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Titel
Einem Traum verpflichtet. Hans Mahle - eine Biographie


Autor(en)
Riege, Katharina
Erschienen
Hamburg 2003: VSA Verlag
Anzahl Seiten
468 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Petra Galle, Deutsches Rundfunkarchiv, Berlin

Eine „Jahrhundertbiographie“ - so nennt die Autorin die Lebensbeschreibung des Mannes, der uns heute hauptsächlich wegen seiner Rolle beim Aufbau des Rundfunks in der Sowjetisch Besetzten Zone (SBZ) ab 1945 ein Begriff ist. Hans Mahle kam Ende April 1945 als Mitglied der „Gruppe Ulbricht“ aus dem sowjetischen Exil zurück nach Deutschland und war als Intendant, später Generalintendant, von deutscher Seite bis 1952 verantwortlich für den Aufbau des zunächst sowjetisch kontrollierten Hörfunks und des Fernsehens in der frühen DDR. Katharina Rieges Interesse geht aber über diese kurze Spanne der Rundfunkentwicklung hinaus; ihr geht es von einer vorsichtig urteilenden Warte aus darum, die Formationen und Deformationen eines Menschen zu verstehen, der sein gesamtes Leben von frühester Jugend an in den Dienst der Kommunistischen Partei gestellt hat - mit anderen Worten: es geht ihr um „die Wechselwirkungen zwischen Individuum und stalinistisch/autoritär geprägten Denkweisen sowie Strukturen“ (S. 9).

Die kommunistischen Parteistrukturen bildeten das Gerüst für Mahles Lebensweg und waren - wohl mehr noch als irgendwelche familiären Bindungen - seine eigentliche „Heimat“. Die Treue zur Partei gab bei Entscheidungen im Zweifelsfall immer den Ausschlag. Dies gilt für die Zeit als Kinderfunktionär im Hamburg der 1920er-Jahre, für den Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime im kommunistischen Jugendverband, für die Exilzeit in der Sowjetunion und für die Mitarbeit an vorderster Stelle beim Aufbau des zweiten deutschen Staates. Mahles tiefste Lebenskrise war dann wohl auch die Erfahrung des Ausgestoßenwerdens aus dem engeren Machtzirkel der SED. Trotz der Erfahrung des „Großen Terrors“ während Mahles Moskauer Exilzeit, trotz seiner eigenen Beteiligung an den 1948 in der SBZ/DDR einsetzenden Parteisäuberungen und trotz der Erfahrung des langsamen eigenen Machtverlustes verletzte ihn der Bann seiner Partei tief: Die Absetzung als Generalintendant und später als Leiter des Fernsehstudios in Berlin-Adlershof mit der einhergehenden Verbannung aus Berlin traf ihn wie ein Kind, dem es trotz aller Bemühungen nicht gelungen ist, den befürchteten Entzug elterlicher Liebe zu verhindern. Katharina Riege legt diese Mechanismen offen, aber sie denunziert nicht. Vielmehr ist sie spürbar bezaubert von der Lebendigkeit ihres Interviewpartners, seiner Abenteuerlust, seinem immer wieder bewiesenen persönlichen Mut, seiner freundlichen Offenheit im persönlichen Umgang und nicht zuletzt von seiner Vision eines „demokratischen Weges zum Sozialismus“.

