Cover
Titel
American Empire. The Realities and Consequences of U.S. Diplomacy


Autor(en)
Bacevich, Andrew J.
Erschienen
Anzahl Seiten
302 S.
Preis
$29.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reinhard Blomert, Institut für Soziologie, Universität Graz

Andrew J. Bacevich, Professor für Internationale Beziehungen und Direktor des Center for International Relations der Universität Boston, derzeit Fellow der American Academy in Berlin, untersucht in seinem Buch die Kontinuität der Prinzipien, Begründungen und Ziele der amerikanischen Außenpolitik in den 1990er-Jahren. Bacevich, der selbst während des Kalten Krieges als Oberst in der Armee diente, fragt: Warum haben die USA nach dem Fall der Berliner Mauer nicht abgerüstet? Das Ende des Kalten Krieges enthüllte, dass die USA mit ihrem jahrzehntelangen kostspieligen militärischen Engagement ein eigenes übergeordnetes Interesse verbanden: Sie waren selbst ein Imperium, wenn auch besonderer Art. Nach Bacevich gibt es keine Strategien, die nur „passiv“ oder „defensiv“ sind. Die NATO war stets „mehr als ein Bollwerk gegen den Kommunismus, sie war ein Instrument um Europas politische und ökonomische Transformation zu befördern und die vorteilhafte Position der USA zu zementieren“. Washingtons Ziel war ein politisch integriertes Europa, das offen war für amerikanische Unternehmen und von der amerikanischen Sicherheitsgarantie abhängig war. Die amerikanischen Politiker verbargen diese Absicht auch keineswegs – schon in den Reden von Truman lässt sich die Zielsetzung verfolgen. Bacevich vergisst, die Atlantic Charter zu erwähnen, in der auch Roosevelt das Ziel einer Öffnung der Gesellschaften zu einem „globalen Wirtschaftsraum“ für die noch zu gründenden Vereinten Nationen ansteuerte. Das erschöpfte Europa der Nachkriegszeit suchte Schutz und wirtschaftliche Unterstützung bei den mächtigen USA – und stützte damit umgekehrt aktiv deren Vormacht. Aber als Europas Wohlstand wiederhergestellt und ein Angriff längst nicht mehr zu befürchten war, zogen die USA sich nicht zurück. Vielmehr suchten alle drei Präsidenten neue Ziele für die NATO. Wenige Wochen nach dem Fall der Mauer setzte Bush senior amerikanische Truppen in Panama ein und erklärte, dass das Militär weiterhin eine zentrale Rolle spielen werde. Er befahl die Umstrukturierung der NATO-Truppen zur Durchführung flexiblerer offensiver Operationen. Im Golfkrieg wich Bush nicht von der Weinberger-Doktrin ab (auch „Weinberger-Powell-Doktrin“), die nach dem Vietnam-Krieg aufgestellt wurde und für alle Militäreinsätze ein klares Ziel, begrenzbare Militärschläge und klare Übermacht mit anschließendem Rückzug verlangte. Nach Bacevich verband Bush mehrere Ziele mit dem Golfkrieg: die Notwendigkeit der NATO zu beweisen, innenpolitisch das Vietnam-Syndrom zu beseitigen, und der Welt zu verkünden, dass die USA die Führerschaft übernommen haben. Aber statt eine „Neue Weltordnung“ zu etablieren, hatte Bush in Wirklichkeit nur die alte rücksichtslose Tradition der globalen Öffnung fortgesetzt und damit, so Bacevich, den Graben zwischen der westlichen und der arabischen Welt vertieft.

Unter Bushs Federführung wurde die APEC (Asian Pacific Economic Cooperation) gegründet, ein Handelsabkommen zwischen der USA und den Ländern des Fernen Ostens, und Bush setzte auch den Grundbaustein für die nordamerikanische Freihandelszone NAFTA, die jedoch auf Widerstände in seinem eigenen Lager stieß. Clinton übernahm also von seinem Vorgänger bereits eine Reihe von politischen Initiativen zur ökonomischen Öffnung verschiedener Regionen und Nationen. Ihm gelang es, die NAFTA zu verwirklichen, über 300 Handelsverträge mit Schwellen- und Entwicklungsländern über freien Waren- und Kapitalverkehr abzuschließen, (private Kapitalanlagen in den Schwellen- und Entwicklungsländern erreichten in den 1990er-Jahren 1,5 Billionen $) und die GATT zur Welt-Handels-Organisation umzuwandeln, dem bisher erfolgreichsten Instrument zur Marktöffnung. Mit dem Begriff Globalisierung gelang es Clinton eine „Vision“ zu transportieren und eine effiziente Werbestrategie für die Politik der Öffnung einzusetzen, die Clinton zum handelspolitisch erfolgreichsten Präsidenten der USA seit dem Zweiten Weltkrieg machte – der US Export stieg nach der WTO-Gründung um 36 Prozent, die Konversion des Internet zur zivilen Anwendung zementierte die Vorherrschaft der USA auf dem Computer- und Programm-Sektor (z.B. Microsoft) und brachte eine gewaltige (Über-)Expansion des Börsenvolumens, durch das ausländisches Kapital an den amerikanischen Markt gebunden wurde.

Auch Clinton führte Kriege, ließ Bomben über Afghanistan, Belgrad und Irak abwerfen, aber seine Verbindung zur Militärindustrie war nicht so eng und er wehrte sich gegen die "missile defense" Waffen (für die sich der damalige Vorsitzende des Militärausschusses Rumsfeld so stark einsetzte). Unter Clinton gab es kurzfristig sogar einen Einbruch bei den Militärausgaben (niedrigster Stand im Verhältnis zum BSP seit dem Zweiten Weltkrieg), und Clinton zog die amerikanischen Soldaten aus Somalia zurück, weil er erkannte, dass sich hier nicht viel gewinnen, aber viel verlieren ließ; auch er folgte damit der Weinberger-Doktrin. Aber es gab auch unter Clinton keinen strategischen Rückzug: So begrüßte er etwa den Eintritt der drei ehemaligen Warschauer Paktstaaten Tschechien, Polen und Ungarn in die NATO mit den Worten „the first new members will not be the last“. Tatsächlich hatte bereits Clinton dieselben „rogue states“ identifiziert, die später von Bush junior als „Achse des Bösen“ bezeichnet wurden – Irak, Iran und Nordkorea. Bacevich beruft sich auf Anthony Lake, der die 1990er-Jahre als Fortsetzung der amerikanischen Interessenpolitik beschrieb, durch die nichtoffene Gesellschaften von diplomatischer, militärischer, ökonomischer und technologischer Ausgrenzung bedroht sind. Wie Clinton – mit unterscheidbarem Stil und Temperament - dieselben Pfade der Außenpolitik verfolgte wie sein Vorgänger, so folgte Bush junior bis in die Wortwahl hinein der Linie Clintons (Clinton zum chinesischen Ministerpräsidenten: „You are on the wrong side of history“, Bush in einer Rede: „our nation is on the right side of history“). Und Bush übernahm das außenpolitische Credo, „a vision in which people and capital and information can move freely, creating bonds of progress, ties of culture, and momentum towards democracy“. Auch für Bush war der Rückzug der USA nach dem Ende des Kalten Krieges keine Option („America’s first temptation is withdrawal – to build a proud tower of protectionism and isolation“), da das unvermeidliche Resultat ein „stagnierendes Amerika und eine ungezähmte Welt“ wäre.

Mit Bacevichs These vom „informellen Imperialismus“ wird die einheitliche Linie der US-Außenpolitik erkennbar. Er unterscheidet sich von der starken „liberalen“ Schule, die auf den Glauben an die Überwindung des Krieges durch wirtschaftliche Verflechtung, internationale Verträge oder partnerschaftliche Kooperation baut (Norman Angell, Thomas L. Friedman, Richard Rosecrance, David Baldwin, Robert O. Keohane, Lisa L. Martin/Beth A. Simmons, John Ruggie), oder Demokratien für weniger kriegerisch hält als Nicht-Demokratien (Michael Doyle, Francis Fukuyama, John M. Owen IV, James L. Ray, Bruce Rassett). Anders als Joseph Nye glaubt Bacevich auch nicht an einen selbstlosen „wohlwollenden Hegemon“, der Stabilität um der ökonomischen Prosperität willen garantiert, denn es gibt keinen vernünftigen Grund anzunehmen, dass Hegemonialmächte weniger egoistisch sind und mit ihrem Engagement keine Interessen verfolgen. Auch von der „realistischen“ Schule (Kenneth Waltz, John Mearsheimer, E.H. Carr, Hans Morgenthau), mit der ihn der Machtbegriff eint, setzt er sich ab, weil er Macht und Sicherheitsbedürfnisse nicht als allein entscheidendes außenpolitisches Motiv betrachtet. Bacevich geht stattdessen zurück auf Charles Beard und William Appleman Williams, zwei fast vergessene „patriotische Häretiker“, die auf Fallen und Probleme aufmerksam gemacht hatten, in welche die Rolle einer Supermacht die USA bringen musste. Mit ihnen verbindet Bacevich die Erkenntnis, dass wirtschaftliche Beziehungen auch Machtbeziehungen sind und dass Außenpolitik die Fortsetzung der Innenpolitik ist. Sicherheit und Macht als außenpolitische Ziele sind stets auch an wirtschaftliche Motive gebunden, die das innenpolitische Agens für die Außenpolitik ergeben. Während Beard insbesondere die ökonomischen Motive der amerikanischen Außenpolitik verfolgte, bestand Williams Beitrag in der Entdeckung der besonderen Qualität des amerikanischen Imperialismus, der sich nach einem kurzen Abenteuer mit dem klassischen Modell bei der Besetzung der Philippinen auf einen neuen Weg besann: Die traditionelle amerikanische Einstellung ist antiimperialistisch, und dem Gedanken, fremde Bevölkerungen durch amerikanische Soldaten zu unterdrücken, abhold. Deshalb suchte man nach einer Politik, die die Vorzüge eines Imperiums aufwies ohne Kosten zu verursachen. Diese Politik ist die Politik der Öffnung der Gesellschaften für Waren und Kapital – der „Open Door-Imperialismus“ (Williams). Die USA ziehen den politischen und ökonomischen Zugang und Einfluss der unverdeckten Kolonialherschaft über abhängige Völker vor und setzen im Übrigen auf die Anziehungskraft des „American way of life“ um Zweifler und Gegner zu überzeugen. Amerikas Imperium ist informell, da es sich aus nominell gleichrangigen Staaten zusammensetzt. Wann immer möglich, herrschen die USA indirekt über ihr Imperium, meist über zwischengeschaltete Institutionen, die sie zwar nicht allein kontrollieren, deren Ton sie aber vorgeben, etwa in der NATO und im Weltsicherheitsrat, im IWF und in der Weltbank. Die amerikanische Mission unterscheidet nicht zwischen Markt und Politik, weil beides Teil des Gesellschaftsmodells darstellt: Expansion des Marktes bedeutete Ausdehnung der Freiheit. Das wurde zur amerikanischen Ideologie, die auf einem breiten inneramerikanischen Konsens beruhte und das Prinzip der Ausdehnung der amerikanischen „frontier“ über die Grenzen des Landes hinaus beinhaltete - im Namen von Fortschritt, Selbstbestimmung und Frieden (nicht jedoch von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit). Charles Beard war ein halbes Jahrhundert lang der bedeutendste amerikanische Historiker, bis er sich in den 1940er-Jahren gegen den Eintritt der USA in den Krieg aussprach. Williams Diagnosen waren ikonoklastisch und er fand deshalb großen Anklang bei der Studentenbewegung. Auch wenn Bacevich nicht all ihre politischen Folgerungen übernimmt, so hält er doch an ihren Grunderkenntnissen fest. Nach dem Ende des Kalten Krieges musste selbst Arthur Schlesinger Jr., Williams Konterpart, zugeben, dass „niemand mehr bezweifelt, dass es ein amerikanisches Imperium gibt, ein ‚informelles Imperium‘, das keine Kolonien hat, aber reichlich ausgestattet ist mit allen imperialen Paraphernalia: Truppen, Schiffen, Flugzeugen, Militärbasen, Proconsuln, lokalen Kollaborateuren, alle rund um den Globus plaziert“ (Schlesinger 1986:141). Und ein zweiter Topos der amerikanischen Außenpolitik kann, so Bacevich, nach Williams auch nicht mehr aufrechterhalten werden: Dieses informale Imperium ist nicht durch Zufall entstanden, sondern eine Konsequenz der spezifischen amerikanischen Weltsicht. Es beruht auf einer kohärenten Strategie, die perfekt zusammenstimmt mit den Grundüberzeugungen der US-amerikanischen Politik, dass das amerikanische System der politischen Ökonomie nur in einer Welt offener Gesellschaften funktioniert. Damit ist Öffnung die Logik des Imperiums, um die Bedürfnisse des amerikanischen Kapitalismus zu erfüllen (Bacevich:31).

