L. Harders: Studiert, promoviert: Arriviert?

Titel
Studiert, promoviert: Arriviert?. Promovendinnen des Berliner Germanischen Seminars (1919-1945)


Autor(en)
Harders, Levke
Reihe
Berliner Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte Bd. 6
Erschienen
Frankfurt am Main 2004: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
190 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christa Haeseli, Deutsches Seminar, Universität Zürich

Levke Harders untersucht in ihrer Studie die sozialen und wissenschaftspolitischen Bedingungen, unter welchen die Studentinnen am Berliner Germanischen Seminar im Zeitraum von 1919 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs promovierten. Es geht ihr dabei einerseits um die geschlechtsspezifischen sozial-strukturellen und innerdisziplinären Faktoren, die Studium, Promotion und akademische Laufbahn der ersten Berliner Germanistinnen beeinflussten, andererseits aber auch um die Strategien, welche die Wissenschaftlerinnen diesen Mechanismen entgegengesetzt haben.

Harders bietet zunächst einen Überblick über die Debatte um das Frauenstudium in Berlin bis zur offiziellen Immatrikulationserlaubnis im Jahre 1908 sowie über die weitere Entwicklung der universitären Situation studierender Frauen bis 1945. Ihre Darstellung zeigt institutionelle Exklusionsmechanismen auf, die Studium und Promotion der Germanistinnen erheblich erschwerten. Anschließend rekonstruiert sie die personalpolitische Entwicklungsgeschichte des Germanischen Seminars, welche die akademische Karriere der ersten Germanistinnen entscheidend mitbestimmt hat. Vor diesem Hintergrund analysiert sie ihr Quellenmaterial, welches sich aus den Promotionsakten der Germanistinnen sowie aus deren selbstverfassten Lebensläufen zusammensetzt. Die Autorin untersucht diese bisher unbearbeiteten Quellen nach diskursanalytischen Kriterien und vergleicht sie mit den Promotionsakten von männlichen Kommilitonen. Mit Michel Foucaults Begriff des Diskurses gelingt es Harders nicht nur das Wissenschaftsverständnis der Disziplin offen zu legen, sondern auch den darin enthaltenen Diskurs um die Germanistinnen zu dokumentieren. Dabei werden insbesondere die geschlechtsspezifischen Exklusionsmechanismen deutlich. Diesen Ausschlussverfahren stellt die Autorin die Möglichkeiten und Strategien der Promovendinnen, sich im Bereich der Wissenschaft zu behaupten, gegenüber. Abschließend illustriert sie die von ihr beschriebenen Mechanismen und Strategien exemplarisch an den Lebensläufen von Melitta Gerhard, Charlotte Jolles, Isabella Rüttenauer und Elisabeth Frenzel.

Von besonderer Brisanz ist der Werdegang Elisabeth Frenzels, welche ihre akademische Karriere als überzeugte und politisch engagierte Nationalsozialistin begann. Sie promovierte 1940 mit ihrer Arbeit „Judengestalten auf der deutschen Bühne. Ein notwendiger Querschnitt durch 700 Jahre Rollengeschichte“. Darin untersucht sie den „zerstörenden Einfluss, den das Judentum auf die Kultur Deutschlands ausgeübt hat“ (S. 133, Knudsen 1940). Harders Darstellung zeigt, wie sich Frenzel mit ihrer antisemitischen Studie in Politik und Wissenschaft erfolgreich etablieren konnte und rekonstruiert den weiteren Werdegang dieser Germanistin. Im Anschluss an ihre Dissertation arbeitete Frenzel am Lexikon Juden im Theater und im Film mit. Es wird vermutet, dass ihre akribische Zusammenstellung biografischer Angaben Folgen für die betroffenen Künstler jüdischer Herkunft hatte. Harders Recherchen zeigen, dass Frenzel auch nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes an ihre akademische, wenn auch außeruniversitäre, Laufbahn anknüpfen konnte, indem sie vor allem Nachschlagewerke zur deutschen Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart verfasste.

Eine Auseinandersetzung mit Frenzels antisemitischem Hintergrund begann bereits in den 1960er-Jahren. Man warf ihr vor, in früheren Publikationen jüdische AutorInnen verunglimpft zu haben und sprach ihr das „moralische Recht“ ab, Literaturlexika zu erstellen; dies nicht zuletzt deswegen, weil man in ihnen das „eingelernte Vokabular“ der NS-Germanistik wieder erkannte. Trotzdem wird sie gerade im Bereich der Stoff- und Motivforschung noch immer als Spezialistin gehandelt und ihre Werke sind nach wie vor weit verbreitet. Dies erstaunt auch insofern, als ihr methodischer Ansatz inzwischen als überholt gilt.

Harders Studie leistet mit der Aufarbeitung des Germanistinnen-Diskurses einen bedeutenden Beitrag zur deutschen Wissenschaftsgeschichte. Die Forschung konzentrierte sich bisher auf allgemeine Darstellungen zur Entwicklung der Wissenschaften und Universitäten sowie einzelner Disziplinen. Die Fachgeschichte der Germanistik, gerade in der Auseinandersetzung mit ihren Verbindungen zum Nationalsozialismus, ist schon seit längerem Gegenstand der Forschung. Die Germanistik spielt in der deutschen Wissenschaftsgeschichte insofern eine Schlüsselrolle, als sie unter dem Diktat des NS-Regimes zur Herausbildung eines spezifischen „Deutschtums“ funktionalisiert wurde. Auch der Themenbereich „Frauen in der Wissenschaft“ ist Gegenstand vieler Forschungsarbeiten. Bislang ausgeklammert blieben aber fachgeschichtliche Untersuchungen der damaligen Studierendensituation sowie eine Diskussion der wissenschaftlichen Beurteilungskriterien, welche die Autorin mit analytischem Scharfsinn als Diskurse der Macht mit materiellen Konsequenzen und ideologischen Effekten entlarvt. Damit verknüpft Harders methodisch elegant und präzise sozial- und strukturgeschichtliche Zugänge mit einer diskursanalytischen Quellenauswertung. Ein weiteres Forschungsdesiderat, welches Harders Arbeit aufgreift, bildet die Erinnerung an Frauen in der Germanistik, die bisher weder in der fach- noch in den geschlechterhistorischen Studien zur Wissenschaftsgeschichte gebührend unternommen wurde. Es geht Harders darum, die ersten Germanistinnen und ihre – in manchen Fällen aus ethischer Sicht höchst fragwürdigen – Beiträge zur Wissenschaft überhaupt sichtbar zu machen. Der Arbeit ist außerdem ein umfangreicher Anhang beigefügt, welcher bisher unveröffentlichtes Material aus dem Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin sowie ein Verzeichnis der Promovendinnen am damaligen Germanischen Seminar enthält.

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