Bisherige biografische Darstellungen zu Hans Mahle enden an diesem Punkt, dem Bruch in Mahles Karriere. Über seinen weiteren Werdegang als Verkäufer in einem kleinen Mecklenburger Konsumladen, als (stellvertretender) Leiter der Konsumgenossenschaftsverbände in Schwerin und Gera, als leitender Redakteur der Schweriner Volkszeitung und schließlich, nach seiner parteiinternen Rehabilitation, als Chefredakteur der SED/SEW-Zeitung „Die Wahrheit“ in Westberlin war bisher wenig mehr als die nackten Daten bekannt. Die vorliegende Biografie füllt diese Lücke nun. Insbesondere die Mecklenburger Zeit bis 1959 scheint dabei eine für Mahle letztlich doch glückliche Zeit gewesen zu sein, in der er fern ab vom zentralen Parteiapparat Organisationstalent und rhetorische Fähigkeiten für den sozialistischen Aufbau in der DDR einsetzen konnte. Der überraschende Parteiauftrag, nach Westberlin zu ziehen und dort die Leitung des kurz vor einer Ausweitung stehenden Parteiorgans zu übernehmen, brachte schließlich die langersehnte Rehabilitierung. Dennoch wirkt die Westberliner Zeit, immerhin die letzten 30 Jahre seines Lebens, überraschend blass in der Darstellung. Auf Mahle scheinen die Schwierigkeiten, ein kommunistisches Parteiblatt im Westberlin der Mauerzeit am Überleben zu halten, auf die Dauer doch zermürbend gewirkt zu haben. Und die westberliner Renaissance sozialistischer Ideen seit Ende der 1960er-Jahre mündete zu selten in der bedingungslosen Anerkennung seiner Partei, als dass er sie voll hätte unterstützen können.

Als Quellenbasis dienen neben Hans Mahles eigenen Zeugnissen - seine Interviews nach der Wende mit Riege, die beiden Erinnerungsberichte aus den Jahren 1984 und 1991 sowie sein hier erstmals umfassend gesichteter Nachlass - hauptsächlich russische Quellen aus dem Moskauer Kominternarchiv und die entsprechenden Bestände der „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ (SAPMO). Die sorgfältige Auswertung der Quellen führt zu manchen neuen Erkenntnissen über u.a. die Rundfunktätigkeit im sowjetischen Exil und zur genauen Einbettung Mahles in die Partei- und Staatsstrukturen, in der SBZ/DDR. Insbesondere für seine Arbeit als Generalintendant nach 1945 sind diese Ausführungen mit Gewinn zu lesen. Dies gilt auch für die überzeugende Darstellung der Gründe für Mahles Karrierebruch 1952. Die Zeit der Rundfunkstrukturentwicklung in der SBZ und frühen DDR dürfte mit dieser jüngsten Veröffentlichung in einer kleinen Serie von Studien der letzten Jahre insgesamt erschöpfend ausgeleuchtet sein.

Das Buch lässt den Leser manchmal aber auch skeptisch zurück: Einerseits stellt die spannende, sehr anschauliche Schilderung individuelles Handeln und Denken in einer von Staats- und Parteistrukturen geprägten Lebenswelt in den Vordergrund; sie nimmt den Einzelnen ernst und macht die Lebens- und Abenteuerlust eines durch und durch politischen Menschen ebenso wie seine partielle Naivität und Ergebenheit greifbar. Andererseits gelingt es Riege aber nicht immer, Mahles farbigen Selbstdarstellungen und auch Selbststilisierungen zu entkommen, obwohl die Biografie von dem durchgehenden Bemühen gekennzeichnet ist, seine eigenen Aussagen mit den vorhandenen schriftlichen Quellen abzugleichen und ihnen kritisch zu begegnen. Deutlich wird dies u.a. bei manchen Aussagen über Mahles Rundfunktätigkeit im Nachkriegsberlin. Einige der ihm zugeschriebenen Errungenschaften sind wohl eher das Ergebnis des Zusammenwirkens mehrerer engagierter Rundfunkmitarbeiter und der sowjetisch dominierten Rundfunkpolitik als Mahles persönlicher Erfolg, so z.B. der Wechsel kommunistischer Mitarbeiter der Rundfunkstationen in den westlichen Besatzungszonen (S. 253) an Sender in der SBZ.

Dennoch: die Gesamtbeurteilung der Rolle und Bedeutung Mahles überzeugt, und damit ist Katharina Riege ihren Zielen, der Offenlegung von exemplarischen Verhaltensweisen und Prägungen im Rahmen stalinistisch/autoritär geprägter Strukturen sowie dem Ausloten individueller Spielräume sehr nahe gekommen.

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