J. Hüttmann: Die 'Gelehrte DDR' und ihre Akteure

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Titel
Die 'Gelehrte DDR' und ihre Akteure. Inhalte, Motivationen, Strategien: Die DDR als Gegenstand von Lehre und Forschung


Autor(en)
Hüttmann, Jens
Anzahl Seiten
100 S.
Preis
€ 5,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerd Dietrich, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Es gibt sie noch, die DDR, in der Lehre an den deutschen Hochschulen. Nach einer fast linearen Aufwärtsbewegung vom Anfang bis zur Mitte der 1990er-Jahre folgte eine ebenso lineare Abwärtsbewegung in der 2. Hälfte der 1990er-Jahre. Im Jahr 2001 war wieder der vergleichsweise niedrige Stand von 1990 erreicht. Das waren die Ergebnisse der quantitativen Bestandsaufnahme von Peer Pasternack 2001.1 Drei Jahre später stellt Jens Hüttmann zu unserer Beruhigung fest, dass der niedrige Stand gehalten werden konnte.

In der vorliegenden Nachfolgestudie werden nun die Akteure des DDR-bezogenen Lehr- und Forschungsbetriebs ins Visier genommen: das Feld der Historiker an den deutschen Universitäten. Für die Durchführung der qualitativen Untersuchung wurde eine Kombination methodischer Zugänge gewählt: statistische und Inhaltsanalyse, ExpertInneninterviews, schriftliche Befragungen und die Durchführung eines Workshops. Sie ist somit als Mehrebenenanalyse angelegt und verwendet parallel statistische Daten, Informationen aus Interviews, Fragebögen und Workshop. Leitfadengestützte Interviews wurden zwischen April 2002 und März 2003 mit Ursula Heukenkamp, Günther Heydemann, Konrad H. Jarausch, Christoph Kleßmann, Günther von Lojewski, Alf Lüdtke, Werner Müller, Hermann-Josef Rupieper und Jürgen Schneider durchgeführt. Auf die schriftliche Befragung antworteten zwischen Juni und September 2002 von 315 angesprochenen 167 Personen, was eine Rücklaufquote von knapp 60 Prozent ausmachte (Leitfaden und Fragebogen sind im Anhang abgedruckt.). Von den neun ExpertInnen war immerhin eine, von den Befragten waren 39 Prozent mit dem Herkunftsort DDR ausgestattet. Der Workshop fand vom 27. Februar bis 1. März 2003 in Wittenberg statt und hatte neunzig Referenten und Teilnehmer. Zu welchen Ergebnissen ist die Studie mit diesen Quellen gelangt?

Hinsichtlich der inhaltlichen Aspekte wurde zunächst nach den zeitlichen Arbeitsschwerpunkten gefragt. Dabei hat eine deutliche Mehrheit von 62 Prozent den gesamten Zeitraum von 1949 bis 1989 angegeben. Bei der phasenweisen Betrachtung "führen" die 1950er und die 1970er-Jahre bilden das Schlusslicht. Bei den inhaltlichen Interessen liegt die SBZ als Lehrthema mit 28 Prozent vorn, gefolgt von den deutsch-deutschen Beziehungen, der Transformationsphase 1989/90 und dem Kulturleben. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Forschungsinteressen. Als gut bzw. sehr gut erforschte Themen wurden vor allem 1989/90, Opposition/nonkonformes Verhalten und die SBZ, als unzureichend bzw. sehr unzureichend erforschte Themen die DDR im Ostblock, Ökologie/Umweltpolitik und das ländliche Leben eingeschätzt. Die Liste der zehn wichtigsten Bücher zur DDR-Geschichte führt der Sammelband zur "Sozialgeschichte der DDR" von 1994 an, gefolgt von den Materialien der Enquete-Kommissionen und den Monografien von Sigrid Meuschel und Klaus Schröder. An der Spitze der fünf wichtigsten Zeitschriften steht das "Deutschland-Archiv". Auf die Frage nach der begrifflichen Einordnung der DDR erhielten "Unrechtsstaat" 59 Prozent, "Erziehungsdiktatur" 51 Prozent, "totalitäre Diktatur" 50 Prozent, "moderne Diktatur" 34 Prozent, "legitime Alternative" 25 Prozent und "kommode Diktatur" 12 Prozent Zustimmung. Im Allgemeinen jedoch wurde ein Theoriedefizit in der DDR-Geschichte und deren eher traditionelle Ausrichtung konstatiert. Zu den dominierenden theoretischen Ansätzen zählen Politik- und Institutionengeschichte, Totalitarismustheorie und Sozialgeschichte. Hinsichtlich der motivationalen Aspekte bestimmen die deutsche Teilung, ein primär akademisches Herangehen und der biografische Hintergrund das Interesse an der DDR-Geschichte. Unter den strategischen Aspekten wurden vor allem das Problem der "Historisierung" benannt sowie die "DDR im Vergleich". Problematisiert wird in der Studie allerdings nur der Vergleich mit dem Nationalsozialismus. Auf der Grundlage ihres Materials unterscheiden die Autoren fünf Perspektiven in der wissenschaftlichen DDR-Geschichtsbetrachtung: die analytische Insiderperspektive: "Jenseits von Nostalgie und Anklage"; die delegitimierende Insiderperspektive: "Wir sitzen im Stasigebäude, das ist Anschauungsunterricht genug!"; die legitimierende Outsiderperspektive: "Der Diffamierung und Delegitimierung etwas entgegensetzen"; die delegitimierende Outsiderperspektive: "Die DDR war im Chaos geboren und ist im Chaos untergegangen, dazwischen war auch nur Chaos"; sowie die skeptische Perspektive: "Mainstream ist langweilig und stellt keine intellektuelle Arbeit im eigentlichen Sinne dar". Zum Schluss stellten sie die Frage nach der Zukunft des Themas. Und während die einen den allgemeinen Trend des abnehmenden Interesses an DDR-Geschichte als Normalisierung betrachten, sehen die anderen darin einen problematischen Befund. Das wirft, wie sollte es auch anders sein, neue Fragen nach der Konstruktion der Geschichte und dem kommunikativen Gedächtnis auf. Eine weitere Studie ist uns gewiss.

Anmerkung:
1 Vgl. Gerd Dietrich: Rezension zu: Pasternack, Peer: Gelehrte DDR. Die DDR als Gegenstand der Lehre an deutschen Universitäten 1990-2000 (HoF-Arbeitsbericht), Wittenberg 2001. In: H-Soz-u-Kult, 09.04.2003, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-2-019>.

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