Die von Bacevich unterstellte Kontinuität geht weit zurück zu den Anfängen der US-Außenpolitik. Sie hat nur wenige Brüche: Das philippinische Kolonialabenteuer, das Engagement der USA im Nachkriegsdeutschland, in Japan und in Vietnam, das weit über eine informelle und indirekte Machtausübung hinausging. Vietnam galt in der Nachkriegsgeschichte als Sündenfall der amerikanischen Außenpolitik. Mit dem 11. September scheint nun ebenfalls ein Bruch stattgefunden zu haben, eine „Erleichterung“, wie Rumsfeld sagte, weil er „jene Art von Chance schuf, die bis dahin nur der Ersten Weltkrieg geboten hatte, nämlich die Welt neu zu ordnen“ nach den Interessen der USA. Der „Krieg gegen den Terror“ förderte eine Welle des Patriotismus, mit der sich die Bush-Regierung eine neue Legitimation verschaffte - zu kämpfen, wo immer sie will (Bush-Doktrin der nationalen Sicherheit). Damit verlassen die USA die klassische Linie, der Öffnung durch „Kriegsschiffe, Bomber und Gurkhas“: Wenn Blut vergossen werden musste, so sollte es das von loyalen einheimischen Truppen oder von Söldnern sein anstelle von regulären Soldaten.

Das Buch erschien 2002 noch vor der Irakinvasion. Inzwischen sind eine ganze Reihe weiterer kritischer Aufsätze und Bücher zum amerikanischen Imperium erschienen, doch das Buch von Bacevich bleibt nicht nur aufgrund seiner spezifischen Quellen (Reden, Schriften, Doktrinen von Präsidenten, Ministern und Regierungsberatern) wertvoll, sondern gibt auch mit seiner These vom „informellen Imperium“ einen schärferen Blick auf die amerikanische Außenpolitik, als die beiden dominierenden Schulen. Dass Bush junior nun erneut von der klassischen Devise abweicht, erklärte Bacevich in einem Vortrag vor der American Academy im April 2004 mit einer schleichenden Militarisierung der Außenpolitik, über das er sein nächstes Buch schreibt. Sollten sich die USA aus dem Irakabenteuer nicht wieder herausziehen, so wird es den Charakter des amerikanischen Imperiums (vom informellen zum formellen Imperium) verwandeln und damit auch die amerikanische Gesellschaft verändern. Da die USA jedoch die Kosten eines solchen Imperiums nicht allein tragen können werden sie ihre Verbündeten mit allen (erdenklichen) Mitteln dazu bringen, sich an den Kosten zu beteiligen.

Ausgewählte Literaturhinweise:
Beard, Charles, „The Rise of American Civilization“, New York 1930.
Ders., „An Economic Interpretation of the Constitution of the United States“, New York 1913.
Ders. „The Open Door at home“, New York 1935.
Lake, Anthony „From Containment to Enlargement“, Rede an der Johns Hopkins Universität 21. September 1993.
Schlesinger, Arthur jr. „The Cycles of American histoty“, Boston 1986.
William Appleman Williams, „Empire as a Way of Life“, New York 1980.
Ders. „The Frontier Thesis and American Foreign Policy“, Pacific Historical Review 24 (Nov. 1955).
Ders. „From Colony to Empire“, New York 1972.
Bacevich, Andrew, “Die Regeln des Imperiums”, Berliner Zeitung v. 5. Juni 2004 (Interview von Reinhard Blomert).

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