St. Fuchs: "Vom Segen des Krieges"

Cover
Titel
"Vom Segen des Krieges". Katholische Gebildete im Ersten Weltkrieg. Eine Studie zur Kriegsdeutung im akademischen Katholozismus


Autor(en)
Fuchs, Stephan
Reihe
Contubernium 61
Erschienen
Stuttgart 2004: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
XI, 372 S., 18 s/w Abb.
Preis
€ 60,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Schmidtmann, Lehrstuhl für mittlere und neuere Kirchengeschichte, Ruhr-Universität Bochum

Stefan Fuchs Studie ist einem Thema gewidmet, das interessanter kaum sein könnte. Lässt es sich doch im Schnittpunkt von Nationalismus- und Katholizismusforschung sowie der Untersuchung von Kriegserfahrungen ansiedeln; alles Bereiche, die in den letzten Jahren zwar erhöhtes Interesse der Forschung gefunden haben, jedoch kaum systematisch auf breiter Quellenbasis verbunden wurden. 1 Am meisten Beachtung fand noch die nach dem Kulturkampf einsetzende Nationalisierung des Katholizismus, die schließlich nach einhelliger Meinung bisheriger Forschungsarbeiten in eine breite Unterstützung des Ersten Weltkriegs mündete.2 Vereinzelt wurden auch die von Kriegstheologie und Kriegspredigt angebotenen religiösen Deutungen des Krieges zum Thema gemacht, ohne dass allerdings Rückschlüsse auf den Wandel religiöser Plausibilitäten bei den Katholiken möglich waren.3

Naturgemäß orientierten sich diese Arbeiten weitgehend an Führungsfiguren des politischen Katholizismus und der Kirche, die quellenmäßig am leichtesten zu erfassen sind. Fuchs untersucht in diesem Kontext mit den katholischen „Gebildeten“ nun erstmals eine größere Gruppe, um so weitergehende Aussagen über die Reichweite der Nationalisierung, die Verbreitung und den Erfolg theologisch-kirchlich sanktionierter Sinndeutungen des Krieges oder Differenzierungen innerhalb des Katholizismus vornehmen zu können. Als Quelle dienen ihm Zeitschriften und andere speziell für die Frontsoldaten zusammengestellte Veröffentlichungen, die von den katholischen Studenten- und Akademikerverbänden herausgegeben wurden. Organisationen wie Publikationen werden dabei zunächst ausführlich vorgestellt und damit ein erster Aufriss des Untersuchungsfelds gegeben. So ist auch dieser Bereich gekennzeichnet von der zunehmenden Ausdifferenzierung des katholischen Verbandswesens. Neben den weiterhin dominierenden Korporationen, die sich z.T. schon Mitte des 19. Jahrhunderts in drei verschiedenen Verbänden zusammengeschlossen hatten, existierten hier weitere - wesentlich jüngere - intellektuell, sozial, jugendbewegt oder geschlechtlich motivierte Assoziationen. Über neunzig Prozent der katholischen Studenten und sicherlich nicht wesentlich weniger der Akademiker werden so in der Untersuchung über ihre Publikationen abgedeckt.

Der detailgenauen und differenzierten Beschreibung, die dazu führt, dass mehr als ein Drittel des gesamten Textes Zitate ausmachen, bleibt Fuchs auch in den folgenden Kapiteln treu, die sich mit den Haltungen der katholischen Akademiker zum Kriegsausbruch, ihren Einstellungen zum Krieg, ihren Identifikationsfiguren und Leitbildern, der Rolle, die sie dem Krieg für Deutschland zuschrieben sowie ihren theologischen Deutungsversuchen des Krieges beschäftigen. Mit beklemmender Anschaulichkeit wird in diesem Rahmen herausgearbeitet, wie sehr sich die katholischen Gebildeten an den extrem nationalistisch geprägten Mehrheitsdiskurs anpassten und ihn aktiv mittrugen. Die katholischen Akademiker und auch viele Priester in ihren Reihen sahen in dem Krieg vorrangig eine Möglichkeit, das Misstrauen des protestantischen Deutschlands gegenüber der nationalen Zuverlässigkeit des Katholizismus gründlich zu widerlegen. (S. 72). Der Krieg erschien ihnen als nationale Pflicht und Bewährungsprobe, an der man aktiv teilzunehmen wünschte und die man vorbehaltlos mittrug. Die Identifikation mit dem Krieg schlug sich dabei nicht nur in pathetischen Gedichten und „feurigen“ Essays nieder, sondern reichte bis zur Ebene von Geburtsanzeigen, in denen stolze Väter ihren Verbandsbrüdern die Geburt künftiger „kräftiger Vaterlandsverteidiger“, „strammer Soldaten“ oder „junger Kriegshelden“ anzeigten. Uneingeschränkt war zudem das Bekenntnis zu Kaiser Wilhelm II., bei dem man nicht müde wurde „´Ritterlichkeit und Heldentum, Gottesfurcht und Männlichkeit`“ (S. 123) in Texten und Feiern zu rühmen. Verehrung fand auch der „Sieger von Tannenberg“, Paul von Hindenburg und selbst Bismarck avancierte während des Krieges als Symbol nationaler Stärke bei einem großen Teil der katholischen Akademiker zur politischen Identifikationsfigur. Entsprechend wurden nationale Feindbilder gepflegt, vor allem die Gegnerschaft zu Frankreich wurde betont. Komplementär dazu besann man sich stark auf das eigene Deutschtum. Die eigenen Gefallenen wurden zu „Helden“ und „Märtyrern“ verklärt, der Kriegsdienst als christusförmiger „Gottesdienst“ angesehen. Die Frage nach dem religiösen Sinn von Krieg und Leid wurde allerdings kaum gestellt. Genuin religiöse Deutungsmuster spielten bei der Verarbeitung von Kriegserfahrungen nur solange eine Rolle, wie man die deutschen Siege als Willen Gottes interpretieren konnte. Als sich die Niederlagen häuften und die Grausamkeit eines industriell geführten Krieges zunehmend offenbar wurde, verschwanden veröffentlichte Sinndeutungsangebote zunehmend. „Von einer katholischen Gegenöffentlichkeit“ so Fuchs zusammenfassender Befund, „kann man im ersten Weltkrieg nicht mehr sprechen“ (S. 302). Nichts spricht für eine spezifisch katholische Sinndeutung des Krieges, von daher ist sicherlich zu fragen, wie weit das in der Katholizismusforschung zum Kaiserreich inzwischen verbreitete Konzept eines homogenen katholischen „Milieus“ bzw. einer katholischen „Subkultur“ zumindest im Fall der „Gebildeten“ dieser Konfession überhaupt trägt.4 Fuchs geht auf diese Frage allerdings nicht ein, was um so näher gelegen hätte, als das sich in der veröffentlichten Meinung unter den Akademikerverbänden durchaus feine Unterschiede in der Kriegsdeutung finden. Akzentuierte Frömmigkeit scheint dabei gegenüber den allgemeinen Nationalisierungstendenzen durchaus gewisse Resistenzpotentiale bereitgestellt zu haben. Jedenfalls war der Kriegsenthusiasmus und die Bereitschaft zur betont national imprägnierten Deutung der Wirklichkeit bei jenen Verbänden weniger ausgeprägt, in denen die Religion traditionell eine große Rolle spielte oder die ein betont theologisch-intellektuelles Selbstverständnis pflegten. Gänzlich „andere“ Blicke auf den Krieg artikulierten sich zwar hier bis auf ganz wenige Ausnahmen in der Schlussphase der Kampfhandlungen auch nicht. Nur im Vergleich zur Emphase, die in der veröffentlichten Meinung der beiden mit weitem Abstand größten Korporationsverbänden, dem „Verband der katholischen Studentenvereine Deutschlands“ (KV) und vor allem dem „Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen“ (CV), fast noch forcierter als in nationalprotestantischen Kreisen vorherrschte, wird eine größere Zurückhaltung und graduell abweichende Akzentsetzung spürbar. Statt für ein Kriegerdenkmal oder Kriegsanleihen sammelte dann etwa der „Verband der katholischen Studentinnen – Vereine“ für eine Gefallenenkirche, lobten Angehörige des Unitas-Verbandes den sonst beschwiegenen Papst oder propagierten Intellektuelle in der Akademischen Bonifatius-Einigung Bonifatius statt Bismarck als Leitfigur der Deutschen. Bei Angehörigen des CV und KV dagegen überlagerte ihr Selbstverständnis als Korporierte und der Wunsch nach Anerkennung von dieser Seite offenkundig ihre „katholische“ Identität gänzlich. Für Fuchs „existierte die in der Forschung oftmals gezeichnete Einheit des Katholizismus im Ersten Weltkrieg jedenfalls nicht“ (S. 307). Ob die Angehörigen von CV und KV und damit die Mehrzahl katholischer Akademiker dies freilich als Wahl zugunsten der „Klasse“ und gegen die „Konfession“ empfunden haben5, bleibt genauso eine Frage, die die Forschung weiter beschäftigen sollte, wie die nach ihrer Zugehörigkeit zu einem katholischen „Milieu“.

Anmerkungen:
1 Für erste Ansätze vgl. das Themenheft „Krieg und Religion“: Theologische Quartalsschrift 182, 2002.
2 Vgl. Walser Smith, Helmut, German nationalism and religious conflict. culture, ideology, politics 1870-1914, Princeton 1995; Haupt, Heinz Gerhard; Langewiesche, Dieter (Hgg.), Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt am Main 2001.
3 Vgl. Missalla, Heinrich, „Gott mit uns“. Die deutsche katholische Kriegspredigt 1914-1918, München 1968 und Achleitner, Wilhelm, Gott im Krieg. Die Theologie der österreichischen Bischöfe in den Hirtenbriefen zum Ersten Weltkrieg, Wien 1997.
4 Einen Querschnitt bietet Horstmann, Johannes; Liedhegener, Antonius (Hgg.), Konfession, Milieu, Moderne. Konzeptionelle Positionen und Kontroversen zur Geschichte von Katholizismus und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, Schwerte 2001.
5 Vgl. Mergel, Thomas, Zwischen Klasse und Konfession. Katholisches Bürgertum im Rheinland 1794-914, Göttingen 1994.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension