Cover
Titel
Rom, 25. März 1957. Die Einigung Europas. 20 Tage im 20. Jahrhundert


Autor(en)
Knipping, Franz
Erschienen
Anzahl Seiten
368 S.
Preis
€ 15,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido Thiemeyer, Fachgruppe Geschichte, Universität Kassel

Geschichtswissenschaftliche Überblicksdarstellungen zu Europa nach 1945 in deutscher Sprache waren für einige Zeit sehr rar. Wilfried Loths Pionierdarstellung über den "Weg nach Europa" umfasste nur das erste Jahrzehnt europäischer Integrationsgeschichte und ist inzwischen auch von der Forschung überholt worden.1 Gleiches gilt für die 1992 zuletzt überarbeitete Übersicht von Andreas Hillgruber über "Europa in der Weltpolitik der Nachkriegszeit".2 Inzwischen hat Wolfgang Schmale eine Synthese verfasst, Gerhard Brunn 3 folgte, und nun liegt ein weiterer Band mit ähnlichem Anspruch aus der Feder des Wuppertaler Historikers Franz Knipping vor.

Nach einem für die Gesamtreihe charakteristischen essayistischen Vorkapitel über die Unterzeichnung der Römischen Verträge geht Knipping auf die "Forces profondes" der europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Dies ist zum einen das "gelebte Europa", die "Gesittungsgemeinschaft", wie sie sich durch die homogenisierende Prägung von Antike und Christentum über Jahrhunderte herausgebildet hat. Zum anderen schildert Knipping das "gedachte Europa", die Bestrebungen, den Kontinent auf der Basis des gelebten Europas auch politisch, wirtschaftlich und kulturell zu einigen. Hieraus geht schließlich das "gewollte Europa" hervor als die konkreten Schritte zu dieser Einigung, seien sie nun hegemonial erobernd, wirtschaftlich-ökonomisch oder religiös-kulturell motiviert. Man könnte die Begriffe zweifellos anders wählen, doch hat Knipping die bisherigen Forschungsansätze damit gut strukturiert.

Nachdem er diese Grundlagen erläutert hat, schildert der Band die Genese der Europäischen Union aus den Widerstandsbewegungen des Zweiten Weltkriegs heraus. Die Weltkriege sind somit auch jener Faktor, welcher die ideellen Grundlagen in konkrete Realität umformt. Wie diese aussehen würde, war in den ersten Jahren nach 1945 keineswegs klar, die im Kontext des Marshallplans 1948 gegründete Organisation for European Economic Cooperation (OEEC) legte grundsätzlich andere Schwerpunkte als der ein Jahr später entstandene Europarat. Entscheidend wurde bekanntermaßen die aus dem Schuman-Plan hervorgegangene Montanunion, mit der zum ersten Mal in der Geschichte überhaupt das völkerrechtliche Konstrukt der Supranationalität angewandt wurde. Das Konzept bildete die Blaupause für die ab dann dominierende Integrationsmethode. Diese steht nun auch im Mittelpunkt der Darstellung, Knipping folgt nun der supranationalen europäischen Integration über die Römischen Verträge, den Haager Gipfel und die Einheitliche Europäische Akte bis in die Gegenwart. Die Geschichte der EG/EU strukturiert also das Buch, die chronologische Darstellung wird innerhalb der Kapitel strukturell durchbrochen, indem die für die jeweilige Epoche wichtigen Politikbereiche vorgestellt werden. Berücksichtigt werden dennoch auch andere Ebenen des Integrationsprozesses, etwa die KSZE in den 1970er-Jahren oder auch die von der britischen Regierung seit 1956 vorangetriebene europäische Freihandelszone EFTA.

Die wesentlichen Motoren des Integrationsprozesses, daran lässt Knipping keinen Zweifel, sind für ihn die politischen Persönlichkeiten, vor allem in der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich. Diese prägten den europäischen Einigungsprozess, sei es aus nationalem Interesse, weil auf europäischer Ebene Lösungen für Probleme gefunden werden konnten, die die begrenzten Möglichkeiten des Nationalstaates überstiegen, sei es aus Idealismus, um den Frieden zu sichern. Dagegen spielen gesellschaftliche Akteure, Verbände der Industrie und Gewerkschaften, Intellektuelle oder auch politische Parteien, in dieser Darstellung eine zweitrangige Rolle. Es handelt sich also um eine klassische politikgeschichtliche Synthese, die sozialwissenschaftlich-funktionalistische Aspekte weitgehend ausklammert.

Gleichwohl, der Autor hat eine Vielzahl von Quellen und Einzelstudien vor allem aus dem deutsch-, englisch- und französischsprachigen Raum zu einer Synthese verarbeitet, die eine wertvolle Basis für weitere Forschungen bilden wird. Überraschend ist der hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung der Union sehr pessimistische Ausblick, den Knipping seiner Studie hintanstellt, zeigt doch gerade seine Darstellung eindrucksvoll, dass die europäische Union bis heute eine sehr erfolgreiche Krisengemeinschaft (Wichard Woyke) mit bisweilen verwirrenden, aber insgesamt effektiven Regelungsmechanismen ist.

Anmerkungen:
1 Loth, Wilfried, Der Weg nach Europa. Geschichte der europäischen Integration, Göttingen 1996.
2 Hillgruber, Andreas, Europa in der Weltpolitik der Nachkriegszeit 1945- 1963, vierte Auflage, München 1993. (Eine Neuausgabe ist angekündigt: Jost Dülffer, Europa im Zeichen des Ost-West- Konflikts 1945-1991.)
3 Schmale, Wolfgang, Geschichte Europas, Wien 2000; Brunn, Gerhard, Die Europäische Einigung von 1945 bis heute, Stuttgart 2002.

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