M. Lüdders: Die Suche nach einem Dritten Weg

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Titel
Die Suche nach einem Dritten Weg. Beiträge der deutschen Nationalökonomie in der Zeit der Weimarer Republik


Autor(en)
Lüdders, Marc
Reihe
Europäische Hochschulschriften 5 3037
Erschienen
Frankfurt am Main 2004: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
289 S.
Preis
€ 51,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Timo Luks, Historisches Seminar, Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg

Die von Marc Lüdders 2003 an der Universität Hamburg eingereichte volkswirtschaftliche Dissertation unternimmt den Versuch, das in Debatten um eine alternative Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ständig wiederkehrende Schlagwort vom Dritten Weg „von Anthony Giddens zurück in die Weimarer Republik“ zu verfolgen, um die dort intensiv geführten nationalökonomischen Debatten um die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung einer detaillierten und faktenreichen Analyse zu unterziehen. Dabei „wird der Begriff des Dritten Weges nur als ein rhetorischer Platzhalter für ordnungspolitische Entwürfe angesehen, die nach Meinung ihrer Vertreter zwischen den Wirtschaftsordnungen des ‚Kapitalismus’ und des ‚Sozialismus’ oder der ‚ordnungspolitikfreien bzw. monopoldurchsetzten Verkehrswirtschaft’ und der ‚marktfreien zentralen Planwirtschaft’ liegen sollen“ (S. 19).

Lüdders zielt einerseits auf eine Kategorisierung nationalökonomischer Positionen, die „die Koordinierungsverfahren einer Wirtschaft“ zum Maßstab erhebt, und andererseits auf die Herausarbeitung der „diskursiven Verbindungen zwischen diesen ordnungspolitischen Denkschulen bzw. Gruppierungen vor dem Hintergrund ihrer ordnungspolitischen Vorstellungen“ (S. 22). Sein Erkenntnisinteresse richtet sich darauf, den Begriff des Dritten Wegs transparent und operationabel zu machen und gleichzeitig „die Traditionsstränge der dogmengeschichtlichen und ordnungstheoretischen Hintergründe der verschiedenen Ideen des Dritten Weges offenzulegen“ (S. 23).

Die Suche nach einem Dritten Weg im nationalökonomischen Denken der Weimarer Republik basierte auf je spezifischen Diagnosen und Interpretationen der Lage und Zukunft des Kapitalismus. Von diesem Ausgangspunkt werden die verschiedenen Positionen von Lüdders als Therapievorschläge diskutiert und entsprechend systematisiert. Als Grundlage der Suche nach alternativen Wirtschaftsordnungen werden einerseits die weltanschauliche Polarisierung der Weimarer Republik und andererseits realökonomische Probleme benannt. Beides zusammen, sowie die Tendenz, zwischen Staats- und Wirtschaftsordnung kaum zu unterscheiden, führten zu einer Krisenwahrnehmung und Unzufriedenheit, die sich auf Wirtschaft und Politik gleichermaßen erstreckten und Alternativkonzepte als dringend notwendig erscheinen ließen. „Und tatsächlich ist auch die damalige Suche nach einem Dritten Weg, nach einer neuen Wirtschaftsordnung nicht ohne die damals diagnostizierten Wechselwirkungen beider Ordnungen zu verstehen. Die Kritik an der Republik betraf gleichzeitig auch immer die bestehende Wirtschaftsordnung, und umgekehrt schlug die Kritik an der Wirtschaftsordnung schnell in Kritik an der parlamentarischen Demokratie um.“ (S. 36)

Unabhängig von Unterschieden im Detail wurde die Weimarer Wirtschaftsordnung als „gebundener Kapitalismus“ diagnostiziert, der dem „freien Kapitalismus“ des 19. Jahrhunderts gefolgt sei. In den Fokus der Diskussion geriet dabei das veränderte Verhältnis von Staat und Wirtschaft, ebenso wie vermeintliches Versagen und Konzeptlosigkeit der Wirtschaftspolitik angesichts der diagnostizierten Phase des Übergangs. Ein verstärkt intervenierender Staat, der jedoch keiner „Generallinie“ folgt, müsse eben Chaos und Konfusion hervorbringen und eine „Wirtschaftsunordnung“ erzeugen. Verantwortung dafür wurde nicht zuletzt dem pluralistischen Parlamentarismus zugeschrieben. Die Interpretationen dieser Diagnose gingen bereits auseinander. Für die einen war der „gebundene Kapitalismus“ der Ansatz zu einer höher entwickelten Wirtschaftsordnung, den es nur systematisch, konsequent und durchdacht voranzutreiben gelte. Andere, wie z.B. Walter Eucken, sahen in ihm dagegen eine ineffiziente Wirtschaftsordnung, die die Leistungsbereitschaft der Wirtschaftssubjekte schmälere und das Zusammenspiel der Märkte störe. „Man war sich also einig, dass ein Wandel vom freien zum gebundenen Kapitalismus stattgefunden hat, unterschied sich aber darin, welche Bedeutung man den ‚monopolistischen’ Großorganisationen und dem staatlichen Interventionismus beimaß und wie er zu bewerten war.“ (S. 84)

Aus Diagnose und Interpretation ergaben sich verschiedene Therapievorschläge – „lauter Dritte Wege“, die Lüdders in drei Hauptströmungen gliedert: liberale, korporativistische und interventionistische Konzeptionen.

Die liberale Variante präsentierte sich als Alternative zu bürokratisch zentraler Planwirtschaft ebenso wie zum monopolistischen Kapitalismus. Ausgehend von den Idealen Freiheit, Gemeinschaft und Gemeinwohl wendeten sich die einzelnen Vertreter gegen durch Monopole und Planung verursachte und forcierte „Verkrustungserscheinungen“ und hielten Markt und Wettbewerb für „das rationalste, produktivste und gerechteste Verfahren, um die Volkswirtschaft zu koordinieren“ (S. 91). Unter diesem Dach versammelten sich verschiedene Strömungen – um eine Vermittlung von Freiheit und Gleichheit bemühte liberale Sozialisten wie Franz Oppenheimer, aber auch Vertreter des so genannten „neuen Liberalismus“ wie Franz Böhm, Walter Eucken, Wilhelm Röpke oder Alexander Rüstow, die versuchten, eine Gemeinwohlorientierung und die Idee starker Einzelpersonen, persönliche Freiheit und Gemeinschaft zu verbinden, um alte Fehler des Liberalismus ebenso wie zukünftige Fehler des Sozialismus zu vermeiden. Ins Zentrum der Kritik gerieten dabei Monopolismus, Lobbyismus und Massendemokratie. Ein über den individuellen Eigeninteressen und der Wirtschaft stehender Staat sollte hier gewissermaßen als „Veranstalter“ von Marktwirtschaft und freier Konkurrenz auftreten. Liberale, an freier Konkurrenz orientierte Wirtschaftspolitik sollte mit einer konservativen, die Gemeinschaft stärkenden Gesellschaftspolitik verbunden werden.

Die „Dritten Wege mit korporativistischer Ausrichtung“ gründeten auf der Annahme, dem Kapitalismus fehle der Sinn für das „Ganze“. Insbesondere der Individualismus und die vermeintlich aus ihm resultierenden Folgen, die wesentlich dafür verantwortlich seien, dass der Kapitalismus nach wie vor seine Mängel nicht überwinden könne, sollte über den Weg einer öffentlich-rechtlichen, nicht so sehr staatlichen Organisation der Wirtschaft und durch die Errichtung funktional abgegrenzter Korporationen bzw. einer neu-ständischen Ordnung überwunden werden. „Dem Staat kommt die Aufgabe zu, die Gründung der Korporationen staatlich zu unterstützen bzw. zu initiieren und in der Folgezeit ordnungspolitisch zu kontrollieren. Ansonsten hat er sich auf die ‚politischen Kernbereiche’ zu kümmern [institutionelle Trennung zwischen Politik und Wirtschaft].“ (S. 137)

Interventionistisch ausgerichteten Konzepten war gemeinsam, dass sie den Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft betonten. „Den politisch bestimmten Zielen des Staates wurde grundsätzlich Priorität vor denen der privaten Wirtschaftssubjekte eingeräumt, ohne dass aber das Marktverfahren beseitigt werden sollte. Zentraler Plan wie Marktverfahren wurden zumeinst als [sozialtechnologische] Instrumente behandelt, die der Staat einsetzen solle, um seine Ziele verwirklichen zu können.“ (S. 193) Lenkungsintensität und Begründung der Interventionsnotwendigkeit unterschieden sich dabei vielfach. Vertreter eines plankapitalistischen nationalen Interventionsstaates plädierten – wie z.B. Alfred Müller-Armack unter konkreter Bezugnahme auf den italienischen Faschismus und seine Wirtschaftspolitik – dafür, dass ein starker Staat entlang klarer Linien die Wirtschaft lenkt und entlang entsprechender politischer Maßgaben gestaltet, statt der Wirtschaft die Gestaltung der Politik zu überlassen. Die Idee eines staatlich gelenkten Marktsozialismus wendet sich deutlich gegen den „Einbau planwirtschaftlicher Elemente in den Kapitalismus“ (S. 242), wie er von verschiedenen anderen Strömungen gefordert wurde – nicht zuletzt deshalb, weil Marktsozialisten wie Carl Landauer oder Eduard Heimann es nicht für möglich hielten, dass der Staat in der Lage sein könnte, „im voraus die Aktivitäten der Privaten richtig einzuschätzen. Positive direkte Lenkungsmaßnahmen seien so nicht reibungslos durchzuführen“ (S. 244).

Insgesamt, so arbeitet Lüdders heraus, sind die verschiedenen Dritten Wege als Antwort auf ein reales oder vermeintliches „ordungspolitisches Versagen der Weimarer Republik“ zu begreifen – mit dem Ziel, „regellosen Interventionismus“ in eine „planvolle Wirtschaftspolitik“ zu überführen (S. 257). Gemeinsamer Ausgangspunkt aller nationalökonomischen Überlegungen der Zwischenkriegszeit waren dabei nicht so sehr abstrakt wissenschaftliche, modelltheoretische Überlegungen, sondern vermeintlich konkrete und konkret zu lösende politische Probleme.

Die hier rezensierte Arbeit bietet ein wohlgeordnetes Tableau nationalökonomischer Positionen der Weimarer Republik. Sie ermöglicht dadurch überzeugend einen systematischen Erstzugriff auf das Thema. Mit dieser wohl auch aus dem volkswirtschaftlichen Erkenntnisinteresse Lüdders´ resultierenden Anlage der Arbeit sind jedoch auch unübersehbare Schwächen verbunden. Während die gelungene Typisierung und Systematisierung der verschiedensten Positionen sehr wohl überzeugen kann, ist doch zu kritisieren, dass Lüdders sich mit unzähligen systematisierenden, z.T. stichpunktartigen Zusammenfassungen begnügt und zu diesem Zweck – denkbar ungenügend – meist nur einzelne Begriffe oder Phrasen zitiert. Dies ist wohl nicht zuletzt der mangelnden theoretischen und methodischen Grundlegung der Arbeit geschuldet, die allzu sehr unter dem Zeichen einer Traditionskonstruktion steht und dazu neigt, die Nationalökonomie als autonomen Raum zu konstruieren. Lüdders geht es – wenn auch meist nur sporadisch angedeutet und nicht konsequent durchgeführt – mehr um die Beziehungen der untersuchten Diskussionen zur heutigen Volkswirtschaftslehre als um eine Verortung in historischen Kontexten. Der geschichtswissenschaftliche Erkenntnisgewinn der regelmäßigen Be- und Aburteilung der Nationalökonomie der Weimarer Republik aus dem Blickwinkel des heutigen Forschungstandes der Volkswirtschaftslehre scheint mir jedoch begrenzt.

Die konventionell ideengeschichtliche Aneinanderreihung von Ideen, Personen, Schulen verhindert, dass die Entstehung und Entwicklung von Denkstilen und Diskursen deutlich werden. Die dynamischen Prozesse der Wissensproduktion bleiben ebenso ausgeblendet wie die Bedingungen der Produktion von Erkenntnis, die doch in der neueren – u.a. Ludwik Fleck, Pierre Bourdieu und Michel Foucault folgenden – Wissenschaftsgeschichte endlich und überzeugend in den Fokus geraten. Stattdessen erscheinen bei Lüdders nationalökonomische Ideen als statische und im luftleeren Raum existierende Gebilde, die im Prozess fortschreitender Wissenschaftsentwicklung durch jeweils bessere, d.h. – Lüdders´ bevorzugtem aber nicht erläutertem Kriterium folgend – „realistischere“ ersetzt werden.

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