J. Roisman (Hg.): Brill's companion to Alexander

Titel
Brill's companion to Alexander the Great.


Herausgeber
Roisman, Joseph
Erschienen
Anzahl Seiten
XV, 400 S.
Preis
£ 110.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Müller, Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften, Justus-Liebig-Universität Gießen

Der von Joseph Roisman, Professor für Classics am Colby College mit dem Forschungsschwerpunkt in der griechischen Historiografie des 4. Jahrhunderts v.Chr.1, herausgegebene Sammelband soll als ein "informative and scholarly companion" für ein breites Lesepublikum (S. XIII) ausgewählte Schlüsselthemen der Alexandergeschichte "at the roots of people's interest in him" (S. XIII) behandeln und Alexanders Bedeutung für seine Zeitgenossen ebenso wie für seine Nachwelt hinterfragen. Namhafte Alexanderhistoriker gehen in fünf systematisch gegliederten Abschnitten in neuen oder bereits publizierten Studien einer historischen Persönlichkeit nach, die "undeniably stood at the center of one of the most decisive chapters in ancient history" (S. XIII).

Im ersten Sachkapitel wird einleitend die Problematik der Quellenlage zur Alexandergeschichte thematisiert: die Überlieferung aus zweiter Hand aufgrund der nicht überkommenen Primärtradition. Elizabeth Baynham weist auf tendenziöse Verzerrungen innerhalb der literarischen Sekundärquellen hin, "truth vs noble fiction" (S. 27), und assoziiert das sich ergebende Bild Alexanders mit der Wandelbarkeit eines Kaleidoskopbildes, abhängig von der Richtung, in welche man es drehe (S. 29). Ein analoges Problem, den Verlust der zeitgenössischen Dokumente, schlüsselt Andrew Stewart in seiner Untersuchung zu "Alexander the Great in Greek and Roman art" auf und weist zudem auf die von Alexander initiierte propagandistische, richtungsweisende Formung seines Bildnisses zum Image des siegreichen Heroen mit der entsprechenden Ikonografie - Löwenmähne, anastole, Drehung des Halses und pothos-verklärtem Blick - hin: "He had to personify every attribute of an increasingly diverse and strained metyphysic of masculinity." (S. 33) Wie schon Margarate Bieber in ihrem Standardwerk 2 hebt Stewart die unterschiedliche Konzeption Alexanders bei seinen Hofkünstlern hervor: Apelles habe den König in göttliche Sphären erhöht dargestellt, Lysippos hingegen zwischen Realismus und Idealisierung (S. 35f.).

Der Komplex zur Thematik "Alexander, Macedonia and the Greeks" wird mit einer Untersuchung von Ian Worthington zu Alexanders makedonischem Hintergrund eröffnet, in der insbesondere Alexanders Verhältnis zu seinem Vater und seine aemulatio Philipps beleuchtet werden. Worthington, Vertreter der von Frank L. Holt als "new orthodoxy" bezeichneten Forschungsrichtung3, hebt hervor, dass Alexanders aus Legitimationszwängen erfolgtes Streben, den erfolgreichen Vater zu übertreffen, mit dem Ergebnis, Philipps Errungenschaften am Ende seiner Herrschaft zerstört zu haben4, in der Vergöttlichung seiner Person gegipfelt habe: "where he promotes himself over his father is in his belief in his own divinity" (S. 93). Dieses Denkmuster lasse sich vom Besuch in der Oase Siwa über den Einführungsversuch der Proskynese bis hin zu den Debatten der griechischen poleis 324 v.Chr. bezüglich kultischer Ehren für Alexander verfolgen und auf seine schwierige Beziehung zu Philipp zurückführen (S. 93f.). Dazu sei angemerkt, dass es als problematisch zu betrachten ist, in der Forschung so umstrittene Aspekte wie die ägyptische Apotheose im Rahmen der Übernahme des Pharaonenamtes, die Proskynese, deren versuchte Einführung auch als Vereinheitlichung des Hofzeremoniells ohne die Implikation kultischer Ehren gewertet werden kann, und die spekulative, aufgrund anekdotenhafter und fragmentarischer Überlieferung schwer fassbare Vergöttlichung Alexanders 324 v.Chr. als gegebene Tatsachen zu werten und in eine Argumentationskette als logische Bindeglieder einzubauen.5 Michele Faraguna charakterisiert im Anschluss die Beziehung Alexanders zu den Griechenstädten im Sinne eines "clash between two alien political traditions and the failure of the city-state system to adeguately respond to the new challenge of the Macedonian monarchy" (S. 99) und betont die Diskrepanz zwischen panhellenischer Propaganda und makedonischem Imperialismus im Rahmen des Persienfeldzuges.

