Cover
Titel
Lieber Genosse Max. Aufstieg und Fall des ersten Justizministers der DDR Max Fechner


Autor(en)
Beckert, Rudi
Reihe
Justizforschung und Rechtssoziologie 5
Anzahl Seiten
347 S.
Preis
€ 42,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wilfriede Otto, Historische Kommission der PDS

Wenigstens drei Generationen kennen aus dem langen Leben von Max Fechner (1892 bis 1973) nur biografische Splitter. Bekannt ist vielleicht seine Tätigkeit als erster Minister der Justiz der DDR von 1949 bis 1953, die 1953 auf ungesetzliche Weise beendet wurde. Als „gefährlicher Staatsverbrecher“ verurteilt, wurde auch mit dem „Fall“ Fechner ein systemisches Omen markiert.

Rudi Beckert, selbst Jurist, hat seit 1989/90 erstinstanzliche Urteile vor dem Obersten Gericht analysiert und über „Schau- und Geheimprozesse“ in der DDR1 publiziert. Mit seiner jetzigen Publikation wendet er sich dem politischen Aufstieg und Fall sowie den nächsten politischen Freunden Max Fechners zu. Nach der von Andrea Feth verfassten Biografie über Hilde Benjamin2, die von 1953-1967 die Funktion als Justizministerin ausübte, wird das politische Lebensbild einer zweiten Symbolfigur der DDR-Justiz vorgestellt.

Max Fechner, am 27. Juli 1892 im berlinnahen Rixdorf als fünftes Kind eines Maurers und einer Milchhändlerin geboren, nahm einen mühsamen Entwicklungsweg. Politische Heimat der Familie war die revolutionäre deutsche Sozialdemokratie, der sich Fechner nach seiner Lehre als Werkzeugmacher 1911 anschloss. Nach seiner Zeit als Armierungssoldat 1914-1917 wechselte er noch 1917 zur USPD, der er 1922 den Rücken kehrte und Funktionen in der SPD wahrnahm. Als Abgeordneter der Stadtverordnetenversammlung Berlin 1924-1929, Leiter der Kommunalpolitischen Zentralstelle beim Parteivorstand der SPD und verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift „Die Gemeinde“ bis 1933 sowie als Abgeordneter des Preußischen Landtages von 1928-1933 konnte er sich zu den bekannten Politikern rechnen. Als Mitglied des illegalen Zentralausschusses der SPD geriet er wegen seiner Tätigkeit für die verbotene Partei von Juni 1933 bis April 1934 in Schutzhaft im KZ Oranienburg. Bis zu einer erneuten Inhaftierung im KZ Sachsenhausen von Juli bis September 1944 betätigte er sich im Milch- und Kolonialwarengeschäft seiner Ehefrau in Berlin.

1945 gehörte er dem Zentralausschuss und Parteivorstand der SPD an und befürwortete frühzeitig die Schaffung einer Einheitspartei mit der KPD. Mit der Gründung der SED im April 1946 wurde er Mitglied des Parteivorstandes und seines Zentralsekretariats sowie 1950 Mitglied des Zentralkomitees. Seit Oktober 1948 war er Präsident der Deutschen Zentralverwaltung der Justiz und bis 1953 Präsident beziehungsweise Vizepräsident der Vereinigung Demokratischer Juristen. Er gehörte der Volkskammer der DDR an und avancierte am 12. Oktober 1949 zum Minister der Justiz. Nach seiner Inhaftierung am 15. Juli 1953 verurteilte ihn das Oberste Gericht der DDR am 24. Mai 1955 wegen „staatsfeindlicher Tätigkeit“ zu acht Jahren Zuchthaus. Seine Begnadigung im April 1956 war mit der Aufhebung des VdN-Ausschlusses, der Tilgung der Strafe und der Wiederaufnahme in die SED 1958 verbunden. Die versagte offizielle juristische und politische Rehabilitierung sollte eine Fernsehshow mit Walter Ulbricht im April 1966 (S. 13-17) ersetzen. Fechner verstarb am 13. September 1973.

Beckert schreibt mit Sympathie, aber auch mit kritischer Distanz, wenn er seine Titelgestalt letztlich als „Opfer fragwürdiger ideologischer Unterwürfigkeit und materieller Abhängigkeit“ (S. 319) charakterisiert. Er stützt sich auf Archivalien der Stiftung Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, des Archivs der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR und seines persönlichen Archivs. Ausgewertet wird vor allem zeitgenössische sowie neuere Literatur.

Die Publikation ist in sechs Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel (S. 13-20) behandelt Beckert am Beispiel Fechners die halbherzige Rehabilitierungspraxis der SED für juristisch zu Unrecht verurteilte Parteifunktionäre. Das zweite Kapitel (S. 21-58) verfolgt Fechners politischen Weg bis 1945. Recherchen zu politischen Auseinandersetzungen und besonders zur Rolle des illegalen Zentralausschusses der SPD zeichnen Ausschnitte illegaler Tätigkeit nach. Die von Grigori Sinowjew 1924 formulierte verhängnisvolle Sozialfaschismustheorie (S. 34) wird allerdings viel zu spät eingeführt.3

Im dritten Kapitel (S. 59-158), das die Jahre bis 1948 umfasst, wird Fechners Wirken vor allem in Entscheidungsgremien der SPD und SED nachvollzogen. Zeitgenössische Texte vermitteln sein Auftreten in der Auseinandersetzung um den Zusammenschluss der beiden Arbeiterparteien. Im Kontext der Darstellung von Wilhelm Pieck ist anzumerken, dass er in Einzelfällen Genossen half, Stalins Verfolgungen zu überleben (S. 73).4 Die geschilderten Probleme des Gründungsaktes der SED spiegeln sich auch im Verhältnis der ungleichen paritätischen stellvertretenden Vorsitzenden der SED Walter Ulbricht und Max Fechner. Er wurde bereits 1948 aus dem Zentralsekretariat des Parteivorstandes der SED ausgegrenzt. Falsch kommentiert ist der Verweis auf den ersten Minister für Staatssicherheit der DDR (S. 77).5

Das vierte Kapitel umfasst die Jahre von 1948-1953 (S. 159-238). Hier gelingt es Beckert, Rahmenbedingungen unter besatzungspolitischem Einfluss sowie ein Stück Entwicklungsgeschichte der Justizorgane und ihrer Vorläufer vorzustellen. Wesentlichen Raum nehmen die rechtspolitischen Debatten 1948 ein, die um die Kernfragen Gewaltenteilung und Platz des Justizapparats als unabhängiges oder zentral gesteuertes Organ geführt wurden. Sie mündeten in die revolutionäre Justizreform, die Fechner selbst verfocht. Seinen Aufstieg als Nichtjurist zum ersten Minister der Justiz der DDR 1949 sah Fechner sicher mit wenig Bedenken; zumindest nach seinem Engagement für die Bildung zentraler Justizorgane - Oberstes Gericht, Oberste Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwalt - zu urteilen. Dennoch versucht Beckert zu differenzieren; insbesondere an Beispielen politischer Attacken gegen das Ministerium 1951/1952 und der Denunziationen gegen Fechner. Sie trafen den „disziplinierten Parteiarbeiter“, „gelegentlichen Opportunisten“, aber nie „Opponenten“ (S. 217). Neues erschließt sich aus den Untersuchungsakten zum Fechner-Prozess. Dabei erhielt das Interview des Ministers zum Umgang mit den Inhaftierten anlässlich des Arbeiteraufstands im Juni 1953 einen besonderen Stellenwert.6

Das fünfte Kapitel „Der Fall“ (S. 239-290) reicht zeitlich von 1953-1955. Es ist die politische Kriminalgeschichte um Fechner, dessen „Arretierung“ das Politbüro des Zentralkomitees der SED am 14. Juli 1953 beschlossen hatte. Beckert enthüllt den verworrenen nächtlichen Verhaftungsakt. Er analysiert die Mühen der Staatssicherheit, strafrechtlich Relevantes zusammenzubasteln sowie das erneute Eingreifen des Politbüros der SED und die Peinlichkeiten beim Urteilsspruch vom Mai 1955.

Das letzte Kapitel (S. 291-319) ist dem „Glücksfall“ XX. Parteitag der KPdSU und der damit verbundenen Freilassung Fechners im April 1956 gewidmet. Rückblicke auf ehemalige politische Partner und eigenwillige historische Reminiszenzen des Parteiveteranen über einstige Kampfzeiten beschließen es. Obwohl Beckert bemüht ist, politischen Werdegang, Persönliches und historischen Prozess sowohl im Zusammenhang zu sehen als auch voneinander abzugrenzen, bleiben Darstellungsprobleme bestehen. So verschwindet hinter den Ausweitungen der Untersuchung zur Geschichtsschreibung (S. 60-73), zur Einheitspartei (S. 118-131), zum Justizapparat (S. 195-199) und zur Gesetzesentwicklung (S. 208-212) Fechners Privatleben.

Der Anhang bietet biografische Angaben, ein Abkürzungsverzeichnis, ausgewählte Publikationen von Max Fechner, ein Literaturverzeichnis und ein Personenregister. Eine Übersicht über ausgewertete Archivfonds fehlt leider.

Anmerkungen:
1 Beckert, Rudi, Die erste und letzte Instanz. Schau- und Geheimprozesse vor dem Obersten Gericht der DDR, Aschaffenburg 1995.
2 Feth, Andrea, Hilde Benjamin - eine Biographie, Berlin 1997.
3 Vgl. Kinner, Klaus, Der deutsche Kommunismus. Selbstverständnis und Realität, Bd. 1: Weimarer Zeit, Berlin 1999, S. 71f, 77.
4 Vgl. Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung (Hg.), In den Fängen des NKWD. Deutsche Opfer des stalinistischen Terrors in der UdSSR, Berlin 1991, S. 333-342, 346, 372, 382.
5 Zaisser durfte 1956 nicht in die SED zurückkehren. Er wurde erst am 25. April 1993 von der Schiedskommission der PDS politisch rehabilitiert.
6 Das Interview erschien am 30. Juni 1953 im Zentralorgan „Neues Deutschland“ unter der Überschrift „Alle Inhaftierten kommen vor ein ordentliches Gericht“.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension