovas in den USA hatte bzw. welchen Einfluss er auch auf die Gegenarbeit der verschiedenen Kirchen in den USA in ihrem Kampf gegen Zeugen Jehovas hatte. Aber das Phänomen, dass den Apostaten oftmals mehr Glauben geschenkt wird als den aktiven Mitgliedern der Gemeinde, ist nicht neu und weltweit zu beobachten. Ihre Argumente werden gern für sich genutzt, um sich selbst als Kirche aufzuwerten und die Konkurrenzgemeinschaften abzuwerten (S. 407, Fußnote).

Völlig unbegreiflich ist, warum Thomas Schmidt die regelmäßige Teilnahme von Vertretern des CV-Vereins an den religiösen Weltfriedenskonferenzen in Moskau mit keinem Wort würdigt. Nach Moskau entsandte CV-Vertreter galten dort als Zeugen-Jehovas-Experten, deren Aufgabe es auf diesen Tagungen war, religiöse Vertreter aus verschiedenen Ländern kennenzulernen und gegen Zeugen Jehovas einzunehmen. Ihre Teilnahme wurde durch das MfS veranlasst, aber vom Staatssekretariat für Kirchenfragen (StfK) finanziert. Die Friedensliebe der DDR und der Sowjetunion stellten die CV-Vertreter als evident dar, während Jehovas Zeugen einen "reaktionären, proimperialilstischen, antisowjetischen und friedensfeindlichen Mißbrauch des christlichen Glaubens" betreiben würden (S. 339, 362).

Weitere intensive Kontakte vom CV-Verein bestanden zu Personen und Gruppen in der Schweiz, England, Polen sowie zu weiteren Gruppierungen in der BRD (S. 276 ff.).

Besondere Beziehungen in Polen bestanden zwischen Josef Wereski, der auf ähnliche Weise wie Willy Müller "Briefe an Christen" schrieb, die an Zeugen Jehovas und andere in Polen versandt wurden. Er unterhielt regelmäßigen Kontakt zu Dieter Pape, dem wichtigsten Kopf vom CV-Verein, hatte auch unter dem Pseudonym "Josef Tempelski, CV-Mitarbeiter aus Polen", zumindest einen Artikel für das MfS-Blatt "CV" geschrieben. Gleichzeitig – und das macht die Sache wiederum sehr brisant – war er von Günther Pape, dem Direktor des Katholischen Informationsbüros in der BRD, "als Beauftragter und Vertreter des Büros für den Bereich der VR Polen eingesetzt" worden. Er besuchte nach seinen Gesprächen mit Günther Pape auf seinem Heimweg nach Polen Dieter Pape, um ihn über seine Gespräche mit Günther zu informieren und ihm gleichzeitig Materialien seines Bruders zu übergeben.

Dass Wereski, ohne eine persönliche enge Zusammenarbeit mit dem polnischen Geheimdienst eingegangen zu sein, solche Reisen nicht hätte untenehmen können, braucht nicht erörtert zu werden. Somit war hier ein Zusammenspiel zwischen dem ostdeutschen und dem polnischen Geheimdienst und dem Katholischen Informationsbüro in Haisterkirch gegeben. Nachfolgeverein des Katholischen Informationsbüros ist der Verein "Christliche Dienste e.V. - Verein für Aufklärung und Information über Jehovas Zeugen", mit Sitz in Tübingen. Vorsitzender ist sowohl Günther Pape als auch sein Sohn, der Diplom-Theologe Klaus-Dieter Pape (S. 408, Fußnote. Zu Wereski siehe auch: W. Hirch, Instrumentalisierung der Kirchen durch das "christliche" MfS-Organ?" in: Gabriele Yonan, Im Visier der Stasi. Jehovas Zeugen in der DDR, Niedersteinbach 2000, S. 219 ff.)

Wer natürlich direkte Ergebnisse aus dieser international angelegten Arbeit des MfS erwartet, könnte enttäuscht werden. Bei der Arbeit mit Geheimdienstakten sollte man keine zu hohe Erwartungshaltung hegen bezüglich einer detaillierten Auflistung von konkreten Ergebnissen. Etliches liegt weiterhin im Dunkeln. Sichtbar gemacht werden konnten die Strukturen der "Zersetzung" gegen Zeugen Jehovas.

Es ist kaum zu erwarten, dass die Auswirkungen des MfS-Arbeit komplett offengelegt werden können. Fakt ist (was zumindest deutlich geworden ist): Das MfS hat international an der "Zersetzung" der Zeugen Jehovas gearbeitet. Hierzu wurden die Agenten des CV-Vereins gebraucht und internationale Kontakte genutzt.

Und natürlich hat eine solche ständige Diskreditierung einer Religionsgemeinschaft eine Langzeitwirkung, die nicht wirklich messbar ist, zudem auch weitere Organisationen und Einzelpersonen an deren Diskreditierung gearbeitet haben und noch weiter daran arbeiten. Hier braucht man nur an die grundsätzlich pejorative Darstellung der ZJ durch die Weltanschauungsbeauftragten der Kirchen zu denken, an religiöse Splittergruppen und Apostaten. Eine solche Langzeitwirkung hatte das MfS auch durchaus bei den "Zersetzungsmaßnahmen" im Sinn. Dass aber das MfS selbst mitsamt seinen mitarbeitenden Agenten – trotz intensiver Arbeit gegen alle seine Gegner – eines Tages selbst und sogar relativ sang- und klanglos von der Bildfläche verschwinden würde, damit hat beim MfS, ebenso wie beim CV-Verein, wohl niemand gerechnet!


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