W. König: Volkswagen, Volksempfänger, Volksgemeinschaft

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Titel
Volkswagen, Volksempfänger, Volksgemeinschaft. "Volksprodukte" im Dritten Reich: Vom Scheitern einer nationalsozialistischen Konsumgesellschaft


Autor(en)
König, Wolfgang
Erschienen
Paderborn 2004: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
310 S., 21 Abb.
Preis
€ 36,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hartmut Berghoff, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Georg-August-Universität Göttingen

Bislang ist die Konsumgeschichte des Nationalsozialismus erst lückenhaft erforscht. Da sich um sie viele Legenden ranken und ein Teil der neueren, kulturhistorisch angelegten Arbeiten grundlegende politische und ökonomische Aspekte der jeweiligen Themen ignorieren, ist es sehr zu begrüßen, dass Wolfgang König den bis heute vielfach positiv bewerteten Volkprodukten eine gründlich recherchierte Studie gewidmet hat. Die Volksprodukte versprachen, bisherige Luxusprodukte durch drastische Preissenkungen bis in die untersten Sozialschichten hinein verfügbar zu machen. Sie gelten zuweilen noch immer als Beispiele für die vermeintlich „guten Seiten“ des Nationalsozialismus, von denen vor allem die „kleinen Leute“ profitiert hätten. So schreibt Shelley Baranowski in ihrem nahezu gleichzeitig erschienenen Buch: „radios and KdF vacation trips mitigated the constrains on consumption, for they testified to the Third Reich’s ability to rescue Germany from the privations of Weimar”. Die Organisation KdF habe mit erheblichem Erfolg eine spezifisch nationalsozialistische Version einer modernen Konsumgesellschaft vorangebracht und dabei neben der Integration des völkischen Kollektivs Werte befördert, die typisch für westliche Konsumgesellschaften seien. KdF „increasingly encouraged self-fulfilment, pleasure seeking, and individualistic choice”.1

König dagegen demontiert den Mythos der Volksprodukte und sieht in ihnen den Beweis, dass die Ansätze zur Errichtung einer spezifisch nationalsozialistischen Konsumgesellschaft scheiterten. Dabei kann er gute Argumente anführen von der begrenzten Ressourcenbasis des Reiches bis zum polykratischen Chaos des NS-Staates, von den größenwahnsinnigen Zielsetzungen bis zum Gefangensein in den eigenen zutiefst unrealistischen Versprechungen, vom Dilettantismus der handelnden NS-Funktionäre bis zu den Imperativen der Aufrüstung. Am Ende stand die Volksgasmaske, die aber auch nicht einmal in den benötigten Stückzahlen produziert werden konnte. Am deutlichsten dürfte die Megalomanie der Pläne bei den beiden von der DAF propagierten Fahrzeuggruppen hervortreten. So war die Planung eines Volkswagenwerkes, das Fords River Rouge Werk in den Schatten stellen und 1,5 Mio. Autos pro Jahr produzieren sollte, angesichts von lediglich 340.000 Vorbestellungen in den Jahren 1938-45 mehr als absurd. Ley plante sogar allen Ernstes den Bau eines Volkstraktors in einer Fabrik mit 200.000 Beschäftigten, für die ausgerechnet in seinem Heimatort, der Kleinstadt Waldbröl, erste konkrete Planungen anliefen.

Nach einer insgesamt sehr knappen Einleitung, die es leider versäumt, den Forschungsstand gründlich zu diskutieren, kommt König schnell zum Kern seiner Studie, nämlich zu einer nüchternen, faktengesättigten Analyse der Geschichte der wichtigsten Volksprodukte. Am erfolgreichsten agierte das Regime bei der Verbreitung preiswerter Radios, dem legendären Volksempfänger und dem Deutschen Kleinempfängers. Hier wurden zweifelsohne große quantitative Zuwächse erzielt, die sich aber im internationalen Vergleich etwa mit Frankreich oder Norwegen als weniger exzeptionell erwiesen, als man lange gedacht hatte. Die Rundfunkindustrie war alles andere als begeistert, da die Volksprodukte den Absatz leistungsstärkerer und gewinnträchtigerer Geräte störten. Das von der Reichspost gegen die Radioindustrie und das Propagandaministerium betriebene Projekt eines Volksfernsehgerätes blieb in den Anfängen einiger Prototypen stecken, obwohl bis zu deren Einstellung zu Kriegsbeginn schon beträchtliche Investitionen in den Aufbau von Sendekapazitäten geflossen waren. Genutzt wurden sie vor allem für den Gemeinschaftsempfang in Fernsehstuben und Lazaretten. Auf dem Gebiet des Wohnungsbaus blieben alle Ankündigungen der Schaffung komfortabler Volks- oder gar „Führerwohnungen“ Makulatur, denn das eigentliche Problem bestand im schieren Mangel an Wohnungen, nicht in ihrer Qualität. Zudem arbeiteten auf diesem Gebiet DAF, das Reichsarbeitsministerium und Speer mehr gegen- als miteinander. Allerdings hinderte diese ungünstige Konstellation Hitler nicht daran, 1940 umfangreiche Planungen für den Wohnungsbau nach dem „Endsieg“ zu befehlen. Der Volkskühlschrank kam ebenfalls nicht voran, und 1939 hatte erst 1 Prozent der Haushalte einen Kühlschrank. Da die Industrie das Projekt nicht entschieden genug anging, versuchte die DAF es zu übernehmen. Der Bau einer eigenen Fabrik ließ sich jedoch im Krieg nicht mehr realisieren.

Obwohl sich der PKW-Bestand in Deutschland zwischen 1933 und 1939 fast verdreifachte, konstatiert König letztlich das Scheitern der Motorisierungspolitik des Regimes. Das bereits von Mommsen und Grieger 2 detaillierte untersuchte Volkswagenprojekt war ein einziges Desaster von der dilatorischen Behandlung durch die Privatindustrie bis zur Übernahme durch die in jeder Hinsicht überforderte DAF. Die von Material- und Arbeitskräftemangel verzögerten Arbeiten am Werk zeichneten sich durch eine geradezu groteske Überschätzung der Absatzmöglichkeiten, eine leichtfertige Ignorierung ökonomischer Sachzwänge und einen eklatanten Widerspruch zur Rüstungspolitik aus. Die Bestellungen blieben weit hinter den erwarteten Zahlen zurück und stammten vor allem aus der Mittelschicht, für die der Wagen nicht in erster Line gedacht war. Bekanntlich erhielten bis 1945 die gutgläubigen KdF-Sparern keinen einzigen Wagen.

Beim Tourismus fiel die Bilanz nicht ganz so desaströs aus, aber auch hier bliebt festzuhalten, dass auf die vielbewunderten KdF-Reisen nur ein kleiner Teil des gesamten Tourismusmarktes entfiel und die eigentliche Zielgruppe, nämlich die Arbeiterschaft, nur in einem Maß erreicht wurde, das weit hinter den Erwartungen des Regimes zurückblieb. Eine Antwort auf diese Defizite war die Planung von gigantischen Ferienanlagen mit Tausenden von Kleinstzimmern. Einzig der 4,5 km lange Hotelkomplex von Prora (Rügen) wurde im Rohbau fertiggestellt, während alle anderen Anlagen nur auf dem Reisbrett existierten. Allgemein zogen die Kosten, die Transportkapazitäten der Reichsbahn und die Widerstände der etablierten Ferienorte dem KdF-Tourismus spürbare Grenzen.

Im Anschluss an sechs Kapitel, die je ein Produkt behandeln, bündelt König abschließend in drei übergreifenden Abschnitten seine Befunde und arbeitete die allgemeinen Charakteristika der beschriebenen Projekte konzise heraus. Sie stießen bei der Privatwirtschaft zumeist auf Ablehnung, da die Ziele utopisch und die Preisvorgaben unattraktiv waren. Nahm das Regime die Produktion in die eigene Hand und begann mit der Planung rationeller Großbetriebe, verstieß es gegen das selbst proklamierte Ziel der Mittelstandsförderung. Zugleich gab es in der Privatwirtschaft Trittbrettfahrer, die mit dem Prädikat „Volksprodukt“ warben, d.h. sich an die Propagandabotschaft des Regimes freiwillig und unautorisiert anhingen. Ein eindeutig ausgesprochenes Verbot ließ sich offenbar nicht durchsetzen.

Die meisten Projekte lagen quer zu anderen Strängen der NS-Politik. So ließ sich die angekündigte Erhöhung des Lebensstandards schwerlich mit der Hochrüstung vereinbaren. Volkswagen und Volkswohnungen waren viel zu klein, um die vom Regime angestrebte Zahl von Kindern aufzunehmen. Das Versprechen der Verfügbarmachung ehemaliger Luxusprodukte für Arbeiter wurde nicht eingelöst. Die Projekte, wenn sie überhaupt jemanden nutzten, kamen ganz überwiegend der Mittelschicht zugute. Mehr noch, über die Subventionen aus den Töpfen der DAF-Mitgliedsbeiträge fand eine „Umverteilung von unten nach oben statt“.

Volksprodukte waren, das wird mehr als deutlich, beliebte Instrumente, um sich im polykratischen Machtgetümmel zu profilieren. Besonders die DAF versuchte auf diesem Wege, die traditionelle Ministerialbürokratie auszustechen. Allerdings verstanden sich auch das Propagandaministerium (Volksempfänger), das Postministerium (Fernsehen) und das Wirtschaftsministerium (Volkskühlschrank) auf dieses Spiel um Macht und Ressourcen. In ihm kam eine eigentümliche Dynamik zum Tragen, die von vollmundigen Ankündigungen der Propaganda und einem steigenden Erwartungsdruck der Bevölkerung getrieben wurde. Beides schaukelte sich gegenseitig hoch und ließ die Projekte weit über das Machbare hinaus wuchern. Zudem betont König die Irrationalität der Planungen, in deren Zusammenhang immer wieder Begriffe wie „Wunder“, „Wille“ und „Glaube“ fielen. Hier verbanden sich „propagandistischer Fremdbetrug und illusionistischer Selbstbetrug“ auf eine für das Regime insgesamt charakteristische Weise.

In allen diesen Befunden ist König im Wesentlichen zuzustimmen, aber mit dem im Untertitel aufgenommenen Verdikt vom „Scheitern einer nationalsozialistischen Konsumgesellschaft“ wird man dem komplexen Geschehen nicht ganz gerecht. Neben dem Scheitern stand der Erfolg. Dem Regime gelang es, geschickt Wünsche der Bevölkerung aufzugreifen und im großen Stil Kulissen und Visionen zu produzieren, die allerdings in keinem Verhältnis zum tatsächlich Machbaren standen. Den tiefen Widerspruch zwischen „Enticement and Deprivation“3 und die erfolgreiche Inszenierung von „virtuellem Konsum“, der nur in den Köpfen der Menschen und den Ankündigungen des Regimes stattfand, aber herrschaftstechnisch durchaus massenwirksam wurde, schenkt König wenig Aufmerksamkeit. Dafür wäre seine technik-, politik- und wirtschaftshistorische Methodik durch kulturhistorische, rezeptionsästhetische Ansätze zu ergänzen gewesen. Es kann ja nicht bestritten werden, dass die vom Regime gemachten Versprechungen verfingen und viele Menschen bis weit nach 1945 in ihren Bann zogen. Das Weiterleben der Visionen in das westdeutsche „Wirtschaftswunder“ herein und das Anknüpfen z.B. Ludwig Erhards an die Rhetorik der Volksprodukte bleibt leider ebenfalls ausgespart. Der Bezugspunkt der Menschen bis 1942 war die Weltwirtschaftskrise und die daraus resultierende Wahrnehmung war die einer substantiellen Verbesserung ihrer Lebensumstände. In diesem Kontext fielen weit reichende Versprechungen auf fruchtbaren Boden, zumal die Propaganda geschickt inszeniert wurde und durch kleine Erfolge auf symbolträchtigen Gebieten wie dem Rundfunk und dem Tourismus ergänzt wurden. Hinzu kamen die trotz Aufrüstung möglichen Produktionserfolge einiger Teile der privaten Konsumgüterindustrie, die ebenfalls dem Regime zugeschrieben wurden. Schließlich stieg der Erwartungshorizont der Bevölkerung nach der Überwindung der Weltwirtschaftskrise und im Zeichen der außenpolitischen und militärischen Erfolge erheblich an. Die Tatsache, dass die konsumpolitischen Utopien des Regimes nur mit Hilfe eines gigantischen Ausbeutungs- und Versklavungsprogramms hätten verwirklicht werden, mag für viele Deutsche so abschreckend gar nicht gewesen sein. Insofern werfen die überdimensionierten Planungen auch ein grelles Licht auf die im Falle des „Endsieges“ vorgesehene sozialtechnokratische Erhöhung des deutschen Konsumniveaus. Vielen der von König untersuchten Projekte fehlte bis 1939 schlicht die Zeit. Mit einem längeren Vorlauf oder in einem unterworfenen Europa wären sie möglicherweise weniger größenwahnsinnig oder illusionär gewesen. Sie sind daher nicht nur gescheiterte Ansätze, sondern lassen auch das Ausmaß der möglichen Privilegierung der deutschen Bevölkerung im Falle eines siegreichen Krieges erahnen. Dieser versprach anfangs reiche Beute, und die Aussicht auf eine nationalsozialistische Wohlstandsgesellschaft im Herzen eines versklavten Europas besaß für viele Deutsche eine durchaus nicht zu unterschätzende Attraktivität.

Anmerkungen:
1 Baranowski, Shelley, Strength through Joy. Consumerism and Mass Tourism in the Third Reich, Cambridge 2004, S. 221 u. 9.
2 Mommsen, Hans; Grieger, Manfred, Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, Düsseldorf 1996.
3 Vgl. den Versuch der Abwägung beider Aspekte in Berghoff, Hartmut, Enticement and Deprivation. The Regulation of Consumption in pre-war Nazi Germany, in: Daunton, Martin; Hilton, Matthew (Hgg.), The Politics of Consumption. Material Culture and Citizenship in Europe and America, Oxford 2001, S. 165-184; demnächst Ders., Methoden der Verbrauchslenkung im Nationalsozialismus. Konsumpolitische Normensetzung und ökonomische Folgewirkungen zwischen totalitärem Regulierungsanspruch und widerspenstiger Praxis, in: Gosewinkel, Dieter; Fischer, Wolfram (Hgg.), Wirtschaftskontrolle und Recht in der nationalsozialistischen Diktatur, Baden-Baden (im Druck).

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