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Titel
Die Dämonen - Demons. Die Dämonologie der israelitisch-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt


Herausgeber
Lange, Armin; Lichtenberger, Hermann; Römheld, K. F. Diethard
Erschienen
Tübingen 2003: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
XIX, 687 S.
Preis
€ 134,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Paul Metzger, Fachbereich Evangelische Theologie, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

Was ist ein Dämon? Ist es die warnende Stimme, die Sokrates davor bewahrt, Unrechtes und Unehrenhaftes zu tun (Platon, Apologie 24b)? Ist es ein Wesen, das die sieben Ehemänner von Sara, der Tochter Raguels, tötet, bevor sie die Hochzeitsnacht zusammen verbringen können (Tob. 3,7)?1 Beide Wesen werden mit dem griechischen Terminus "daimon/daimonion" bezeichnet, weisen aber doch ganz verschiedene Seinsweisen auf. Es fällt demzufolge schwer zu definieren, was gemeint sein soll, wenn von "Dämon" die Rede ist. In der Entwicklung des Begriffs ist zu erkennen, dass spätestens seit Xenophon die positive Konnotation des Terminus verloren geht und der Dämon zunehmend negativ gesehen wird. "Daher bezeichnet die religionswissenschaftliche Forschung als Dämonen alle übermenschlichen, aber untergöttlichen Mächte, die den Menschen schädigen oder zumindest bedrohen und deren sich der Mensch durch bestimmte Riten und Enthaltungen erwehrt."2

Wie schwierig aber die konkrete Klassifizierung des einzelnen Wesen ist, zeigt schon ein Blick ins Register des von A. Lange (Associate Professor for Hebrew Bible and Dead Sea Scrolls an der University of North Carolina at Chapel Hill), H. Lichtenberger (Professor für Neues Testament und antikes Judentum an der Universität Tübingen) und K. F. D. Römheld (Pfarrer bei Bonn) herausgegeben Bandes "Die Dämonen - Demons". Er dokumentiert 34, teils in deutscher, teils in englischer Sprache abgefasste "Beiträge eines internationalen Forschungssymposiums zum Thema 'Die Dämonen - Die Dämonologie der alttestamentlich-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt', das vom 23. bis 27. Mai 2001" (S. V) in Tübingen stattfand. Dem Titel des Symposions gemäß gliedert sich der Band nach zwei einleitenden Beiträgen in Aufsätze zum Thema "Dämonen im Alten Ägypten und im Alten Orient", "Dämonen im Alten Israel und in der vorexilischen und exilischen Zeit", "Dämonen in Juda und Israel in der persischen Zeit", "Dämonen in Juda und Israel in der hellenistischen Zeit", "Dämonen in der griechisch-römischen Welt", "Dämonen im Neuen Testament und in der Gnosis" und "Dämonen nach der Zerstörung des Zweiten Tempels".

Zwischen Menschen, Dämonen und Gottheiten zu unterscheiden, ist nicht so einfach, wie die oben zitierte Bestimmung eines Dämons von O. Böcher glauben lässt. Wann ist ein Wesen göttlich, wann ist es schädigend?3 Diese ungemein perspektivgebundenen Fragen lassen sofort die Notwendigkeit der ersten beiden einleitenden Vorträge vor Augen treten. B. Gladigow ("Plentiduo deorum. Fülle der Götter und Ordnung der Welt") und A. Klostergaard Petersen ("The Notion of Demon. Open Questions to a Diffuse Concept") geht es in ihren Beiträgen grundsätzlich um die Frage, wie ein aufgeklärt-postmodernes Denken angemessen die religiöse Welt des antiken Menschen beschreiben kann. Aus religionswissenschaftlicher Sicht wird versucht zu erklären, warum etwa der Monotheismus Vermittlungsinstanzen braucht, die entweder dämonischen Wesen überlassen oder menschlich besetzt (Priester u.ä.) werden. Der Vorschlag, "Dämon" in dieser Funktion ernst zu nehmen und den Begriff über diese zu bestimmen, also als "Brückeninstanz" zwischen getrennten Sphären (Mensch - Gott) zu verstehen, verdient Beachtung. Dies ist dann besonders hilfreich, wenn wie im ersten Abschnitt des Buches zum Alten Orient herausgestellt wird, dass lediglich der Zoroastrismus eine klar dualistische Dämonologie ausbildet4, während andere ägyptische oder altorientalische Kulturen eher einen fließenden Übergang von Gott zu Dämon und von Dämon zu Mensch kennen; untersucht werden dabei das alte Ägypten von D. Kruth ("Suum cuique. Zum Verhältnis von Dämonen und Göttern im alten Ägypten"), Babylon und Assyrien von K. van der Toorn ("The Theology of Demons in Mesopotamia and Israel. Popular Belief and Scholarly Speculation"), die nordwestsemitische Religion von H. Niehr ("Zur Entstehung von Dämonen in der Religionsgeschichte Israels. Überlegungen zum Weg des Resep durch die nordwestsemitische Religionsgeschichte") sowie die phönizisch-punische von H.-P. Müller ("Der Umgang mit dem Negativwertig-Numinosen in der phönizisch-punischen Religion").

Dass dämonische Aspekte zuweilen sogar in den Menschen versetzt werden, zeigt M. Bauks in ihrer Betrachtung von Ex 7-14 ("Das Dämonische im Menschen. Einige Anmerkungen zur priesterschriftlichen Theologie, Ex 7-14"). Überhaupt erweist sich die israelitische Religion als spröde gegenüber der Aufnahme dämonischer Vorstellungen, wie beispielsweise B. Janowski ("Jenseits von Eden. Gen 4,1-16 und die nichtpriesterliche Urgeschichte") und M. Köckert ("War Jakobs Gegner in Gen 32,23-33 ein Dämon?") in ihren Beiträgen demonstrieren, die weder in Gen 4,7 noch in Gen 32,23-33 Dämonen erkennen. Falls Sach 13,2 einen Dämon kennt, so A. Lange ("Considerations Concerning the 'Spirit of Impurity' in Zech 13:2"), ist hier eine Entwicklung zu beobachten, die zu späteren dualistischen Denkmodellen führt. H.-J. Fabry ("'Satan' - Begriff und Wirklichkeit. Untersuchungen zur Dämonologie der alttestamentlichen Weisheitsliteratur") zeigt die Alternative solcher Dualismen im Weltbild auf, wenn er vorführt, dass es in monotheistischen Religionen zwangsläufig zur Annahme eines Kampfes zwischen guten und bösen Mächten kommt, so Gott selbst nicht als verantwortlich für das Böse gelten soll.

In hellenistischer Zeit wird Gen 6,1-4 als Ätiologie von Dämonen herangezogen, wie L. Stuckenbruck ("Giant Mythology and Demonolgy: From the Ancient Near East to the Dead Sea Scrolls") erweist. Mit der Dämonologie des Jubiläenbuches befasst sich J.C. VanderKam ("The Demons in the Book of Jubilees"), mit der des Josephus R. Deines ("Josephus, Salomo und die Gott verliehene techne gegen die Dämonen"), mit der Qumrans schließlich E. Eshel ("Genres of Magical Texts in the Dead Sea Scrolls") und H. Lichtenberger ("Ps 91 und die Exorzismen in 11QPsApa"). Der griechisch-römischen Sicht auf die Dämonen wenden sich L. Albinus ("The Greek daimon between Mythos and Logos") und H. Cancik ("Römische Dämonologie. Varro, Apuleius, Tertullian") zu.

Der neutestamentliche Abschnitt des Buches bringt vor allem Einsichten zu einzelnen Autoren wie Matthäus und Paulus. M. Rese ("Jesus und die Dämonen im Matthäusevangelium") will beispielsweise zeigen, dass im Matthäusevangelium die Welt nicht entdämonisiert wird. Dies wird vielmehr erst für die Parusie erwartet. U. Mittmann-Richert ("Die Dämonen und der Tod des Gottessohnes im Markusevangelium") beschäftigt sich dagegen mit den Dämonen im Markusevangelium, die entgegen den Jüngern in der markinischen Darstellung um die Identität Jesu wissen. G. S. Oegema ("Jesus' Casting out of Demons in the Gospel of Mark against Its Greco-Roman Background") betrachtet die markinische Auffassung von Dämonen vor ihrem griechisch-römischen Hintergrund und kommt zu dem Ergebnis, dass damit eine eigenständige christliche Sicht begründet wird. T. Söding ("'Wenn ich mit dem Finger Gottes Dämonen austreibe …' (Lk 11,20). Die Exorzismen im Rahmen der Basileia-Verkündigung Jesu"), F. Avemarie ("Warum treibt Paulus einen Dämonen aus, der die Wahrheit sagt? Geschichte und Bedeutung des Exorzismus zu Philippi, Act 16,16-18") und T. Knöppler ("Paulus als Verkündiger fremder daimonia. Religionsgeschichtlicher Hintergrund und theologische Aussage von Act 17,18") wenden sich dem lukanischen Doppelwerk zu, während P. Lampe ("Die dämonologischen Implikationen von I Korinther 8 und 10 vor dem Hintergrund paganer Zeugnisse") die Haltung des Paulus zum Götzenopferfleisch im ersten Korintherbrief untersucht. E. Grypeou ("Die Dämonologie der koptisch-gnostischen Literatur im Kontext jüdischer Apokalyptik") zeigt, dass die Wurzeln einer Dämonologie der Gnosis in der jüdischen Apokalyptik liegen. Abschließend beschäftigen sich P. S. Alexander ("Contextualizing the Demonology of the Testament of Solomon") und G. Stemberger ("Zur Rolle der Dämonen im späten Midrasch") mit den Fortwirkungen magisch-dämonischer Traditionen beim Entstehen neuer Dämonologien.

Der mit einem hilfreichen Register versehene über 650 Seiten starke Band kann wegen seiner Anlage zwar nicht den Charakter einer Monografie erreichen, die das Thema "Dämon" von seinen Anfängen bis zur neutestamentlichen Zeit umfasst, bietet aber durchaus einen guten Überblick über das Spektrum der modernen Forschung zur Dämonologie und wartet mit einer Fülle von Einzelaspekten zu diesem Thema auf. Dass die einzelnen Themenbereiche nicht gleichgewichtig behandelt werden5, ist sicher dem Charakter des Symposions und den Teilnehmern geschuldet. Versehen, wie das doppelte "der" in der Überschrift des Abschnittes "Dämonen in Juda und Israel in der persischen Zeit" (S. XVI), sind leicht zu verschmerzen.

Anmerkungen:
1 Vgl. den Beitrag von Ego, B., "'Denn er liebt sie'. (Tob 6,15 Ms. 319). Zur Rolle des Dämons Asmodäus in der Tobit-Erzählung".
2 Vgl. O. Böcher, Art. "Dämonen I. Religionsgeschichtlich", in: TRE 8, Berlin-New York 1981, 270.
3 Vgl. den Beitrag von Hüllstrung, W., "Wer versuchte wen zu töten? Ein Beitrag zum Verständnis von Ex 4,24-26", der in Ex 4,24-26 entweder Gott selbst oder einen Dämon am Werk sieht.
4 Vgl. den Beitrag von Ahn, G., "Dualismen im Kontext der Gegenweltvorstellungen. Die rituelle Abwehr der Dämonen im altiranischen Zoroastrismus".
5 So bieten die Abschnitte "Dämonen in der griechisch-römischen Welt" und "Dämonen nach der Zerstörung des Zweiten Tempels" nur zwei Vorträge, während z.B. der Teil "Dämonen im Alten Ägypten und im Alten Orient" fünf bzw. "Dämonen im Neuen Testament und in der Gnosis" sogar acht Vorträge enthält.

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