Der dritte Themenabschnitt widmet sich der militärpolitischen Facette und wird mit der Analyse des Feldherrn Alexander von Barry S. Strauss begonnen, der das Janusgesicht des Königs als "a great general but [...] also a great killer" (S. 142) beleuchtet, dabei jedoch in seiner Ausführung die Brillianz Alexanders als Feldherr, Taktiker und Stratege überbetont, die von der neueren Forschung zu relativieren versucht wurde6, und der verzerrten Perspektive der griechischen Historiografie auch bezüglich des - unzutreffenden - Bildes des schwachen persischen Gegners zu folgen scheint. Angesichts der hervorgehobenen militärischen Qualitäten von Alexanders inner circle ist auf die mühsamen Siege während des Indienzuges zu verweisen, bei denen sich nach der Beseitigung von Philipps erfahrenen Generälen deutlich abzeichnete, dass Alexanders Gewährsleute ihnen um einiges nachstanden.

Der Akzeptanz von Alexanders Herrschaft gilt das Interesse von Albert Brian Bosworth, der in seiner Studie zum Indienfeldzug des Königs die widerwillige Unterwerfung der Inder thematisiert, die sich nach Alexanders Rückkehr nach Persien in offene Feindseligkeit verwandelt habe. Für die Perser stellt Maria Brosius analog heraus, dass der König mit seiner nur oberflächlichen Anknüpfung an die achaimenidische Tradition ohne tieferes Verständnis für die persische Königsideologie an seiner "ideological ambiguity towards Persia" (S.175) gescheitert sei und daher keine Anerkennung als König von Asien von Seiten der neuen Untertanen erlangt habe.

Untersuchungen zu politischen und kulturellen Perspektiven von Alexanders Herrschaft sind im vierten Teil des Sammelbandes zusammengefasst, der sich besonders mit seiner Beziehung zum makedonischen Adel beschäftigt. Waldemar Heckel analysiert die komplexe Struktur des makedonischen Hofes mit seinem Beziehungsgeflecht unter Aufschlüsselung der politischen Gruppierungen und kommt zu dem Ergebnis, dass es aufgrund der implizierten Spannungen in jenem Netzwerk verwunderlich gewesen sei, dass nicht häufiger Attentate auf Alexander unternommen worden seien (S. 224). Elizabeth D. Carney untersucht den Wandel der Bedeutung von Frauen am makedonischen Hof: von Medien der dynastischen Repräsentation unter Philipp zu aktiven Partizipanten an der makedonischen Politik wie Olympias und ihre Tochter Kleopatra. Zugleich grenzt Carney die makedonischen Frauen von den persischen Frauen an Alexanders Hof ab, deren Handlungsraum limitiert gewesen sei (S. 251).

Ernst Fredricksmeyer beschäftigt sich in seiner Studie über Alexanders Verhältnis zu Religion und Göttlichkeit mit dem Einfluss der mythischen Abkommenschaft von Achilles und Herakles auf das Denken des Königs und mit der Konsequenz seiner Leistungen als Eroberer für sein Selbstbild, das, ermutigt von den Reden der Schmeichler an seinem Hof, den Glauben an seine eigene Göttlichkeit zum Ergebnis gehabt habe, "not just in a metaphorical, but in an actual sense" (S. 277) - eine These, die aufgrund der problematischen Quellenlage spekulativ bleiben muss. In seiner Abhandlung zu der Bedeutung der Ehre als rangkonstitutives Element behandelt Roisman Alexanders individuelles Streben nach Ehre auf dem Schlachtfeld zu Legitimationszwecken einerseits und als Maßstab für die Hierarchie am makedonischen Hof andererseits.

Im letzten thematischen Abschnitt, "Alexander's legacy", setzt sich Richard Stoneman mit dem tradierten Image Alexanders in den Schriften der antiken Philosophen auseinander und kommt zu dem Ergebnis, dass er in der Funktion als exemplum kein historisches Urteil erfahre, sondern auf einer rein rhetorischen Ebene instrumentalisiert werde, um ein Argument zu illustrieren (S. 328, 344). Den Abschluss bildet eine Betrachtung der Nachwirkung Alexanders im heutigen Griechenland und in Makedonien von Loring M. Danforth, ein Ausblick auf die Schablonisierung des Königs als Integrationsfigur und als Symbol griechischer und makedonischer Identität.

Das von Roisman herausgegebene Companion ist entsprechend seiner Zielrichtung ein solides Werk, das die Standardthesen der modernen Forschung zu den behandelten Aspekten der Alexanderproblematik inklusive eines Überblicks über die älteren Forschungsstandpunkte übersichtlich, nachvollziehbar und anschaulich zusammenfasst, neue Perspektiven, auf die im Vorwort hingewiesen wird (S. XIII), jedoch kaum eröffnet. Hervorzuheben ist die sehr gute Bibliografie, die einen hilfreichen Überblick über maßgebliche Publikationen zur modernen Alexanderforschung bietet.

Anmerkungen:
1 Vgl. Roisman, J., Ptolemy and his rivals in his history of Alexander, Classical Quarterly 34 (1984), S. 373-385; Ders., Alkidas in Thucydides, Historia 36 (1987), S. 385-425; Ders., The general Demosthenes and his use of military surprise, Stuttgart 1993; Ders., How can an Agamemnon be an Achilles? Drama in the Athenian courts, The Ancient History Bulletin 13 (1999), S. 157-161. Zu nennen ist auch die Herausgeberschaft von: Alexander the Great. Ancient and modern perspectives, Lexington 1995.
2 Vgl. Bieber, M., Alexander the Great in Greek and Roman art, Chicago 1964, S. 37-38; vgl. auch Bieber, M., The portraits of Alexander, Greece & Rome 12 (1965), S. 183-188, bes. S. 184; vgl. Moreno, P., L'immagine di Alessandro Magno nell'opera di Lisippo e di altri artisti contemporaneo, in: Carlsen, J. u.a. (Hgg.), Alexander the Great. Reality and myth, Roma 1993, S. 101-136.
3 Vgl. Holt, F. L., Alexander the Great today. In the interests of historical accuracy?, The Ancient History Bulletin 13 (1999), S. 111-117.
4 "... almost everything that Philip had fought for lay in ruins" (S. 97).
5 Zur Frage der ägyptischen Apotheose vgl. Cawkwell, G. L., The deification of Alexander the Great, in: Worthington, I. (Hg.), Ventures into Greek history, Oxford 1994, S. 293-306, bes. S. 294-295; van Voss, M. H., Alexander und die ägyptische Religion. Einige ägyptologische Anmerkungen, in: Carlsen, J. u.a. (Hgg.), Alexander the Great. Reality and myth, Roma 1993, S. 71-73; Wilcken, U., Alexanders Zug in die Oase Siwa, Berlin 1928; zur Proskynese als vereinheitlichendes Hofzeremoniell vgl. Balsdon, J. P. V. D., The "divinity" of Alexander the Great, Historia 1 (1950), S. 363-388; bes. S. 376f.; Higgins, W. E., Aspects of Alexander's imperial administration. Some modern methods and views reviewed, Athenaeum 58 (1980), S. 129-152, bes. S. 131; Müller, S., Maßnahmen der Herrschaftssicherung gegenüber der makedonischen Opposition bei Alexander dem Großen, Frankfurt am Main 2003, S. 140-145; zur Diskussion in den griechischen Versammlungen über die Vergöttlichung Alexanders vgl. Cawkwell, s.o., S. 294-295.
6 Vgl. Wirth, G., Der Brand von Persepolis, Amsterdam 1993; 346, Anm. 400 zu Hephaistions militärischen Leistungen; Carney, E., Alexander and the Macedonian aristocracy, Diss. Duke University 1975, S. 121; Ders., Macedonians and mutiny. Discipline and indiscipline in the army of Philipp and Alexander, Classical Philology 91 (1996), S. 19-44; Devine, A. M., Alexander's propaganda machine. Callisthenes as the ultimate source for Arrian, in: Worthington, I. (Hg.), Ventures into Greek history, Oxford 1994, S. 293-306; zur Dezimierung der makedonischen Bevölkerung durch Alexanders Kriegszüge vgl. Bosworth, A. B., Alexander the Great and the decline of Macedon, Journal of Hellenic Studies 106 (1986), S. 1-12.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch