Cover
Titel
Kriegstagebuch 1914-1919.


Autor(en)
Hampe, Karl
Herausgeber
Reichert, Folker; Wolgast, Eike
Reihe
Deutsche Geschichtequellen des 19. und 20. Jahrhunderts 63
Erschienen
München 2004: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
1020 S.
Preis
€ 118,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Epkenhans, Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, wie George F. Kennan einmal zu Recht meinte, jährt sich dieses Jahr zum 90. Mal. Eine nachgewachsene Generation, der die polemisch aufgeladenen alten Debatten der 1960er und 1970er-Jahre inzwischen fremd sind, hat dieses Datum zum Anlass genommen, in zahlreichen neuen Monografien und Sammelbänden alte Fragen neu zu beantworten bzw. neue Fragen zu stellen. Dass manche Frage und manche Antwort – wie die effekthascherischen Thesen Jörg Friedrichs 1 belegen – „merkwürdig“ anmutet, um es milde auszudrücken, ist in einer Zeit, in der man nur noch durch reißerische Publizistik offenbar genügend Aufmerksamkeit auf sich lenken kann, leider unvermeidbar, dem wissenschaftlichen Erkenntnisprozess hingegen allerdings kaum förderlich.

Umso erfreulicher ist es daher, sich mit einem Werk – hier: den Tagebüchern des Heidelberger Mediävisten Karl Hampe aus den Jahren 1914 bis 1919 – auseinander zu setzen, das nicht nur in jeder Hinsicht seriös ist, sondern die Forschung auch tatsächlich weiterbringt. Die von den Heidelberger Historikern Folker Reichert und Eike Wolgast vorgelegte Edition dieser Tagebücher ist mustergültig, sowohl was Einführung und Annotationen betrifft, als auch in Bezug auf den Inhalt, der dem interessierten Leser geboten wird. Es gibt wohl kaum eine Veröffentlichung, die in dieser Dichte einen derartig tiefen Einblick in das Leben und Denken eines typischen Bildungsbürgers, der zugleich zweifellos auch ein typischer „Wilhelminer“ war, erlaubt, wie diese hier – zudem zum „richtigen Zeitpunkt“ - vorgelegte.

Karl Hampe, bei Kriegsbeginn 45 Jahre alt und eigentlich kein „großer“ Tagebuchschreiber, hat dieses „Kriegstagebuch“, als das er es ausdrücklich bezeichnete, am 2. August 1914, also einen Tag nach Kriegsbeginn, begonnen, und bis 1919 – zuletzt als „Kriegs- und Revolutionstagebuch“ geführt. Es ist, wie die Herausgeber zu Recht betonen, ein „politisches Tagebuch“, was allerdings nicht bedeutet, dass Hampe seinen familiären oder beruflichen Alltag nicht mit aufnahm. Im Gegenteil: indem er detailliert die politischen, militärischen und sozialen Verhältnisse sowie ausdrücklich auch das tägliche Leben in Heidelberg oder auch seine gelegentliche Reisen schilderte, hat er eine einzigartige Quelle hinterlassen. Diese ermöglicht es, den – man muss es so ausdrücken – als äußerst „schwer“ empfundenen Weg eines renommierten deutschen Hochschullehrers vom „Herzensmonarchisten“ zum „Vernunftrepublikaner“ nachzuzeichnen und zugleich zu verstehen, warum es die Erben der Niederlage, die von Friedrich Ebert geführten Mehrheitssozialdemokraten, so schwer hatten, eine neue, akzeptierte Ordnung zu errichten.

Hampes Tagebuch ist, dies sei vorweg gesagt, nicht das eines „Insiders“. Anders als mancher seiner Kollegen – z.B. Ernst Troeltsch, Friedrich Meinecke oder Dietrich Schäfer – gehörte er nicht zu denen, die Zugang zu internen Informationen hatten. Auch seine kurzzeitige Tätigkeit im Auswärtigen Amt wie auch beim Generalgouvernement in Brüssel im Rahmen seiner Beschäftigung mit der belgischen Frage änderte daran nichts: Staatspolitische Arcana (S. 51) blieben ihm verschlossen. Umso aufschlussreicher ist es in einem übergreifenden Sinne zu sehen, worauf Hampe sich stützte, wenn er seine Notate verfasste: die – freilich – zensierten Berichte in den Tageszeitungen und die amtlichen Heeresberichte. Um der „nationalen Disziplin“ (S. 50) willen nahm er auch die ausländischen Berichte – von wenigen Ausnahmen abgesehen - nicht zur Kenntnis. Diese Selbstbeschränkung oder besser: Selbstzensur ist insofern erstaunlich, als er des Öfteren darüber klagte, aus der „offiziell optimistischen Färbung“ der Zeitungen (28.7.1916) kein klares Bild gewinnen zu können. Hier wie auch anderen Stellen wird deutlich – und dies gilt für die große Mehrheit der Bevölkerung -, in welch’ hohem Maße Selbstsuggestion, Selbsttäuschung einerseits, amtliche Schönfärberei andererseits sich miteinander vermischt und schließlich dazu beigetragen haben, dass die Ankündigung der drohenden Niederlage einen regelrechten Schock auslöste.

Und der Krieg? Hampe schilderte ihn wie ein Buchhalter, verzichtete in der Regel auf eigene Reflexionen oder tiefer gehende Überlegungen, beschränkte sich meistens auf kurze Kommentare. Wie Millionen Deutsche war auch Hampe ein Opfer der geschickten Inszenierung des Krieges durch die Reichsleitung: „Daß man sich als Überfallener seiner haut wehren muss, sehen auch die Sozialisten ein“, notierte er nach einer patriotischen Kundgebung Heidelberger Hochschullehrer am 2.8.1914, und war überzeugt: „Wenn jeder seine Pflicht tut, so kann die Nation nicht unterliegen!“ Dieses Denkmuster änderte sich während des Krieges nicht: Hampe, der den Kriegsverlauf – trotz mancher Schwankungen - in der Regel sehr optimistisch beurteilte, hoffte bis zuletzt auf den Sieg, befürwortete daher auch den uneingeschränkten U-Bootkrieg. In der Annexionsfrage war er eher zurückhaltend, bewegte sich auf der Linie des Kanzlers, der sich nicht eindeutig festlegen wollte; seine Ablehnung der Friedensresolution des Reichstages, vor allem aber sein Plädoyer für eine Einverleibung Lüttichs, die Schaffung eines belgischen Schutzstaates mit „vlämisch-germanischer“ Mehrheit bei gleichzeitiger Abgabe wallonischer Gebiete an Frankreich zeigt, dass auch Hampe von dem Annexionsfieber zumindest teilweise erfasst worden war. Auch Annexionen im Osten, ohne dass diese konkret greifbar wären, scheint er nicht ablehnend gegenüber gestanden zu haben.

Was die brutale Realität des Krieges betrifft, die er im Laufe der Jahre direkt bzw. indirekt – durch seine Besuche in Belgien, den Verlust von Angehörigen oder auch die Rückkehr schwer verletzter Bekannter und Studenten – kennen lernte, so nahm Hampe diese zur Kenntnis, rechtfertigte sie aber bis zuletzt mit dem Hinweis, dass für „Sentimentalität“, „Gefühlsduselei“ und andere Gefühlsmomente kein Platz sei. Dies hinderte ihn freilich nicht daran, die „Massenschlächterei“ (12.10.1916), den „Gaskrieg“ (31.10.1917) oder den Luftkrieg mit seinen Zerstörungen (31.1.1916) zu beklagen.

Diese „nationale“ Haltung kennzeichnete auch Hampes Einstellung gegenüber der Entwicklung im Innern: Hampe war ein entschiedener Verfechter des „Geistes von 1914“, und er verlangte daher, dass die gesamte Nation, so wie er es im Kleinen vorzuleben versuchte, ihren Beitrag zum Sieg leistete. Gespräche über Lebensmittelknappheit und andere materielle Sorgen fand er daher „degoutant“. Dem Reichstag, dessen Verahndlungen er mit einem „gewissen Ekel“ (29.10.1916) verfolgte, stand er bestenfalls reserviert gegenüber; zu große Konzessionen im Hinblick auf Demokratisierung und Parlamentarisierung hielt er – im Gegensatz zu anderen bedeutenden Heidelberger Hochschullehrern – nicht für opportun. Vor allem den „Sozen“ (10.12.1915) misstraute er nahezu durchgängig, bezweifelte – wie viele seines Standes - deren nationale Zuverlässigkeit.

Sein bewusst „nationales“ Verhalten und Denken im Krieg kennzeichnete auch seinen privaten und beruflichen Alltag. Die Einschränkungen und Entbehrungen ertrugen er und seine Familie, die schließlich wie Millionen andere hungerte, mit erstaunlicher Geduld. Schließlich nahm auch er an – illegalen – Hamsterfahrten aufs Land teil, sammelte im Wald Pilze; seine Kinder gingen sogar „barfuß“, und weil er die Träger nicht mehr bezahlen konnte, trug die Familie die Kohlen 1918 selber in den Keller. Dennoch war Hampe, der im Zentrum Heidelbergs ein prächtiges Haus besaß und sich auch noch Dienstboten leisten konnte, kein armer Mann; sein Vermögen, weitgehend in Kriegsanleihen investiert, war freilich zunehmend durch die Inflation entwertet worden, von den kriegsbedingten Kürzungen durch geringere Kolleggelder einmal abgesehen.

Dass die Stimmung im Hause nicht sank, dafür sorgte Hampe so gut er konnte: Geburtstagsgeschenke für die Kinder hatten nunmehr einen martialischen Charakter, gleiches galt für die von ihm verfassten Kasperle-Spiele der Kinder zu Weihnachten, die ebenfalls auf die aktuelle Lage Bezug nahmen (25.12.1914), um nur einige Beispiele zu geben.

Last but not least: so gut er konnte, engagierte Hampe sich zusammen mit seinen Heidelberger Kollegen, zu denen mit Max und Alfred Weber, Ernst Troeltsch, Hermann Oncken, Karl Jaspers und Gerhard Anschütz äußerst renommierte Professoren gehörten, auch öffentlich für den Krieg. Die Professorenschaft war allerdings gespalten, vor allem was die Kriegszielfrage bzw. die Diskussion über innere Reformen betraf. Hampe gehörte hier zu den gemäßigten Kräften, die sich, wenn auch eher locker trafen. Max Weber, und dies ist vielleicht bezeichnend, war von diesen Treffen freilich ausgeschlossen, fürchteten sich die meisten doch, wie allein Karl Jaspers sich eingestand, vor dessen „allzu mächtige[r] Überlegenheit.“ Im Übrigen war das Leben an der Universität – vergleichsweise – „beschaulich“ – ein Kollege war gezwungen, „vor einem Studenten und einem Köter“ zu lesen (9.2.1916), da die meisten Studenten eingezogen worden waren oder sich freiwillig gemeldet hatten. Ihre Plätze nahmen vermehrt Frauen ein, eine Tatsache, an die Hampe sich schließlich gewöhnte.

Das Ende seines – hier in gebotener Kürze vorgestellten - Kriegstagebuches spiegelt die Gefühlswelt vieler Angehöriger des Bürgertums: „Der elendste Tag meines Lebens!“, notierte er am 11. November 1918. „Was ist aus Kaiser und Reich geworden! Nach außen steht uns Verstümmelung, Willenlosigkeit, eine Art Schuldknechtschaft bevor; im Innern brutale Klassenherrschaft unter trügerischem Schein der Freiheit, Bürgerkrieg, Hungersnot, Chaos.“

Es ist ein großes Verdienst der Herausgeber, Hampes Lebensweg, seine Gedanken und seine Beobachtungen in den von ihm als äußerst bedeutend empfundenen Jahren sowie seinen Weg aus dem von ihm selbst konstatierten Chaos bis Anfang 1920 nachgezeichnet zu haben. Man kann nur hoffen, dass diese Edition ein Anstoß ist, weitere Quellen dieser Art zu erschließen, die für die Forschung von unschätzbarem Wert sind.

Anmerkung:
1 Vgl. Friedrich, Jörg, „Der Krieg ist eigentlich gewonnen!“. Heute vor 90 Jahren begannen mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Belgien die Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs, der 8,8 Millionen Soldaten das Leben kostete. Warum fand die Politik dennoch keinen Ausweg aus dem Massensterben?, in: Die Welt, 4.8.2004; vgl. dazu die Antwort von Rother, Rainer, Der alte Traum vom Siegfrieden. Wer hat Schuld am Ausgang des Ersten Weltkriegs. Erwiderung auf Jörg Friedrich, in: Die Welt, 17.8.2004.

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